Der Teufel
Bon Alfred Manns
Der Abend war noch kühl, aber er hatte jenen
leicht säuerlichen, wonnig erquickenden Duft der
Werdekraft keimfroher Frühlingserde.
Die Kompagnie, die auf der Gemeindewiese
eines kleinen, kurländischen Dorfes kampierte,
hatte den Tag über blutige Arbeit getan.
In. dem Gehölze, nördlich des Dorfes, faßen
an diesem Morgen noch die Russen, als die
Kompagnie, den Befehl erhielt, den Wald zu
säubern.
Der Befehl war ausgeführt, der Wald „ge-
säubert", es befand sich kein lebender Russe mehr
darin, nur Leichen, viele Leichen, auch deutsche.
Ein jeder der Landsturmmänncr — es waren
Ostpreußen — hatte seine Schuldigkeit getan.
Ein jeder, falls er nicht selbst dorther stammte,
hatte Beziehungen zu den, von den Russen „be-
setzt" gewesenen Teilen der Heimat: und die „Er-
oberung" Memels war bei allen noch in frischer
Erinnerung.
Keiner war unter ihnen, dem der wilde Zorn
nicht heiß im Gehirn saß.
Mit Handgranaten und Seitengewehr, letzteres
meist in der Faust gehalten, war der.Kampf aus-
gefochten.
Ja, sie hatten alle ihre Schuldigkeit getan,
von Weichheit und dergleichen konnte wohl bei
keinem die Rede sein. Aber trotzdem, von jenem
Unteroffizier mit der Krüppelhand, der dort, den
Ellenbogen auf das Knie und den Kopf in die
Hand gestützt, in das Biwakfeuer starrte, rückten
sie alle unwillkürlich etwas ab. Sie nannten ihn
den Teufel, und ein klein wenig graute ihnen
vor dem Mann.
Ein Neuangekommener stieß den Gefreiten
Abrumeit an.
„Du, was ist's mit dem da eigentlich?" fragte
er flüsternd und deutete unauffällig zum Unter-
offizier hinüber. „Herr des Hinimels, ja, ich weiß
jetzt, warum ihr ihn den Teufel nennt. Mehrere
Male Hab ich's gesehen, wenn so ein Kerl von
Russe hinter 'nein Baum stand und auf den Unter-
offizier zielte: bis auf acht Schritt ging der auf
ihn zu und dann erst schmiß er seine Handgranate.
Der Teufel mag wissen, wie der „Teufel" immer
davongekommen ist. Aber einmal Hab ich ihm
ins Gesicht gesehen: Herrgott, was hatte der
Mensch für Augen: im Grunde begreife ich's,
daß keiner von den Kosaken an Schießen dachte.
Als ihm die Granate, es war seine letzte, ver-
sagte, balgte ich mich gerade mit so einem Mosko-
witer herum, aber fast hätte ich den Kerl los-
gelassen, so — ich kann wohl sagen — erschrak
ich, als ich den großen, schweren Unteroffizier
Gewehr und Seitengewehr wegwcrfen sah und
wie eine Katze auf de» Baum zuspringen. Mit
einem Schlag seiner Stummelhand hieb er den
Russen zu Boden, hob ihn dann von der Erde
auf rlnd rammte ihm am nächsten Baunr den
Schädel ein."
Abrumeit nickte: „Ja, es sieht manchmal
scheußlich aus, selbst gegenüber solchen Bestien.
Ich denk noch dran, wie er zu uns zurückkam
mit seiner zerfetzten, notdürftig geheilten Hand:
Ich weigere Ihnen den Gehorsam und renne wieder
an die Front," hatte er zum Slabsarzt gesagt,
als der ihn dauernd untauglich schreiben wollte.
Run mischte sich ein dritter Landsturmniaiin
ins Gespräch.
„Sagt nichts auf den Hartmann, Leute. Der
Mann stanimt aus meinem Dorfe. Das ist ein
treuer, guter Mensch: seht ihm nur mal in die
Augen, wenii keine Russen nahe sind. Fürchter-
liches hat er erlebt. Während er am ersten Kriegs-
lage fort mußte, haben ihm die Kosaken drei Tage
später das Haus verbrannt und Frau, Sohn und
Tochter erschlagen."
Die anderen senkten die Köpfe. Die letzten
Worte waren aber absichtslos laut gesprochen
und von dem Unteroffizier gehört worden.
Langsam erhob sich die riesige Gestalt und
ging auf deii Sprecher zu, dem er die Hand hart
auf die Schulter legte.
„Nicht wahr ist's, was du sagst, die Tochter
ließeii sie am Leben-"
Heiser klang seine Stimme und schrill und in
seinen Augen lag jener drohende, unheimliche
Ausdruck, von dem der Neuangekommene ge-
sprochen hatte.
Keiner antwortete eine Silbe, allen saß es in
der Kehle und Abrumeit wickelte das Stück
Speck wieder ein, von dem er sich eben hatte
nbschnciden wollen.
Hartiiiaiin ging auf seinen Platz zurück und
nahm wieder den Kopf in die Hand.
Nach einer Weile kani die Feldpost. Es gab
nicht viel dieses Mal, nur der Teufel erhielt
einen Brief.
Mit einem Male sahen die Männer den Unter-
offizier hochspringen: krampfhaft preßte er beide
Hände an die Schläfen und danii weinte er,
weinte, während aus seinem Antlitz der Ausdruck
grimmer, qualvoller Spannung schwand. So
wandte er sich ab und ging hinein in die
Dunkelheit.
_ Am folgenden Tage meldete sich Hartmaiin
beim Kompagnieführer.
„Herr Hauptmann," sagte er etwas zaghaft,
„mit meiner Hand geht's doch nicht ganz gut.
Vielleicht kann ich in der Garnison noch helfen."
Der Hauptmann, der die Geschichte seines
Unteroffizieres kannte, sah ihm ins Gesicht.
„Ich will das befürworte». Aber, Hartmann,
jetzt nach zwei Monaten merken sie das. Mir
sollten Sie nichts vormachen."
Der Unteroffizier schluckte. Wieder trat es
feucht in seine Augen.
„Meine Tochter-"
„Die lebt doch — —“
»Nein, nein.“ Fast wild unterbrach der Teufel
den Hnuplmann: „Gott sei Lob unb Dank, der
Pfarrer schreibt es eben, tot ist sie, tot beim ersten
Schuß. Sehen Sie, Herr Hauptniaini, ganz offen:
ich habe so gräßlich gewütet gegen die Russe», ich
Kami das nun nicht mehr, denn gar so arge
Schufte sind sie doch nicht."
„Lomine was will — unser bewährtes Lulturparfüin widersteht auch den allcrstinkcndstcn
Lhlorgascn der deutschen Barbaren!"
pariser ^rosl
?. t4eubner
493
Bon Alfred Manns
Der Abend war noch kühl, aber er hatte jenen
leicht säuerlichen, wonnig erquickenden Duft der
Werdekraft keimfroher Frühlingserde.
Die Kompagnie, die auf der Gemeindewiese
eines kleinen, kurländischen Dorfes kampierte,
hatte den Tag über blutige Arbeit getan.
In. dem Gehölze, nördlich des Dorfes, faßen
an diesem Morgen noch die Russen, als die
Kompagnie, den Befehl erhielt, den Wald zu
säubern.
Der Befehl war ausgeführt, der Wald „ge-
säubert", es befand sich kein lebender Russe mehr
darin, nur Leichen, viele Leichen, auch deutsche.
Ein jeder der Landsturmmänncr — es waren
Ostpreußen — hatte seine Schuldigkeit getan.
Ein jeder, falls er nicht selbst dorther stammte,
hatte Beziehungen zu den, von den Russen „be-
setzt" gewesenen Teilen der Heimat: und die „Er-
oberung" Memels war bei allen noch in frischer
Erinnerung.
Keiner war unter ihnen, dem der wilde Zorn
nicht heiß im Gehirn saß.
Mit Handgranaten und Seitengewehr, letzteres
meist in der Faust gehalten, war der.Kampf aus-
gefochten.
Ja, sie hatten alle ihre Schuldigkeit getan,
von Weichheit und dergleichen konnte wohl bei
keinem die Rede sein. Aber trotzdem, von jenem
Unteroffizier mit der Krüppelhand, der dort, den
Ellenbogen auf das Knie und den Kopf in die
Hand gestützt, in das Biwakfeuer starrte, rückten
sie alle unwillkürlich etwas ab. Sie nannten ihn
den Teufel, und ein klein wenig graute ihnen
vor dem Mann.
Ein Neuangekommener stieß den Gefreiten
Abrumeit an.
„Du, was ist's mit dem da eigentlich?" fragte
er flüsternd und deutete unauffällig zum Unter-
offizier hinüber. „Herr des Hinimels, ja, ich weiß
jetzt, warum ihr ihn den Teufel nennt. Mehrere
Male Hab ich's gesehen, wenn so ein Kerl von
Russe hinter 'nein Baum stand und auf den Unter-
offizier zielte: bis auf acht Schritt ging der auf
ihn zu und dann erst schmiß er seine Handgranate.
Der Teufel mag wissen, wie der „Teufel" immer
davongekommen ist. Aber einmal Hab ich ihm
ins Gesicht gesehen: Herrgott, was hatte der
Mensch für Augen: im Grunde begreife ich's,
daß keiner von den Kosaken an Schießen dachte.
Als ihm die Granate, es war seine letzte, ver-
sagte, balgte ich mich gerade mit so einem Mosko-
witer herum, aber fast hätte ich den Kerl los-
gelassen, so — ich kann wohl sagen — erschrak
ich, als ich den großen, schweren Unteroffizier
Gewehr und Seitengewehr wegwcrfen sah und
wie eine Katze auf de» Baum zuspringen. Mit
einem Schlag seiner Stummelhand hieb er den
Russen zu Boden, hob ihn dann von der Erde
auf rlnd rammte ihm am nächsten Baunr den
Schädel ein."
Abrumeit nickte: „Ja, es sieht manchmal
scheußlich aus, selbst gegenüber solchen Bestien.
Ich denk noch dran, wie er zu uns zurückkam
mit seiner zerfetzten, notdürftig geheilten Hand:
Ich weigere Ihnen den Gehorsam und renne wieder
an die Front," hatte er zum Slabsarzt gesagt,
als der ihn dauernd untauglich schreiben wollte.
Run mischte sich ein dritter Landsturmniaiin
ins Gespräch.
„Sagt nichts auf den Hartmann, Leute. Der
Mann stanimt aus meinem Dorfe. Das ist ein
treuer, guter Mensch: seht ihm nur mal in die
Augen, wenii keine Russen nahe sind. Fürchter-
liches hat er erlebt. Während er am ersten Kriegs-
lage fort mußte, haben ihm die Kosaken drei Tage
später das Haus verbrannt und Frau, Sohn und
Tochter erschlagen."
Die anderen senkten die Köpfe. Die letzten
Worte waren aber absichtslos laut gesprochen
und von dem Unteroffizier gehört worden.
Langsam erhob sich die riesige Gestalt und
ging auf deii Sprecher zu, dem er die Hand hart
auf die Schulter legte.
„Nicht wahr ist's, was du sagst, die Tochter
ließeii sie am Leben-"
Heiser klang seine Stimme und schrill und in
seinen Augen lag jener drohende, unheimliche
Ausdruck, von dem der Neuangekommene ge-
sprochen hatte.
Keiner antwortete eine Silbe, allen saß es in
der Kehle und Abrumeit wickelte das Stück
Speck wieder ein, von dem er sich eben hatte
nbschnciden wollen.
Hartiiiaiin ging auf seinen Platz zurück und
nahm wieder den Kopf in die Hand.
Nach einer Weile kani die Feldpost. Es gab
nicht viel dieses Mal, nur der Teufel erhielt
einen Brief.
Mit einem Male sahen die Männer den Unter-
offizier hochspringen: krampfhaft preßte er beide
Hände an die Schläfen und danii weinte er,
weinte, während aus seinem Antlitz der Ausdruck
grimmer, qualvoller Spannung schwand. So
wandte er sich ab und ging hinein in die
Dunkelheit.
_ Am folgenden Tage meldete sich Hartmaiin
beim Kompagnieführer.
„Herr Hauptmann," sagte er etwas zaghaft,
„mit meiner Hand geht's doch nicht ganz gut.
Vielleicht kann ich in der Garnison noch helfen."
Der Hauptmann, der die Geschichte seines
Unteroffizieres kannte, sah ihm ins Gesicht.
„Ich will das befürworte». Aber, Hartmann,
jetzt nach zwei Monaten merken sie das. Mir
sollten Sie nichts vormachen."
Der Unteroffizier schluckte. Wieder trat es
feucht in seine Augen.
„Meine Tochter-"
„Die lebt doch — —“
»Nein, nein.“ Fast wild unterbrach der Teufel
den Hnuplmann: „Gott sei Lob unb Dank, der
Pfarrer schreibt es eben, tot ist sie, tot beim ersten
Schuß. Sehen Sie, Herr Hauptniaini, ganz offen:
ich habe so gräßlich gewütet gegen die Russe», ich
Kami das nun nicht mehr, denn gar so arge
Schufte sind sie doch nicht."
„Lomine was will — unser bewährtes Lulturparfüin widersteht auch den allcrstinkcndstcn
Lhlorgascn der deutschen Barbaren!"
pariser ^rosl
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