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Schlafen — Wachen

Von Beifa Ceich (Wien)

Breit flutete die warme Herbstsonne
über die Hütte Wassils, der ans dem
Hügeldien gegenüber seinem Häuschen
lungerte. Wastil hatte für Poesie gar
kein Verständnis. Wenn die Sonne
das Strohdach in blinkendes Gold ver-
zauberte, kam Wassils Phantasie wohl
ein wenig in Schwingung, aber sie sang
nichts anderes als: Gold! Gold! Gold!
und wurde gierig »ach dem guten, star-
ken Schnapse, den man in der Stadt für
Geld kaufen konnte, nach den Weibern,
die in der Stadt für Gold so freund-
lich waren.

Aber Wassil hatte auch wieder Angst,
wenn er sich vorstellte, er könnte Gold
haben. Würden das die anderen nicht
gleich riechen? Würde er da nicht eines
Tages verschwinden? Man weiß nicht

— eine Hütte brennt schnell nieder

— und wenn man gerade im Rausche

war-! Und der Fluß erzählt auch

nichts weiter, als daß da ein Betrun-
kener hineingefallen ist. Und das Gold

— ja, das hatte dann wohl der andere.

So sah Wassils Phantasie aus,

wenn die Sonne mitleidig ihren Glanz
Über das halbverfallene Häuschen ver-
schwendete.

Ich will eigentlich nichts Schlechtes
über Wassil sagen. Er arbeitete auch
manchesmal. Mußte er doch als höriger
Bauer für den Gutsherrn arbeiten. Was
blieb ihm aber da viel für sich übrig?

Der Mensch mußte sich doch auch er-
holen! Er hatte wohl früher noch da-
ran gedacht, sich frei zu arbeiten, und
schwer geschafft. Aber es wurde nicht
besser. Des Gutsherrn Felder sind groß
und müssen zuerst fertig sein. Wenn
dann Wassil endlich dazu kam, seine
Kartoffeln zu graben, dann waren sie
längst ausgewachsen. Zu allem Über-
fluß war eines Tages so ein Wander-
bruder gekommen, so einer, der immer
Angst vor der Polizei hat und doch
innner behauptet, er hätte einen wun-
derbaren Paß — durch alle Gouverne-
ments. Der sagte dem Wassil, als er
bei ihm freundliche, warme Unterkunft
gefunden hatte:

„Sieh', Bruder, was arbeitest Du so? —
Wer im Schlafe arbeitet, der kann es zu nichts
bringen. Erwecke Dich! Erwecke Deine arme
Seele, Russe, und dann arbeite!"

Wassil hatte nichts anderes aus der schönen
Rede verstanden, als daß er nicht mehr arbeiten
solle.

Roch mancherlei hatte der Gast von den
Schlafenden, die man wecken müsse, gesprochen.
Aber Wassil hatte nur immer gehört: „Was ar-
beitest Du so?" und da war er immer sehr bald
müde geworden. Dafür aber hatte seine alte
Mutter gearbeitet, sonst wären sie int Winter
wohl verhungert. Wassil ging ins Dorf. Seine
Mutter hatte ihm einige blanke Kupfermünzen
heimgebracht. Sie hatte wohl wieder Strohmatten,
die sie so gut zu flechten verstand, verkauft.

In der Schenke war großer Tumult. Der
Gutsherr war gekommen, und schrie den Bauern
die Kunde zu vom Kriege:

„Ja, Brüder (nie hatte er sie so angeredet,
immer hießen sie nur Hunde), Ihr müßt unser
heiliges Rußland schützen. Ihr müßt für unser
gutes Väterchen kämpfen, ohne den ihr nicht ein-
mal Stroh zum Schlafen hättet! Ihr müßt gegen
feine bösen Feinde, die uns auch das Bißchen,
das wir noch haben, wegnehmen wollen. Gegen
diese Antichristen, die unsere heilige Gottesmutter
gekreuzigt haben! Geht Ihr nicht gegen sie, kom-
men sie Über Euch und dann — na, Ihr wißt

önmnen in Lernlj

Lin jeder neigt fich dürstend dement Strahl,

Und manche dürftet wieder, die da tranken;

Noch waren andre, die getroffen fanken,

Gefüllt auf ewig und zum letzten thal.

Und ungefüllt fiel mancher auch zurück
3n Staub und hauch und ftiirzendes Gemäuer,
.Hufbrüllend brachen und verfliegend 3euer,
Ewigen Dürft der Menschheit noch im Bilde.

Doch ihr, zum Leben wie zum Eod bereit,
hertretend zu der unbekannten Ulelle,

Uleg ist das Dunkel euch und Uleg die helle,
Seid Herren diefer Zeit und jeder Zeit.

Die Ulinde wehen, und die Ulolke zieht.

So bang und zitternd schnauben unfre Pferde.
Klar fteigt der Strahl aus blutgetränkter Erde,
Zahrtaufend alt und fingt fein leifes Lied.

Bans Tritz von Zwebl, Kriegsfreiwilliger

Kampftag

Wir stehn im Graben vor Tag und Tau
Und fehlt in die dämmernde Leere;

Die Nacht schwimmt draußen grau in grau
Wir halten unermüdliche Schau,

Hand am Gewehre.

Und ostwärts geht leuchtend die Sonne auf
Ln des Morgens blutrotem Meere. .

Wir sind an der Arbeit. Wir schauen nicht ans,
Wir putzen so emsig an Schloß und Lauf
Unsrer Gewehre.

Und drüben ist nun auch der Feind erwacht
Fm Waide vor Bezelaere,

Das blitzt und donnert und gellt und kracht
Und wir liegen mitten in wütender Schlacht,
Heiß die Gewehre.

Und um uns erntet der bittre Tod —

Und er reitet auf fahler Mähre
Hinunter ins brennende Abendrot.

Das Feuer der tausend Schlünde verloht —
Stumm die Gewehre.

Eugen Roth

ja, was das heißt, wenn einem das
Haus überm Schädel angezündet wird!
— Utid was ich noch sagen wollte:
Ich lese jetzt vor, wer morgen in die
Stadt niuß."

Und er las viele Namen, auch den
Wassils, und dann schloß er seine
gütige Rede:

„Wer nicht freiwillig geht, wird
von der Polizei mit der Nagaika ge-
holt und — aufgehängt! Daß Ihr
Euch das merkt, Ihr Hundeseelen!"

Die Bauerlt drehten ihre Mützen
in den Händen aus lauter Unter-
würfigkeit, und als der Gutsherr unter
der gewohnten Huldigung der tiefen
Bücklinge abgefahren war, stürzte sich
der Schwarm dieser armen Leute über
den Honig des Schnapses.

Als Wassil heimkam, war seine
Mutter, aufgeschencht von den Ge-
rüchten, noch wach. Wassil lallte:

„Ich muß in den Krieg für unser
gutes Väterchen — ich muß in den
Krieg für unser gutes Väterchen —"

Die Mutter meinte, sie würden doch
wohl auch ohne ihn fertig werden, und
sie fragte, warum sie denn eigentlich
in den Krieg müßten. Wassil gab
endlich Antwort:

„Wir müssen in den Krieg, sonst
zünden sie uns die Hütte au und ich
werde aufgehängt."

Am anderen Morgen zog Wassil
in die Stadt. Die Mutter gab ihm
alles mit, was sie hatte. Es war ein
sd)önes, großes Brot, eine Flasche
Schnaps und schöner, weißer Speck,
den das arme Weib — weiß Gott
wie lange schon — aufgespart hatte;
auch fünf Maiskolben lagen in dem
Bündel.

Die Mutter weinte und konnte es
nicht verstehen:

„Wen sollt Ihr denn umbringen,
mein Himmels - Täubchen ?"

„Den Feind!" sagte Wassil.

„Aber warum denn?"

„Weil ich sonst aufgehängt werde."

„Der Himmelsmutter Segen mit
Dir, mein Sohn," und weinend sah
die greise Mutter dem Sohne nach,
der jung und stark, aber wie taumelnd
der Stadt zu ging.

„Goot sei Dank, Mutter, mir hons dermacht!"
sagte der junge Bauer Heinrich zu seiner jungen
Frau, die ihm mit hochgeröteten Wangen ent-
gegengeeilt war. Er wies auf die beiden mit
Ahrengarben hochbeladenen Leiterwagen, die eben
schaukelnd in die weite Tenne einfuhren, und
wischte sich die großen Tropfen, mit denen der
schwere Gewitterregen einsetzle, aus dem Gesichte.

„Jetzt Kumm ok glei affe," mahnte die junge
Frau. Doch der junge Bauer lehnte ab:

„Erscht misse mir fertich sein. Nicht oker viel
für die Leite, sie hon viel geferdert."

Er ging in die Tenne. Die Wirtin ging ins
Haus und richtete in der großen, hellen Stube
das Mahl. Wo der Platz des Bauern war, an
der Spitze, legte sie eine bunte Serviette auf;
die Leute aßen an dem weißgescheuerten Tische.
Zehn weihe Teller standen i» der Runde und zehn
glänzende Näpfe. Als die Wirtin die dampfen-
den Kartoffeln auftrug, sahen sie schon alle da
wie die hungrigen Spatzen. Deni Bauern legte
sie zuerst vor, dann den anderen und jeder bekam
ein Stück Butter und einen Napf Milch. Der
Bauer erhob sich:

„Segne's Goot!" Alle standen auf — dann
setzten sie fid) zum Mahle und aßen schweigend,
voll Hingebung. Als sie geendet, erhob fid, der
Großknecht und dankte:

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Register
Ernst Vollbehr: Der Granatbrunnen in Cerny
Eugen Roth: Kampftag
Berta Teich: Schlafen - Wachen
Hans Fritz v. Zwehl: Brunnen in Cerny
 
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