„Zohl's Goot!" Alle standen auf, auch der
Bauer, und gingen „Nachtmachen" in Scheune,
Stall und Hof.
Der nächste Tag war ein Sonntag. Der Bauer
ging zur Kirche und dann ins Gasthaus auf den
Sonntagswein. Da kam atemlos der Bürger-
meister und verlas ein Telegramm:
Krieg!!
Die Männer, die noch über Ernte und Ver-
kaufspreise gesprochen und manchen Scherz aus-
gestreut hatten, wurden ernst, sehr ernst. Sie
sprachen, wie not er täte, dieser Krieg. Man
hätte sich der Langmut gegen diese Mörder und
Räuber ja schon geschämt! Besser ein blutiges
Ende als fortwährend die lähmende Unruhe.
„Nieder mit Serbien! Nieder mit Rußland!"
„Hoch Österreich! Hoch Deutschland!"
Und dann — sie wußten nicht, wer cs zuerst
angestimmt, sie sangen alle das Kaiscrlied und
dann auch die deutsche Hymne.
Als Heinrich heimkam, eilte ihm sein Weib
entgegen, und sein Bub drängte sich an seine Knie.
„Heiner, Krieg?! Mei herzliewer Man, mußt
Du au mit?" Schluchzend umfaßte ihn das junge
Weib. Er streichelte ihr heißes Gesicht:
„Misse tu ich ni, Tres, ich will!"
-Asse gleich. . .
Skizze von E. I. L.
In einem unbedachten Augenblick hatte ich
meiner Kusine Lotte versprochen, sie zum Früh-
jahrseinkauf zu begleiten, und so trafen wir uns
denn an dem bestimmten Morgen, zu einer lächer-
lich frühen Stunde, in deni zugigen Lift, der zur
Untergrundbahn hinabfährt.
Als der wichtigtuende Herr mit deni grauen,
sorgfältig gepflegten Backenbart, den unzähligen
Kinnfalten, dem pelzbesetzten Überzieher sich breit-
spurig hereindrückte, fing ich einen Blick Lottes
auf, der in mir eine solche Unbehaglichkeit und
Befürchtung wachrief, daß ich versuchte, ihre Auf-
merksamkeit auf eines der vielen Reklamebilder
abzulenken.
Lotte ist, nebenbei bemerkt, eben 18 Jahre alt,
äußerst lebhaft, unabhängig, leicht eregbar, in der
Freiheit der Unverantwortung der Jugend schwel-
gend, ein wenig streitsüchtig und von dem modernen
demokratischen Gedanken erfüllt, sodaß es nur
der kleinsten Spur einer Ungerechtigkeit, des lei-
sesten Hauches von Protzentum bedurfte, um ihr
Blut von Kampfeslust aufwallen au lassen.
Als nun der pelzbefetztc Prunk mit einem
Stoß seines goldköpfigen Stockes barsch einen
blaunäsigen, schwer beladenen Zeitungsjungen aus
der wärmsten Ecke des Lifts hinausdrängte, sprang
ein funkelnder Blitz in Lottes Auge auf, dessen
Bedeutung ich nur zu gut kannte und fürchtete.
Der dicke Herr hatte cs sich in feinem so eroberten
Platz bequem genmcht und wollte sich eben in
seine Zeitung vertiefen, als der Liftmann, der ihm
höflich gefolgt war, ihn ganz leicht am Arm be-
rührte und entschuldigend sagte: „Karte, bitte!"
Der Herr betrachtete ihn von unten bis oben.
„Was wollen Sie, Mann?" stieß er entrüstet
hervor. „Lassen Sie die Hände von mir weg,
wollen Sie? Wenn Sie meine Karte sehen wollen,
so bitten Sie darum und werden Sie nicht im-
pertinent. Sie haben niich nicht zu berühren. Ich
habe nicht übel Lust, mich über Sie zu beschweren!"
Und ehe er die Karte herausholte, stäubte er sich
den Ärmel ab.
„Snob!!" stieß in diesem Moment Lotte mit
zornerfülltem Blick heraus, so daß es sich nnhörte,
als würde ein glühendes Eisen ins Wasser ge-
taucht. Ich fühlte aller Blicke auf mich gerichtet
und errötete.
Dann gab es ein kurzes Augenduell zwischen
Lotte und dem in Pelz verpackten Aristokraten,
und ich gestehe, daß — anstatt meine Gefährtin
kühn zu unterstützen — ich ihre beiden blitzenden
Waffen durch eine schwache Bemerkung über den
gestrigen Unterhaltungsabend abzulenken versuchte.
Paul Schindler (Leipzig)
Heimkehr
Es raTt der Zug,
Ich lühle es nicht,
Es dämmert das zitternde
Morgenlicht.
Es lchimmert der 5chnee,
Ich lehe es nicht,
Es lächelt der Sonne
Angesicht.
Die Sohren raulchen
3m Srührot-Schein,
3ch blicke verloren,
Versonnen drein —
Die Menlchen lehn
Mich tragend an
Und rucken die Achteln:
„Ein tremder Mann!"
Es hält der Zug,
3ch merke es kaum,
Vor mir die TOelt
Ein wirrer (Traum.
Die Meinen ttehn
Vor unterem Haus,
„6rüh 6ott!" und breiten
Die Arme aus.
3ch trete ein
Und blicke mich um —
Oer Vater tortchet:
äVeshalb to ttumm?"
Der kleine Hund
gellt wild und laut —
Der alte Rlang
3tt mir vertraut.
„Komm'!" tagt die Mutter,
„Ruh' dich aus!"
— 3n meiner Stube
Ein Rotenttrauh. —
„Aus welcher IVeite
Rommtt du her!
Mein Rind, ich kenn' dich
Larnicht mehr!"
3ch kütle die Mutter —
Da wird es licht,
Es ltrahlt die Sonne
Aus ihrem belicht.
Des holden Friedens
Odem streicht
Mir durch das Herr
Dun Iti» und leicht.
P. Hing
Lotte trug natürlich einen leichten Sieg davon
und hatte die Genugtuung, daß sich ihr Gegner
in feine Zeitung vergrub, aus der er sich nur
herauswand, um den Liftmann daran zu erinnern,
daß der Zug in zwei Minuten ankommen sollte,
und daß dieser Aufenthalt schrecklich lang wäre.
Der Liftmann blickte auf die Uhr und fuhr dann
ruhig in seiner Billettkontrolle fort. Lottes Ge-
sichtsausdruck wurde ganz weich vor Sympathie
für diesen stillen Beamten.
Der Lift war beinahe voll, und der Mann
hatte die Tür halb geschlossen, als eine Arbeiter-
frau mit einem großen Wäschebündel vom Billett-
schalter herkcuchte. Lotte sah sie. „Oh, warten
Sie eine Minute!" rief sie eifrig. „Warten Sie
doch auf diese Frau!"
Aber der Liftniann war unerbittlich. „Muß
den nächsten Zug erreichen," brummte er.
Dann, ehe er ausgeredet hatte, stieß er plötz-
lich die Tür weit auf, um einer großen, hübschen,
fein gekleideten Dame Platz zu niachen, die ihm
dankend zulächelte. Die schäbige Frau mit dem
Wäschebündel drängte sich mit ihr herein.
Lottes Augen funkelten den Liftniann an, und
es stand ihr auf dem Gesicht geschrieben, was
sie im Begriff war zu sagen.
Aber sie schwieg, und wir langten in Stille
auf der Station an.
„Oh!" stöhnte sie endlich voll Entrüstung.
„Oh!"
„Mach' Dir nichts draus," suchte ich sie
zu beruhigen. „Wir sind alle gleich — wir
sind alle menschlich, weißt Du. Ob gebildet
oder — —"
„Oh, schweige," fuhr sie mich wütend an.
„Willst Du damit sagen, daß auch ich-.
Oh, schweig', Du bist der ärgste Snob von
allen, sonst hättest Du der armen Frau mit
ihrem Bündel geholfen. Oh, es ist eine
Schande! Sei still, sprich nicht mit mir!"
llnd — da ich ein Mann bin — ge-
horchte ich.
Ich wagte keine Benierkung niehr, bis
wir endlich das Tageslicht wieder sahen. Dann
wechselte ich das Thema....
. . . Ich will nicht sagen, wie lang mich
Lotte auf dem nassen Pflaster draußen warten
ließ. Immer und immer wieder hatte ich den
Strohhut betrachtet — das einzige Objekt
von männlichem Interesse in denr großen
Schaufenster — und nun vertrieb ich mir
die Zeit, indem ich müßig die Vorübergehenden
zählte, die gutmütig denr festen jungen Orgel-
dreher eine Kupfermünze zuwarfen, als sich mir
ein Haufen brauner Pakete näherte — von allen
Größen und Formen — und sich mir in die
Arnre warf. —
„Hab ich lang gemacht?" hörte ich Lottes
süße Stimme.
„Dreizehn!" sagte ich.
„Minuten oder Stunden?" lachte sie.
„Kupfermünzen," sagte ich rätselhaft, ohne
mich weiter zu erklären.
„Hast Du auch alles erhalten?" fragte ich,
benrüht, die Pakete im Gleichgewicht zu halten.
„Nur ein Jackett nicht. Sie hatten zwar
eins genau so, wie ich es wollte — aber ich
konnte es nicht nehmen."
„Zu teuer?" fragte ich.
„Oh, nein: es kostet nur 28 Mark. So billig
und so ein schönes Muster. Ich freute mich so
sehr, als ich es sah. Ich probierte es, und es
stand mir ausgezeichnet. Es kostete mich eine
große Überwindung, es nicht zu nehmen."
„Es paßte also nicht?"
„Doch, und ich bin so böse, daß ich es iricht
haben kann. —"
„So geh doch zurück und hole es, wenn Du
nicht mehr genug Geld bei Dir hast — —"
„Oh, es ist nicht deswegen. Laß nur. Du
würdest es doch nicht verstehen," sagte sie aus-
weichend. „Gib acht, Du erdrückst dieses Paket,
es ist zerbrechlich. —"
„Aber — wegen dieses Jacketts," bestand ich.
„Warum diese Selbstverleugnung? Wenn's Dir
gefüllt, warum kaufst Du's nicht?"
„Das verstehst Du nicht, sag' ich Dir," wieder-
holte Lotte. „Es ist zwar ganz einfach, und
jede Frau wird es sofort verstehen, aber die
Männer-Nun, in denr Moment, da ich es
inr Spiegel sah, wußte ich, daß ich es nie haben
könne. —"
„Aber warum denn nicht?"
„Nun, da Du's wissen mußt," sagte Lotte.
„Weil das Dienstmädchen neben uns genau das-
selbe hat. — Ich wußte ja, Du würdest cs doch
nicht verstehen. Komm jetzt und hole die Fahr-
karten."
Sie nahm »leinen Arni, ich machte mich aber
los und sah ihr ins Gesicht.
„Snob!!!" sagte ich und schüttelte entrüstet
den Kopf. Eiir Paket glitt aus meinem Arni
und fiel aufs Straßcnpflaster.
„Schwatz nicht so dumm," sagte Lotte unge-
duldig. „Heb's auf, bevor die Nässe durchdringt."
„Schweig, oh schweig!" rief ich streng. — Aber
— da sie eine Frau ist — gehorchte sie nicht.
510
Bauer, und gingen „Nachtmachen" in Scheune,
Stall und Hof.
Der nächste Tag war ein Sonntag. Der Bauer
ging zur Kirche und dann ins Gasthaus auf den
Sonntagswein. Da kam atemlos der Bürger-
meister und verlas ein Telegramm:
Krieg!!
Die Männer, die noch über Ernte und Ver-
kaufspreise gesprochen und manchen Scherz aus-
gestreut hatten, wurden ernst, sehr ernst. Sie
sprachen, wie not er täte, dieser Krieg. Man
hätte sich der Langmut gegen diese Mörder und
Räuber ja schon geschämt! Besser ein blutiges
Ende als fortwährend die lähmende Unruhe.
„Nieder mit Serbien! Nieder mit Rußland!"
„Hoch Österreich! Hoch Deutschland!"
Und dann — sie wußten nicht, wer cs zuerst
angestimmt, sie sangen alle das Kaiscrlied und
dann auch die deutsche Hymne.
Als Heinrich heimkam, eilte ihm sein Weib
entgegen, und sein Bub drängte sich an seine Knie.
„Heiner, Krieg?! Mei herzliewer Man, mußt
Du au mit?" Schluchzend umfaßte ihn das junge
Weib. Er streichelte ihr heißes Gesicht:
„Misse tu ich ni, Tres, ich will!"
-Asse gleich. . .
Skizze von E. I. L.
In einem unbedachten Augenblick hatte ich
meiner Kusine Lotte versprochen, sie zum Früh-
jahrseinkauf zu begleiten, und so trafen wir uns
denn an dem bestimmten Morgen, zu einer lächer-
lich frühen Stunde, in deni zugigen Lift, der zur
Untergrundbahn hinabfährt.
Als der wichtigtuende Herr mit deni grauen,
sorgfältig gepflegten Backenbart, den unzähligen
Kinnfalten, dem pelzbesetzten Überzieher sich breit-
spurig hereindrückte, fing ich einen Blick Lottes
auf, der in mir eine solche Unbehaglichkeit und
Befürchtung wachrief, daß ich versuchte, ihre Auf-
merksamkeit auf eines der vielen Reklamebilder
abzulenken.
Lotte ist, nebenbei bemerkt, eben 18 Jahre alt,
äußerst lebhaft, unabhängig, leicht eregbar, in der
Freiheit der Unverantwortung der Jugend schwel-
gend, ein wenig streitsüchtig und von dem modernen
demokratischen Gedanken erfüllt, sodaß es nur
der kleinsten Spur einer Ungerechtigkeit, des lei-
sesten Hauches von Protzentum bedurfte, um ihr
Blut von Kampfeslust aufwallen au lassen.
Als nun der pelzbefetztc Prunk mit einem
Stoß seines goldköpfigen Stockes barsch einen
blaunäsigen, schwer beladenen Zeitungsjungen aus
der wärmsten Ecke des Lifts hinausdrängte, sprang
ein funkelnder Blitz in Lottes Auge auf, dessen
Bedeutung ich nur zu gut kannte und fürchtete.
Der dicke Herr hatte cs sich in feinem so eroberten
Platz bequem genmcht und wollte sich eben in
seine Zeitung vertiefen, als der Liftmann, der ihm
höflich gefolgt war, ihn ganz leicht am Arm be-
rührte und entschuldigend sagte: „Karte, bitte!"
Der Herr betrachtete ihn von unten bis oben.
„Was wollen Sie, Mann?" stieß er entrüstet
hervor. „Lassen Sie die Hände von mir weg,
wollen Sie? Wenn Sie meine Karte sehen wollen,
so bitten Sie darum und werden Sie nicht im-
pertinent. Sie haben niich nicht zu berühren. Ich
habe nicht übel Lust, mich über Sie zu beschweren!"
Und ehe er die Karte herausholte, stäubte er sich
den Ärmel ab.
„Snob!!" stieß in diesem Moment Lotte mit
zornerfülltem Blick heraus, so daß es sich nnhörte,
als würde ein glühendes Eisen ins Wasser ge-
taucht. Ich fühlte aller Blicke auf mich gerichtet
und errötete.
Dann gab es ein kurzes Augenduell zwischen
Lotte und dem in Pelz verpackten Aristokraten,
und ich gestehe, daß — anstatt meine Gefährtin
kühn zu unterstützen — ich ihre beiden blitzenden
Waffen durch eine schwache Bemerkung über den
gestrigen Unterhaltungsabend abzulenken versuchte.
Paul Schindler (Leipzig)
Heimkehr
Es raTt der Zug,
Ich lühle es nicht,
Es dämmert das zitternde
Morgenlicht.
Es lchimmert der 5chnee,
Ich lehe es nicht,
Es lächelt der Sonne
Angesicht.
Die Sohren raulchen
3m Srührot-Schein,
3ch blicke verloren,
Versonnen drein —
Die Menlchen lehn
Mich tragend an
Und rucken die Achteln:
„Ein tremder Mann!"
Es hält der Zug,
3ch merke es kaum,
Vor mir die TOelt
Ein wirrer (Traum.
Die Meinen ttehn
Vor unterem Haus,
„6rüh 6ott!" und breiten
Die Arme aus.
3ch trete ein
Und blicke mich um —
Oer Vater tortchet:
äVeshalb to ttumm?"
Der kleine Hund
gellt wild und laut —
Der alte Rlang
3tt mir vertraut.
„Komm'!" tagt die Mutter,
„Ruh' dich aus!"
— 3n meiner Stube
Ein Rotenttrauh. —
„Aus welcher IVeite
Rommtt du her!
Mein Rind, ich kenn' dich
Larnicht mehr!"
3ch kütle die Mutter —
Da wird es licht,
Es ltrahlt die Sonne
Aus ihrem belicht.
Des holden Friedens
Odem streicht
Mir durch das Herr
Dun Iti» und leicht.
P. Hing
Lotte trug natürlich einen leichten Sieg davon
und hatte die Genugtuung, daß sich ihr Gegner
in feine Zeitung vergrub, aus der er sich nur
herauswand, um den Liftmann daran zu erinnern,
daß der Zug in zwei Minuten ankommen sollte,
und daß dieser Aufenthalt schrecklich lang wäre.
Der Liftmann blickte auf die Uhr und fuhr dann
ruhig in seiner Billettkontrolle fort. Lottes Ge-
sichtsausdruck wurde ganz weich vor Sympathie
für diesen stillen Beamten.
Der Lift war beinahe voll, und der Mann
hatte die Tür halb geschlossen, als eine Arbeiter-
frau mit einem großen Wäschebündel vom Billett-
schalter herkcuchte. Lotte sah sie. „Oh, warten
Sie eine Minute!" rief sie eifrig. „Warten Sie
doch auf diese Frau!"
Aber der Liftniann war unerbittlich. „Muß
den nächsten Zug erreichen," brummte er.
Dann, ehe er ausgeredet hatte, stieß er plötz-
lich die Tür weit auf, um einer großen, hübschen,
fein gekleideten Dame Platz zu niachen, die ihm
dankend zulächelte. Die schäbige Frau mit dem
Wäschebündel drängte sich mit ihr herein.
Lottes Augen funkelten den Liftniann an, und
es stand ihr auf dem Gesicht geschrieben, was
sie im Begriff war zu sagen.
Aber sie schwieg, und wir langten in Stille
auf der Station an.
„Oh!" stöhnte sie endlich voll Entrüstung.
„Oh!"
„Mach' Dir nichts draus," suchte ich sie
zu beruhigen. „Wir sind alle gleich — wir
sind alle menschlich, weißt Du. Ob gebildet
oder — —"
„Oh, schweige," fuhr sie mich wütend an.
„Willst Du damit sagen, daß auch ich-.
Oh, schweig', Du bist der ärgste Snob von
allen, sonst hättest Du der armen Frau mit
ihrem Bündel geholfen. Oh, es ist eine
Schande! Sei still, sprich nicht mit mir!"
llnd — da ich ein Mann bin — ge-
horchte ich.
Ich wagte keine Benierkung niehr, bis
wir endlich das Tageslicht wieder sahen. Dann
wechselte ich das Thema....
. . . Ich will nicht sagen, wie lang mich
Lotte auf dem nassen Pflaster draußen warten
ließ. Immer und immer wieder hatte ich den
Strohhut betrachtet — das einzige Objekt
von männlichem Interesse in denr großen
Schaufenster — und nun vertrieb ich mir
die Zeit, indem ich müßig die Vorübergehenden
zählte, die gutmütig denr festen jungen Orgel-
dreher eine Kupfermünze zuwarfen, als sich mir
ein Haufen brauner Pakete näherte — von allen
Größen und Formen — und sich mir in die
Arnre warf. —
„Hab ich lang gemacht?" hörte ich Lottes
süße Stimme.
„Dreizehn!" sagte ich.
„Minuten oder Stunden?" lachte sie.
„Kupfermünzen," sagte ich rätselhaft, ohne
mich weiter zu erklären.
„Hast Du auch alles erhalten?" fragte ich,
benrüht, die Pakete im Gleichgewicht zu halten.
„Nur ein Jackett nicht. Sie hatten zwar
eins genau so, wie ich es wollte — aber ich
konnte es nicht nehmen."
„Zu teuer?" fragte ich.
„Oh, nein: es kostet nur 28 Mark. So billig
und so ein schönes Muster. Ich freute mich so
sehr, als ich es sah. Ich probierte es, und es
stand mir ausgezeichnet. Es kostete mich eine
große Überwindung, es nicht zu nehmen."
„Es paßte also nicht?"
„Doch, und ich bin so böse, daß ich es iricht
haben kann. —"
„So geh doch zurück und hole es, wenn Du
nicht mehr genug Geld bei Dir hast — —"
„Oh, es ist nicht deswegen. Laß nur. Du
würdest es doch nicht verstehen," sagte sie aus-
weichend. „Gib acht, Du erdrückst dieses Paket,
es ist zerbrechlich. —"
„Aber — wegen dieses Jacketts," bestand ich.
„Warum diese Selbstverleugnung? Wenn's Dir
gefüllt, warum kaufst Du's nicht?"
„Das verstehst Du nicht, sag' ich Dir," wieder-
holte Lotte. „Es ist zwar ganz einfach, und
jede Frau wird es sofort verstehen, aber die
Männer-Nun, in denr Moment, da ich es
inr Spiegel sah, wußte ich, daß ich es nie haben
könne. —"
„Aber warum denn nicht?"
„Nun, da Du's wissen mußt," sagte Lotte.
„Weil das Dienstmädchen neben uns genau das-
selbe hat. — Ich wußte ja, Du würdest cs doch
nicht verstehen. Komm jetzt und hole die Fahr-
karten."
Sie nahm »leinen Arni, ich machte mich aber
los und sah ihr ins Gesicht.
„Snob!!!" sagte ich und schüttelte entrüstet
den Kopf. Eiir Paket glitt aus meinem Arni
und fiel aufs Straßcnpflaster.
„Schwatz nicht so dumm," sagte Lotte unge-
duldig. „Heb's auf, bevor die Nässe durchdringt."
„Schweig, oh schweig!" rief ich streng. — Aber
— da sie eine Frau ist — gehorchte sie nicht.
510