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Vom deutschen Bauernland

Friedliche Kriegsgeschichlen
Von Friiz Eckrrlc

I. ^inrer den Vvällcn

An der Stadtniauer blühen die ersten
Veilchen unter den dürren Gräsern, und die
Amseln singe» uns kahlen Zweigen ihre Früh-
lingssehnsucht am lautesten. Dort duftet die
Linde so süß, und der neue Most ist der
beste und am sumnienden Kachelofen schäumt
im Winter das abgelagerte Eigenbräu so
ftisch.

An der Stadtmauer sitzen sie jeden Feier-
abend : Ein paar Bauern, der Kaufmann,
die Beamten des fränkischen Städtchens,
Fmmer uni die gleiche Stunde, Und wenn
einer ein paar Minuten säumt, sind die
anderen in Sorge um ihn,

„Hinter den Wällen" haben sie die Runde
getauft, weil doch jede Runde in Deutsch-
land einen Namen haben muß.

Aber jetzt kommen Viele nicht. Und Man-
cher wird nie mehr konnnen: Der liegt irgendwo
draußen in Flandern, in Polen, und, wenn's gut
geht, ein Schuh frenide Erde über ihm!

Nur drei sind noch da: Der Kaufmann, der
alte Förster und ich.

Der Kaufmann ist stets novarum rerum
cupläu8, auf Neuerungen bedacht. Das bringt
das Geschäft so mit sich, auch in kleinen frän-
kischen Städtchen, Der Kaufmann ist „der Fort-
schritt", Wetin auch nur leise, damit es die
Kundschaft nicht merkt,

„Wir niüsscn unseren Tisch umtaufen," sagte
er eines Abends, „Wir müssen ihm einen Namen
geben, der für diese große Zeit paßt. Vielleicht
Hindenburgtisch oder so?!"

Der Förster sinnt. Und dann schüttelt er fest
den eckigen Kopf und pafft ein paar dicke Wolken
vor sich hin:

„Mir paßt unser Name am besten jetzt!"
grollt er dann hervor: „»Hinter den Wällen!'
Zst's nicht so? Ein Wall steht im Westen vom
Belchen bis nach Zeebrügge, und ein Wall steht
im Osten von Memel bis an den Pruth! Und
im Norden sind die blauen Jungen!

Und .hinter diesen Wällen' ruht das deutsche
Land, still und weit, wie im Frieden, Und seine
Bauern gehen am Pflug, und seine Städte schaffen,
und seine Mütter gebären die Kinder der große»
Zukunft, Und alle warten auf den hohen, deut-
schen Frühling, und die Amseln unserer Sehnsucht
singen auf den knospenden Zweigen! Alle warten,
still und stark und voll Vertrauen: Hinter den
Wälle»!"

»VI*«»»

Zeppelin

J. Nitsche
(15. Res. Rgt.

II. Hciinkehr

Christian Beilhack, der Landwehrmann, ist heini-
gekehrt! Nicht so, wie er anszog. Als er fortging,
da schritt er in der Reihe mit vielen anderen, und
die Schulkinder liefen zur Seite mit bunten Fähn-
chen und sangen: Zn der Heimat, da gibt's ein
Wiedersehn! Und die Babette, sein Weib, wischte
sich die Augen in die Schürze und ging noch ein
paar Schritte nüt und rief, schon halb lächelnd:
„Kommst bald wieder?!" Und: „Zn sechs Wochen
sind wir daheim!" hatte er lustig geantwortet.
Da hatte die Babette gar keine Zeit zum Grübeln
und Weinen und mußte an gar soviel anderes
Wichtiges denken: An die Ernte und an die Kuh,
die kalben wollte, und an die neuen Braunen,
die sich nur von Christian füttern ließen. Nur
manchmal sann sie: Wie das wohl werden sollte
ohne Mann im Haus?!

Und jetzt ist Christian Beilhack heimgekehrt!
Ganz allein ist er gekommen und hat ani Ende
des schnaufenden Züglcins einen Waget, nur für

fid) gehabt. Auf dessen Tür war mit weißer
Kreide ein großes Kreuz gemalt.

Und seine Frau kam nicht, den Toten z»
holen. Die ging mit schwerem Leib und vor-
sichtigen Schritten und trug das Kind jenes Ab-
schiedes. Und blickte mit den traurigen Augen
der Bauernfrauen, die keine Tränen finden und
immer gemahnen an die Blicke der Tiere, wenn
sie Schmerzen leiden und nichts sagen können.

Nur das kleine Mädel, die Theresel, die war
heute ganz stolz und kam sich besonders wichtig
vor: Einen toten Vater, den hatte nicht jede von
ihren Kameradinnen, und dazu noch einen, der
sürs Vaterland gestorben war im Lazarett zu
„Cominäß"! Und da lief sie in ihrem Feiertags-
kleidchen auf der Straße und verkündete allen
Leuten freudig: „Mein Datier ist gefalle, mein
Vatter ist gefalle!"

Aber die bunten Fahnen waren auch diesmal
da! Und Christian Beilhack hätte seine Freude
gehabt, wenn er's noch hätte sehen können. Wie
hatten sie seinen Wagen herausgeputzt nnt grünen
Kränzen und leuchtenden Papierschleifen und den
lustig flatternden Fähnchen, blau-weiß und schwarz
weiß und rot! Und seine beiden jungen Gäule
hatten sie daran gespannt, die Braunen, an denen
sein Bauernherz so sehr gehangen war! Und vor
seinem Wagen schritte» die Veteranen mit der
Fahne, und hinterher kanien die Feldgrauen, die
im Heimaturlaub waren, mit geschulterte» Ge-
wehren. Und dann folgte die ganze Gemeinde.
Keiner blieb zu Haus! Noch nie hat das Städt-
chen einen solchen Leichenzug gesehen. Und dann
krachten über dem Grabe die drei Ehrensalven,
und der Bürgermeister sprach von dem Heidei,
Christian Beilhack und wie stolz die Gemeinde auf
ihn war, und dann der Kaplan von dem edelsten
Sohn, der den ersten Platz im Himmel hatte.

Wenn Christian Beilhack das hätte sehen und
höre» können! ... Soviel Ehr für ihn allein!
Er hätte sich wohl gar geschämt vor „Schenieren"!

Und Babette, die Frau, stand ganz betäubt:
Sie sah den bunten Wagen und den langen Zug
und sie hörte die Worte des Bürgermeisters und
des Kaplans. Soviel Ehr, soviel Ehr! Christian,
ihr einfacher toter Mann, der im Leben nie, wie
manch anderer Bauer, mehr sein wollte, als er
war, ihr Christian ein Held und der Edelsten
einer im Himmel! Alsdann würden sie seine»
Namen auch mit goldenen Buchstaben auf den
Stein schreiben, den die Gemeinde errichten würde,
so wie 1871, wenn erst dieser Krieg vorbei war!
Und ein schönes Gedicht darüber!

Und die ganze Gemeinde würde es lesen, daß
ihr Christian ei» Held war und der Edelsten einer
im Himmel. Und ihrcti Kindern wollte fie’s zei-
gen, dem Theresel und dem, das komnien wollte.

Da ward es dem Bauernweib auf einmal ganz
ruhig zu Blute und fast froh!

III. Der Alte

Einen hat der Krieg wieder zu Ehren
gebracht: Einen, der seine Wertung verlor,
als er aufhörte, sich niit Stolz „Bauer" zu
nennen. Der sich an die Scholle geklammert
hatte mit zähem Festhalten, an die Scholle,
die der Inhalt seines schaffenden, trotzwilligen
, Lebens war: und der dann doch weichen
mußte, als die Knochen zermürbten und
die Zungen groß und stark wurden und
fordernd: Gib oder wir gehen. Grausam ist
die Zugend im Bewußtsein ihrer Notwen-
digkeit!

Da halte sich des Alten Bauerntrotz zum
Schluffe nur noch an die ein: Lebensfor-
derung gehalten: Einen „schönen" Auszug,
einen Austrag mit soviel Scheffeln Roggen
und Weizen und soviel Pfunden Schmalz
und Speck! Schritt für Schritt hatte er
gerungen um jedes Pfund, um jedes Ei
gegen den raschen, fordernden Willen der
Jungen: Ein stolzer Bauer wll auch einen
stolzen Auszug haben!

Und war's dann doch nicht recht froh
geworden. Fühlte sich überflüssig, wie einer, dem
sie jeden Bissen vor dcni Munde mit scheeler
Mißgunst betrachten, wie einer, auf dessen Tod
sie warten. Und da hatte er sich eingegraben m
seiner Austragsstube wie ein wunder Bär im
Lager.

Aber jetzt hat ihn der Krieg auf einmal wieder
zu Ehren gebracht!

Bitten kann ein junger Bauer den 2111m nicht.
Aber wie er ging, das Gewehr auf der Schulter,
hat er des Alten Hand a»gefaßt imb beiseite ge-
blickt und gesagt:

„Vater, Ihr werdet halt ein wenig tiachsehen
müssen."

Da hat es in dem Alten geruckt. Aber er
hat sich's nicht anmerken lassen, hat nur für sich
gedacht: Jetzt kommt meine Zeit noch einmal, jetzt
werd' ich wieder Einer! Und da hal's ihn auf
einmal in die Höhe gerichtet aus seiner gebückten
Haltung und er ist stramm gegangen, wie em
Major zur Besichtigung.

Er hat den Stall nicht mehr betreten seit Jahr
und Tag. Nun steht er bei den Ochsen, den
großen, gelbscheckigen von der Simmentaler Rasse,
die er selber »och gezogen, und redet mit ihnen
und kraut ihnen die breiten Stirnen und ist ganz
froh utid weich.

Zn die Auslragskanimer geht er erst gar nicht
mehr hinauf: mitten drin sitzt er in der hellen
Bauernstube und läßt seinen Enkelbuben auf dem
Knie reiten. Und der Kleine sagt:

„Großvater .. . lieb, . . . lieb!" Und hat doch
erst vor ein paar Tage» noch mit der Peitsche
nach dem Allen geschlagen. Weil die Kleinen
ihre Fähnlein immer nach dem Winde hängen,
der von den Eltern her weht!

Und die Schwieger kommt mit der damp-
fenden Schüssel herein und rust: „Nehmt Euch nur
ordentlich heraus, Großvater!" .. . Das hat sie
noch nie gesagt!

Dann geht der 2llle hinterm Pflug in der
ersten Frllhsonne: Ohne Rastet,, stundenlang.
Nur nianchnial verhofft er einen Augetiblick und
bückt sich und saßt die Erde an und läßt den
bröseligen Boden durch seine harten Hände
rinnen utid schnuppert in die Luft und saugt den
Duft der srühlmgswarme» Erde ein: Seine
Scholle!

2lber dann erschrickt er fast und blickt sä,eu
uni sich und treibt die Ochsen zu doppelter Eile.
Keiner soll sagen: „Za, ja, der Alte, es geht
nicht mehr recht." Und wenn der Junge heim-
konunt, soll er niä,t Klagen hülfen, daß seine
Felder schlechter gebaut sind!

Und weiter geht er, seinen harten, steifen
Bauernschritt, knorrig und zäh: Lieb Vaterland
magst ruhig sein!

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Register
Fritz Eckerle: Vom deutschen Bauernland
Julius Nitsche: Zeppelin
 
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