Beobachtungsposten bei Maison rouge Ernst Vollbehr (Kriegsmaler im Felde)
Hand des Besuchers zwischen den wohlig krab-
belnden Fingern einer der reizenden drei Mani-
kuristinnen hin und her. Billy Kurz, der Be-
sitzer des Salons (ein eingewanderter Deutscher)
nannte sie scherzhaft seine drei Grazien. Jede
von ihnen lächelte dabei und plauderte niedlich
und warf ab und zu einen zärtlichen Blick ans
den Kunden, der ihn ebenso zärtlich erwiderte und
seine Augen sodann von neuem auf der kost-
baren Bluse herumspazieren ließ.
Diesen oder jenen Kunden konnte man mit
einer der drei Grazien abends in einem Theater,
danach in einem vornehmen Broadway-Restaurant
und zuletzt in einem Automobil bemerken. Jeden-
falls hatten die kostbaren durchbrochenen Blusen
und die Diamantringe der drei Grazien ihre be-
sondere Geschichte. Und jedenfalls waren die drei
Grazien mit eine Veranlassung, daß der Barbier-
Salon für ihren Besitzer Billy Kurz ein glänzen-
des Geschäft war. Wobei er selbst und seine
siebe» Gehilfen (Kurz rasierte mit) nicht zu ver-
gessen sind. Kurz rühmte sich, daß er die gewand-
testen, bestbezahlten und höchstbetrinkgelderten Ge-
hilfen in ganz New Park hätte; er sprach übrigens
von ihnen nie anders als „meine Künstler". Sein
Leben war dieser Barbier-Salon. Wenn Billy
(wie er allgemein genannt wurde) in der Frühe
den Salon betrat, so zog ein unbeschreiblich glück-
liches Gefühl in seine Seele. Ein herrlicher Duft
von all den unzähligen Essenzen uttd Salben
umfing ihn, der weihe Marmor leuchtete und die
elektrischen Lichter, die hier unten ständig brennen
mußten, badeten Alles in eine Flut von Licht
und gaben dent Raum etwas Feenhaftes. Den
Eindruck des Feenhaften hatte er in Sonderheit
an häßlichen, grauen Regentagen. Hier unten
gab es nichts dergleichen. Hier war immer Sonne
und Behaglichkeit. Fm Winter war es wohlig
warm hier, ay schwülen Sommertagen, wo attf
der Straße ermattete Menschen ntühsam dahin-
krochen, war es hier kühl und erfrischend. Welch
ein Gegensatz, wenn er aus diesem Duft, diesem
Luxus, diesem Sonnengefunkel in sein bescheidenes,
enges, lichtarmes Funggesellen-Heim bei der Tante
weit draußen im Norden der Stadt kam! Kein
Wunder, daß Kurz inmitten seiner so überaus
angenehmen und jeder Aufregung baren Tätigkeit
dick geworden war. Sein völlig glattes rosiges
Gesicht zierte ein Doppelkinn und verklärte eine
nie verschwindende Freudigkeit, die ein stattliches
Bank-Konto oder ein gewinnbringendes Miets-
haus ahnen ließ. Genug, wer Billy sah, mußte
den Eindruck gewinnen: dieser Mensch ist mit
sich und der Welt aufrieben.
Da brach der Krieg aus.
Das hätte nun Billys Seelenfrieden nicht
weiter zu stören brauchen, wenn nicht seine sieben
Gehilfen gewesen wären. Unter diesen Siebctt
waren nämlich fast sämtliche kriegführenden Völker
vertreten — was im kosmopolitischen New Pork
durchaus nichts Ungewöhnliches war! Der eine
war ein polnischer Russe, der, wenn er auch kein
begeisterter Russe war, doch ttidjtö für die Deutschen
übrig hatte. Der zweite war ein Elsässer, der sich
als Franzose attfspielte, der dritte ein Kanadier,
der für England durch dick und dünn ging, der
vierte ein Österreicher, der fünfte ein Vlamlünder,
der sechste und siebente waren wieder Deutsche.
Was die drei Grazien betraf, so waren zwei von
ihnen zuni Glück geborene Amerikanerinnen, ob-
schon von eingewanderten Eltern: Ellas Eltern
waren Deutsche, Quecnies Frländer. Nur die
dritte, Marcelle, war geborene Französin. Mar-
celle war Billys Liebling, weil sie bei aller Lebens-
lust ein solides Mädchen war; sie wohnte bei ihren
Eltern. Der Vater war Koch im Waldorf-Astoria-
Hotel. Marcelle war blond. Sie trug ihr Haar
auf einer Seite gescheitelt und dann wellig herunter-
gelegt und hinten geschürzt. Ihre feine, etwas
spitze Nase richtete sich am Ende ein wenig keck
itt die Höhe. Der Mund war nicht eben klein,
die Lippen von gesunder Röte, voll und apart itt
den Linien. Ihre grauen Augen hatten etwas
Schelmisches. Sie lachte gerne und wenn sie
sprach, bewegte sich ihre Nasenspitze. Das er-
schien Billy besonders reizvoll an den, pikanten
Gesicht. Dabei hatte sie die runde und doch
schlanke biegsame Figur der Französin. Das
Netteste an ihr aber war der schlanke Hals, der
so appetitlich aussah, als wäre er aus Marzipan.
Daher war ihre Bluse auch die ausgeschnittenste
von allen und die durchbrochenste obendrein — so
ausgeschnitten, daß Billy Kurz es für nötig hielt,
sie manchmal beiseite zu nehme» und die Blusen-
Brosche etwas höher ztt stecken. Dann sagte
Marcelle lachend „Barbar!" und streckte ihnt die
Junge heraus.
Aber durfte er sich solche Scherzchen jetzt noch
erlauben, da der Krieg da war? Wie würde sie
ftd) zum Kriege stellen? Wie die Gehilfen?
Würden sie nicht jeder für sein Land Partei er-
greifen, sich in die Haare geraten und davon-
laufen? Das hätte sein Geschäft empfindlich ge-
schädigt! Zum erstenmal in langen Fahren wich
Billys heiterer Gesichtsnusdruck einem sorgen-
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Hand des Besuchers zwischen den wohlig krab-
belnden Fingern einer der reizenden drei Mani-
kuristinnen hin und her. Billy Kurz, der Be-
sitzer des Salons (ein eingewanderter Deutscher)
nannte sie scherzhaft seine drei Grazien. Jede
von ihnen lächelte dabei und plauderte niedlich
und warf ab und zu einen zärtlichen Blick ans
den Kunden, der ihn ebenso zärtlich erwiderte und
seine Augen sodann von neuem auf der kost-
baren Bluse herumspazieren ließ.
Diesen oder jenen Kunden konnte man mit
einer der drei Grazien abends in einem Theater,
danach in einem vornehmen Broadway-Restaurant
und zuletzt in einem Automobil bemerken. Jeden-
falls hatten die kostbaren durchbrochenen Blusen
und die Diamantringe der drei Grazien ihre be-
sondere Geschichte. Und jedenfalls waren die drei
Grazien mit eine Veranlassung, daß der Barbier-
Salon für ihren Besitzer Billy Kurz ein glänzen-
des Geschäft war. Wobei er selbst und seine
siebe» Gehilfen (Kurz rasierte mit) nicht zu ver-
gessen sind. Kurz rühmte sich, daß er die gewand-
testen, bestbezahlten und höchstbetrinkgelderten Ge-
hilfen in ganz New Park hätte; er sprach übrigens
von ihnen nie anders als „meine Künstler". Sein
Leben war dieser Barbier-Salon. Wenn Billy
(wie er allgemein genannt wurde) in der Frühe
den Salon betrat, so zog ein unbeschreiblich glück-
liches Gefühl in seine Seele. Ein herrlicher Duft
von all den unzähligen Essenzen uttd Salben
umfing ihn, der weihe Marmor leuchtete und die
elektrischen Lichter, die hier unten ständig brennen
mußten, badeten Alles in eine Flut von Licht
und gaben dent Raum etwas Feenhaftes. Den
Eindruck des Feenhaften hatte er in Sonderheit
an häßlichen, grauen Regentagen. Hier unten
gab es nichts dergleichen. Hier war immer Sonne
und Behaglichkeit. Fm Winter war es wohlig
warm hier, ay schwülen Sommertagen, wo attf
der Straße ermattete Menschen ntühsam dahin-
krochen, war es hier kühl und erfrischend. Welch
ein Gegensatz, wenn er aus diesem Duft, diesem
Luxus, diesem Sonnengefunkel in sein bescheidenes,
enges, lichtarmes Funggesellen-Heim bei der Tante
weit draußen im Norden der Stadt kam! Kein
Wunder, daß Kurz inmitten seiner so überaus
angenehmen und jeder Aufregung baren Tätigkeit
dick geworden war. Sein völlig glattes rosiges
Gesicht zierte ein Doppelkinn und verklärte eine
nie verschwindende Freudigkeit, die ein stattliches
Bank-Konto oder ein gewinnbringendes Miets-
haus ahnen ließ. Genug, wer Billy sah, mußte
den Eindruck gewinnen: dieser Mensch ist mit
sich und der Welt aufrieben.
Da brach der Krieg aus.
Das hätte nun Billys Seelenfrieden nicht
weiter zu stören brauchen, wenn nicht seine sieben
Gehilfen gewesen wären. Unter diesen Siebctt
waren nämlich fast sämtliche kriegführenden Völker
vertreten — was im kosmopolitischen New Pork
durchaus nichts Ungewöhnliches war! Der eine
war ein polnischer Russe, der, wenn er auch kein
begeisterter Russe war, doch ttidjtö für die Deutschen
übrig hatte. Der zweite war ein Elsässer, der sich
als Franzose attfspielte, der dritte ein Kanadier,
der für England durch dick und dünn ging, der
vierte ein Österreicher, der fünfte ein Vlamlünder,
der sechste und siebente waren wieder Deutsche.
Was die drei Grazien betraf, so waren zwei von
ihnen zuni Glück geborene Amerikanerinnen, ob-
schon von eingewanderten Eltern: Ellas Eltern
waren Deutsche, Quecnies Frländer. Nur die
dritte, Marcelle, war geborene Französin. Mar-
celle war Billys Liebling, weil sie bei aller Lebens-
lust ein solides Mädchen war; sie wohnte bei ihren
Eltern. Der Vater war Koch im Waldorf-Astoria-
Hotel. Marcelle war blond. Sie trug ihr Haar
auf einer Seite gescheitelt und dann wellig herunter-
gelegt und hinten geschürzt. Ihre feine, etwas
spitze Nase richtete sich am Ende ein wenig keck
itt die Höhe. Der Mund war nicht eben klein,
die Lippen von gesunder Röte, voll und apart itt
den Linien. Ihre grauen Augen hatten etwas
Schelmisches. Sie lachte gerne und wenn sie
sprach, bewegte sich ihre Nasenspitze. Das er-
schien Billy besonders reizvoll an den, pikanten
Gesicht. Dabei hatte sie die runde und doch
schlanke biegsame Figur der Französin. Das
Netteste an ihr aber war der schlanke Hals, der
so appetitlich aussah, als wäre er aus Marzipan.
Daher war ihre Bluse auch die ausgeschnittenste
von allen und die durchbrochenste obendrein — so
ausgeschnitten, daß Billy Kurz es für nötig hielt,
sie manchmal beiseite zu nehme» und die Blusen-
Brosche etwas höher ztt stecken. Dann sagte
Marcelle lachend „Barbar!" und streckte ihnt die
Junge heraus.
Aber durfte er sich solche Scherzchen jetzt noch
erlauben, da der Krieg da war? Wie würde sie
ftd) zum Kriege stellen? Wie die Gehilfen?
Würden sie nicht jeder für sein Land Partei er-
greifen, sich in die Haare geraten und davon-
laufen? Das hätte sein Geschäft empfindlich ge-
schädigt! Zum erstenmal in langen Fahren wich
Billys heiterer Gesichtsnusdruck einem sorgen-
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