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vollen. Die Gehilfen, die sonst durchaus freund-
schaftlich mit einander verkehrt halten, wurden
Plötzlich verschlossen oder begannen sich in gelegent-
lichen Arbeits-Pausen zu streiten. Nur Marcelle
hielt sich zurück. Eine ungemütliche Stimmung
griff Platz. Billy sah ein, daß er dagegen irgend
etwas tun müsse. Er hatte einen guten Gedanken.
Er wollte diplomatisch zu Werke gehen. Eines
Abends, als die Arbeit zu Ende war, hielt er
eine Ansprache an seine „Künstler" — die längste
Ansprache, die er je in seinem Leben fertig ge-
bracht hatte.

„Iungcns," sagte er und lieh seine kleinen
Hellen Äuglein mit einer Art Zärtlichkeit über sie

Hingleiten. „Das ist eine verflixte Geschichte-

hm-hm-mit diesem Krieg. Wir sind

dadurch mit einem Mal (er runzelte die Stirn und

sah auf den Bode»)-wir sind dadurch mit

einen. Mal gewissermaßen auch zu Feinden ge-
worden, während wir doch bisher die besten
Freunde gewesen sind — — wie?" Mehrere
nickten. „Pinsel und Seifenschaum, Schere und

Messer sind gewisscrmoße»-hm-hm

-" Er runzelte wieder die Stirn und sah

auf den Boden, vermochte aber den verheißungs-
voll begonnenen Satz nicht weiter zu führen,
sondern behielt die Fortsetzung für sich. „Genug,
Zungen«, wir wollen doch nach wie vor gemüt-
lich bei einander bleiben — — wie?" Erneutes
stärkeres Nicken. „Da denke ich, Jungen«, es
ist das beste, wir sprechen hier im Geschäft über
de» Krieg überhaupt nicht. Auf diese Weise bleibt
die Eintracht erhalten. Seid Ihr einverstanden?"

Die „Jungen»" lachten und drückten ihre Zu-
stimmung aus. Billy aber wischte sich den Schweiß
von der Stirn und holte erleichtert Atem. Auch
seinen drei Grazien schürfte er der Borsicht halber
ein, nicht über den Krieg zu sprechen. Marcelle
versicherte, auf sie dürfe er fiel) verlassen und
wackelte dabei mit der Nasenspitze.

Das Abkommen wurde von allen Beteiligten

auch redlich gehalten-einen Tag, zwei Tage,

drei Tage. Dann ging's beim besten Willen nicht
länger. Nämlich Billy hatte nicht an die Kunden
gedacht. Die Kunde» kamen mit den neuesten
Extrablättern in den Salon und sprachen über

den Krieg, über nichts anderes-mit den

Gehilfen, mit Billy, mit den drei Grazien. Was
sollte» sie machen? Aus Geschüftsrücksichten
wußten sie doch antworten. Da die Blätter alle-
samt deutschfeindlich waren, so meldeten sie nichts

wie deutsche und österreichische Niederlagen-

Zur Verzweiflung Billys, seiner beiden deutschen
Gehilfen und des Österreichers. Sie mochten sich
die redlichste Mühe geben, darauf nicht _ cinzu-
gehen. Sie mußten! lind konnte man's de»
Alliierten unter den Gehilfen verdenken, daß sich
die Freude über die Siege ihrer Landsleute in
ihre» Worten und auf ihren Gesichtern spiegelte?

War s wiederum den Deutschen und dem
Österreicher zu verdenken, wenn sie, während einer
Arbeitspause ihre Abmachung vergaßen und mit
den „Alliierten" unter ihren Kameraden in Streit
geriete»? Selbst die drei Grazien wurden in
den Streit mit hineingezogen. Es fiel ihnen gar
nicht ein, die Neutralität zu beobachten, die Billy
von ihnen erwartet hatte. Queenie und Ella
waren burdj de» Einfluß ihrer Eltern deutsch-
freundlich und machte» gar kein Hehl daraus,
während Marcelle für Frankreich Partei nahm.

Billy mochte Frieden und Eintracht predigen
so viel er wollte — — es nutzte nichts. Sein
ganzes duftendes, lichtfunkclndco Reich wurde ihm
vergällt. Er schüttelte sich, wen» er jetzt morgcns
die breiten Marmorstufen hcrabstieg, die in dieses
Reich führten. Denn wußte er, was an Wider-
wärtigkeiten seiner harrte? Konnte der neue
Tag nicht den ersten Krakchl bringen, der ihm
einen oder mehrere seiner unersetzlichen „Künstler"
kostete? Verfluä>t und zugenäht I lind nirgends
ein Ausweg, nirgends Rettung! Das Einfachste
wäre ja gewesen, er Hütte de» Russen, den Eng-
länder, den Franzosen und den Belgier entlassen.
Aber erstens waren das die „Sterne" unter seinen

?. bteudner

^ Jn Gallien

,wcrs, ein Ei 20 Pfennige — „CTuuu — Harr Soldatche — kost so e Rrieg jetzt

Milliarden — werd's kommen auf de swanstg Fennige auch nich drauf an ...

Künstlern und zweitens hätte er's mit der Ge-
werkschaft der Barbiere zu tun bekommen, die
ihm so wie so nicht grün war. Was tun?
Himmelkreuzdonnerwetterl! Er hätte sich die
blonden Haare gerauft, wenn sie nicht so kurz
geschnitten gewesen wären.

Die Rettung kam von den Zeitungen, genauer
von den Lügen der Alliierten aus London, Pe-
trograd und Paris in diesen Zeitungen. Nach
diesen Lüge» errangen die Engländer, Russe» und
Franzosen einen Sieg nach dem andern. Wenn
ihre Landsleute in Billys Salon triumphierend
auf diese Siege hinwiesen, dann holten die Deut-
schen und der Österreicher ihre deutschen New
Yorker Blätter hervor und erklärten ebenso
triumphierend, nach den Meldungen ihrer Blätter,
daß in Wahrheit die Deutschen und Österreicher
gesiegt hätten. Hindenburg hatte bei Tannenberg

die Russen besiegt? Haha! Zum Totlachen
Kein Wort davon wahr! sagten der Russe. Eng
lünder, Belgier und Franzose, gar nicht wütend
sondern mit einem milden überlegenen Lächeln
Ihre Blätter meldeten zwar so etwas Ähnliches
aber mit dem ironischen Zusatz: wie Berlin be

hauptet. Was-Ioffre hatte an der Marn

gesiegt? Haha! Zum Totlachen! Die Deutsche«
hatten sich nur zurückgezogen, um bessere Stel
lungen einzunehmen, an denen sich die Franzose«
die Köpfe einrennen mußten! sagten die Deutsche«
und der Österreicher nachsichtig lächelnd. Abe
hatten die Deutschen nicht Belgien und eine» Tei
Frankreichs? Gewiß! Doch der militärische Sach
verständige der „Sun" hatte haarklein bewiesen
daß das lediglich eine genial gestellte Falle de
Alliierten «var, die eines Tages den duinme«
Deutschen verhängnisvoll werden würde.

57,

(Schluß uul Seile 575)
Register
Friedrich (Fritz) Heubner: In Galizien
 
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