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Die Felddienstuntauglichen Walther Püttner (München)

Schoß gleitet, eilt sie zum Fenster der Harems-
mauer hin. Ein Schiff, das vorübersegelt! —
Sakhime aber hebt mit abgewandtem Haupt den
Spiegel auf. Und mit bang geschlossenen Augen
fährt ihre Hand Über dessen Glas. Sie stößt
einen Schmerzensschrei aus — sie hat sich an
einem Scherben geschnitten. „Ein gesprungener
Spiegel! Das bedeutet Unglück! Unglück!

Nicht plötzlich mar es gekommen, nein ganz
allmählich war es hereingeglitlen. Doch nun war
es bereits so weit gediehen, daß Sakhime jeden
Abend Rot ans Fatmas Lippen und Wangen
anflegen mußte, damit Ali Abdullah Khan es
nicht gar z» sehr merke. Sie befestigten Türkisen
an ihrer Brust und hängten blatte Perlen über
ihre Tür und zündeten zu jeder Stunde Weih-
rauch an. Und Ali schenkte den Armen sieben
Säcke Reis und der persischen Moschee einen
kostbaren Gebetteppich. Aber „das böse Auge"
wich iticht von seinem Haus. Fatmas Wangen
wurden schmäler und schmäler, und stets fand
Sakhime sie an dem Mauerfenster, durch das
man über den Bosportts schatten konnte.

„Woher ltommen all die Schiffe? Wohin
gehen sie? Was tun die Menschen dort draußen
in der Welt? Dort hinten, wo Himmel und

Meer fid) begegnen, da verschwinden alle Schiffe.
Was ist dort hinten-?"

Sakhime aber weiß zwar die schönsten Mär-
chen zu erzählen, aber von Schiffen, die vorüber-
segeln, weis; sie nichts.

In seinem dunkeln Laden sitzt Ali Abdullah
Khan. Und traurige Gedanken erfüllen seinen
Sinn. Sie gelten alle Fatma Snltana. Er sieht
sie vor sich, hager und bleich, die großen dunkeln
Augen ohne Licht und Bewegung, als sei der
Geist daraus entflohen. Gleich den Frauen im
fernen Persien hatte er sie erziehen wollen, ab-
geschlossen von allem Verderben der Welt, und
nicht frei und ungebunden, wie die jungen Tür-
kinnen der Gegenwart lebten. Doch dnrä; einen
kleinen Spalt in der weißen Mauer hatte sie die
fließenden fremden Wesen des unendlichen Meeres
geschaut. Und sie hatten sie fortgelockt — die
Schiffe, die vorübersegelten, hatten all ihre Ge-
danken gefangen genommen. Er muß an den
orientalischen Fürsten denken, der seiner Tochter
auf einem einsamen Fels ein Schloß erbauen
und schließlich selbst die Schlange in den Rosen
zu ihr bringen ließ. — Und in seiner Angst läßt
er eine persische Wundertäterin kommen, damit
sie das böse Äuge abwende, das Über seinem

Hause waltete. In ihre schwarzen Sdileier ge-
hüllt, tritt sie zu ihm in den Bazar und fpridjt
wie eine Sibylle:

„Fatma Sultanas Geist ist fort. Er ist ge-
fangen von einem der Schiffe, die voi übersegelten.
Ihr Körper betrauert ihren Geist. Deshalb schwin-
det sie hin. Das fremde Schiff, das ihren Geist
gefangen hält, muß mit Hilfe heimlicher Mächte
zurüdigerufen werden, damit Deine Tochter wieder
blühe wie früher. In meiner Hilfe will id; die
ägyptische Beschwörerin Zohra herbeiholen. Aber
Du mußt Deine Tod;ter vorbereiten, damit sie
uns beistehe und das Sd>iff zurücksehne."

In Fatma Sultanas lichtem Pavillon, dessen
Wände aus himmelblauen Kad;eln sind, stehen
zwei hohe Mangaleid) aus blinkendem Kupfer.
Daraus erhebt sich beständig der Weihraud)
wie aus einem nie versiegenden Quell. Sein
schwerer Duft verwirrt die Gedanken, und sein
blaubieid>er Dunst verhüllt den Blick; alles
sd>eint unbeutlid) und phantastisch hinter seinen
Schleiern. Die Farben bewegen fid; darin, wie
in einem lebendigen Spiel. In leuchtenden Klei-
dern sitzen auf den bunten orientalisdien Teppichen
eine Menge Frauen mit gekreuzten Armen. Harte
Finger schlagen beständig auf das fd;wingende
Trommelfell der Zimbel, sie sdilagen einen ein-
förmigen, nie ermüdenden, hämmernden Takt.
Ein junges Weib in einem weiten Burnus von
scharfem Ultramarin kauert zwisd;e» de» Man-
galen, völlig eingehüllt von den verwirrenden
Weihrauchdämpfen. Die Augen unter den blei-
schweren Lidern sind geschlossen wie bei einer
Toten, aber ihre hageren Wangen sind rot be-
malt. Es ist Fatma Snltana, mit Perlen im
Haar. Ihre kleinen Hände sind mit Henna gelb
gefärbt und bergen sid; wie ängstliche Bögelein
fest ineinandergedrückt in die Falten ihres Bur-
nus'. Immer schwerer legt sich der Weihraud;
Über ihren Kopf. Die Wundertäterin spricht zu
ihr, mit halb singender, nasaler, eintöniger Stimme.
Ab und zu falle» die anderen Frauen ein, gieidp
sam aufreizend, mit lautem, wilden Schreien, als
wenn man ein müde gejagtes Tier hetzt.

„Gefangen ist Deine freie Seele! Erhebe
Dich mein Lamm, reife und schreie! Gefangen
ist Deine Seele von dem fremden Schiff der
Giaurs. Erhebe Did;, meine Taube, rufe nach
Deiner Seele! Sieh, das Schiff gleitet stolz über
die ferneii Wasser! Erhebe Did;, mein Herzens-
kind ! Du Rose der Nachtigall, rufe Deine
Seele zurück! Denn Deine Seele ist gefangen!"

Ans de» Rauchwolken hervorwachsend wie
eine dunkle Purpurwelle, mit steifen, abgemessenen
Bewegungen der Hände und stolz gestrecktem
Hals beginnt Zohra, die ägyptische Beschwörerin,
ihren langsam gleitenden Tanz. Gesdyneidig wie
eine Schlange windet sid; der bronzebraune Körper
unter der durchsichtigen roten Seide ihres Ge-
wandes. Blaue, nadelfeine 3eid;en mit symboli-
scher Bedeutung sind auf ihre Stirn tätowiert.
Mit Golddraht ist ihr Haar dmd;flochten und in
glänzenden Windungen um die Ohren gelegt.
Um die Fußgelenke trägt sie vergoldete Ringe,
die in einem leisen, zitternden, spröde» Ton er-
klingen, wenn sie sich im Tariz berühren. Sie
bewegt sid; wie im Traum, ein dem Rausch der
Farben unb des Weihrauchs entstiegenes Phantom
Pergeblich reizen die andere» sie durd; ihre Rufe.
Immer langsamer bewegt sie sid; in ben ab-
gemessenen Beschwörungskreisen. Die Fraueii
wehen nun mit sd;weselgelben und feuerroten
Seidentüchern, die wie lodernde Flamme» durd;
die Luft zisd;en, wachsen und mit feurigen Zungen
lecke». Die Wundertäterin reicht Zohra zwei
krumme Messer, die sie auf Fatinas Stirn drückt,
»nd null beginnt die Beschwörung des „Böse»
Auges". Immer rascher bewegt sie fid). Sie
drückt die Messerspitzen an ihren fid) wiegenden
Hals, sie kreuzt sie über dem Kopf wie zum

') Eine Art beweglicher, offener orientalllcher
Feuerstätte, dle mit Holzkohle geheizt und sowohl als
Herd wie auch als Ofen benutzt wiro.

MIO
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Walter Püttner: Die Felddienstuntauglichen
 
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