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(Unseren Toten

Wie tönen all die Worte doch so leer,

Mit denen wir Euch Teure heut' beklagen.
Mit nassen Augen und die Herzen schwer
Und ungeschickt, sich selber Trost zu sagen!

Daß Ihr uns lebt und stets lebendig bleibt,
Daß Ihr, im dunklen Erdenschoß geborgen,
Wie Saatgut seid, das künftig Halme treibt,
Von Körnern schwer und golden wie

der Morgen —

Daß wehe Trauer einst in sanft'res Leid
Die Zeit verwandeln kann, doch nie verwischen,
Und daß sich's manchmal fast wie heil'ger Neid
Und Sehnsucht will in unsre Klage mischen —

Daß wir uns fluchten, wenn der Lorbeer dort
Auf Euren Hügeln jemals uns verdorrte —
Ist alles Wahrheit, wahr ist jedes Wort —
Und doch, im Tiefsten fassen's keine Worte!

Für solchen Dankes Pflicht vermag uns nur
Die Zukunft Maß und Form zu offenbaren —
Heut dankt Euch unser Schmerz bloß rmd

der Schwur,

Was Ihr erkämpft habt, treu wie Ihr, zu

wahren!

Frify von Dftini

Dis Du niemaks ernst genommen!

Walzcrklänge — Ballgeflüster —
Doppel-Boston — Epauletten
Bon den Leutnants, von den netten,
Von den jungen, von den jüngsten,
Allerfrechsten, allerflinksten,

Die so sicher tanzen können,

Die Dir tausend Sachen nennen,

Daß Du lachen, lachen mußt
Lebensfreudig — unbewußt,

Daß ins Flirten Du gekommen —

Die Du niemals ernst genommen.

Kriegsgetöse — Sicgesbeute —
Heldengräber — bittre Klagen
Um die Helden, die erschlagen
Auf dem Feld der Ehre blieben,

Die so siegsbewußt einhieben —

Unsre Jungen, unsre Jüngsten —
Allerfrechsten, allerflinksten,

Mit den lebensfrohen Herzen,

Aufgelegt zu Flirt und Scherzen,
Aufgelegt zu Kampf und Wehr
Für des Vaterlandes Ehr.

Die nun nie mehr wiederkommen —
Die Du niemals ernst genommen.

Li Waas

P. Colmnnn

Der Franzofenfaal

Mitten in der Nacht kamen sie auf den Lazarelt-
bof gefahren, in Lastautos, auf Decken und Stroh.
Sie wurden erwartet, denn Arzte und Schwestern
und einige Landsturmleute mit aufgepflanzten
Bajonetten standen schweigend im Schein von
Fackeln und sahen den großen, bestaubten Wagen
entgegen, die langsam Halt machten. Sanitäter
und Schwestern eilten herzu und hoben die ver-
wundeten Franzosen auf die Bahren herunter.
Da lagen sie nun, fremd und still. Ihre von
Lehm und Stroh beschmutzten roten Hosen und
ihre kleinen roten zerschlissenen Käppis leuchteten
feindselig im flackernden Lichte der Fackeln. Es
war sehr ruhig ringsum. Nur ein paar kurze
Kommandos kamen halblaut durch die Nacht.
Alle sahen schweigend in diese verlegenen und
vom Schmerz verzogenen Gesichter. Auch die
Soldaten traten unwillkürlich ein wenig zurück
mit ihren Bajonetten beim Anblick dieser müden
und zerschossenen Glieder. — Geführt und ge-
tragen bewegten sie sich langsam aus dem unge-
wissen Licht des nächtlichen Hofes in den hell-
erleuchteten Gang des Lazarettes, hin zu dem
großen Saal, der für die Franzosen reserviert war.

Die Arzte und Schwestern gingen an ihre
Arbeit. Ein Haufen schmutziger und armseliger
Uniformstücke begann sich in der Mitte des Saales
aufzutürmen. Bald lagen alle in den säubern
Betten und ein kleines, heißes Gefühl von Ge-
borgensein ließ sie für einen Moment Gefangen-
schaft und Wunden vergessen. Die weißen Ver-
bandtische wurden hereingerollt, beladen mit In-
strumenten, Flaschen und allerlei sterilen Stoffen.
Die Arzte lösten die blutigen Binden und fürchter-
liche Wunden wurden sichtbar, von denen ein
unerträglicher E truch von Fäulnis ausging. Und
gleichzeitig erhob sich in dem weiten Saal ein
leises Jammern in unbeherrschten und weichlichen
Lauten, wie man sie von deutschen Soldaten nie
vernimmt. Die Rufe: «Maman!» und «^k que
jesoutfre!» klangen seltsam von diesen bärtigen
Lippen. Die Schwestern gingen mit Wasser von
Bett zu Bett, mährend die Arzte flüsternd und
kopfschüttelnd arbeiteten. Und bald war das
Ärgste getan. Sie waren verbunden, sie waren
ihren Wunden entsprechend umgebettet, die nötigen
Operationen hatten Zeit bis morgen. Die Arzte
wandten sich zum gehen. Unter der Türe rief der
Stabsarzt Schwester Lisa zu sich, die Nachtwache
hatte, weil sie französisch sprach. „Schwester,"
sagte er leise, „der dort drüben mit den roten
Haaren wird wohl diese Nacht noch sterbe»; er
soll schon den ganzen Transport über bewußtlos
gewesen sein. Machen Sie 's ihm leicht, wenn
er wieder zu sich konimt. Geben Sie überhaupt
Morphium, wo es nötig ist: mit Vorsicht na-

türlich, aber geben Sie: sie haben fürchterliche
Wunden." Und er setzte noch hinzu, mährend
ein schönes Gefühl sich wie ein Licht über sein
niüdes Gesicht breitete: „Diese Leute, Schwester,
sind Verwundete und Unterlegene zugleich. Sie
müssen kein Mann sein, um zu wissen, daß man
ritterlich gegen sie verführt." Damit ging er.
Einer ber bewaffneten Landsturmleute blieb als
Wache vor der Türe, ein zweiter war im Saal.
Das war Befehl, seitdem in einem Lazarett ein
paar Franzosen sich aufrührerisch gezeigt halten.

Schwester Lisa trat in den von halb zuge-
drehten Gaslampen nur schwach erhellten Raum
zurück. Und sofort erhoben sich schüchtern aus
den verschiedenen Bette» die Rufe: «Ma soeur!»
Schwester Lisa bekam ein wenig Herzklopfen, es
war ihr beklommen zu Mute inmitten all dieser
Franzosen. Sie hätte lieber drüben bei den deut-
schen Verwundeten gewacht, wo es eine so große
Dankesschuld abzutragen gab. Ihre Brüder stan-
den im Felde bei Arras, und eben dorther kan,
dieser feindliche Transport. Wer sagte ihr, ob
nicht diese Hände, die nun müde auf den Decken
tagen, die todbringende Waffe gegen ihre Brüder
gerichtet hatten? Aber sie schämte sich sofort ihres
Zauderns. „Wer soll barmherzige Gesittung haben,
wenn nicht wir Deutschen?" dachte sie stolz. Sie
trat von Bett zu Bett. Ihre Hände wurden
mütterlich und lind, während sie sie ans Stirnen
legte, die von Schmerz und Heimweh heiß waren,
und sie fand gute Worte, wenn sie einem Schmerz-
gequülten das lindernde Morphium reichte. Bald
sahen sie alle voll Vertrauen nach ihr hin und
in dem armseligen Wunsch des Schwächeren, fid)
beliebt zu machen, streichelten sie ihre Hände und
sprachen zu ihr, wie bittende Kinder. Schwester
Lisa wurde cs immer trauriger zu Mute. In
diesem Saale war »id)ts von dem großen Geist
des Krieges zu spüren, der durch die anderen
Krankensäle wehte. Hier waren nur Wunden
und Heimweh und das beflissene Danken der Be-
siegten. Hier war nur Leid und keine Zuversicht.

Allmählich wurde es still im Franzosensaal:
sie sdiliefen fast alle. Der Posten lehnte, das
Bajonett im Arm, am offenen Fenster und bliäite
in bie Herbstnacht hinaus Aus der Ferne kam
das dumpfe Dröhnen des Artilleriefeuers herüber,
aber cs weckte die Sdilüfer nid>t. Die Schwester
fcfjlid) auf den Zehenspitzen von Bett zu Bett:
sie beugte fid) über die Erkennungsmarken, die
auf den Nachttischen lagen und schrieb die freniden
Regimenter und Bataillons auf die schwarzen
Tafel» über den Betten. Es war ein einziger
Ofsizier darunter, ein sehr junger Mensd>, mit
ernsten und adeligen Manieren. Er saß noch
immer wach am Kopfende seines Lagers und das
fdjöne Haupt auf die Hand gestützt, schaute er
unbeweglich in die sternenlose Nacht hinaus. Auf
seinen Kissen lag ein Brief. Die Sd)wester las
auf dem Umschlag:

«Madame la Marquise de Ronvillet Chäteau
de Ronvillet. Bretagne.» Der Offizier wandte
plötzlich sei» Haupt und frug: „Wird man diesen
Brief befördern?" „Man wird ihn gewiß be-
fördern," antwortete die Sdiwestcr, „man wird
ihn lesen, man wird vielleicht einiges daraus ent-
fernen, aber dann wird er bestimmt an seine Ad-
resse abgehen." „Idi danke," sagte der junge
Ofsizier und nahm seine vorherige Stellung wieder
ein. „Den hat die Gefangensd)ast nicht demora-
lisiert," dad)Ie die Sdiwestcr und sah voll Mit-
gefühl in sein stolzes Gesicht. Der Franzose aditete
nicht mehr aus sie. Alle seine Gedanken waren
in Frankreich. Er war klug genug, uni einzusehen,
daß diese Nation aus innerer Notwendigkeit ihrem
Ende entgegen ging. Ihr prahlerisches Geschrei
vom «jour de gloire» und vom großen Morgen
der Revand>e ersd)ien ihm lächerlich vor dem schwei-
genden Sdiritt der bentfdjen Heere. Aber er liebte
es so sehr, das schöne Frankreich, das die stolzen
Tage des Sonnenkönigs und die siegenden Armeen
Napoleons gesehen hatte. Er betete und hoffte
nidit mehr uni dieses Landes Zukunft. Er, der
Spätling eines aussterbenden Geschlechtes wilßtc,

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Register
Fritz Frh. v. Ostini: Unseren Toten
Li Waas: Die Du niemals ernst genommen!
E. v. Uhde: Der Franzosensaal
P. Colman: Vignette
 
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