Studie * Ad. Menzel f
rat halten, wirds dunkel — der Schorsch, mein
Bursche und Kraftwagenführer, sichtet hinter Bäu-
men schwachen Lichtschein; wir rucken das Wrack
von Auto bei Seit und stapfen aufs Licht zu.
Alles Tragbare hatten wir uns aufgeladen —
bloß Eßbares war nicht dabei: die Reste vom
Mittags-Picknick hatten wir vlämischen Rangen
ausgeliesert.
Um nicht den Hals zu brechen, so querdurch,
steckten wir die mitgenommenen Wagenlaternen
an. Rach einer Viertelstunde waren wir dein
Ziel aus hundert Schritt nah — da ging das ein-
same Licht aus! . . Wir hatten ein mittleres Ge-
höfte vor uns. Todstill lag das Dings, als wir
ihm mit den Scheinwerfern zu Leib gingen. Das
Tor war verschlossen.
Wir klopften nicht schlecht und riefen in sechs
bis dreizehn Sprachen! Taub stellen sei zwecklos.
Aber erst als wir mit internationalem Heldenmut
das Tor „gastlich zu erschließen suchten", tat sich
ein Fenster auf und ein dicker Bauer in Hemd-
ärmeln erschien. Er habe sich grad schlafen ge-
legt, erklärte er in elendem Französisch, mit einer
süßen Freundlichkeit, die ihm zu Gesicht stand
wie ’n Damcnhütchen.
Drinnen in seiner Diele versicherte er, unser
Begehren nach leidlicher Atzung sei unerfüllbar!
In seinen zerschossenen Ställen gäb's längst nichts
Lebendiges mehr; also von Fahrgelegenheit nach
unserm entfernten Etappenort auch keine Rede!
Kisten und Kasten seien leer, seine Weibsleute
nach Holland geflüchtet. Seine arme Einstedler-
Rotnahrung beschränke sich auf ein Häuflein
schlechte alte Kartoffeln und ein Töpfchen eng-
lischer Marmelade; die Engländer hätten's bei
ihrer Flucht im vorigen Jahre dagelassen, wohl
weil das Zeug zu bitter sei. Auch habe er noch
einen Salzhering, der freilich schon nicht mehr ganz
gut rieche. All das wolle er uns herzlich gern ab-
treten — gegen christliche Bezahlung. Dazu eine
Bouteille Landwein, der zwar Herren wie uns
unmöglich munden könnte; das dürften wir
ihn, den Biedermann, dann aber nicht entgelten
lassen!
Appetit hatten wir alle. Bei dieser Einladung
sträubten sich uns nichtsdestotrotz die Haare .. .
„Vediamo! Vediamoü“ rief der Famoso; er
hatte schon im Auto über Hungerstiche geklagt.
Unter Führung des Bauern besichtigtett wir die
Ställe, den Keller, fanden tatsächlich alles leer
und nur in der Küche das, was der Herr des
Hauses uns — na, noch recht schonend beschrieben
hatte .... Mit Zähneknirschen beschlossen wir
andern schon, uns ins Unvermeidliche zu fügen:
die schwarzen, keimigen Erdäppel waren wenigstens
reichlich vorhanden und durch Kochen wohl immer-
hin teilweise in menschliche Nahrung zu verwan-
deln .. . Bloß Er, der Famoso, nahm eine von
unfern Laternen und den Bauer und begab sich
an eine Revision sämtlicher Stuben und Speicher.
Daß der Bauer uns liebend gern fortgehabt hätte,
war mir ja auch klar; ich suchte aber keinen
tiefem Grund dahinter.
Wie wir noch sauersüß nachfeixen, am stillen
Herd, schiebt sich ganz pomadig mein Schorsch
vom Hof herein und macht mir heimlich ein Zeichen
alswie: höchst erfreuliche Neuigkeit! — Du lernst
ihn noch keimen, meinen Schorsch Iäck; ein un-
bezahlbarer Schlingel aus dem Taunus, kreuz-
brav und nie verlegen. — Also ich drücke mich
unauffällig aus der Küche, in den dunklen weit-
läufigen Hof. Der Schorsch folgt mir ebenso,
eine brennende Ladeuchte „im Gewände". Er
raunt bloß, aber ich mcrk's gleich: er zerspringt
bald vor Triumph: „Hortig, hortig, Herr Ritt-
meister! — Des war d'r emol aans! Kaa' fimf
Schritt von uns hawwe vier die scheenste Sauf-
un Freß-Gelegenheite von de Welt!" Und trab-
trab berichtet er:
Rur zur Beruhigung des Bauern war er erst
in der Diele zurückgeblieben, gleichsam als Wach-
posten. Der dicke Mann war ihm gleich verdächtig
vorgekommen, der süße Ton und ganz besonders
der Bauch: der sei undenkbar bei kümmerlichem
Futter! Heimliche Vorräte stecken selten im Haus,
meint er; deshalb ging er draußen auf die Suche,
sowie wir von den Ställen zurück waren. Und
da merkte er als Bauernsohn, was nicht einmal
mir als Kavalleristen ausgefallen war: der Mist-
haufen, der noch von verschwundener Viehzucht
zeugte, lag dicht beim Haus — — so weit wie
möglich von den Ställen!! Der Schorsch stöberte
schleunigst eine Hacke auf, untersuchte den Unter-
grund, fand richtig eine Falltür — na und jetzt
zeigte er mir mit edlem Eifer, was er entdeckt hatte:
Wir stiegen ein paar Erdstufen hinab, stießen
auf ausgetretene Steinstufen, die weiter hinunter
führten, und kamen so bei unserm hellen Aceiylen-
licht in einen tiefen, trockenen Keller. „No?!"
fragte der Schorsch bloß. Sein Triumph hatte
die gediegensten Unterlagen! Das alte Klosterloch
strotzte von ausgesuchten Delikatessen! Da hingen
in Reih und Glied bildschöne Landschinken, zum
Teil in sauberen Leinensäckchen; unten waren
unberührte Konservenbüchsen, Gläser mit feinen
Früchten und wohlverschlossene „Iam"-Töpfe zu
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rat halten, wirds dunkel — der Schorsch, mein
Bursche und Kraftwagenführer, sichtet hinter Bäu-
men schwachen Lichtschein; wir rucken das Wrack
von Auto bei Seit und stapfen aufs Licht zu.
Alles Tragbare hatten wir uns aufgeladen —
bloß Eßbares war nicht dabei: die Reste vom
Mittags-Picknick hatten wir vlämischen Rangen
ausgeliesert.
Um nicht den Hals zu brechen, so querdurch,
steckten wir die mitgenommenen Wagenlaternen
an. Rach einer Viertelstunde waren wir dein
Ziel aus hundert Schritt nah — da ging das ein-
same Licht aus! . . Wir hatten ein mittleres Ge-
höfte vor uns. Todstill lag das Dings, als wir
ihm mit den Scheinwerfern zu Leib gingen. Das
Tor war verschlossen.
Wir klopften nicht schlecht und riefen in sechs
bis dreizehn Sprachen! Taub stellen sei zwecklos.
Aber erst als wir mit internationalem Heldenmut
das Tor „gastlich zu erschließen suchten", tat sich
ein Fenster auf und ein dicker Bauer in Hemd-
ärmeln erschien. Er habe sich grad schlafen ge-
legt, erklärte er in elendem Französisch, mit einer
süßen Freundlichkeit, die ihm zu Gesicht stand
wie ’n Damcnhütchen.
Drinnen in seiner Diele versicherte er, unser
Begehren nach leidlicher Atzung sei unerfüllbar!
In seinen zerschossenen Ställen gäb's längst nichts
Lebendiges mehr; also von Fahrgelegenheit nach
unserm entfernten Etappenort auch keine Rede!
Kisten und Kasten seien leer, seine Weibsleute
nach Holland geflüchtet. Seine arme Einstedler-
Rotnahrung beschränke sich auf ein Häuflein
schlechte alte Kartoffeln und ein Töpfchen eng-
lischer Marmelade; die Engländer hätten's bei
ihrer Flucht im vorigen Jahre dagelassen, wohl
weil das Zeug zu bitter sei. Auch habe er noch
einen Salzhering, der freilich schon nicht mehr ganz
gut rieche. All das wolle er uns herzlich gern ab-
treten — gegen christliche Bezahlung. Dazu eine
Bouteille Landwein, der zwar Herren wie uns
unmöglich munden könnte; das dürften wir
ihn, den Biedermann, dann aber nicht entgelten
lassen!
Appetit hatten wir alle. Bei dieser Einladung
sträubten sich uns nichtsdestotrotz die Haare .. .
„Vediamo! Vediamoü“ rief der Famoso; er
hatte schon im Auto über Hungerstiche geklagt.
Unter Führung des Bauern besichtigtett wir die
Ställe, den Keller, fanden tatsächlich alles leer
und nur in der Küche das, was der Herr des
Hauses uns — na, noch recht schonend beschrieben
hatte .... Mit Zähneknirschen beschlossen wir
andern schon, uns ins Unvermeidliche zu fügen:
die schwarzen, keimigen Erdäppel waren wenigstens
reichlich vorhanden und durch Kochen wohl immer-
hin teilweise in menschliche Nahrung zu verwan-
deln .. . Bloß Er, der Famoso, nahm eine von
unfern Laternen und den Bauer und begab sich
an eine Revision sämtlicher Stuben und Speicher.
Daß der Bauer uns liebend gern fortgehabt hätte,
war mir ja auch klar; ich suchte aber keinen
tiefem Grund dahinter.
Wie wir noch sauersüß nachfeixen, am stillen
Herd, schiebt sich ganz pomadig mein Schorsch
vom Hof herein und macht mir heimlich ein Zeichen
alswie: höchst erfreuliche Neuigkeit! — Du lernst
ihn noch keimen, meinen Schorsch Iäck; ein un-
bezahlbarer Schlingel aus dem Taunus, kreuz-
brav und nie verlegen. — Also ich drücke mich
unauffällig aus der Küche, in den dunklen weit-
läufigen Hof. Der Schorsch folgt mir ebenso,
eine brennende Ladeuchte „im Gewände". Er
raunt bloß, aber ich mcrk's gleich: er zerspringt
bald vor Triumph: „Hortig, hortig, Herr Ritt-
meister! — Des war d'r emol aans! Kaa' fimf
Schritt von uns hawwe vier die scheenste Sauf-
un Freß-Gelegenheite von de Welt!" Und trab-
trab berichtet er:
Rur zur Beruhigung des Bauern war er erst
in der Diele zurückgeblieben, gleichsam als Wach-
posten. Der dicke Mann war ihm gleich verdächtig
vorgekommen, der süße Ton und ganz besonders
der Bauch: der sei undenkbar bei kümmerlichem
Futter! Heimliche Vorräte stecken selten im Haus,
meint er; deshalb ging er draußen auf die Suche,
sowie wir von den Ställen zurück waren. Und
da merkte er als Bauernsohn, was nicht einmal
mir als Kavalleristen ausgefallen war: der Mist-
haufen, der noch von verschwundener Viehzucht
zeugte, lag dicht beim Haus — — so weit wie
möglich von den Ställen!! Der Schorsch stöberte
schleunigst eine Hacke auf, untersuchte den Unter-
grund, fand richtig eine Falltür — na und jetzt
zeigte er mir mit edlem Eifer, was er entdeckt hatte:
Wir stiegen ein paar Erdstufen hinab, stießen
auf ausgetretene Steinstufen, die weiter hinunter
führten, und kamen so bei unserm hellen Aceiylen-
licht in einen tiefen, trockenen Keller. „No?!"
fragte der Schorsch bloß. Sein Triumph hatte
die gediegensten Unterlagen! Das alte Klosterloch
strotzte von ausgesuchten Delikatessen! Da hingen
in Reih und Glied bildschöne Landschinken, zum
Teil in sauberen Leinensäckchen; unten waren
unberührte Konservenbüchsen, Gläser mit feinen
Früchten und wohlverschlossene „Iam"-Töpfe zu
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