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Prachtvoll verführend klingt dieser Name.
Reiterfanfaren lohen so, und Schlach'enerzähler
hät:en ihn ihrem Feldherrn erfinden niüssen, stände
diese Attacke und dieser Sturm eines Namens
nicht lebendig in unserer von Krieqslärm aufge-
weckten, neuösterreichischen Wirklichkeit.

Hötzendorf. Dies Klirren weckt verwandte
K änge. An den Glanz eines nicht miiider prunk-
vollen. freilich längst erfüllten und der Unsterblich-
keit anheimgegebeneii Namens denkt man. „Ra-
detzky." Der so hieß, ist über ein halbes Jahr-
hundert tot. Fünfzig Friedensjahre haben diesen
österre chuchesten unserer Helden auf den dank-
bar bekränzten Sockel gehoben, dessen Fuß nun
immerhin schon Staub anzusetzen begann. Inr
Abend, ot steht uns Nachgeborenen von Custozza,
Novara und Morlara diese einst gelieblesle aller
Gestalten. Sein Menschliches ward regende.
Radetzkys Taten ruhen eingesargt in Bänden
und Generalstabswerk n. Nur der Name blieb
ganz jung, löste sich von dem müden, allgewor-
denen, schließlich gestorbenen und in irgendeinem
niederösterreichischen Landstädtchen begrabenen
Feldherrn. Dieser Klang „Radetzky" behauptet
sechztg Jahre nach Radetzkys Tod lein selbstän-
diges Dasein. 3iii gstes Österreich ist für uns
imnter, wo die Zinken lohen, der Schlägel aufs
Kalbfell der kleinen Trommel niederfährt und
österreichilche Reiiertronipeien den Radetzkymarsch
blasen.

Nun brennen neue Fackeln. Kriegsbrände
rasen über die verheerte Erde, Ross bäumen sich
zur Schlach', der Palla ch blitzt in Reitirfäuslen.
Wellen vergehen im Donnnem der schweren
Mörser, Weltuntergang und Auferstehung ent-
scheidet sich ,n Schützengraben und Drathverhau.
M llionen Eisenfäuste reißen den Sieg voni Himmel
herunter und M llionen Hoffnungen erstarken in
ihrer bäng ten Nacht am Klang der neuen Namen,
die Gott der Herr unserer deutschen, unserer
österreichischen Welt g schenkt hat.

Hötzendorf ist einer dieser Namen. Conrad
von Hötzendorf. Und indeß dieser Name uns
verführt, klingt der Radetzkymarsch nocheinmal
so jung und im Belgrader Reiterlied der Eugen-
schen Kürassiere erahnen wir dieses erwachten,
alten Reiches zweite, fröhlichere Volkshymne ...

*

Als österreich'scher Generalstabschef nahm der
Baron Conrad vor zwei Jahren Abschied voll
seinem Lebenswerk. Er stand hoch, mancherlei
Vertrauen hat ihn zur Höhe emporgetragen, und
dann schien auch ihn das österreichische Schicksal
ereilen zu wollen: aus halbvollendeter Arbeit
gerissen, in Graz oder Salzburg darüber Nach-
denken zu dürfen, daß man nicht ungestraft eine
Persönlichkeit ist. Eine Persönlichkeit ist der
Baron Conrad nun allerdings und in eineni fast
verwegen n Sinn gewesen. Das österreichisch-
ungarische Heer, mit deni wir nach Krasnik, dann
in eniem einzigen Sturnilauf von den Karpathen
über Iwangorod hinausgingen, hat er geschaffen.
Denn was Baron Conrad bei seinem Amtsantritt

übernahm, waren ehrwürdige, ruhmvolle Tradi-
tionen, gewiß, aber immerhin Traditionen, hinter
denen der lebendige Begriff einer Armee sich dem
in langen Friedenszeiten eingebürgerten Ideals-
bild einer uniformierten Bur aukratie gefährlich
anzunähern begann. „Die Armee verdorrt" —
das Wort, unter Conrad von seinem Kriegsmi-
nister gesprochen, ist unvergetzlich. Utid so wurde
der Generalstabschef das, was ihm geringere
Köpse bitter angekreibet haben: ein k. und k.
Revolutionär. Zöpfe wurden abgeschnitten, Staub
aus Perücken gektopit. Umzustürzen und zu er-
neuern galt es, übermenschliche Arbeit zu leisten
und beleidigte Empfindlichkeiten schonungsvoll,
aber unerbittlich über den Haufen zu rennen.
Der Baron Conrad war ganz der Mann dazu,
denn die er Gencralstabschef, der von guten Freun-
den hemilich als Genie vernadert wiirde, ließ von
österreichischen Traditionen eigentlich keine als
die altöüerreich'sche des um Dank nickt bekünr-
nierten, fanatischen, nie zu verdrießenden Arbeitens
gellen. Er stand nicht in der Liste unserer fabel-
haft bestr ckenden und hinreißend liebenswürdigen
Exzellenzen. Der Salon ift dem Baron Conrad
immer ein unbekanntes Schluchtgelände gewesen.
Den Reilstiefelgeneral, so martialisch benannte
sich dieser energische kleine Herr gerne. Wobei
übrigens angemerkt werden kann, daß die oft
zum Äußersten gehende soldatische Strenge diesen
Vorgesetzten nicht gehindert hat, von der Armee
einfach vergöttert zu werden. Er hat ihr den
Glauben an sich selbst wiedergegeben. Einen
unbändigen, rührenden, hinreißend unbedingten
Glauben, der sich vor diesem Krieg allerdings
nicht auf die Straße wagen durste. Und so ahnten
wir denn im neuen, ungeduldigen Selbstvertrauen,
wußten's bis zur Gewißheit in den malten, schon
brenzlich gewordenen Friedensjahren: der Glaube
an das neue Österreich heißt Conrad von Hötzen-
dorf ...

Da ging er. Gab ganz still das Werk aus
den Händen. Richtete sich, ein Sechziger kaum,
für Graz oder Salzburg ein und hat in seinem
Innersten doch kann, im Ernst an ein Ausspannen
gedacht. Immerhin aber, zum erstenmal in seinem
Leben, hatte der Baron nun Zeit, Zeit zu haben.
Diletlierle ein bißchen in der Rolle des Privat-
mannes, ging spazieren —. Spazierengehen, es
wäre schließlich nicht zum erstenmale die öster-
reichische Erledigung eines Talents gewesen.

Aber die kleine Exzellenz mit den wachsamen
Augen wartete ja bloß, wie auch wir Alle auf
ihn zu warten nicht aufqegeben hatten. Der Baron
Conrad lebte inzwischen seinen zwei Söhnen und
war selbst der Sohn seiner Mutter, die nchzig-
jährig in ein paar kleinen Mietzimmern der Wiener
Reisnerstraße lebte und ihrem Franz jeden Tag
zur Iausenstunde mit der feinen, lieblich urgroß-
niütterlichen Greisenhand den Kaffee einschenkte.

Soiist — ? Ach, die Exzellenz sagte es Jedem,
der gerne Anderes gehört hätte, daß er spazieren-
ginge Sechzig, damit tritt man ab, lächelte er.
Der Baron Conrad wollte doch nicht umsonst sein
Faible für die Jugend gehabt haben. Nun war

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sie daran. Was er vermocht hatte, ihr in den
Sattel zu helfen, hatte er getait. Mag sie nun
reiten.

Und der Baron Conrad strich sich mit der
schönen, noblen Hand die grauen Schläfen und
ging zu Mama hinüber.

Jausen.

Conrad von Hötzendorf hat es vermutlich im
siebenfach verriegelten Innern gewußt, daß seine
Stunde doch noch, und daß sie bald schlagen
würde. Daß sein Schicksal nicht zu sein brauchte,
ein Schwert scharf geyalten zu haben, das ein
Anderer führen durfte. Der große Krieg begann.
Und Hötzendorf hieß nun also das Feldzeichen
unserer Armee.

Man weiß, daß hinter dem tönenden, klirren-
den Namen ein sehr stiller, bedachtsamer, unend-
lich klug abwägender Herr steht. Ein Gelehrter
des Krieges, nicht sein Haudegen. Unter den
Köpfen des heutigen Österreich sicher der scharf-
sinnigste. ganz bestimnit der kühlste. „Ich führe
keinen Krieg für nervöse Leute," hat er im W »lec
gesagt, als sich Österreicher und Russen an der
brennenden Ungarngrenze, im karpathiichen Rand-
gebirge auf Hörweite gegenüberlagen. Es kam
im Hin und Her dieses Kriegs noch immer vor
allem darauf an, klaren Blick zu bewahren. Den
Blick auf's Ganze. Und sich nicht betrinken zu
können an günstigen Möglichkeiten, die morgen
an einer anderen Front ins Unglück Umschlagen
können. Wir hatten dem in Frankreich enga-
gierten Deutschland die Flanke zu decken, da
durfte es also nickt einmal auf Galizien ankom-
men und — es kam dem österreichiichen General-
stabschef auch gar nicht darauf an, seine Armee
und Österreich und Ungarn dazu jeden Tag von
„Times" und „Temps" totsaqen zu lassen. In
den Nächten, da bei uns so Biele nicht schliefen,
in den Tagen, Nächten, Wochen unseres „Aus-
weichens vor dem Feind," hat es in Österreich
und Ungarn keinen Kopf gegeben, der unbewegter,
der gelassener und unerschrockener allem Mög-
lichen, Künftigen ins Auge sah Das Kriegsglück
ist rund. Aber jede große Entscheidung hat ii,re
Mathematik. Es kam darauf an, wo der bessere
Mathematiker laß. In der kleinen Stadt unseres
Hauptquartiers oder im berühmten Sonderwagen
des Herrn Nikolai.

Abwarten. Geduld haben. Und eisern ent-
schlossen sein, _ jede, auch die prachtvollste Geste
der langsam sich enthüllenden, zögernd sich ver-
wirklichenden Endentscheidung hinzuopfern. Wir
führen unsere Kriege nicht für,Temps' und,Times'.
Und Kleingläubige? Es gibt keine Kleingläubi-
gen. „Ich führe nicht Krieg für nervöse Leute..."

Seither haben wir Tarnow und Gorlice er-
lebt, den Durchbruch, die Russenjagd, und Nikolais
Siegeswagen wird im Kaukasus repariert. Sein
Ehrensäbel aber wurde schartig, wo er ihn er-
worben hat. Galizien heißl Nikolais Glück und
Ende.

Und hunderttausend Russenkreuze werden'.s
noch dem Spätgeborcnen künden, wer anno Fünf-
zehn der bessere Rechner war.

Carl ffiarilauti (Wien)
Register
Karl Marilaun: Conrad von Hötzendorf
Emil Schuller: Zierrahmen
 
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