Auf dem Vormarsch
C. Max (Schwere Munit.-Kolonne)
Das örinfcn des fjauptmanns
HmaDeus 3ügenjörg
Von Berta reich (Wien)
Die Jugend des Amadeus Zügenjörg
konnte man die Kaltwasserkur seines Lebens
nennen. In der Tat war auch seine erste,
wirklich schreckliche Erinnerung das eiska.te
Wasser, das dem bis dahin so verwöhnten
Jungen jetzt in der Kadettenschule bei der
Morgen- und Abendtoiletie Hilfsdienste zu
leisten hatte. Me hatte sich Amadeus so ver-
lassen gefühlt wie an jenem ersten Abende in
der Kadetten' chule. Und als der kleine Junge
da zum ersten Male im Leben die bittersten
Tränen, die der hilflosen Verlassenheit, der
kalten Nacht ichenken mutzte und niemand
war, der auch nur ein leises Streicheln für
den kleinen, zuckenden Körper hatte, da war
er gleichsam erfroren. Sein Gesicht blieb ernst
und i ein Herz ein! am. Er wurde ein Alleingeher.
„Laßt ihn, er spinnt," hieß es, wenn der kleine
Amadeus von der Kameradschaft nicht niehr in
Anspruch nahm, als es die Schule und die Pflicht
erforderten. Er war ein ernster Junge, der durch
seine Angeschlossenheit Zeit fand, sich mit den
Dingen über den Lehrstoff hinaus zu beschäftigen.
„Zügenjörg, der Spinnete" ging es ihm in
sein Berufsleben nach und ließ die Kameraden
seine Einsanikeit respektieren. Man kam nur zu
ihm, wenn man etwas brauchte, und konnte sicher
sein, Hil e zu bekonimen.
Eines Tages war er auf irgendein Fort ver-
schwunden,
„Jetzt wird er sich ganz einspinnen," lächelten
die Kameraden. Freilich spann er sich ein. Zn
sein tiefes Gefühl für die Pracht der Berge, die
wie der Gottheit Mantel um fein Fort gebreitet
lag Er spann sich ein in seine verstehende Freund-
schaft zu Kant und in 'ein Erleben des Goethe,
Und er spann sich ein in seine Sehnsucht nach
Beethoven. Aber die schwächsten Spinnfäden
waren es nicht, die von seinem Berufe um ihn
liefen. Zügenjörg datte da paradox:
„Militarisnius ist der sicherste Weg zum ewigen
Frieden. B s an die Zäbne müssen wir bewaffnet
sein, um gründl'ch abrüslcn zu können." Vielleicht
war das eine Ausrede des ererbten wilden Berg-
bauernblutes in Zügen örg, das sich vor den Idealen
Kants entschuldigen zu müssen glaubie. So war
Zügenjörg einge ponne» in seine Eigenart. Daß
noch niemand Zügenjörg laut lachen gehört hatte,
kam wohl daher, weil er alle Eindrücke erst durch
seine Seele führte und dann kam höchstens ein
feines, mildes Lächeln zu Tage, das den wunder-
schönen Mund des Zügenjörg mit einer Gloriole
von Menschlichkeit krönte. Zügenjörg war kein
schöner Mann, aber ein besonderer. Die Gestalt
groß und hager. Die Arme und Beine staken im
Körper, als seien sie Wesen für sich, wie man
das bei Bergbauern oft iehen kann. Sein Gesicht
war scharfkantig und dunkel, die Haare straff und
von einer zwischen drnp und braun schwankenden
Färbung, Die wasserblauen Augen standen groß
und weit geöffnet wie bei Menschen, die über
das Leben hinausblicken. Die Nase setzte von
der etwas niederen Stirn scharf und schmal an
und fiel in einem scharfen Haken ab. Zügenjörgs
Mund aber war wie ein Liebesgedicht, ein feines,
zartes Liebesgedicht, das einer aus wundem Her-
zen mit Lettern von Kirschblütenblättern auf eine
verwitterte Granitplatte geschrieben hat. Und wie
Zügenjörg alles Schöne liebte, so liebte er auch
seinen Mund. Er konnte ihn oft lange im Taschen-
spiegel betrachten. Und dann übcrkam ihn wohl
auch warme Dankbarkeit, weil ihn die Natur zum
Träger einer so vollendeten Schönheit geniacht hatte.
Zügenjörg war aber nicht so sehr eingesponnen,
daß ihn seine Vorgesetzten nicht aus seiner Ver-
sonnenheit hinaus und auf die Kriegsschule ge-
zogen hätten, „Siehst Du, ich bin Wien," sprach
die alte Stadt zu ihm und zeigte ihm die schönen,
alten, kleinen Häuser, die wie verwunschene Prin-
zessinnen in dem Walde der Gebäuderiesen träu-
nien. Und sie zeigte ihm den alten Dom, der so
vieler Meister höchstes Können in sich trägt: Ge-
danken der Ewigkeit und Gedanken der Laune
liegen in ihm. Jedes Winkelchen, jedes Türmchen
erzählt vom Gedankenreichtums eines Volkes.
Und sie zeigte ihm die Gärten, die sich allcntbalben
durch die Stadt schmeicheln und deren süßes Duften
wie Klänge der V'ola ä'smour die Großstadt-
symphonie durchleuchtet. Sie führte ihn in die
Weinberge, ü 'er denen das ganze Jahr Gottes
Güte liegt. Gotteslächcln im Früliling, Goites-
sinnen im Sommer, Gottesfreude im Herbste,
Gottesfriede im W'Nter. Und Wien ließ den
ernsten Mann verträumt an dem Weinbergwege
„Auf der Ried an den langen Lüsten" stehen und
weckte mit dem sonderbaren Namen Märchen und
Sagen auf. die ihm die einsamen Abende zuge-
flüstert hatten. „Siehst Du, ich bin Wien!" lachte
der frohe, leichtsinnige Prater und lockte das nach-
sichtige, feine Lächeln um den ichönen Mund.
„Ich bin W'en," sagte das Kaiser chloß in
Schönbrunn und zeigte vornehm lässig seine feu-
dale Pracht.
„Ich bin Wien," lächelten die dunklen und
hellen Frauenblicke. Und eines Tages glitt ein
solcher Frauenblick aus Zügenjörgs weitgeöffneicn
Augen sachte hinaus und senkte sich auf seinen
schönen Mund und blieb dort liegen, bis die
dunklen Winipern die Augensterne verdeckten und
die in tiefem Rot erglühenden Wangen be'chwer-
ten. Und so hatte Amadeus' geliebtes Natur-
kunstwerk erst seinen Wert gefunden. Es kam
eine glückliche Zeit für Zügenjörg. Nimmer hätte
er gedacht, daß in des Lebens weiten Mantel-
taschen auch für ihn ein Liebesglück versteckt ge-
wesen. Und jetzt war es doch so. Eine große
Liebe, die nicht fragt, warum, wober, wohin,
hüllte den Stillen ein. Amadeus Mund erlebte
die Wunder der Liebe und er blühte, blühte in
seiner reinsten, herrlichsten Form.
Das Auto, das den Generalstabshauptmann
Zügenjörg mit Karlen und Befehlen barg, ratterte
in die trostlo'e Ebene. Das in Friedenszeiten
arme Landtchaftsbild sah jetzt in seiner Bettler-
armut beinahe grotesk aus. Die wenigen Bäume
waren zerzaust und herabgekommen. Die Felder
wiesen wie schamlose Bettler ihre Gebresten, die
erdblutenden, ungeheuren Wunden. Manchmal
setzte sich der übermütig streichende Wind auf
einen Telegraphenmast, den die Bosheit des Zu-
falls stehen gelassen, und blies auf dem hängen-
den Drahte sorglose Melodien, daß es war, als
lachte er die Bettlergegend aus.
Zügenjörg hatte endlich Zeit, Briefe zu lesen.
Nur einen Menschen batte er auf der Welt und
dieser Frau hatte er geschrieben: „Es ist hier, als
hätte die Welt alle Krankheit des Lebens aus-
zuschwären — so unendlich traurig, so bäßlich.
Lese ich aber Deine Briefe, dann fällt ein goldener
Mantel über die Wunden. Schönheit blüht über
Tod und Verderben. Gib mir alle Güte und
Schönheit Deines Lebens, Weib, damit meine
Seele nicht flügellahm werde." Und die Frau
schrieb nichts als Liebe und Schönheit. Jetzt
ließ er die großen, klaren Schriftzüge zu sich
sprechen. Sie erzählte von vergangenen Tagen.
Und dann sagte sie: „-und das Merk-
würdigste ist, daß ich Deinen Mund längst
kannte. Es war in Pompeji. Ein kleines Ge-
mach — man sagte mir, ein Liebesnest, —
dessen Wände eine ganz eigenartige Guirlande
schmückte. Ein Amorbogen reihte sich an den
anderen. Es war, als sei der Künstler trunken
in Formenschönheit geworden. Es war die
vollendeteste Linie, die ich je gesehen. Oft
mußte ich später an sie denken, die niich so
seltsam bewegt hatte. Faustens Sinnen über
die kabbalistischen Zeichen wurde mir ver-
ständlich. Es gibt Lmien und Zeichen, die
etwas Unerkanntes in uns bewegen. Und
eines Tages sah ich Deinen Mund. Liebster!
Da wußte ich es. Der Amorbogen war die
Linie meines Schicksals. Dein herrlicher, klar-
geschnittener Mund! Ich glaube, ich wäre an
der Sehnsucht, ihn wiederzusehen, erkrankt.
Doch mein Geschick stand erst in der sanften
Anichwingung meiner Linie und so mußtest
Du meine Bewegung merken und so mußte
cs kommen, daß diei'er Mund mir gehörte. Liebster,
ich küsse ihn in meinen Gedanken, Deinen
wunderbaren Mund —" Hui! Hui! rrrrrrtsch!
Knapp hinter dem Auto rissen feindliche Artillerie-
geschosse den Erdenleib auf. Zügenjörg steckte die
Briefe l ästig ein. Er gab Befehle. Weiterlesen
war unmög ich. Man mußte Augen und Ohren
offen halten, um dem Feuer auszuweichen. Aber
dann schlug es doch ein.
Als Hauptmann Zügenjörg aus der Narkose
erwachte, dauerte es lange, bis er sich ein wenig
zurechtfand. Den Kopf vermochte er nicht zu
heben. Es war, als wäre außer seinen Augen
alles tot. Aber auch die Augen hinderte ein
Wall weißen ZÄlges ani Erkunden.
Nach einiger Zeit wurde es dem Hauptmann
klar, was mit ihm geschehen. Er wollte 'prechen,
aber es ging nicht. So kam Amadeus Zügeniörg
langsam darauf, daß sein Gesicht teilweise zer-
rissen war.
Wunschlos dämuiernde Wochen vergingen.
Aber dann stand plötzlich ein frecher, greller Tag
breitbeinig vor Zügenjörg. Der Verband war ab-
genommen worden und Zügenjörg war im Kopfe
so weil klar, daß er an das Fenster treten konnte.
Es stand weit offen. Draußen lag stiller Park-
friede in Mittagsglut. Amadeus Zügenjörg sah
lange hinaus. Dann reichte er den Ärzten, die
sich über sein Gesunden so freuten, die Hände
und wollte danken. „Die ersten Worte," dachte
er. Dann kamen seine Dankworte — aber er
erschrak vor diesem Sprechen. Ganz fremd klang
es ihm. Das Formen der Wo>te machte ihm
Mühe. Gequält wandte er sich ab. Da fielen
seine Blicke aus die spiegelnden Fensterscheiben
und entsetzten sich, wurden dunkel von der Tränen-
welle, die Zügenjörgs Stolz nicht überfließen lassen
wollte. Die Ärzie sprachen ihm zu, die Schwester
streichelte ihn. Scheu streiften seine Blicke die
Scheide. Die Arzte erzählten, wie schwer der
Fall war, w>e der Erfolg der Operation sie freue.
Eigenilich sei die Entstellung nicht so arg. Nur
den Mund habe man nicht schöner nähen können.
Er müsse eben ein freundlicher Herr bleiben; doch
das falle einem Österreicher ja nicht schwer.
Dann blieb bie Schwester bei ihm und zeigte
ihm einen Stoß Briefe, alle mit der gleichen klaren
Schrift. Er dürfe aber nur wenig lesen — erst
in einigen Tagen. Und sie gab ihm auch die
Briefe, die man aus seinen blutbeschniutzten Klei-
dern genommen hatte. Obenauf legte sie ein
kuvertloses Blait. Zügenjörg starrte darauf. Wort
für Wort sprang aus dem Platte in sein Erinnern
und senkte sich messerscharf in sein Herz. Aus Zügen-
jörgs weitoffenen Augen rannen Tränen der Ver-
zweiflung in seinen grinsend verzogenen Mund.
Nie niehr konnte er es wagen, vor sie zu treten,
deren ganzer künstlerischer Sinn seine einzige Schön-
heil liebte, seinen wunderbaren Mund. Und er weinte
— weinte bis zur Entsagung. Und dies einemal
mußte Zügei'jörg jenes schwankende Gefühl an
sich erleben, das man Feigheit nennt. Zitternd faßten
feine Finger das lo e Blatt und schoben es in die
Brieftasche. Die anderen Briefe schob er bei Seite.
Zügenjörg war niachtlos über die Tränen geworden.
t>70
C. Max (Schwere Munit.-Kolonne)
Das örinfcn des fjauptmanns
HmaDeus 3ügenjörg
Von Berta reich (Wien)
Die Jugend des Amadeus Zügenjörg
konnte man die Kaltwasserkur seines Lebens
nennen. In der Tat war auch seine erste,
wirklich schreckliche Erinnerung das eiska.te
Wasser, das dem bis dahin so verwöhnten
Jungen jetzt in der Kadettenschule bei der
Morgen- und Abendtoiletie Hilfsdienste zu
leisten hatte. Me hatte sich Amadeus so ver-
lassen gefühlt wie an jenem ersten Abende in
der Kadetten' chule. Und als der kleine Junge
da zum ersten Male im Leben die bittersten
Tränen, die der hilflosen Verlassenheit, der
kalten Nacht ichenken mutzte und niemand
war, der auch nur ein leises Streicheln für
den kleinen, zuckenden Körper hatte, da war
er gleichsam erfroren. Sein Gesicht blieb ernst
und i ein Herz ein! am. Er wurde ein Alleingeher.
„Laßt ihn, er spinnt," hieß es, wenn der kleine
Amadeus von der Kameradschaft nicht niehr in
Anspruch nahm, als es die Schule und die Pflicht
erforderten. Er war ein ernster Junge, der durch
seine Angeschlossenheit Zeit fand, sich mit den
Dingen über den Lehrstoff hinaus zu beschäftigen.
„Zügenjörg, der Spinnete" ging es ihm in
sein Berufsleben nach und ließ die Kameraden
seine Einsanikeit respektieren. Man kam nur zu
ihm, wenn man etwas brauchte, und konnte sicher
sein, Hil e zu bekonimen.
Eines Tages war er auf irgendein Fort ver-
schwunden,
„Jetzt wird er sich ganz einspinnen," lächelten
die Kameraden. Freilich spann er sich ein. Zn
sein tiefes Gefühl für die Pracht der Berge, die
wie der Gottheit Mantel um fein Fort gebreitet
lag Er spann sich ein in seine verstehende Freund-
schaft zu Kant und in 'ein Erleben des Goethe,
Und er spann sich ein in seine Sehnsucht nach
Beethoven. Aber die schwächsten Spinnfäden
waren es nicht, die von seinem Berufe um ihn
liefen. Zügenjörg datte da paradox:
„Militarisnius ist der sicherste Weg zum ewigen
Frieden. B s an die Zäbne müssen wir bewaffnet
sein, um gründl'ch abrüslcn zu können." Vielleicht
war das eine Ausrede des ererbten wilden Berg-
bauernblutes in Zügen örg, das sich vor den Idealen
Kants entschuldigen zu müssen glaubie. So war
Zügenjörg einge ponne» in seine Eigenart. Daß
noch niemand Zügenjörg laut lachen gehört hatte,
kam wohl daher, weil er alle Eindrücke erst durch
seine Seele führte und dann kam höchstens ein
feines, mildes Lächeln zu Tage, das den wunder-
schönen Mund des Zügenjörg mit einer Gloriole
von Menschlichkeit krönte. Zügenjörg war kein
schöner Mann, aber ein besonderer. Die Gestalt
groß und hager. Die Arme und Beine staken im
Körper, als seien sie Wesen für sich, wie man
das bei Bergbauern oft iehen kann. Sein Gesicht
war scharfkantig und dunkel, die Haare straff und
von einer zwischen drnp und braun schwankenden
Färbung, Die wasserblauen Augen standen groß
und weit geöffnet wie bei Menschen, die über
das Leben hinausblicken. Die Nase setzte von
der etwas niederen Stirn scharf und schmal an
und fiel in einem scharfen Haken ab. Zügenjörgs
Mund aber war wie ein Liebesgedicht, ein feines,
zartes Liebesgedicht, das einer aus wundem Her-
zen mit Lettern von Kirschblütenblättern auf eine
verwitterte Granitplatte geschrieben hat. Und wie
Zügenjörg alles Schöne liebte, so liebte er auch
seinen Mund. Er konnte ihn oft lange im Taschen-
spiegel betrachten. Und dann übcrkam ihn wohl
auch warme Dankbarkeit, weil ihn die Natur zum
Träger einer so vollendeten Schönheit geniacht hatte.
Zügenjörg war aber nicht so sehr eingesponnen,
daß ihn seine Vorgesetzten nicht aus seiner Ver-
sonnenheit hinaus und auf die Kriegsschule ge-
zogen hätten, „Siehst Du, ich bin Wien," sprach
die alte Stadt zu ihm und zeigte ihm die schönen,
alten, kleinen Häuser, die wie verwunschene Prin-
zessinnen in dem Walde der Gebäuderiesen träu-
nien. Und sie zeigte ihm den alten Dom, der so
vieler Meister höchstes Können in sich trägt: Ge-
danken der Ewigkeit und Gedanken der Laune
liegen in ihm. Jedes Winkelchen, jedes Türmchen
erzählt vom Gedankenreichtums eines Volkes.
Und sie zeigte ihm die Gärten, die sich allcntbalben
durch die Stadt schmeicheln und deren süßes Duften
wie Klänge der V'ola ä'smour die Großstadt-
symphonie durchleuchtet. Sie führte ihn in die
Weinberge, ü 'er denen das ganze Jahr Gottes
Güte liegt. Gotteslächcln im Früliling, Goites-
sinnen im Sommer, Gottesfreude im Herbste,
Gottesfriede im W'Nter. Und Wien ließ den
ernsten Mann verträumt an dem Weinbergwege
„Auf der Ried an den langen Lüsten" stehen und
weckte mit dem sonderbaren Namen Märchen und
Sagen auf. die ihm die einsamen Abende zuge-
flüstert hatten. „Siehst Du, ich bin Wien!" lachte
der frohe, leichtsinnige Prater und lockte das nach-
sichtige, feine Lächeln um den ichönen Mund.
„Ich bin W'en," sagte das Kaiser chloß in
Schönbrunn und zeigte vornehm lässig seine feu-
dale Pracht.
„Ich bin Wien," lächelten die dunklen und
hellen Frauenblicke. Und eines Tages glitt ein
solcher Frauenblick aus Zügenjörgs weitgeöffneicn
Augen sachte hinaus und senkte sich auf seinen
schönen Mund und blieb dort liegen, bis die
dunklen Winipern die Augensterne verdeckten und
die in tiefem Rot erglühenden Wangen be'chwer-
ten. Und so hatte Amadeus' geliebtes Natur-
kunstwerk erst seinen Wert gefunden. Es kam
eine glückliche Zeit für Zügenjörg. Nimmer hätte
er gedacht, daß in des Lebens weiten Mantel-
taschen auch für ihn ein Liebesglück versteckt ge-
wesen. Und jetzt war es doch so. Eine große
Liebe, die nicht fragt, warum, wober, wohin,
hüllte den Stillen ein. Amadeus Mund erlebte
die Wunder der Liebe und er blühte, blühte in
seiner reinsten, herrlichsten Form.
Das Auto, das den Generalstabshauptmann
Zügenjörg mit Karlen und Befehlen barg, ratterte
in die trostlo'e Ebene. Das in Friedenszeiten
arme Landtchaftsbild sah jetzt in seiner Bettler-
armut beinahe grotesk aus. Die wenigen Bäume
waren zerzaust und herabgekommen. Die Felder
wiesen wie schamlose Bettler ihre Gebresten, die
erdblutenden, ungeheuren Wunden. Manchmal
setzte sich der übermütig streichende Wind auf
einen Telegraphenmast, den die Bosheit des Zu-
falls stehen gelassen, und blies auf dem hängen-
den Drahte sorglose Melodien, daß es war, als
lachte er die Bettlergegend aus.
Zügenjörg hatte endlich Zeit, Briefe zu lesen.
Nur einen Menschen batte er auf der Welt und
dieser Frau hatte er geschrieben: „Es ist hier, als
hätte die Welt alle Krankheit des Lebens aus-
zuschwären — so unendlich traurig, so bäßlich.
Lese ich aber Deine Briefe, dann fällt ein goldener
Mantel über die Wunden. Schönheit blüht über
Tod und Verderben. Gib mir alle Güte und
Schönheit Deines Lebens, Weib, damit meine
Seele nicht flügellahm werde." Und die Frau
schrieb nichts als Liebe und Schönheit. Jetzt
ließ er die großen, klaren Schriftzüge zu sich
sprechen. Sie erzählte von vergangenen Tagen.
Und dann sagte sie: „-und das Merk-
würdigste ist, daß ich Deinen Mund längst
kannte. Es war in Pompeji. Ein kleines Ge-
mach — man sagte mir, ein Liebesnest, —
dessen Wände eine ganz eigenartige Guirlande
schmückte. Ein Amorbogen reihte sich an den
anderen. Es war, als sei der Künstler trunken
in Formenschönheit geworden. Es war die
vollendeteste Linie, die ich je gesehen. Oft
mußte ich später an sie denken, die niich so
seltsam bewegt hatte. Faustens Sinnen über
die kabbalistischen Zeichen wurde mir ver-
ständlich. Es gibt Lmien und Zeichen, die
etwas Unerkanntes in uns bewegen. Und
eines Tages sah ich Deinen Mund. Liebster!
Da wußte ich es. Der Amorbogen war die
Linie meines Schicksals. Dein herrlicher, klar-
geschnittener Mund! Ich glaube, ich wäre an
der Sehnsucht, ihn wiederzusehen, erkrankt.
Doch mein Geschick stand erst in der sanften
Anichwingung meiner Linie und so mußtest
Du meine Bewegung merken und so mußte
cs kommen, daß diei'er Mund mir gehörte. Liebster,
ich küsse ihn in meinen Gedanken, Deinen
wunderbaren Mund —" Hui! Hui! rrrrrrtsch!
Knapp hinter dem Auto rissen feindliche Artillerie-
geschosse den Erdenleib auf. Zügenjörg steckte die
Briefe l ästig ein. Er gab Befehle. Weiterlesen
war unmög ich. Man mußte Augen und Ohren
offen halten, um dem Feuer auszuweichen. Aber
dann schlug es doch ein.
Als Hauptmann Zügenjörg aus der Narkose
erwachte, dauerte es lange, bis er sich ein wenig
zurechtfand. Den Kopf vermochte er nicht zu
heben. Es war, als wäre außer seinen Augen
alles tot. Aber auch die Augen hinderte ein
Wall weißen ZÄlges ani Erkunden.
Nach einiger Zeit wurde es dem Hauptmann
klar, was mit ihm geschehen. Er wollte 'prechen,
aber es ging nicht. So kam Amadeus Zügeniörg
langsam darauf, daß sein Gesicht teilweise zer-
rissen war.
Wunschlos dämuiernde Wochen vergingen.
Aber dann stand plötzlich ein frecher, greller Tag
breitbeinig vor Zügenjörg. Der Verband war ab-
genommen worden und Zügenjörg war im Kopfe
so weil klar, daß er an das Fenster treten konnte.
Es stand weit offen. Draußen lag stiller Park-
friede in Mittagsglut. Amadeus Zügenjörg sah
lange hinaus. Dann reichte er den Ärzten, die
sich über sein Gesunden so freuten, die Hände
und wollte danken. „Die ersten Worte," dachte
er. Dann kamen seine Dankworte — aber er
erschrak vor diesem Sprechen. Ganz fremd klang
es ihm. Das Formen der Wo>te machte ihm
Mühe. Gequält wandte er sich ab. Da fielen
seine Blicke aus die spiegelnden Fensterscheiben
und entsetzten sich, wurden dunkel von der Tränen-
welle, die Zügenjörgs Stolz nicht überfließen lassen
wollte. Die Ärzie sprachen ihm zu, die Schwester
streichelte ihn. Scheu streiften seine Blicke die
Scheide. Die Arzte erzählten, wie schwer der
Fall war, w>e der Erfolg der Operation sie freue.
Eigenilich sei die Entstellung nicht so arg. Nur
den Mund habe man nicht schöner nähen können.
Er müsse eben ein freundlicher Herr bleiben; doch
das falle einem Österreicher ja nicht schwer.
Dann blieb bie Schwester bei ihm und zeigte
ihm einen Stoß Briefe, alle mit der gleichen klaren
Schrift. Er dürfe aber nur wenig lesen — erst
in einigen Tagen. Und sie gab ihm auch die
Briefe, die man aus seinen blutbeschniutzten Klei-
dern genommen hatte. Obenauf legte sie ein
kuvertloses Blait. Zügenjörg starrte darauf. Wort
für Wort sprang aus dem Platte in sein Erinnern
und senkte sich messerscharf in sein Herz. Aus Zügen-
jörgs weitoffenen Augen rannen Tränen der Ver-
zweiflung in seinen grinsend verzogenen Mund.
Nie niehr konnte er es wagen, vor sie zu treten,
deren ganzer künstlerischer Sinn seine einzige Schön-
heil liebte, seinen wunderbaren Mund. Und er weinte
— weinte bis zur Entsagung. Und dies einemal
mußte Zügei'jörg jenes schwankende Gefühl an
sich erleben, das man Feigheit nennt. Zitternd faßten
feine Finger das lo e Blatt und schoben es in die
Brieftasche. Die anderen Briefe schob er bei Seite.
Zügenjörg war niachtlos über die Tränen geworden.
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