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Der Silberputzer

C. Schuch f

das keinen Ton mehr hat und dennoch seine
Stunden zu Ende schlagen will. . .

Und doch war dieser Stundenschlag nicht der,
auf dessen Ruf die Tränen von Großmutters
Kindern tmd Enkeln harrten.

Denn als seine dumpfe Hammerstimme ver-
klungen war, begann all das lächerlich Alltäg-
liche, das sich um die sinkenden Särge häuft, bis
sie ganz zur Ruhe gekommen sind: Reden, Kranz-
niederlagen, Zylinderdrehen, Schnauben in Schnupf-
tücher, Trippeln von Fähen, welche Erkältung
und von Stiefeln, die den Schmutz fürchten,
heimliches Blinzeln auf Taschenuhren und künst-
liches Hochziehen von Rührungsfalten, und dies
fühlbare Sichempfehlen der Gedanken, die nur
aus Höflichkeit eine Weile mitgekommen sind,
aber nun längst wieder ihren anderen Geschäften
nachgehen . . . Man hörte deutlich, wie Groß-
mutters schwarzes Seidenkleid im Grabe raschelte,
als sie sich gelangweilt während all dessen zur
Seite drehte, und selbst die Bäume und Spatzen
fingen wieder an, frech zu werden und sich über
die Menschen zu unterhalten ...

Endlich hatte» die Trauergäste, einer nach den,
andern, ihre Handvoll Erde in die Grube ge-
schaufelt, den Leidtragenden nochmal die Hand
geschüttelt und sich, einer nach dem andern, ver-
loren, Es war ganz leer geworden um das offene
Grab, ganz, ganz leer und stille.

Da trippelte zu allerletzt noch ein winziges,
vertrocknetes und aschhaariges Weiblein heran,
goß drei Grüße Weltstaub hinab, mit zitternden
Händen, wie wenn einer Wein aus einem Becher
vergießt, und wandte sich dem Sohne der toten
Großmutter zu. Der stand hoch und bärtig vor
ihr, sie mußte das gebeugte Haupt mühselig er-
heben, um ihm in die Augen zu sehn, und der
kleine lippenlose Mund lächelte verlegen, als sie
sprach: „Sie kenne mich nit meh? Es isch auch schon
so lang her! Bor sechzig Jahr Han ich Sie aufni
Arm getrage. Ich war Kindsmädche bei Iherer
Mutter selich, und wie ich gelese Hab, daß sie tot isch,
Hab ich ihr die letschte Ehr doch gebe gemüßt. Ach.
war se gut zu mir! Ach, war fe e gute Frau!.. "

So sprach die kleine verrunzelte Greisin, mit
einem scheuen, bebenden Stimmchen, das sonderbar
fbmmrig und doch warm wie Kaminfeuer, und hatte
eine ganz kleine tautropfige Träne am geröteten
Lide. Sieh, da wußten die Tränen der andern auf
einmal, daß eine Schwester ries und daß sie strömen
durften, frei, rein, erlöst und unaufhaltsam. Sie
hatten den richtigen Stundenschlag vernommen,
den Schlag eines Herzens von so rührender Zart-
heit und Liebe, daß es den Trauernden fast wie ein
Wiedersinden des verlorenen schien. Wie ein neues
und noch wunderlicheres Märchen, das Märchen
von der winzigen alten Dienerin, die den großen
alten Vater auf ihren Armen getragen haben wollte!

Und so hat Großmutter noch die schönste Grab-
rede bekommen, die einer sich denken kann, und
es ist sicher, daß sie sich in ihrem dunklen Bette
nun wieder umgedreht hat und froh geworden
ist. Denn als nachher die Männer das Grab zur
schütteten, soll es geklungen haben wie ein lustiger
Reitermarsch, den eine Mutter mit Knöcheln und
Fingern ans Fenster trommelt, indessen ihr Bub
auf dem Arme hüpft.

Oie Stuttgarter Hoheit

Wir lagen in Reserve, waren recht vergnügt
und allerlei heimatliche Erinnerungen wurden aus-
gekramt. Da fiel der Name Stuttgart. „Stutt-
gart," sagt plötzlich neben mir melancholisch der
hagere Bayer, der den ganzen Tag auf der Suche
nach Zigarren war, sonst aber kaum was redete.
„Stuttgart! Kennen Sie Stuttgart genauer?" frage
ich. „Nein, ich war nur einmal eine Nacht und einen
Tag dort, aber ich Hab' eine schauerliche Erinne-
rung daran." — Gern hört man im Feld von da-
heim erzählen, es strecken sich dem Bayern ein
paar Zigarrentaschen hin: „Na, erzählen Sie mal!"

„Also, mein Vetter ist nämlich dort 'traut word'n,
er hat eine Schwäbin g'heiratet." „Ausgezeichnet;
daß aber Sie davon eine unangenehme Erinnerung
haben sollen, wenn Ihrem Vetter wgs Unrechtes

passiert ist? So eine Hochzeit ist doch ganz netl
wenn man nicht gerade derjenige welcher ist."

„Ja, das Hab' ich auch denkt, aber jetzt passen
S' auf, meine Herrn: Sehen Sie, die Deutschen
sollen sich durch auffallende Sippentreue aus-
zeichnen. Ich Hab' auch net z'wenig von der
Tugend und fahr' also nach .Schtuagerst, wie die
Schwaben sagen, um dort mei'm Vetter 's letzte
Geleit z' geben. Nebenbei denk' ich: Gutes
Trinkeir, vorzügliches Essen, Brautjungsrauen —
die Stadt soll auch sehr schön sein — da willst
du dir's einmal gut gehen lassen. Mein Vetter
und seine Braut holen mich ab. Ani Polterabend
drucken wir zwei uns niöglichst rechtzeitig und
trinken noch in unserem Hotel einige Flaschen.
Da das Gasthaus sehr besetzt war, haben wir ein
Zinimer mit zwei Betten gekriegt und entschlum-
mern auch friedlich. Am Morgen steht mein leib-
licher Vetter auf, macht sich tüchtig niit Wasser frisch
und dann, — ich denk', mich trifft der Schlag, —
holt er aus seinem Koffer eine lange, buttergelbe
Leibbinde aus Flanell und fangt an, die um sich
'runi z' wickeln. ,Herrgott im Himmel/ sag' ich,
.alle Leut', die heiraten, ham einen Vogel, daß Du
aber so weitgehend wahnsinnig bist, hält' id) doch
net glaubt! Ich bitt' Dich dringend, lieber Vetter
und königlich bayrischer Forstamtsassessor, zieh' doch
zu Deiner Hodizeit kei' Leibbind'n an. Willst Du
denn Dein Stand, Dein Land und besonders Deine
Familie einer gräßlichen Blamasäi aussetzen?'

,Oh/ sagt mein Vetter, der königlich bayrisä>e
Forstamtsaffessor, .daran bin ich gewöhnt — sonst
erkält' ich mich am End'? — Ich find)', ich be-
schwör' ihn, id) droh': ,Auf Dei' Hodizeit geh' id)
überhaupt nit; oder ich geh' hin und halt mitten
im Betrieb eine Red' auf Dei' Leibbind'n?

.Alsdann? so sagt mei Vetter, .fällst sicher
'rein, denn da kommen ein paar Meergreis', die
gewiß aud, so was anham? — Ich red' ihm zu,
wie der Bauer einer kranken Kuh. Ich mach'
einen Höllen-Krad,. Id> versprcd)' ihm mei neue
Doppelbüchs'n. Es hat alles nix g'nutzt, er hat
sid) weiterhin in sei lange, buttergelbe flanellene
Leibbind'n g'wickelt. Kurzum, der ganze Tag war
mir versaut. Aufm Standesamt war der Beamte
außerordentlid) herzlich, daß ma schier Lust kriegt
hätt', sid, selber trauen z' lassen. In der Kirch'
hat der Pfarrer sei Sach' sehr gut und feierlich
g'mad)t, id) Hab' aber immer an die Leibbind'n
denken muffen und an die Sdiand', die id) heut'
noch erleben muß. Wie ich als Zeuge unter-
sd,rcib'n muß, hält' id) beinah unter Stand „Leib-
binde" hing'schrieb'n. Und nie! Brautjungfer, die
muß mich für einen schönen Stoffel g'halten Ham,
denn id) Hab' gar keinen rechten Sinn für sie
g'habt lind auch beim feinsten Essen — das Trinken
hat mir überhaupt nit g'sd>meckt! — immer an
die verflixte Leibbind'n denken müssen. Bei einer
Torten, wo die Creme so gelb war wie die könig-
Iid) bayrische forstassessorliche Leibbind'n, ist es
mir beinah übel word'n. Also, id) Hab' schrecklich
ausgestanden: Abends Hab' ich mid) bald druckt,
nachdem id) vorher noch zu der neugebackenen
Frau g'sagt Hab': .Arm's Würmerl, Du dauerst
mich, daß Du den da erwisd)t hast/ was von der
ganzen Hodizeitsgesellschaft als ein sehr guter Witz
betrachtet wurde, und mich wieder g'ärgert hat.

Id> saus' also fort, aber in Mannheini, wo id)
spät abends aussteigen will, denk' ich dran, daß
sich irgendwo da drunten int Schwabenland mei
Vetter gerade „entwickelt". Entsetzt stürz' ich in den
nädisten Zug, um möglidist weit weg vom Schuß
zu komnien, und erst in Frankfurt bin id) ruhiger
word'n. Aber wohl ist's mir auch die nädisten Tag'
net g'wesen. Und wenn id) heut' Alpdrücken Krieg',
dann legt sid) die lange Leibbind'n von mei'm Vetter
auf mei Brust und raubt mir den Sdinaufer."

Wir grinsten alle beträchtlich, als der Bayer
schwieg und sid) eine neue Zigarre anbrannte.
„Na, hören Sie mal, im Feld leistet aber eine
warme Leibbinde uns allen sehr gute Dienste."

„A so, im Feld," sagte der beharrliche Ber-
ädster der Leibbiede unersdiütterlich, „im Feld
verwöhnt'» Ihr Eud) gräßlich, besonders mit die
wollenen Bind'n. Was wollt's denn dann da-
heim anziehn, wenti Ihr Hod>zeit mad)t?"

Hugo Vogl
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