weiter mit Fragen an sein Innerliches Hera».
Ich forschte ihn ans nach den, Antrieb und Sinn
seiner Handlung. Und jeder Frage hallte aus
ihm Antwort wider, während seine Erlöseraugen
tieferen Glanz entstrahlten.
Er schien erfüllt vom Bewußtsein einer höheren
Berufung, die sein Wort mit Klarheit durchbrach.
Ich durste sein Wesen nicht krank nennen und
mußte mich doch hüten, an Geheimnisvolles zu
glauben Etwas, das ihn über Gewöhnliches
hinaushob, lebte stark in ihm. Es konnte Gläu-
bigkeit sein, Frommheit, Fanatismus.
' Und so tief verstrickt schon war ich in die Er-
gründung dieses Schicksals, daß ich den Mann
noch nicht verlassen konnte. Lichtschein fing den
schwebenden Umriß seines Gesichtes ein, das von
Erlittenem durchackert war und dessen Furchen
von Güte betaut waren. Schatten flochten sich
dornig um Stirn und Schläfen.
Ich beugte mich tiefer an sein Ohr und fragte
leise in ihn hinein: „Schmerzt die Wunde?"
„Nichts ist ohne Schmerz," sagte er; „mich
schmerzen die tausendmal tausend Wunden, die
jeder Tag schlägt; aus allen aufgerissenen Adern
blutet mein Blut, mich durchzuckt aller Krampf
der Sterbenden, meine Kehle zerreißt ihr Schrei,
und die Glut der Fiebernden loht nrich aus ..."
„Sie lieben den Frieden?" flüsterte ich. „Wa-
rum haben Sie sich in den Kampf begeben? —
Was haben Sie erlebt, Beatus Mensch, das; Eie
so wund sind, wund bis an die Hirnhaut ....
„Meine Seele ist durch das Leid der Welt
gewandert; nun darf sie heimkehren und Ruhe
haben ..." antwortete er. Heiligkeit war in diesem
Mitfühlen aller Schicksale und strahlte aus ihm.
Unsere Stimmen klangen gegen einander wie Ruf
und Widerhall. Mit einer großen und ruhigen
Geste aber brach er das Gespräch ab und ließ
die Lider schwer über den Glanz der Augen fallen.
Gestalt und Wesen dieses Mannes aber folgten
mir. durchdrangen selbst Schlaf und Traum. Auch
der neue Tag fand mich nicht williger, Wunder-
liches zu glauben, Ungewöhnliches zu verneinen.
Ich fand Beatus Mensch am Lager eines Sol-
daten, den der Tod gezeichnet. Er halte sich stark
genug gefühlt, sich zu erheben, und als ich ihm
seine Eigenmächtigkeit verwies, lächelte er sanft
und sagte leise: „Leben kann der Mensch allein,
aber allein sterben ist schwer. . .. Wo sollte ich
sein, wenn nicht bei den Sterbenden?"
Ich ließ ihn nach seinem Willen tun; er saß
bei den Verwundeten und tröstete sie, ihr Schmerz
wurde vor ihm stumm; er sprach den Sterbenden
vom Leben und sie glaubten, den Sehnsüchtigen
zeigte er die Erfüllung und sie fanden Aufschwung,
die Hoffnungslosen stählte er mit neuen Ver-
heißungen und vor den Wunden ließ er den
Glanz kommenden Friedens warm erstrahlen.
Wunder quollen aus feinem Wesen; er gab sich
hin an die Geschlagenen und sie empfingen ihn,
schmachtend nach Stillung und inbrünstig, wie
eine Komniunion. Er aber stand in diesem Ge-
schehen zwischen Traum und Wirklichkeit. Licht
durchäderte die lastende Schwüle des Raumes und
es spann sich um ihn wie eine heimliche Glorie.
Er war diesen Männern, die den Staub der
Schlacht noch an sich trugen, nicht fremd. Ich
befragte diesen und jenen; irgendwo einmal war
er mit ihnen gewesen, so sehr sie auch hier sich
aus dem großen Ungefähr der Kampfplätze zu-
sammengeworsen fanden. Irgendwo einmal hatte
er mit ihnen sein Brot geteilt, neben ihnen in der
Ackerfurche geschlafen, den Verband um ihre
Wunde geschlungen, mit ihnen unter der wählen-
den Hand des Todes gestanden. Und sie hatten
seine Macht innig und voll Demut empfunden.
Er war gekommen und gegang n, als seien
die Kampfplätze Raststätten seiner Lebenswande-
rung. Scheu vor seinen, Wesen und Ehrfurcht
hatte alles Fragen in die Männer zurückgedrängt.
Und wenn er unter ihnen wieder erschien, war
es, als sei er niemals wirklich von ihnen fort-
gegangen. So war er mit ihnen gezogen auf
dem schweren Wege des Rückzugs nach der Leni-
Feld-Unterarzt E. Schmidt
^Pctß ~ ilcmlicm
berger Schlacht, mit ihnen in, Eis der Karpathen
und dem rasenden Kämpfen uni die Pässe hatte
er gestanden, war als Liebender im Haß und als
Helfer auf den Feldern gewandert, wo Haufen
von Menschen gegen Haufen geschleudert wurden,
die sich zerrieben.
Welcher Geist stählte ihn auf zu solchem Han-
deln? Aufragend stand in ihm dieser Wille, gütig
zu sein; sich ganz zu erfüllen in tief begriffener
Sendung: zu Haß, Grausamkeit, Tod und Schmerz
als Gegensatz zu stehen; das Gewicht dieses un-
geheuren Kriegsgeschehens auszugleichen mit einer
maßlosen Opferliebe zu allem, was lebte.
Langsam begriff ich ihn und erkannte, daß er
nicht fanatisch einer Idee gehorchte, sondern alles
der Notwendigkeit seines Herzens entsprang, daß
nichts an ihm wissende Hebürde war, sondern
verzehrende Hingabe an die Not der Welt. Aus
dieser fiebernden Menschheit strömie alle Güte
zusammen in einen Menschen; sie bildete ihn zum
sänstigenden Ausgleich gegen Roheit, gegen Haß,
gegen Taumel, gegen alle Feindschaft, die die
Zeit und die Geister überfinsterte; sie stellte in ihm
die ausgerottete Friedlichkeit wieder her und er-
löste die Leidenden von der Härte des Krieges.
In diesem Sinne ging er als Erlöser über die
Felder des Blutes und hinterließ auf seinem Wege
die Spur der Milde; er trug das heilige Feuer
der Liebe durch die Nacht von Haß und sein Auge
verhieß Friede, der kommend war.
Ich sah Beatus Mensch am Abend wieder
und fand ihn bleich ruhend auf dünimriges Lager
versunken. Feierlichkeit lag über Gesicht und Ge-
stalt gebreitet. In seinen Augen wachte Schlaf-
fern aller Wille und alle Freudigkeit zu Güte und
Liebe, Demut und jede Bereitschaft.
Ich neigte mich zu ihm hin und sagte: „Schla-
fen Sie .... Schlaf heilt und stärkt, und Sie
müssen müde sein . . .."
Er antwortete leise: „Ich ,»uß wachen und
warten ...."
„Warten? Auf wen?" fragte ich.
„Auf den, der mich heimrust," sagte er und
fugte hinzu: ,.. . . den Tod . . ."
»Wer spricht hier von Tod?" ries ich mit Ver-
wundern. „An einer solchen Wunde stirbt man
nicht . . ."
Da hob er seine Hand in das sanfte Scheinen
des Lichts und sagte: „Ich sterbe nicht an meiner
Wunde, — aber ich sterbe an den Wunden der
Welt . . ." Nnd er wandte den Kopf ruhig und
bedeutsam zur Seite und schwieg.
Er war fieberfrei und hatte Kraft genug, zu
lebe», seine Wunde war ungefährlich. Woher
diese Voraussicht nahen Sterbens? Vielleicht war
cs nur das gesteigerte, erschöpfende Mitfühlen der
Not, die Menschen litten, deren Kreuzträger er
sich fühlte. Und ich war voll Unruhe um das
Schicksal, das mir so nah sich vollendete.
Am nächsten Morgen untersuchte ich Beatus
Mensch und zog einen zweiten Arzt hinzu, weil
ich allein nicht Verantwortung tragen wollte; doch
die Wunde war rein und gut. Aber Veränderung
breitete sich schon in ihm aus; er hielt den herben
Mund geschloffen wie zu ewigem Schweigen und
die Augen sahen nach innen. Gegen Mittag siel
rotes Fieber ungestüm über ihn her; stumm lag
er und glühte, als verzehre der Leib sich opfernd
in einer letzten Tat der Liebe für die Menschheit.
In der dritten Nacht starb er. Ich erwartete,
daß wie durch mich ein Beben und Reißen durch
die Erde gehe, aber der alte Planet schwieg und
hüllte sich tiefer in Nacht.
Vom Sterbelager traten wir ins Freie hinaus.
Finster sinterte Nacht in das zertrümmerte Dorf.
In Ferne brannten die Erdölquellen und Erde
und Himmel schmolzen in unermeßlichem Glühen
zusammen. Ich berührte den Arm des jungen
Arztes, der neben mir stand, und fragte an ihm
vorbei in die brennende Nacht: „Was glauben
Sie, woran dieser Mann gestorben ist. .. ?"
Und sah, wie er sein Gesicht mir zudrehte,
und unbeirrt und mit einer Nüchternheit, um die
ich ihn beneidete, antwortete er: „Ich habe Starr-
krampf festgestellt; seine Verwundung war nicht
tödlich."
„Nein," sagte ich, „an dieser Wunde konnte
er nicht sterben..."
Und ich dachte darüber nach, daß in der Nacht
seines Sterbens das Land brannte.
Ich hörte die kühle Stimme des Arztes an
mein Gehör tropfen: „Die Russen haben die Öl-
zisterne» von Boryslaw angezündet. . . Houbicz
und Modricz brennen. . . . Jetzt wissen die in
Lemberg, wenn sie den Himmel ansehen, daß
wir siegten..."
Die Erde erbrach Feuer, stieß Flammen und
Rauch in den Himmel und hauchte die Sterne
an, daß sie erblindeten. Glühe Geiser stiegen
auf; eine einzige ungeheure Feuerfahne flackerte
über das versunkene Land; tausend Loderfackeln
durchgrellten die Nacht, sprengten das Finstre.
Mit wildgcwaltigen Gebärden drohten Flammen-
arme hinauf in den Raum.
„Die Güte aller Völker und Zeiten war in
ihm erstanden," sagte ich.
„Wen meinen Sie," fragte mein Begleiter
befremdet.
„Den Mann, der eben starb," entgegnete ich.
Um uns gefror lauschende Stille wie eine
kristallene Glocke. Ich fühlte mich einsam und
ins Leere gestellt. Und während mein aufge-
scheuchtes Denken in Nahem einen Halt suchte,
sah ich, wie sich am Horizont aus Rauch und
Brand ein gewaltiger Schatten erhob und mit
ausgebreiteten Armen in den Himmel ragte; und
er neigte sich und horchte in die seufzende Nacht.
Mpfer
Schau über weites Feindesland,
wie Halm und Haus zerstört, verbrannt;
Dann tritt daheim zu eig'ncm Herd
bind spür', was unser Heer Dir wert.
was Gutes Du dem Einen tust,
Der Habe Dir und Leben schützt,
Damit hast Du in großer Zeit
Auch Deinem Vaterland genützt.
Als edelstes der Opfer gilt,
Das selbstlos aus Entsagung quillt.
Guido v. GiUhaußen
(Major tat 3. Garde-Regiment zu Fuß)
9SZ
Ich forschte ihn ans nach den, Antrieb und Sinn
seiner Handlung. Und jeder Frage hallte aus
ihm Antwort wider, während seine Erlöseraugen
tieferen Glanz entstrahlten.
Er schien erfüllt vom Bewußtsein einer höheren
Berufung, die sein Wort mit Klarheit durchbrach.
Ich durste sein Wesen nicht krank nennen und
mußte mich doch hüten, an Geheimnisvolles zu
glauben Etwas, das ihn über Gewöhnliches
hinaushob, lebte stark in ihm. Es konnte Gläu-
bigkeit sein, Frommheit, Fanatismus.
' Und so tief verstrickt schon war ich in die Er-
gründung dieses Schicksals, daß ich den Mann
noch nicht verlassen konnte. Lichtschein fing den
schwebenden Umriß seines Gesichtes ein, das von
Erlittenem durchackert war und dessen Furchen
von Güte betaut waren. Schatten flochten sich
dornig um Stirn und Schläfen.
Ich beugte mich tiefer an sein Ohr und fragte
leise in ihn hinein: „Schmerzt die Wunde?"
„Nichts ist ohne Schmerz," sagte er; „mich
schmerzen die tausendmal tausend Wunden, die
jeder Tag schlägt; aus allen aufgerissenen Adern
blutet mein Blut, mich durchzuckt aller Krampf
der Sterbenden, meine Kehle zerreißt ihr Schrei,
und die Glut der Fiebernden loht nrich aus ..."
„Sie lieben den Frieden?" flüsterte ich. „Wa-
rum haben Sie sich in den Kampf begeben? —
Was haben Sie erlebt, Beatus Mensch, das; Eie
so wund sind, wund bis an die Hirnhaut ....
„Meine Seele ist durch das Leid der Welt
gewandert; nun darf sie heimkehren und Ruhe
haben ..." antwortete er. Heiligkeit war in diesem
Mitfühlen aller Schicksale und strahlte aus ihm.
Unsere Stimmen klangen gegen einander wie Ruf
und Widerhall. Mit einer großen und ruhigen
Geste aber brach er das Gespräch ab und ließ
die Lider schwer über den Glanz der Augen fallen.
Gestalt und Wesen dieses Mannes aber folgten
mir. durchdrangen selbst Schlaf und Traum. Auch
der neue Tag fand mich nicht williger, Wunder-
liches zu glauben, Ungewöhnliches zu verneinen.
Ich fand Beatus Mensch am Lager eines Sol-
daten, den der Tod gezeichnet. Er halte sich stark
genug gefühlt, sich zu erheben, und als ich ihm
seine Eigenmächtigkeit verwies, lächelte er sanft
und sagte leise: „Leben kann der Mensch allein,
aber allein sterben ist schwer. . .. Wo sollte ich
sein, wenn nicht bei den Sterbenden?"
Ich ließ ihn nach seinem Willen tun; er saß
bei den Verwundeten und tröstete sie, ihr Schmerz
wurde vor ihm stumm; er sprach den Sterbenden
vom Leben und sie glaubten, den Sehnsüchtigen
zeigte er die Erfüllung und sie fanden Aufschwung,
die Hoffnungslosen stählte er mit neuen Ver-
heißungen und vor den Wunden ließ er den
Glanz kommenden Friedens warm erstrahlen.
Wunder quollen aus feinem Wesen; er gab sich
hin an die Geschlagenen und sie empfingen ihn,
schmachtend nach Stillung und inbrünstig, wie
eine Komniunion. Er aber stand in diesem Ge-
schehen zwischen Traum und Wirklichkeit. Licht
durchäderte die lastende Schwüle des Raumes und
es spann sich um ihn wie eine heimliche Glorie.
Er war diesen Männern, die den Staub der
Schlacht noch an sich trugen, nicht fremd. Ich
befragte diesen und jenen; irgendwo einmal war
er mit ihnen gewesen, so sehr sie auch hier sich
aus dem großen Ungefähr der Kampfplätze zu-
sammengeworsen fanden. Irgendwo einmal hatte
er mit ihnen sein Brot geteilt, neben ihnen in der
Ackerfurche geschlafen, den Verband um ihre
Wunde geschlungen, mit ihnen unter der wählen-
den Hand des Todes gestanden. Und sie hatten
seine Macht innig und voll Demut empfunden.
Er war gekommen und gegang n, als seien
die Kampfplätze Raststätten seiner Lebenswande-
rung. Scheu vor seinen, Wesen und Ehrfurcht
hatte alles Fragen in die Männer zurückgedrängt.
Und wenn er unter ihnen wieder erschien, war
es, als sei er niemals wirklich von ihnen fort-
gegangen. So war er mit ihnen gezogen auf
dem schweren Wege des Rückzugs nach der Leni-
Feld-Unterarzt E. Schmidt
^Pctß ~ ilcmlicm
berger Schlacht, mit ihnen in, Eis der Karpathen
und dem rasenden Kämpfen uni die Pässe hatte
er gestanden, war als Liebender im Haß und als
Helfer auf den Feldern gewandert, wo Haufen
von Menschen gegen Haufen geschleudert wurden,
die sich zerrieben.
Welcher Geist stählte ihn auf zu solchem Han-
deln? Aufragend stand in ihm dieser Wille, gütig
zu sein; sich ganz zu erfüllen in tief begriffener
Sendung: zu Haß, Grausamkeit, Tod und Schmerz
als Gegensatz zu stehen; das Gewicht dieses un-
geheuren Kriegsgeschehens auszugleichen mit einer
maßlosen Opferliebe zu allem, was lebte.
Langsam begriff ich ihn und erkannte, daß er
nicht fanatisch einer Idee gehorchte, sondern alles
der Notwendigkeit seines Herzens entsprang, daß
nichts an ihm wissende Hebürde war, sondern
verzehrende Hingabe an die Not der Welt. Aus
dieser fiebernden Menschheit strömie alle Güte
zusammen in einen Menschen; sie bildete ihn zum
sänstigenden Ausgleich gegen Roheit, gegen Haß,
gegen Taumel, gegen alle Feindschaft, die die
Zeit und die Geister überfinsterte; sie stellte in ihm
die ausgerottete Friedlichkeit wieder her und er-
löste die Leidenden von der Härte des Krieges.
In diesem Sinne ging er als Erlöser über die
Felder des Blutes und hinterließ auf seinem Wege
die Spur der Milde; er trug das heilige Feuer
der Liebe durch die Nacht von Haß und sein Auge
verhieß Friede, der kommend war.
Ich sah Beatus Mensch am Abend wieder
und fand ihn bleich ruhend auf dünimriges Lager
versunken. Feierlichkeit lag über Gesicht und Ge-
stalt gebreitet. In seinen Augen wachte Schlaf-
fern aller Wille und alle Freudigkeit zu Güte und
Liebe, Demut und jede Bereitschaft.
Ich neigte mich zu ihm hin und sagte: „Schla-
fen Sie .... Schlaf heilt und stärkt, und Sie
müssen müde sein . . .."
Er antwortete leise: „Ich ,»uß wachen und
warten ...."
„Warten? Auf wen?" fragte ich.
„Auf den, der mich heimrust," sagte er und
fugte hinzu: ,.. . . den Tod . . ."
»Wer spricht hier von Tod?" ries ich mit Ver-
wundern. „An einer solchen Wunde stirbt man
nicht . . ."
Da hob er seine Hand in das sanfte Scheinen
des Lichts und sagte: „Ich sterbe nicht an meiner
Wunde, — aber ich sterbe an den Wunden der
Welt . . ." Nnd er wandte den Kopf ruhig und
bedeutsam zur Seite und schwieg.
Er war fieberfrei und hatte Kraft genug, zu
lebe», seine Wunde war ungefährlich. Woher
diese Voraussicht nahen Sterbens? Vielleicht war
cs nur das gesteigerte, erschöpfende Mitfühlen der
Not, die Menschen litten, deren Kreuzträger er
sich fühlte. Und ich war voll Unruhe um das
Schicksal, das mir so nah sich vollendete.
Am nächsten Morgen untersuchte ich Beatus
Mensch und zog einen zweiten Arzt hinzu, weil
ich allein nicht Verantwortung tragen wollte; doch
die Wunde war rein und gut. Aber Veränderung
breitete sich schon in ihm aus; er hielt den herben
Mund geschloffen wie zu ewigem Schweigen und
die Augen sahen nach innen. Gegen Mittag siel
rotes Fieber ungestüm über ihn her; stumm lag
er und glühte, als verzehre der Leib sich opfernd
in einer letzten Tat der Liebe für die Menschheit.
In der dritten Nacht starb er. Ich erwartete,
daß wie durch mich ein Beben und Reißen durch
die Erde gehe, aber der alte Planet schwieg und
hüllte sich tiefer in Nacht.
Vom Sterbelager traten wir ins Freie hinaus.
Finster sinterte Nacht in das zertrümmerte Dorf.
In Ferne brannten die Erdölquellen und Erde
und Himmel schmolzen in unermeßlichem Glühen
zusammen. Ich berührte den Arm des jungen
Arztes, der neben mir stand, und fragte an ihm
vorbei in die brennende Nacht: „Was glauben
Sie, woran dieser Mann gestorben ist. .. ?"
Und sah, wie er sein Gesicht mir zudrehte,
und unbeirrt und mit einer Nüchternheit, um die
ich ihn beneidete, antwortete er: „Ich habe Starr-
krampf festgestellt; seine Verwundung war nicht
tödlich."
„Nein," sagte ich, „an dieser Wunde konnte
er nicht sterben..."
Und ich dachte darüber nach, daß in der Nacht
seines Sterbens das Land brannte.
Ich hörte die kühle Stimme des Arztes an
mein Gehör tropfen: „Die Russen haben die Öl-
zisterne» von Boryslaw angezündet. . . Houbicz
und Modricz brennen. . . . Jetzt wissen die in
Lemberg, wenn sie den Himmel ansehen, daß
wir siegten..."
Die Erde erbrach Feuer, stieß Flammen und
Rauch in den Himmel und hauchte die Sterne
an, daß sie erblindeten. Glühe Geiser stiegen
auf; eine einzige ungeheure Feuerfahne flackerte
über das versunkene Land; tausend Loderfackeln
durchgrellten die Nacht, sprengten das Finstre.
Mit wildgcwaltigen Gebärden drohten Flammen-
arme hinauf in den Raum.
„Die Güte aller Völker und Zeiten war in
ihm erstanden," sagte ich.
„Wen meinen Sie," fragte mein Begleiter
befremdet.
„Den Mann, der eben starb," entgegnete ich.
Um uns gefror lauschende Stille wie eine
kristallene Glocke. Ich fühlte mich einsam und
ins Leere gestellt. Und während mein aufge-
scheuchtes Denken in Nahem einen Halt suchte,
sah ich, wie sich am Horizont aus Rauch und
Brand ein gewaltiger Schatten erhob und mit
ausgebreiteten Armen in den Himmel ragte; und
er neigte sich und horchte in die seufzende Nacht.
Mpfer
Schau über weites Feindesland,
wie Halm und Haus zerstört, verbrannt;
Dann tritt daheim zu eig'ncm Herd
bind spür', was unser Heer Dir wert.
was Gutes Du dem Einen tust,
Der Habe Dir und Leben schützt,
Damit hast Du in großer Zeit
Auch Deinem Vaterland genützt.
Als edelstes der Opfer gilt,
Das selbstlos aus Entsagung quillt.
Guido v. GiUhaußen
(Major tat 3. Garde-Regiment zu Fuß)
9SZ