von Leibe. Tagelang zwischen Eis und Leichen. Und in seiner Brust saß das
italienische Eisen. Mit dein Herbst schickten sie ihn ins südliche Passeyer-Tal, da-
mit er seine arme Brust wieder zuiammenflickte. Bald kannten ihn alle in Meran
und in Bozen und überall. Mit dem Wind, der die letzten Blätter einsammelle,
wetzte sein braunes Haar, das so dunkel war wie überreife Granatäpfel, und jetzt,
im Borweitznachtsschnee, flog es wie Hüttenrauch friedfertig über die weihen Wege.
Sie sagten: damals, oben, in den Hängen, da habe zwischen Eis und Leichen noch
einer mit ihm gelegen, und der verdarb ihm den Verstand. Aber das sagten sie
wohl nur fo; denn der kranke Johannes tat nichts, was nicht alle, die daheim
geblieben waren, getan hätten: er ging von Hof zu Hof und predigte Liebe und
predigte tiefe Worte, die nicht alle gleich verstanden: er kam in die Lazarette und
sagte: „Seid stark wider den Erbfeind:" und dann wieder: „Der Friede sei mit
Euch!" Oft auch sagte er: „Es kommt mitten in den Schrecken der Heiland in
feiner Herrlichkeit — der Heiland kommt." Aber, das bimmelten ja die Glocken
in der Kirche von „Unserm Herrn im Elend" schließlich auch, und viele andere
Glocken bimnielten cs vom Brenner bis hinunter nach Trient jetzt in der Weihnachts-
zeit. Und die Glocken waren doch nicht von Sinnen. Niemand wußte recht, wer
der Jüngling war. In Bozen freilich und in Meran, da kannten sie sogar seinen
Namen, wußten: das war der frühere Student der Philosophie an der Innsbrucker
Universität, der Johannes vom Stadel hieß. Aber in den Dörfern und Weilern
iiannten sie ihn nur den Johannes, der Augen wie Blumen hatte und vom großen
Kampf mit leuchtender Seele sprach und den großen Frieden mit segnenden Fingern
als Hausspruch über die Tore schrieb, wenn seine Hände zitternd in ungewisse
Fernen langten.
Nun hatte man den Johannes schon lange nicht gesehen. Und es ging auf
den Heiligen Abend, der sonst so süß war und dies Jahr so herb und einsam, und
der nur schwache Lichter in den Christbäunien entzünden würde. An diesem Weih-
nachtsabend begab es sich dann, daß in einem kleinen, versprengten Weiler südlich
von Bozen eine seltsame Unruhe war, als dieser Abend schneehell der Mitternacht
entgegenwuchs.
Da lag die Landstraße, still, einsam. In weltverlorenen Gehöften blinzelten
die rotgelben Funken der Christbaumkerzen. Heilige Nacht über dem Land! Wie
im Trauni, mit verlöschten Geräuschen, glitt ein Militärwagen die Straße lang und
die Soldaten, ganz in ihren hochaufgeklappten Mänteln verborgen, schienen lautlos
hinterdrein zu schweben. Der warme Schein eines Weihnachtslichtes küßte einmal
durch eine erfrorene Fensterscheibe die Spitze eines Bajonetts. Fern schlugen Hunde
an, erstickten wieder in diesem friedfertigen Schweigen. Wenige Sterne guckten zu
den Wolkenfenstern hinaus. Sahen die gedämpfte Weihnachtsfreude der Menschen
auf Erden. Einmal kam eine dunkle Frau die Straße lang; mit eiligen Schritte»,
die leicht wie der Fuß von Engeln waren: eine Schwester vom Polen Kreuz;
irgendwohin, zu Liebe und Barmherzigkeit in dieser stillen, verzauberten Nacht.
Und tief im Süden war das Murren des Krieges ganz stunim geworden. Um
diese Zeit sang von den Kirchen, verschämt zuerst und doch bald voller Jubel in
der Kehle, die Glocke ihren Weihnachtsspruch zur Mitternacht.
Um diese Stunde war es auch, daß ein alternder Mann eine armselige Karre
über die Straße gegen Bozen schob. In der Karre lag, fürsorglich in Decken ver-
wahrt, seine um vieles jüngere Frau. Es war der Bildschnitzer Josef Muigg aus
Gröden, der einst im Felsental der Grödner Dolomiten das fromme und ertragreiche
Handwerk der Herrgottfchnitzerei ausgeübt und sich und sein Weib gut und leicht
ernährt hatte. Manche Kirche Tirols hat feingeschnitzte Stühle voii Meister Muigg,
manches festgefügte Bauernhaus einen wohlgeformien Hansaltar, ein edel geschnitztes,
in Wachs gebeiztes und voni Ateni der Zeit nachgedunkeltes Herrgottsbild von seiner
flinken und kunstfertigen Hand. Da»ii war Krieg gekommen und mit ihm auch
mancherlei Not und Elend über ben Meister Muigg vom Grödnertal. Er hatte
seine feste Arbeitsstätte bei Sankt Ulrich in Gröden verlassen und, da er schwach
und gebrechlich war und daher, so schwer es ihn auch manchmal verlangen mochte,
nicht mit den andern Standschützen gegen den Lügenfeind ins Gebirge ziehen konnte,
war er ein wenig unstät schwerfällig gegen Norden gewandert, auf Bozen zu, wo
eine Base seiner jungen Frau Marie lebte, die sicher beide gerne aufnehmen würde.
Denn die schwere Stunde der Marie Muigg, die ihrem alternden Manne endlich
ein Kind schenken wollte, war nahe, und es schien besser, daß sie dort niederküme,
als im unsicheren Süden. So waren sie, um Geld auf der Eisenbahn zu sparen,
mit ihren wenigen Habseligkeiten gewandert uiib in dieser geheiligten Nacht, dem
Ziel so nahe, war das große Rauschen des Engels, das einen neuen Menschen in
die Welt trägt, plötzlich und wohl auch durch die Aufregungen der Reisebeschwerden
ein wenig zu früh, über die duldende Maria Muigg gekommen. Schneller, als es
seine Füße mochten, hastiger auch, als es die seltsame Stille dieser Nacht vertrug,
schob der Mann die Karre. Aber es ging wohl nicht, sie erreichten nicht mehr
Bozen; die werdende Mutter stöhnte leise und ergeben, und wie die Mitternacht
heilige Gedanken über die Welt breitete, da machte Joses Muigg vor einem kleinen
Anwesen halt, das, in die einsame Straße versprengt, wie ein Obdach einlud. Der
Bauer war oben bei den Soldaten im Gebirg, die Bäuerin nach Innsbruck verzogen,
Tür und Fenster waren verschlossen, nur im Stall brummelten die Tiere sanft
vor sich hin im halben Schlaf: die betreute der Hüterbub, der allein zurückgeblieben war.
Da klinkte der Meister Josef die Stalltüre cmf und schob die Karre mit be-
hutsamen Händen hinein. Der Hüterbub lag da mit plötzlich aufgerissenen Augen,
schaute wie in ein Märchen und bekreuzte sich. Und Meister Josef warf eine Schütt
Stroh auf neben den Kühen und bettete darauf die Frau, die jetzt sein Kind gebären
sollte. Eine braune Kuh begrüßte die Gäste mit einem guten, freundlichen Gebrüll,
und die Schafe, die ihre Köpfe aneinander gepfercht halten, sahen neugierig den
fremden Menschen zu.
Draußen gingen die Glocken über das Land wie ein guter Wind. Biele
sagten: „Chrisltag — Christtag" und sagten cs mit vielerlei Stimmen, hell und
tief, froh und fromm.
In diesem Klingen erfüllte sich die Stunde der Maria Muigg.
... >Li
Albert Welti f
italienische Eisen. Mit dein Herbst schickten sie ihn ins südliche Passeyer-Tal, da-
mit er seine arme Brust wieder zuiammenflickte. Bald kannten ihn alle in Meran
und in Bozen und überall. Mit dem Wind, der die letzten Blätter einsammelle,
wetzte sein braunes Haar, das so dunkel war wie überreife Granatäpfel, und jetzt,
im Borweitznachtsschnee, flog es wie Hüttenrauch friedfertig über die weihen Wege.
Sie sagten: damals, oben, in den Hängen, da habe zwischen Eis und Leichen noch
einer mit ihm gelegen, und der verdarb ihm den Verstand. Aber das sagten sie
wohl nur fo; denn der kranke Johannes tat nichts, was nicht alle, die daheim
geblieben waren, getan hätten: er ging von Hof zu Hof und predigte Liebe und
predigte tiefe Worte, die nicht alle gleich verstanden: er kam in die Lazarette und
sagte: „Seid stark wider den Erbfeind:" und dann wieder: „Der Friede sei mit
Euch!" Oft auch sagte er: „Es kommt mitten in den Schrecken der Heiland in
feiner Herrlichkeit — der Heiland kommt." Aber, das bimmelten ja die Glocken
in der Kirche von „Unserm Herrn im Elend" schließlich auch, und viele andere
Glocken bimnielten cs vom Brenner bis hinunter nach Trient jetzt in der Weihnachts-
zeit. Und die Glocken waren doch nicht von Sinnen. Niemand wußte recht, wer
der Jüngling war. In Bozen freilich und in Meran, da kannten sie sogar seinen
Namen, wußten: das war der frühere Student der Philosophie an der Innsbrucker
Universität, der Johannes vom Stadel hieß. Aber in den Dörfern und Weilern
iiannten sie ihn nur den Johannes, der Augen wie Blumen hatte und vom großen
Kampf mit leuchtender Seele sprach und den großen Frieden mit segnenden Fingern
als Hausspruch über die Tore schrieb, wenn seine Hände zitternd in ungewisse
Fernen langten.
Nun hatte man den Johannes schon lange nicht gesehen. Und es ging auf
den Heiligen Abend, der sonst so süß war und dies Jahr so herb und einsam, und
der nur schwache Lichter in den Christbäunien entzünden würde. An diesem Weih-
nachtsabend begab es sich dann, daß in einem kleinen, versprengten Weiler südlich
von Bozen eine seltsame Unruhe war, als dieser Abend schneehell der Mitternacht
entgegenwuchs.
Da lag die Landstraße, still, einsam. In weltverlorenen Gehöften blinzelten
die rotgelben Funken der Christbaumkerzen. Heilige Nacht über dem Land! Wie
im Trauni, mit verlöschten Geräuschen, glitt ein Militärwagen die Straße lang und
die Soldaten, ganz in ihren hochaufgeklappten Mänteln verborgen, schienen lautlos
hinterdrein zu schweben. Der warme Schein eines Weihnachtslichtes küßte einmal
durch eine erfrorene Fensterscheibe die Spitze eines Bajonetts. Fern schlugen Hunde
an, erstickten wieder in diesem friedfertigen Schweigen. Wenige Sterne guckten zu
den Wolkenfenstern hinaus. Sahen die gedämpfte Weihnachtsfreude der Menschen
auf Erden. Einmal kam eine dunkle Frau die Straße lang; mit eiligen Schritte»,
die leicht wie der Fuß von Engeln waren: eine Schwester vom Polen Kreuz;
irgendwohin, zu Liebe und Barmherzigkeit in dieser stillen, verzauberten Nacht.
Und tief im Süden war das Murren des Krieges ganz stunim geworden. Um
diese Zeit sang von den Kirchen, verschämt zuerst und doch bald voller Jubel in
der Kehle, die Glocke ihren Weihnachtsspruch zur Mitternacht.
Um diese Stunde war es auch, daß ein alternder Mann eine armselige Karre
über die Straße gegen Bozen schob. In der Karre lag, fürsorglich in Decken ver-
wahrt, seine um vieles jüngere Frau. Es war der Bildschnitzer Josef Muigg aus
Gröden, der einst im Felsental der Grödner Dolomiten das fromme und ertragreiche
Handwerk der Herrgottfchnitzerei ausgeübt und sich und sein Weib gut und leicht
ernährt hatte. Manche Kirche Tirols hat feingeschnitzte Stühle voii Meister Muigg,
manches festgefügte Bauernhaus einen wohlgeformien Hansaltar, ein edel geschnitztes,
in Wachs gebeiztes und voni Ateni der Zeit nachgedunkeltes Herrgottsbild von seiner
flinken und kunstfertigen Hand. Da»ii war Krieg gekommen und mit ihm auch
mancherlei Not und Elend über ben Meister Muigg vom Grödnertal. Er hatte
seine feste Arbeitsstätte bei Sankt Ulrich in Gröden verlassen und, da er schwach
und gebrechlich war und daher, so schwer es ihn auch manchmal verlangen mochte,
nicht mit den andern Standschützen gegen den Lügenfeind ins Gebirge ziehen konnte,
war er ein wenig unstät schwerfällig gegen Norden gewandert, auf Bozen zu, wo
eine Base seiner jungen Frau Marie lebte, die sicher beide gerne aufnehmen würde.
Denn die schwere Stunde der Marie Muigg, die ihrem alternden Manne endlich
ein Kind schenken wollte, war nahe, und es schien besser, daß sie dort niederküme,
als im unsicheren Süden. So waren sie, um Geld auf der Eisenbahn zu sparen,
mit ihren wenigen Habseligkeiten gewandert uiib in dieser geheiligten Nacht, dem
Ziel so nahe, war das große Rauschen des Engels, das einen neuen Menschen in
die Welt trägt, plötzlich und wohl auch durch die Aufregungen der Reisebeschwerden
ein wenig zu früh, über die duldende Maria Muigg gekommen. Schneller, als es
seine Füße mochten, hastiger auch, als es die seltsame Stille dieser Nacht vertrug,
schob der Mann die Karre. Aber es ging wohl nicht, sie erreichten nicht mehr
Bozen; die werdende Mutter stöhnte leise und ergeben, und wie die Mitternacht
heilige Gedanken über die Welt breitete, da machte Joses Muigg vor einem kleinen
Anwesen halt, das, in die einsame Straße versprengt, wie ein Obdach einlud. Der
Bauer war oben bei den Soldaten im Gebirg, die Bäuerin nach Innsbruck verzogen,
Tür und Fenster waren verschlossen, nur im Stall brummelten die Tiere sanft
vor sich hin im halben Schlaf: die betreute der Hüterbub, der allein zurückgeblieben war.
Da klinkte der Meister Josef die Stalltüre cmf und schob die Karre mit be-
hutsamen Händen hinein. Der Hüterbub lag da mit plötzlich aufgerissenen Augen,
schaute wie in ein Märchen und bekreuzte sich. Und Meister Josef warf eine Schütt
Stroh auf neben den Kühen und bettete darauf die Frau, die jetzt sein Kind gebären
sollte. Eine braune Kuh begrüßte die Gäste mit einem guten, freundlichen Gebrüll,
und die Schafe, die ihre Köpfe aneinander gepfercht halten, sahen neugierig den
fremden Menschen zu.
Draußen gingen die Glocken über das Land wie ein guter Wind. Biele
sagten: „Chrisltag — Christtag" und sagten cs mit vielerlei Stimmen, hell und
tief, froh und fromm.
In diesem Klingen erfüllte sich die Stunde der Maria Muigg.
... >Li
Albert Welti f