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Es war ein Knabe, der neben der müde
lächelnden Mutter auf der Strobfchütt lag. Und
ihre heiße Stirne kühlte Meister Josef mit seinen
Händen, in die noch die Kälte der Winternacht
blaue Adern zeichnete. Ganz warm und liebereich
deckte er die Mutter mit Stroh zu und sie nahmen
den Tieren von ihrer lieben Wärme.

Der staunende Hüterbub war hinausgelaufen
auf die Straße und hatte, von Wundern voll,
die er nicht faßte, in die Sterne gesehen.

Da kommt ein Offizier mit drei Mann vorbei,
fragt den Hüterbuben, was er denn oben in den
Sternen will; sagt der Hüterbub: „Ein Wunder
ist geschehn!" Geht der Offizier in den Stall
hinein und sieht im Licht der freundlich geisternden
Stallampe, was der Hüterbub für ein Wunder
hält. Und er gibt der jungen Mutter aus der
Feldflasche zu trinken und hält sie dann dem er-
frorenen Meister Josef hin. Nimmt ein kleines
Amulett, daß er mit anderen von feiner lieben
Frau daheim mit in den Krieg genommen hat,
und hängt es dem kleinen Wurm um den Hals,
weils doch Christnacht ist, und die Menschen be-
schenken einander. Dann nimmt er etwas aus
feiner Geldtasche und schenkt's dem Fosef Muigg.
Gleich dem Offizier halten es die Soldaten. Da
gibt's ein wenig Naschwerk aus dem Brotbeutel
und auch ein paar Cigarren fallen ab. Dann
haut der Offizier einen sanften Klaps dem Hüter-
buben hinters Ohr: „Steh' nicht lang, Schlingel,
lauf nach Bozen, eine Rote-Kreuz-Schwester hol,
da hast, gibst ihr die Schrift da." Und schreibt
auf einen Zettel die kleine Mitternachtslegende
aus dem verlassenen Bauernhaus. Der Bub
springt davon.

„Wie wird er denn heißen, der Kleine?" fragt
der Offizier.

„Weiß halt noch nit, Herr Hauptmann," der
Meister Josef.

Und dann müssen die drei wieder weiter, es
ist ja Krieg in der Welt, muffen weiter, hinunter
gegen Süden, von wo der arme Fofef Muigg
gekommen ist und wo der rote Tiroler Adler fliegt.

Der Meister ist nun allein mit feiner Marie
und dem Neugeborenen und die Kuh, die den
Soldaten nachgegloßt hat, reibt ihre heiße Schnauze
an der jungen Mutter, haucht sie voller Wärme
und Liebe an.

Kommt der Hüterbub aus Bozen zurück und
mit ihm noch zwei Schlingels. Gehn ganz scheu
in den Stall, nur einer versucht gar, mit dem
Würmchen, das ängstlich wimmert, zu spielen.
Und schleichen leise hinaus in die Nacht. Die zwei
sind wieder allein.

Da springt die Stalltür auf und die Rote-
Kreuz-Schwester von Bozen ist da. Legt das
Kleine in Windeln, hilft der Mutter, ist lieb und
gut zu ihr. Und der Meister Fofef steht verlegen
und überflüssig daneben und klopft der scheckigen
Kuh die Flanke. Nur ein wenig Geduld soll die
Frau noch haben, bald muß ein Wagen aus
Bozen kommen und der nimmt sie alle drei mit
ins Lazarett zu den verwundeten Soldaten. Ist
halt ein Kriegskind!

„Ein Kriegskind?" flüstert die Maria Muigg
ungläubig und will die Hand der Schwester küssen.

Wieder fällt draußen der Glochentau übers
Land. Die Christnacht ist aus. Funken springen
den Weibern und den alten Männern voraus
über den schneeigen Weg. Auf der Straße vor
dem Stall stehn die Hüterbuben und winken mit
der Stallampe. Dürfen das garnicht in diesen
Feiten, aber sie tun's. Und die Leute, die
aus der Messe kommen, schauen, bleiben stehen,
fragen, erfahren. Jedes will hinein zur jungen
Mutier und jedes will ihr was Liebes tun.

Die scheckige Kuh ist ganz gekränkt, weil man
sie zurückstößt und die Schafe sind noch viel
neugieriger.

Die Weiber summen und surren. Draußen
ist's so still. So weihnachtsstill. Das Echo
vom Kriegslärm im Süden ist emgeschlafen,
ganz eingeschlafen, als ob es in dieser Nacht
nicht mehr aufschrecken wollte.

Und die Weiber gehn leise hinaus in die
Schneenacht, wollen warten, bis der Wagen aus
Bozen kommt. Maria Muigg ist eingeschlafen.
Und es ist Friede den Menschen auf Erden in
diesem kleinen Winkel der heißen und wilden
Welt. Ein paar Frauen summen es still, die
andern fallen flüsternd ein: „Stille Nacht...."
Wie sie 's in der Kirche gesungen haben.

Wie Schlaf, wie süßer, süßer Schlaf, liegt es
auf allen. Und die Schneenacht ist mild.

Und still, so in Frieden versponnen still.

Die scheckige Kuh legt sich wieder schlafen.

Eine Turmglocke träumt: eins, zwei, drei,
vier — und dann schwerer: eins — zwei.

Auch Maria Muigg, die Wandermüde, träumt
neben ihrem Kind.

Da — plötzlich — klingen, wie Rufe im Traum,
Schritte die Straße her. Dunkle Locken wehen
über den Schnee.

Und durch die Menge schreitet der Johannes.
Ein Licht ist in seinen Augen, wie er in den Stall
tritt, und alle Kreaturen horchen aus.

Er aber richtet den Blick gegen Süden, wo der
Krieg lauert, wo der Krieg lebt und nimmt mit
sanften Händen den Neugeborenen hoch vom Stroh-
lager, legt seine Augen auf das Kind, und spricht:

„Ich taufe Dich — im Namen des Vaters,
des Sohnes und des heiligen Geistes taufe ich
Dich mit dem Namen Friedereich!"

Unsere Mncler

So bunt uncl vielbewegt wart nie die CUelt
3hr Spiegelbild in Deutschlands Rinderttuben;
Der Uäter blut'ge JRrbcit fern im Seid
Cüird frohes Spiel daheim bei ihren Buben.

Sie spielen Abschied, Schlacht und Lazarett,
Erringen täglich fich Ihr Rreu; von Eilen;
Zum Schützengraben taufen fie das Bett
Und willen neue, kriegerische Weifen.

Und spüren'; froh: der gleiche Schwung und Mut,
Den fie wie immer ihren Spielen geben,

Der pullt nun auch in der Erwachfnen Blut;
3m gleichen Rhrsthmus rauschen aste Leben.

Und gleiche Sreude über ein Eiefchehn,

Ein ftiirrnifch Wünschen, hoffe», Sühlen, Meinen!
Begrabnen Worts lebend’ges Auferftehn:

„. .. es fei denn, dah ihr werdet wie die

RIeinen . . .!“

Wie fie, die kalter Zweifel nie berührt,

Die ganz und stark im Augenblicke leben,

Die jeder Weg zu offnen Fimmeln führt,

Die alten Märchen neue Wahrheit geben.

Wie fie, die künft'gen Schnitter untrer Saat,
Die Richter, die uns einst ihr Urteil sprechen,
Die Erben unsres Craums und unsrer Cat
Und— hört's!- dieBüher aller unlrer Schwächen.

fl. Reichert

Richard Rosl

Die Token

Wir sind die ersten eines größ'ren Reiches,
Das nach uns mächtig ausersteht;

Wir sind ein Morgenrot, ein bleiches,

Bonr Kühlen Rachlhauch noch umweht. —

Wir sind das Samenkorn der blut'gen Erde;
Der Acker ist gar wohl bestellt
Vom Sämann Tod, daß kraftvoll werde
Ein neues Leben in der Welt.

O denket dann, ihr blühend jungen Halme,
Auch einst an uns, an uns zurück,

Die wir im Rauch und Pulverqualme
Verbluteten für euer Glück!

Wolfgang petzet
;. Ft. freiw. Krankenpfleger lm
bayr. vereinsiazarettzug 8 2.

Die merkwürdigen Lrlebnisse des Misi
von Wenjing und seinesMelters schorsch

Es ist grau; ein ganz merkwürdiges Grau,
nicht finster und nicht hell, nicht so wie der Nebel,
deir man doch sieht, sondern etwas weites Durch-
sichtiges, in dem man gar nichts sieht. Fn diesem
Grau steht der Alisi und reibt siäz die Augen, reißt
den Mund auf: Oaah! — und greift mit seiner
gewichtigen Hand vor sich hin. Er greift und tappt
und immer fällt die Hand ins Leere.

„Na, so was Saudumm'sl Wo is denn dös
Sakra-Schiaßeisen hinkemma?!" — Der Alisi
schaut links und rechts und beutelt den Kopf. —
„Hiazt möcht' i do wiff'n, wo i bin und wo die
Andern hinkemma san. — Und met’ Schiaßeisen!"
— Er schaut an sich hinab und kommt sich ganz
merkwürdig vor; er leuchtet schier in das nieder-
trächtige Grau hinein. — „Jo, wos waar denn
dös? F muaß rein in an weißen Dreck g'falln
fein. — Geng'n m'r halt!"

Er ist noch gar nicht weit gekommen, da geht
auf einmal Einer neben ihm her. Der Alisi guckt
ihn groß an. „Feffas, der Schorsch! Wia kümmst
denn Du daher? F Hab g'moant, Di' hätt'n 's
zum Russen -Hüatn g'numma!"

„Woaß i?" brummt der Andere. „F bin no
ganz vadraht. — Gestern hat der Dokta was von
an Fleckfus g'redt —"

„Wird halt Fleckvieh g'moant hab'n. A fau-
dumms Rindviech bist scho allweil g'wen," sagt der
Alisi. Er darf sich solche Bemerkungen erlauben,
denn der Schorsch ist ein weitschichtiger Vetter und
da braucht man nicht extra heikel zu sein in der
Sprache. And) war der Alisi sd)on als Bub ein
ganz Gescheckter und von einem solchen darf man
fdjon sich etwas gefallen lassen. So denkt der
Schorsch und sd>weigt. Der Alisi redet auch nid)le,
weil er Nachdenken will über das Spassige, daß
der Schorsch jetzt neben ihm hergeht, anstatt ge-
fangene Russen zu beuuidjen, und daß er gar
nicht weiß, in welcher Gegend er ist, von der man
so gar nichts sieht, als das sonderbare Grau, das
nid)t einmal ein anständiger Nebel ist.

Das Nadzdenken ist allemal eine harte Sache
und braucht Zeit, daher wundert der Alisi sich
aud, gar nicht, daß sie plötzlich vor einem
mächtigen Torbogen stehen mit einer Inschrift
in ellenhohen Buchstaben, die feuerrot leuchten.

„Wos hoaßt denn dö G'schrift?" fragt der
Schorsdz. — Der Alisi fangt also zu buch-
stabieren an: interno, enter, bell — —.
„Dö dumme Sprach' vasteh' i nöt. Wird halt
so a neumodisdi's Wirtshaus sein, dö hab'n all-
wal so varruckta Nam'. — Geng'n m'r ’nein."

Das Tor steht sperrangelweit offen; den
Weg entlang zieht sich eine Halle hin, die
gerade so aussieht, wie eine mächtig lange
Wachstube; an der Wand, an jedem Pfeiler

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Register
Richard Rost: Vignette
Wolfgang Petzet: Die Toten
A. Reichert: Unsere Kinder
Reinhold Eichacker: Die merkwürdigen Erlebnisse des Alisi von Menzing und seines Vetters Schorsch
 
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