ElüerrteuLr
Bon Martin Friedländer (Charlottenburg)
Ani Silvesterabend 1913 machte Hanno,
unter der Gaskrone weiß beleuchtet mitten in,
Zimmer stehend, Toilette. Sorgsam zog er
über sein schwefelgelbseidenes Unterzeug das
weiche Leinenhcmd, Legte die schwarzen Bein-
kleider an, knüpfte ernsthaft die Atlaskraoatte,
und stand demnächst komplett hergerichtet in
feinen Lackschuhen, die verhalten spiegelten.
Er nahm seinen dunklen, rauhhaarigen Über-
zieher, den Stock nüt goldenen, Knopf, den
Velvethut; betrat darauf die in Eis erstarrte
Straße, auf der umständlich eingehüllte Frauen
nüt gebieterisch marschierenden Männern zu
erblicken waren, Leute gute» Standes, denen
n,a» nur schwer anzusehen vermochte, daß sie
im Begriff waren, sich in langwierige Orgie»
zu stürzen.
Es ergab sich, daß es ein diffiziles Unter-
fangen war, in dieser Stadt einfach dahin zu
schlendern, ohne ein Ziel zu haben. Hier war
alles schnurgerade, exakt und wohl verlaufend,
und Hanno wußte nur zu gut: diese Straße
endet an jenem Platz, und dort die Baumreihe
führt dich in den Park. An den Ecken standen
zum Überfluß Pfeiler, die deutliche Schilder mit
den Namen der Straßen trugen, und manchmal
sogar noch eine kleine, lehrreiche und patriotische
Beschreibung des Mannes enthielten, nach dem
man die Gegend benannt halte. So war Hanno
in jedem Augenblick ganz genau über Weg und
Steg unterrichtet. Wohlan, dachte er, hier gelangst
du in den Roßmarkt und zum Bierhaus Siechen.
Oder rechts die Petersstraße entlang in die Fleder-
maus, Und auch dorthin zu faden Menschen,
Schließlich stieg er in eine vorüberkommende
Straßenbahn, die in einen Vorort fuljr. Die
Wagen waren reichlich angefüllt mit Leuten, die
sich behutsam in Acht nahmen, einander nicht auf
die Stiefeletten zu treten. Die Fahrt ging erst
langsam, dann schneller jetzt durch einen großen
Park, der den Wintertod gestorben war und da-
lag, Schließlich wieder durch Straßen, die nun
doch für Hanno angenehm frenid wurden. Es kani
eine Allee, hinter der zurückgezogene Häuser vor-
nehm über schmiedeeiserne Gitter blickten; schließ-
lich ein Platz, ein abgelegener Ort, mit Gebäuden
umgeben; und hier stieg man aus. Hanno folgte
den, ernsten Herrn, der schwer an einem ausgie-
bigen Gehpelz trug, und dessen Dame, unscheinbar
und herzlich, irgendwo an seinem Arme herumhing
und oben in der Gegend seines Magens endigte.
Dieses Paar begab sich in ein Lokal, das mit
diskretem Lichte, nicht eben unbebaglich anzusehen,
an dem Platze gelegen war. Man ging hinein.
Es handelte sich um ein mittelgroßes Restau-
rant, das mit Estraden und Balkons wohl aus-
gestaltet und mit einem violett abgedämpften Licht
angefüllt war. Hier saß man festlich gruppiert,
an weißen, bluniengeschniiickten Tischen, wohl ge-
kleidet und glänzend, mit manikürten Händen
und gemildertem Wesen, Hob zierlich die Gläser
einander zu, und war sich wohl bewußt, der guten
Gesellschaft anzugehören. Man hielt die Arme
eng an den Körper, hütete sich, einander zu be-
rühren, und jeder Tisch ignorierte den anderen
mit nachdrücklicher und entschlossener Vornehmheit,
Kühl und wohltuend berührt, ließ sich Hanno
an dem Platz nieder, der ihn, von einem schwarz-
gekleideten, wohlbeflissenen Herrn angewiesen
wurde, welcher, wie siä> später ergab, Müller hieß.
Das übliche Abendessen wurde verabreicht; und
Hanno ließ es sich von dem zuständigen Kellner
servieren: der übrigens irgend einen tiefen, un-
körperlichen Schmerz in seinen Mienen zur Schau
trug, Zuni Essen nahm Hanno eine Flasche weißen
Burgunders, jenes Weines, der ihm von je in ein-
samen Stunden beigestanden hatte.
Hin und wieder erschienen noch Gäste, Sie
betraten feierlich den Raum, wandelten einiger-
maßen befangen und gelangten nur unter Um-
Vater Chrono» F. Staeger (Im Felde)
ständen auf ihren Platz. Bemerkenswerterweise
führten sie allerlei Behältnisse bei sich, Pakete aus
Zeitungspapier, Düten und vielfach verschnürte
Hüllen verborgenen Inhalts; ein Umstand, der
angenehm zu Betrachtungen anregte, Hanno faß
ein wenig abseits, konnte die Gesellschaft gut
übersehen und hatte die Musik, die auf erhöhtem
Podium angebracht war, gegenüber.
Man spielte die Operettenmelodien des Tages;
und hier und da sah man allmählich, wie die
Gäste, den Tomatensalat vor sich, ihren Kopf
oder auch den ganzen Oberkörper, im Takte der
Stücke zu wiegen begannen; man machte sich
indes darüber keine Gedanken weiter, und ließ
sich nur angenehm von den Eindrücken geleiten.
Da ging unversehens ein helles Lachen durch
den Saal, Hanno sah sich um; es kam von der
Seite, einem etwas erhöhtem, durch Pfeiler ab-
gegrenzten, offenen Nebenraum, Hier hatten be-
vorzugte Gäste, in bequemen Sesseln, ihren Platz,
An einem kleinen Tisch, Hanno zunächst, gab es
dies frohe Lachen. Dort saßen zwei Herren, Ehe-
männer, mit ihren Damen, und eine von ihnen,
die in blauer Seide war, hatte sich ein wenig
zurückgelehnt, und lachte unbekümmert und herz-
lich ; das kleine Gesicht unter viele:» blonden Haar
war etwas erhoben, und man sah das Oval des
Kinns, und darüber den gewölbten Mund, der
geöffnet war: die dunkelgrauen Augen waren
fröhlich und blickten beim Lachen umher, ohne
rechtes Ziel: dabei trafen sie auch Hanno, Hier
wurden sie etwas erstaunt über diesen Einzelnen
und Einsamen; sie gingen aber weiter ihren Weg;
bis das Gelächter, in das auch die andern am
Tische eingestimmt hatten, unversehens und grund-
los verstummte.
Hanno wandte sich wieder ab; die Musik
begann von neuem. An irgend einem entfernten
Tisch sang jetzt eine helle Stimme einen Teil der
Melodie mit; und nebenan brummte ein Baß
die Fortsetzung, — —
Im Verlaufe des Abends ergab sich, daß eine
Kabarettveranstaltung getroffen war. Auf den:
Podium erschien alsbald ein Herr mit glänzender
Miene, voller Stimmung und Heiterkeit, Ver-
gnügt schlenkerte er zur Begrüßung die Hände,
und zeigte sich, aufgedrehten Schnurrbartes, ernft-
[irlj bemüht, die anwesenden Damen durchaus zu
bezaubern. Demnächst sang er ein schmelzendes
Lied in einer ausländischen Sprache; worauf man
hingerissen war, lebhaft in die Hände klatschte und
sich im ganzen vielfach auszudehnen begann.
Danach wurde es lauter. Man sprach schon
recht vernehmlich, und wer von seinem letzten
Theaterbesuch erzählte, kündete es der gesamten
Festversamnünng, Zu Hanno trat ein Herr an
den Tisch und bat mit höflicher Verbeugung,
aber nicht ohne Sektdunst, um die Erlaubnis,
sich ein Zündhölzchen aus den, Behälter nehmen
zu dürfen.
Auf der Künstlertribüne wurde nunmehr
eine Dame sichtbar, die in Gesellschaftstoilette,
sowie nach Kräften ausgeschnitten war, und
sich demgemäß in lägerer und bohön,«mäßiger
Weise auf den Tisch setzte, ein weniges mit
den seidenen Beinen baumelte und nach dieser
Einleitung ein Chanson zum besten gab, zu
dem ein blasser Musikant am Flügel die Me-
lodie andeutete. Es betraf, wie sich heraus-
stellte, ein Manöverabenteuer, und der Sinn
wurde dadurch verdeutlicht, sowie klargestellt,
daß die Sängerin immer bei Wiederkehr des
Refrains nachdrücklich auf die Füße sprang
und die nach den: Fortschreiten der Handlung
jeweils erforderliche Mimik exekutierte.
Das Publik»:» freute sich seines Verständ-
nisses, lachte genügsam und applaudierte. Das
Souper neigte sich inzwischen allerorten dem
Ende zu, man rauchte, und cs begann heiß
zu werden,
Hanno war ein wenig erschöpft; er erstaunte
hierüber. Er sah auf die Uhr und stellte fest,
daß es erst 20 Minuten nach 11 mar, daß
also alles noch in der Entwicklung sich befand,
und die Sache sich eigentlich nicht unerfreulich
anließ. War man hier nicht mit unpathetischen
Mitteln hinreichend vergnügt? Waren nicht be-
zahlte Leute anwesend, Künstler, über die man sich
berechtigtermaßen anülsieren durfte? Saß nicht vor
ihm ein Geheimer Regierungsrat mit mindestens
sieben niedlichen und bezopften Töchtern . , , .?
lind mar nicht....
Da lachte wiederum oben zu seiner Rechten
die Frau in blauer Seide; sie bog ihren schlanken
Oberkörper, der im gedämpften Lichte erglänzte,
ein wenig zurück, lachte unbekümmert und herzlich,
das schmale Gesicht etwas erhoben, so daß man
das Oval des Kinns, und darüber den Mund sah,
der geöffnet war. Die Augen schweiften ein wenig
und trafen auf ihrem Weg auch Hanno wieder.
Das beunruhigte ihn plötzlich. Wer mar doch
die Frau? Konnte auf der Erde jenmnd so un-
beteiligt und kummerlos lachen? Oder war sie
in Wahrheit garnicht so ziellos, da ihre Augen
wanderten? Hatte ihr Frohmut einen Gegenstand?
Hanno sah sich die Gesellschaft näher an, in der
die blonde Dame war. Es gab keinen Zweifel,
daß der eine, der wohlige, umfangreiche, schwarze,
ihr Mann war. Er zeigte lässigen Gleichmut,
blickte sie häufig von der Seite an und nah»,
hin und wieder ihren, voni Kleide zum Teil frei-
gelassenen Arm, uni auf diese Weise seines Be-
sitzes sich_ zu erfreuen. Dabei erschien der glatte
Reif an ihrem rechten Ringfinger. Auch die an-
deren beiden waren ein Ehepaar: sie ein wenig
pompös und groß aufgemacht, nüt hübsche:» Ge-
sicht und gütig emporgerichteter Nafe, im Fort-
fchritte der Zeit ansteigend vergnügt, Ihr Mann
blond und von Umfang, zutraulich und erfolglos
schneidig, war eng an ihrer Seite und hatte sie
alle:» Anscheine nach hinreichend lieb.
Es war eine lustige Gesellschaft, Aber nian
schien hier doch in: ganzen nicht recht miteinander
zu sprechen. Denn während die Unterhaltung sich
erging, waren die Augen der Redenden irgend-
wohin gerichtet; wie im Theater sah man den
Leuten unten zu, und entnahm die Heiterkeit nicht
dem eigenen Innern, sondern den Umständen,
Dingen und Menschen, die hier Vorlagen, Es
war ersichtlich, daß die blonde Frau nicht im
eigentlichen Sinne bei der Sache war,
Hanno warf wieder einen schnellen Blick auf
sie; gleichzeitig fühlte er sich als Beobachter (zu dem
er allmählich geworden war) nicht sonderlich wohl.
Hatte er derlei bei anderen nicht immer durch-
aus verworfen? Aber schließlich war er ja schon
längst bei der Grundsatzlosigkeit angelangt-
Er wendete sich mit seinem Stuhl so, daß er
die blonde Frau gegenüber hatte. Das war mutig,
aber er erschrak doch ein wenig, als sie jetzt auf-
6
Bon Martin Friedländer (Charlottenburg)
Ani Silvesterabend 1913 machte Hanno,
unter der Gaskrone weiß beleuchtet mitten in,
Zimmer stehend, Toilette. Sorgsam zog er
über sein schwefelgelbseidenes Unterzeug das
weiche Leinenhcmd, Legte die schwarzen Bein-
kleider an, knüpfte ernsthaft die Atlaskraoatte,
und stand demnächst komplett hergerichtet in
feinen Lackschuhen, die verhalten spiegelten.
Er nahm seinen dunklen, rauhhaarigen Über-
zieher, den Stock nüt goldenen, Knopf, den
Velvethut; betrat darauf die in Eis erstarrte
Straße, auf der umständlich eingehüllte Frauen
nüt gebieterisch marschierenden Männern zu
erblicken waren, Leute gute» Standes, denen
n,a» nur schwer anzusehen vermochte, daß sie
im Begriff waren, sich in langwierige Orgie»
zu stürzen.
Es ergab sich, daß es ein diffiziles Unter-
fangen war, in dieser Stadt einfach dahin zu
schlendern, ohne ein Ziel zu haben. Hier war
alles schnurgerade, exakt und wohl verlaufend,
und Hanno wußte nur zu gut: diese Straße
endet an jenem Platz, und dort die Baumreihe
führt dich in den Park. An den Ecken standen
zum Überfluß Pfeiler, die deutliche Schilder mit
den Namen der Straßen trugen, und manchmal
sogar noch eine kleine, lehrreiche und patriotische
Beschreibung des Mannes enthielten, nach dem
man die Gegend benannt halte. So war Hanno
in jedem Augenblick ganz genau über Weg und
Steg unterrichtet. Wohlan, dachte er, hier gelangst
du in den Roßmarkt und zum Bierhaus Siechen.
Oder rechts die Petersstraße entlang in die Fleder-
maus, Und auch dorthin zu faden Menschen,
Schließlich stieg er in eine vorüberkommende
Straßenbahn, die in einen Vorort fuljr. Die
Wagen waren reichlich angefüllt mit Leuten, die
sich behutsam in Acht nahmen, einander nicht auf
die Stiefeletten zu treten. Die Fahrt ging erst
langsam, dann schneller jetzt durch einen großen
Park, der den Wintertod gestorben war und da-
lag, Schließlich wieder durch Straßen, die nun
doch für Hanno angenehm frenid wurden. Es kani
eine Allee, hinter der zurückgezogene Häuser vor-
nehm über schmiedeeiserne Gitter blickten; schließ-
lich ein Platz, ein abgelegener Ort, mit Gebäuden
umgeben; und hier stieg man aus. Hanno folgte
den, ernsten Herrn, der schwer an einem ausgie-
bigen Gehpelz trug, und dessen Dame, unscheinbar
und herzlich, irgendwo an seinem Arme herumhing
und oben in der Gegend seines Magens endigte.
Dieses Paar begab sich in ein Lokal, das mit
diskretem Lichte, nicht eben unbebaglich anzusehen,
an dem Platze gelegen war. Man ging hinein.
Es handelte sich um ein mittelgroßes Restau-
rant, das mit Estraden und Balkons wohl aus-
gestaltet und mit einem violett abgedämpften Licht
angefüllt war. Hier saß man festlich gruppiert,
an weißen, bluniengeschniiickten Tischen, wohl ge-
kleidet und glänzend, mit manikürten Händen
und gemildertem Wesen, Hob zierlich die Gläser
einander zu, und war sich wohl bewußt, der guten
Gesellschaft anzugehören. Man hielt die Arme
eng an den Körper, hütete sich, einander zu be-
rühren, und jeder Tisch ignorierte den anderen
mit nachdrücklicher und entschlossener Vornehmheit,
Kühl und wohltuend berührt, ließ sich Hanno
an dem Platz nieder, der ihn, von einem schwarz-
gekleideten, wohlbeflissenen Herrn angewiesen
wurde, welcher, wie siä> später ergab, Müller hieß.
Das übliche Abendessen wurde verabreicht; und
Hanno ließ es sich von dem zuständigen Kellner
servieren: der übrigens irgend einen tiefen, un-
körperlichen Schmerz in seinen Mienen zur Schau
trug, Zuni Essen nahm Hanno eine Flasche weißen
Burgunders, jenes Weines, der ihm von je in ein-
samen Stunden beigestanden hatte.
Hin und wieder erschienen noch Gäste, Sie
betraten feierlich den Raum, wandelten einiger-
maßen befangen und gelangten nur unter Um-
Vater Chrono» F. Staeger (Im Felde)
ständen auf ihren Platz. Bemerkenswerterweise
führten sie allerlei Behältnisse bei sich, Pakete aus
Zeitungspapier, Düten und vielfach verschnürte
Hüllen verborgenen Inhalts; ein Umstand, der
angenehm zu Betrachtungen anregte, Hanno faß
ein wenig abseits, konnte die Gesellschaft gut
übersehen und hatte die Musik, die auf erhöhtem
Podium angebracht war, gegenüber.
Man spielte die Operettenmelodien des Tages;
und hier und da sah man allmählich, wie die
Gäste, den Tomatensalat vor sich, ihren Kopf
oder auch den ganzen Oberkörper, im Takte der
Stücke zu wiegen begannen; man machte sich
indes darüber keine Gedanken weiter, und ließ
sich nur angenehm von den Eindrücken geleiten.
Da ging unversehens ein helles Lachen durch
den Saal, Hanno sah sich um; es kam von der
Seite, einem etwas erhöhtem, durch Pfeiler ab-
gegrenzten, offenen Nebenraum, Hier hatten be-
vorzugte Gäste, in bequemen Sesseln, ihren Platz,
An einem kleinen Tisch, Hanno zunächst, gab es
dies frohe Lachen. Dort saßen zwei Herren, Ehe-
männer, mit ihren Damen, und eine von ihnen,
die in blauer Seide war, hatte sich ein wenig
zurückgelehnt, und lachte unbekümmert und herz-
lich ; das kleine Gesicht unter viele:» blonden Haar
war etwas erhoben, und man sah das Oval des
Kinns, und darüber den gewölbten Mund, der
geöffnet war: die dunkelgrauen Augen waren
fröhlich und blickten beim Lachen umher, ohne
rechtes Ziel: dabei trafen sie auch Hanno, Hier
wurden sie etwas erstaunt über diesen Einzelnen
und Einsamen; sie gingen aber weiter ihren Weg;
bis das Gelächter, in das auch die andern am
Tische eingestimmt hatten, unversehens und grund-
los verstummte.
Hanno wandte sich wieder ab; die Musik
begann von neuem. An irgend einem entfernten
Tisch sang jetzt eine helle Stimme einen Teil der
Melodie mit; und nebenan brummte ein Baß
die Fortsetzung, — —
Im Verlaufe des Abends ergab sich, daß eine
Kabarettveranstaltung getroffen war. Auf den:
Podium erschien alsbald ein Herr mit glänzender
Miene, voller Stimmung und Heiterkeit, Ver-
gnügt schlenkerte er zur Begrüßung die Hände,
und zeigte sich, aufgedrehten Schnurrbartes, ernft-
[irlj bemüht, die anwesenden Damen durchaus zu
bezaubern. Demnächst sang er ein schmelzendes
Lied in einer ausländischen Sprache; worauf man
hingerissen war, lebhaft in die Hände klatschte und
sich im ganzen vielfach auszudehnen begann.
Danach wurde es lauter. Man sprach schon
recht vernehmlich, und wer von seinem letzten
Theaterbesuch erzählte, kündete es der gesamten
Festversamnünng, Zu Hanno trat ein Herr an
den Tisch und bat mit höflicher Verbeugung,
aber nicht ohne Sektdunst, um die Erlaubnis,
sich ein Zündhölzchen aus den, Behälter nehmen
zu dürfen.
Auf der Künstlertribüne wurde nunmehr
eine Dame sichtbar, die in Gesellschaftstoilette,
sowie nach Kräften ausgeschnitten war, und
sich demgemäß in lägerer und bohön,«mäßiger
Weise auf den Tisch setzte, ein weniges mit
den seidenen Beinen baumelte und nach dieser
Einleitung ein Chanson zum besten gab, zu
dem ein blasser Musikant am Flügel die Me-
lodie andeutete. Es betraf, wie sich heraus-
stellte, ein Manöverabenteuer, und der Sinn
wurde dadurch verdeutlicht, sowie klargestellt,
daß die Sängerin immer bei Wiederkehr des
Refrains nachdrücklich auf die Füße sprang
und die nach den: Fortschreiten der Handlung
jeweils erforderliche Mimik exekutierte.
Das Publik»:» freute sich seines Verständ-
nisses, lachte genügsam und applaudierte. Das
Souper neigte sich inzwischen allerorten dem
Ende zu, man rauchte, und cs begann heiß
zu werden,
Hanno war ein wenig erschöpft; er erstaunte
hierüber. Er sah auf die Uhr und stellte fest,
daß es erst 20 Minuten nach 11 mar, daß
also alles noch in der Entwicklung sich befand,
und die Sache sich eigentlich nicht unerfreulich
anließ. War man hier nicht mit unpathetischen
Mitteln hinreichend vergnügt? Waren nicht be-
zahlte Leute anwesend, Künstler, über die man sich
berechtigtermaßen anülsieren durfte? Saß nicht vor
ihm ein Geheimer Regierungsrat mit mindestens
sieben niedlichen und bezopften Töchtern . , , .?
lind mar nicht....
Da lachte wiederum oben zu seiner Rechten
die Frau in blauer Seide; sie bog ihren schlanken
Oberkörper, der im gedämpften Lichte erglänzte,
ein wenig zurück, lachte unbekümmert und herzlich,
das schmale Gesicht etwas erhoben, so daß man
das Oval des Kinns, und darüber den Mund sah,
der geöffnet war. Die Augen schweiften ein wenig
und trafen auf ihrem Weg auch Hanno wieder.
Das beunruhigte ihn plötzlich. Wer mar doch
die Frau? Konnte auf der Erde jenmnd so un-
beteiligt und kummerlos lachen? Oder war sie
in Wahrheit garnicht so ziellos, da ihre Augen
wanderten? Hatte ihr Frohmut einen Gegenstand?
Hanno sah sich die Gesellschaft näher an, in der
die blonde Dame war. Es gab keinen Zweifel,
daß der eine, der wohlige, umfangreiche, schwarze,
ihr Mann war. Er zeigte lässigen Gleichmut,
blickte sie häufig von der Seite an und nah»,
hin und wieder ihren, voni Kleide zum Teil frei-
gelassenen Arm, uni auf diese Weise seines Be-
sitzes sich_ zu erfreuen. Dabei erschien der glatte
Reif an ihrem rechten Ringfinger. Auch die an-
deren beiden waren ein Ehepaar: sie ein wenig
pompös und groß aufgemacht, nüt hübsche:» Ge-
sicht und gütig emporgerichteter Nafe, im Fort-
fchritte der Zeit ansteigend vergnügt, Ihr Mann
blond und von Umfang, zutraulich und erfolglos
schneidig, war eng an ihrer Seite und hatte sie
alle:» Anscheine nach hinreichend lieb.
Es war eine lustige Gesellschaft, Aber nian
schien hier doch in: ganzen nicht recht miteinander
zu sprechen. Denn während die Unterhaltung sich
erging, waren die Augen der Redenden irgend-
wohin gerichtet; wie im Theater sah man den
Leuten unten zu, und entnahm die Heiterkeit nicht
dem eigenen Innern, sondern den Umständen,
Dingen und Menschen, die hier Vorlagen, Es
war ersichtlich, daß die blonde Frau nicht im
eigentlichen Sinne bei der Sache war,
Hanno warf wieder einen schnellen Blick auf
sie; gleichzeitig fühlte er sich als Beobachter (zu dem
er allmählich geworden war) nicht sonderlich wohl.
Hatte er derlei bei anderen nicht immer durch-
aus verworfen? Aber schließlich war er ja schon
längst bei der Grundsatzlosigkeit angelangt-
Er wendete sich mit seinem Stuhl so, daß er
die blonde Frau gegenüber hatte. Das war mutig,
aber er erschrak doch ein wenig, als sie jetzt auf-
6