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Iransport gefangener Franzosen

Paul Segieth (Bayer. Infant.-Rgt.)

tiges Wort, um feine Kenntnis aller hiesigen, so-
gar der finstersten Irrwege ausführlichen: feit
über zwanzig Jahren war er hier Unterförster.

„Ja . . ." murmelte der General in Gedanken
versunken. „Und kennen Sie einen Weg: nun
Iagnansk nach Wzdol? ?ln dieser Straße da,
stand mitten im Wald ein Wirtshaus . . ."

„Zagozdzie. heißt es, — freilich! Es ist immer
noch da."

„Ein Knüppelweg bog da ab in der Richtung
nach Suchedniow — ein anderer, ein besserer
über Wzdol, über Bodzentyn."

„Jawohl, Herr General."

„Also das Wirtshaus steht immer noch da,
sagen Sie?"

„Jawohl. Bekanntester Aufenthaltsort und
Zufluchtsstätte der Banditen. Die Pferdediebe
der ganze» polnischen Krone treffen gerade da
zusammen."

„Bor dem Wirtshaus, hinter der Straße, auf
der andern Seite lag Flugsand. Ein großer, gelber
Haufen . . . Auf diesem Flugsand wuchjen ein
paar Birken. . . ."

„Der Herr General haben aber ein wunde»
bares Gedächtnis! Von diesen Birken da ist
nur noch eine übrig geblieben. Was waren das
für Birken - ja, ja! Der verfluchte Kerl von
Wirt hat sie abgehauen. Nur ein Birke ist übrig
geblieben, und zwar aus dem Grund, weil sich
an sie ein Kreuz anlehnt. Da wagte er sich nicht
mehr dran, der Schuft."

„Was für ein Kreuz? Woher da ein Kreuz?"
fragte lebhaft Rozlueki.

„Da steht ein Kreuz ... an dieser Stelle
gerade."

„Warum steht da ein Kreuz — he?"

„So ein Kreuz, Herr General ... die Men-
schen stellen's auf, andere grüßend im Vorbei-

gehen — rtnd so steht es da ... es ist auch
schon ganz morsch unten. Bißel hat man es ja
mit zwei Leisten gestüßt. . . .

„Wer hat es aufgerichtet?" drängte der
General.

„Wenn ich aufrichtig sein soll . . . —" n»>»
melle undeutlich Gunkiew ez und lächelte zaghaft,
„wenn ich aufrichtig sein oll: ich habe dieses Kreuz
aufgerichtet . . . Holz haben wir hier in Mengen.
Ich nahm halt eine gesunde, starke, trockene Tanne.
Wir senkten es tief in den Sand rein, ganz tief..."

„Warum ausgerechnet an dieser Stelle?"

„Darum, Euer Gnaden, Herr General, weil
an dieser Stelle ein Mensch begraben liegt, da
in dem Flug'and."

„Ein Mensch begraben . . .?" wiederholte der
General. „Sie kannten diesen Menschen viel-
leicht, was?"

„Freiüch ... ja, ich habe ihn gekannt. Wenti
man seit, ganzes Leben so in, Forst zugebracht
hat, wie ich, da kennt man doch jeden ..."

Der Getieral neigte den Kopf und saß lange
in Gedanken und schweigend da. Endlich zog er
aus einer Seitentaiche ein silbernes Zigaretten-
Etni heraus und öffnete es mit zitternden Händen.

„lind wissen Sie, mein Lieber," sprach er mit
einem kühlen Lache!» — „daß jener Mensch, der
da begraben liegt, mein leibhafter Neffe ist, der
Sohti meines Bruders . . . ."

Der Geometer Knopf, der bis dahin bewegungs-
los dafaß, und das Waldfeuer mit einem Ausdruck
im Gesicht beobachtete, als ob er etwas Ekelhaftes
vor sich hätte, warf dem General plötzlich einen
heftigen Blick zu: „Rqmwid?!" rief er.

„Rymwid!" wiederholte der General mit Wut
und Hohn. „Er, der Offizier meines Regiments
— Rtzniwid, ,HaupIniannst Na — und er hat
sich zugerichtet . . . ."

„Also der leibhafte Brudersohn . . ." flüsterte
ganz eingeschüchtert Gnnkiewiez mit weitanfge-
rissenen, blöden Augen.

„Meines leibhaften Bruders zweiter Sohn,
Iaii," sprach der General, sich in seine Gedanken
vertiefend. „Mein Bruder ist in dem Sebastopoler
Kiiege auf dein Felde der Ehre gefallen. Ein
Generalmajor. Für den ungarischen Feldzug
wurde er mit Rang, Orden und einem ©nt in
dem Pensenschen Gouvernement beschenkt. Er lag
>m Sterben auf dem Schlachtfeld nnb empfahl
mir da seine beiden Söhne. Ich gab ihm mein
Wort als Bruder und mein Offiziersehrenwort,
daß id) sie wie meine eigenen aufziehen und in
die Welt einführen werde. Na, »iid id> hielt mein
Wort. Ja, ich hielt es . . . der ältere diente auf
dein Kaukasus und ist dort im Range eines Stabs-
offiziers ait Cholera gestorben. Peter, ledig. Der
jüngere, Jan, diente nach seiner Ausbildung in
meinem Regiment. Er hat früh geheiratet, eine
Polin. Einen kleinen Sohn hat er gehabt. Da
kam dieser verfluchte Aufstand. Dieser verfluchte
Ausstand kam, meine Herren. Wir wurden ab-
kommandiert ... id) war damals Major. Wir
gingen in das Opoezgnskische Gouvernement . . ."

Der General versank in Gedanken. Knopf
drehte fidj mit wunderbarer Genauigkeit eine Zi-
garette, legte sie behutsam in sein Etui und fudjtc
eifrig nach einer kleinen Holzkohle, um sie sich an-
zustecken. Der General wartete. Man hatte ben
Eindruck, als warte er, bis Knopf sich enblid) die
Zigarette angezündet hätte. Als dieser enblid)
einen kräftigen Zug getan, fuhr der General fort:

„Na ja also, dieser mein Neffe hat verraten.
Sobald wir uns einquartiert haben, ist er zu dein
Bauden übergelaufen. Eines Tages rapportiert
mir der Hauptmann Sd)tfdjulün, es steht fest:
Ja» ist nicht da. In unserem Quartier in Sielpia

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