funb man einen Zettel mit einer Nachricht für mich als den damaligen
Führer von drei Bataillonen, daß er ,lreu den Pflichten gegen sein Vater-
land — und ähnlicher Unsinn. Mich, seinen Vorgesetzten und seinen Oheim
fordert er auf, ich solle auch meine Offiziersehre beflecken, den Eid brechen
und ihm folgen — in den Wald — zu den Banden. So war es, meine
Herren."
Knopf rauchte feine Zigarette bedächtig langsam. Er blies mathematisch-
genaue Ringe in die Luft und beobachtete sie scharf. Gunkiewiez wollte
keinen Tee mehr. Er saß ganz verblüfft da und starrte den Redner blöd
an ....
„Ich erhielt die Kunde," fuhr der General fort, „daß unser Flüchtling
Stabs-Chef bei einer von den Banden wäre. Na ja, gut . . . Deshalb —
sagt mir der Rottenführer Schtschukin, unter dem mein Neffe diente, deshalb
ist er also weggeqangen. Der Dienst in der Armee ist hart, streng, mühe-
voll. Bei den Banden dagegen leicht. Da konnte unser Fähnrich ohne
weiteres Hauptmann werden .. ."
Knopf warf feine Zigarette weg und lachte über diesen Witz des
Hauptmanns Schtschukin. Der General erzählte weiter:
„Wir gingen immer in Haufen vor, mal hinter der einen, mal hinter
der anderen Abteilung. So bald wir am Rand eines Waldes erscheinen,
schon sind sie im andern verschwunden. Wir machen kehrt, schon sind sie
uns auf den Fersen. Bor allem war es ein Führer, der uns am ge-
schicktesten irre führte. Nachts ließ er große Feuer brennen, wir dachten
ein Feldlager. Er selbst entfernte sich aber mit seinen Truppen weit weg
und brachte die Nacht im Dunkeln zu. Wir gehen in Haufen vor, um-
zingeln ganz leise jene fernen Feuer, so daß wir nachts einen geschlossenen
Ring darum bilden, und überfallen de» dort vermuteten Feind plötzlich
— kein Mensch. Er dagegen rückt, sobald ihm der Lärm des Überfalles
zu Ohren kommt, leise heran, wie ein Räuber, läßt in der Richtung des
Feuerscheines auf unsere Truppen schießen und verschwindet in irgend einem
Schlupfwinkel. Auch verstand er es, immer ein paar Bauern zu betören, die
»ns dann nachts in derlei Hinterhalte zu diesen markierten Feldlagern führten."
Der Schreiber schaute den Schulzen Gala von unten an und lächelte
verschmitzt. Der Schulze saß stramm da und starrte den General an.
„Aber das Spiel wurde ihm verdorben," erzählte der General weiter,
— „einmal, zweimal und dreimal gelingt es, aber nicht auf die Dauer.
Mal ging ich an der Spitze von sechs Rotten von Zagnansk gegen Wzdol —
diesen Weg hier am Wirtshaus vorbei. Ich übernachtete im Wirtshaus
und schickte Schtschukin mit einer Rotte ans, um den Führer einzufangen.
Zu einer Schlacht läßt er's nicht kommen, der Schurke, wochenlang lagert
er in Sümpfen bei Klonowo — man muß ihn erst lange suchen. Kaum
war ich diese Nacht eingeschlafen, da weckt mich mein Adjutant, ein ganz
junger Mann noch: Schüsse in den Wäldern. Ich wachte auf. Tatsächlich
braust der Wald und dröhnt. . . Eine zweite Rotte schickte ich Schtschukin
nach. Es vergingen keine zwei Stunden, da rücken sie auch schon an. Ein
Bauer hat sie zu einem Lager geführt. Diesmal hat es geklappt. Ein
richtiges Lager. Als man sie umzingelt hatte und mit dem Bajonett vor-
ging, da brach ein Teil durch, der andere flüchtete in den Wald. Eine
Menge fiel im Lager nach kurzem Kampf. Schtschukin brachte einen, den
man im Handgemenge gefangen nahm, — kurz, es war mein Neffe Rym-
wid. Ich hatte von meinem Brigade-Kommandanten den strikten Befehl,
die Wälder bei Bodzentyn um jeden Preis zu säubern — mit dem Recht,
über Leben und Tod eigenmächtig zu entscheiden. Ich hatte keine Zeit, die
Gefangenen ins Gefängnis nach Kielee abzuschieben, auch war die Zahl
meiner Truppen zu gering. Die Offiziere ganz aufgebracht. Sie schauen
mich, den nahen Verwandten, streng und fragend an. Ich befahl die Zu-
sammensetzung eines Kriegsgerichts, und zwar sofort, lau mußte nämlich
die Verfolgung der Banden unverzüglich wieder aufnehmen. Ich übernahm
den Vorsitz. Rechts von mir Hauptmann Schtschukin und Hauptmann
Fiedotow, links Leutnant von Tauwetter und der Feldwebel Iewsiejenko.
Wir traten sofort i» dem großen Raum des Wirtshauses zusammen. Eine
Talgkerze brannte im Leuchter...
Er wurde hereingeführt. Sechs Soldaten, er in der Mitte. Klein,
abgemagert, ausgehungert, schwarz im Gesicht, ein Strolch. Das Haar zer-
zaust. Kaum wiederzuerkennen.... ich schane ilj» an: Jan, meines leib-
haften Bruders liebster Sohn . .. Aust meinen Knieen habe ich ihn groß-
gezogen .. . Paar Lumpen hängen an ihm. Das gmrze Gesicht durch eine
breite Bajonettwunde entstellt, blutunterlaufen, angeschwollen. Wie sie ihn
hereingeführt, so blieb er an der Tür stehen. Er wartet. Und du, Richter,
richte!
Na, — die amtliche formelle Frage: — wer er sei? — Er schweigt.
Wir schauen ihn alle an. Enr guter Kamerad, ein lieber Kollege, eine Seele
uon Menschen, ein erstklassiger Offizier. In seinem Gesicht matte sich Stolz
und Trotz. Er war totenblaß und ein eigentümliches Lächeln verzerrte das
liebe, gute, weiche Gesicht. — Da, wie ein Schmied ein Stück Eisen in die
Hand nimmt und es int Feuer, wo es ganz weich wird, zu einem krummen
Haken biegt, so verzerrt war es. Die Soldaten, die ihn bewachten, waren
zugleich Zeugen. Sie bekunden, sie hätten ihn im Walde gefangen ge-
nommen, nachts, im Kampf Brust an Brust. Sie bezeugen seine Identität,
sie bezeugen, daß er ihr Leutnant Rozlueki sei. Alles ganz klar. Was
soll man da noch lange verhandeln? Abstimmen... Da wendet sich der
Richter zu meiner Rechten Hauptmann Schtschukin an mich und bittet «ms
Wort. — ,Sprechen Sie.1 Schtschukin erhob sich, stemmte sich wuchtig mit
geballten Fäusten auf den Tisch mid beugte sich zu ihm herüber. Auf seiner
Zebulreiterin
Max Klinger (Leipzig)
Stirn traten die Pulsadern wie dicke Striemen hervor, sein Gesicht war
schwarz wie die Erde. Seine Blicke durchbohrten den Schuldigen. Er
kann kein Wort aus den zusammengebissenen Lippen herauspressen. Seine
Nasenflügel zitterten, die Brauen zogen sich zusammen. Endlich begann er
mit der Faust auf beit Tisch zu schlagen und schrie den Angeklagten an:
,Rozlueki! Unterstehe Dich nicht, vor uns so stolz dreinzuschauen! Schau
uns nicht mit diese» Auge» an! Du hast den Eid geleistet, ja oder nein?
Was hast Du aus diesem Deinem Eid gemacht? Hast Du den Eid ge-
leistet, ja oder nein?1
,Jawohl,1 war die Antwort.
>Dn hast also Treue geschworen?1 — fing Schtschukin wieder unmensch-
lich zu schreien an, daß das ganze Wirtshaus widerhallte. Den Tisch zer-
malmte er direkt mit seinen Fäusten. ,Und was hast Du aus diesem
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