.Aber ba, c]cvnbc zehn Schritte vom Vaterhaus
entfernt, das unterm schwarzen Hochgiebelbach
Mit weißen Dkauern in die Dämmerung blickte,
als er zeigen wollte, was er nntgebracht hatte,
M"k bie Vision ber Sonne und ber begrüßenbcn
mesichter, er stanb kerzengerade im Boden, kehrte
me Taschen seines Rocks um, umstänblich, unb
heraus fiel ... Staub!
Voll einer brennenben Scham machte er sich
mman, um's Haus zu gehen, uniging cs vor-
nchtig wie ein Dieb, um von den Püchterslenten
nicht gesehen zu werben, sah bie Hollunberbäume
an ber Mauer, bie grünweißen festgeschlossenen
mibe», bie rote Dachtraufe, ben Söller, ber von
leniem Zimmer heraustrat, unb warb immer ver-
lunkener. Unb schritt bann langsam, als wäre
er im Innersten enttäuscht, nicht mehr sehen zu
Nonnen, keine tiefere Bewegung in seinem Gemüt
wahrzunehmen, nur feststellen zn dürfen, baß
Stiles gleichgeblieben war, vom Hause fort, über
me eigenen Felber, burch ben eigenen Walb, an
einer Bank vorbei, auf ber er, in jungen Jahren,
oen Virgil gelesen hatte, in einen von Taxus-
hecken gehegten Biebermeicrplaß, auf bei» er,
vollmonbnachts einmal unb halbberauscht, gegeigt
hatte, lachte, wandte sich bann bem Dorfe zu,
ckng, ben Hut fest über bie Augen gestülpt, burch's
l^arf sprang bann, einem wie Zwang ihn packen-
?e>> Willen folgend, über Brachen- uiib Rüben-
lelber zum Bach hinab, ber unterm Dorf ben Berg
abwärts rollte, setzte über bie schwanke Brücke,
Mnte jenseits ber Brücke pfeilschiiell in ben
-Dnlb hinein, — unb hier, in biesem Walbe,
letzte er sich nieder.
Das war Sibtzlles Walb!
2h, schön war Sibylle gewesen! Rein: gütig
war Sibylle gewesen! Rein: Sibylle war wahr
gewesen! Die einzige aller Frauen, bie zn ihnr
wahr gewesen war!
Dieser Walb ba konnte erzühleit! —
Wohlig legte er sich tief zurück. Es war
Moos ba, bicht wie ein Daunenbett, unb Farren
stauben unter ben tief niebergehängten Zweigen:
naß unb armselig herbstlich; aber so bekannt!
Ob Sibylle Heuer, in biesem Sommer, bnrch
biesen Walb gegangen war? —
Eine Glocke läutete vom Dorf her. Ein Wind-
stoß kam vom schwarzen Westen her. Finster
würbe es, Thomas sah keine Lichter bnrch ben
Walb schimmern. Kein einziges. Gleichgültig!
Es konnte ruhig nachtwerbcn, ruhig nachtwerben!
Er bürste ohne Schaben hier liegen bleiben, er-
frieren ober ein lahmes Bein bekommen, ober
erschlagen werben! Bettler, .... reicher, reicher
Bettler!
Ob etwas Anderes ans ihm geworben wäre,
wenn er bamals Sibylle gezwungen hätte, Ja
zu sagen? ,
Wild, ärgerlich, sprang er für eine Sekunde
auf. Schüttelte sich. Wie ein Knabe war er!
Unb hatte boch keinen Funken mehr vom Feuer
eines Herzens in sich! Keinen einzigen! Rur
noch Stimmungen! Unb wahrscheinlich war Sibylle
ebenfo verbinden worben, wie er! Wer sich bem
Leben überläßt! —
Unb sank wieder in s Moos. Krampfte die
Hände ins Moos, lehnte bas Haupt in bie stach-
lichten Zweige, preßte bie Brust habgierig an die
Erde. Muttererde! Vaterland! Und richtete die
Augen in das volle Dunkel. Und sah trotz die-
sem Dunkel. Wenn er ein kleines, elendes Bild
malte, — ja, es durfte sogar der allergewöhnlichste
Kitsch sein, — es regnete Geld! Wollte er eine Frau
haben, sogar eineHerzogin, — vermöge seinerGlau-
benslosigkeit, die ihn zuni besten Verführer machte,
bekam er sie! Er kannte die Annehmlichkeit
eines eigenen Autos, und die Freiheit eines un-
bekümmerten Gewissens! Er vermochte sich eine
Summe von persönlicher Macht über Menschen
vorzustellen, die er errang, wenn er in der Kennt-
nis der Menschen im gleich unheimliche» Schritt
wie bisher fortfchritt. lind an eine Fülle von
Jahren vermochte er zn denken, in guterhaltener
Gesundheit, steigendem Ruhm, unter Gleichbegna-
deten, vor jedem Stein sicher, und mit dem Ab-
schluß eines vor der betäubten Seele wohlver-
borgenen Tods, — im Festkleid!
Von neueni erhob er sich: er hatte nirgend
mehr Ruhe. „In> Festkleid", flüsterte er entsetzt,
sah noch einmal sein Leben vor sich, und zwängte
sich durch die Nacht. Er kam aus einen Weg:
es war aber bereits so dunkel, daß er nicht mehr
wußte, ob er den Weg abwärts oder aufwärts
laufen müßte, unr aus dem Wald zu geraten.
Schließlich rannte er abwärts, und der Wald
hörte wahrhaftig auf. Ein breit gen Süden ge-
lagertes, vom Himmel behämmertes Stück Wiese
hob an, wo er endete. Thomas ging, die ihm
unbekannt scheinende Gegend prüfend, am Raine.
Da erblickte er, zusammenzuckend und in einer
einzigen Sekunde die Gegend voll erkennend, tief
unten am Rand der Wiesen ein Haus. Und blieb
stehen. Sibylles Haus! Eine Flut von Erinne-
rungen, deutlicher als jene, geweckt vom Baum
auf der Kuppe über'm See, schärfer als jene, ge-
weckt von hundert Schritten des heute gegangenen
Weges, überfielen ihn wie Kronzeugen seiner
rettungslosen Verlorenheit. Er sah eine Reihe
von süßen Abenden, an denen er, neben Sibylle,
in dieses Haus gegangen war und aus der Fülle
dieser Erinnerungen, die an ihm rüttelten, an ihm
(Schluß aut Seite 51
»So sollst Du beten!“
L. Prochownik (Berlin)
49
entfernt, das unterm schwarzen Hochgiebelbach
Mit weißen Dkauern in die Dämmerung blickte,
als er zeigen wollte, was er nntgebracht hatte,
M"k bie Vision ber Sonne und ber begrüßenbcn
mesichter, er stanb kerzengerade im Boden, kehrte
me Taschen seines Rocks um, umstänblich, unb
heraus fiel ... Staub!
Voll einer brennenben Scham machte er sich
mman, um's Haus zu gehen, uniging cs vor-
nchtig wie ein Dieb, um von den Püchterslenten
nicht gesehen zu werben, sah bie Hollunberbäume
an ber Mauer, bie grünweißen festgeschlossenen
mibe», bie rote Dachtraufe, ben Söller, ber von
leniem Zimmer heraustrat, unb warb immer ver-
lunkener. Unb schritt bann langsam, als wäre
er im Innersten enttäuscht, nicht mehr sehen zu
Nonnen, keine tiefere Bewegung in seinem Gemüt
wahrzunehmen, nur feststellen zn dürfen, baß
Stiles gleichgeblieben war, vom Hause fort, über
me eigenen Felber, burch ben eigenen Walb, an
einer Bank vorbei, auf ber er, in jungen Jahren,
oen Virgil gelesen hatte, in einen von Taxus-
hecken gehegten Biebermeicrplaß, auf bei» er,
vollmonbnachts einmal unb halbberauscht, gegeigt
hatte, lachte, wandte sich bann bem Dorfe zu,
ckng, ben Hut fest über bie Augen gestülpt, burch's
l^arf sprang bann, einem wie Zwang ihn packen-
?e>> Willen folgend, über Brachen- uiib Rüben-
lelber zum Bach hinab, ber unterm Dorf ben Berg
abwärts rollte, setzte über bie schwanke Brücke,
Mnte jenseits ber Brücke pfeilschiiell in ben
-Dnlb hinein, — unb hier, in biesem Walbe,
letzte er sich nieder.
Das war Sibtzlles Walb!
2h, schön war Sibylle gewesen! Rein: gütig
war Sibylle gewesen! Rein: Sibylle war wahr
gewesen! Die einzige aller Frauen, bie zn ihnr
wahr gewesen war!
Dieser Walb ba konnte erzühleit! —
Wohlig legte er sich tief zurück. Es war
Moos ba, bicht wie ein Daunenbett, unb Farren
stauben unter ben tief niebergehängten Zweigen:
naß unb armselig herbstlich; aber so bekannt!
Ob Sibylle Heuer, in biesem Sommer, bnrch
biesen Walb gegangen war? —
Eine Glocke läutete vom Dorf her. Ein Wind-
stoß kam vom schwarzen Westen her. Finster
würbe es, Thomas sah keine Lichter bnrch ben
Walb schimmern. Kein einziges. Gleichgültig!
Es konnte ruhig nachtwerbcn, ruhig nachtwerben!
Er bürste ohne Schaben hier liegen bleiben, er-
frieren ober ein lahmes Bein bekommen, ober
erschlagen werben! Bettler, .... reicher, reicher
Bettler!
Ob etwas Anderes ans ihm geworben wäre,
wenn er bamals Sibylle gezwungen hätte, Ja
zu sagen? ,
Wild, ärgerlich, sprang er für eine Sekunde
auf. Schüttelte sich. Wie ein Knabe war er!
Unb hatte boch keinen Funken mehr vom Feuer
eines Herzens in sich! Keinen einzigen! Rur
noch Stimmungen! Unb wahrscheinlich war Sibylle
ebenfo verbinden worben, wie er! Wer sich bem
Leben überläßt! —
Unb sank wieder in s Moos. Krampfte die
Hände ins Moos, lehnte bas Haupt in bie stach-
lichten Zweige, preßte bie Brust habgierig an die
Erde. Muttererde! Vaterland! Und richtete die
Augen in das volle Dunkel. Und sah trotz die-
sem Dunkel. Wenn er ein kleines, elendes Bild
malte, — ja, es durfte sogar der allergewöhnlichste
Kitsch sein, — es regnete Geld! Wollte er eine Frau
haben, sogar eineHerzogin, — vermöge seinerGlau-
benslosigkeit, die ihn zuni besten Verführer machte,
bekam er sie! Er kannte die Annehmlichkeit
eines eigenen Autos, und die Freiheit eines un-
bekümmerten Gewissens! Er vermochte sich eine
Summe von persönlicher Macht über Menschen
vorzustellen, die er errang, wenn er in der Kennt-
nis der Menschen im gleich unheimliche» Schritt
wie bisher fortfchritt. lind an eine Fülle von
Jahren vermochte er zn denken, in guterhaltener
Gesundheit, steigendem Ruhm, unter Gleichbegna-
deten, vor jedem Stein sicher, und mit dem Ab-
schluß eines vor der betäubten Seele wohlver-
borgenen Tods, — im Festkleid!
Von neueni erhob er sich: er hatte nirgend
mehr Ruhe. „In> Festkleid", flüsterte er entsetzt,
sah noch einmal sein Leben vor sich, und zwängte
sich durch die Nacht. Er kam aus einen Weg:
es war aber bereits so dunkel, daß er nicht mehr
wußte, ob er den Weg abwärts oder aufwärts
laufen müßte, unr aus dem Wald zu geraten.
Schließlich rannte er abwärts, und der Wald
hörte wahrhaftig auf. Ein breit gen Süden ge-
lagertes, vom Himmel behämmertes Stück Wiese
hob an, wo er endete. Thomas ging, die ihm
unbekannt scheinende Gegend prüfend, am Raine.
Da erblickte er, zusammenzuckend und in einer
einzigen Sekunde die Gegend voll erkennend, tief
unten am Rand der Wiesen ein Haus. Und blieb
stehen. Sibylles Haus! Eine Flut von Erinne-
rungen, deutlicher als jene, geweckt vom Baum
auf der Kuppe über'm See, schärfer als jene, ge-
weckt von hundert Schritten des heute gegangenen
Weges, überfielen ihn wie Kronzeugen seiner
rettungslosen Verlorenheit. Er sah eine Reihe
von süßen Abenden, an denen er, neben Sibylle,
in dieses Haus gegangen war und aus der Fülle
dieser Erinnerungen, die an ihm rüttelten, an ihm
(Schluß aut Seite 51
»So sollst Du beten!“
L. Prochownik (Berlin)
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