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Max Feldbauer

(Dein Sobn

Von E. vsn Vclburg

Haben Sie einen Soh»? Ist er ein Jahr und zehn Monate alt? Nein?
Nun, dann haben Sie keine Ahnung davon, was es heißt, Besitzer eines der-
artigen Wesens zu sein. Ich bin es seit acht Tagen. Da bin ich nämlich
aus dem Krieg in Erholungsurlaub heinr gekoninien. Ob ich es wohl noch
einmal acht Tage aushalte? Ich bezweifle es! — Was meinen Sie? Ich
sei wohl auch einmal ein Jahr und zehn Monate all gewesen? — Sie irren,
mein Lieber, das ist unmöglich; denn sehen Sie, meine Mutter lebt heute
noch! Ich glaube nicht, daß sie es überlebt hätte, wenn ich je ein Jahr und
zehn Monate alt gewesen wäre!

Vorher bin ich auf den Dachboden geflüchtet vor ihm. Ich habe mich
verkrochen zwischen aufgeschlichletem Holz und altem Gerümpel. Ich war nicht
einmal hier ganz sicher! Ich hörte mit Entsetzen, wie zwei handfeste Groß-
mütter, eine erfahrene Krankenschwester und zwei fleißige Dienstmädchen sich
vergeblich bemühten, des Bengels Herr zu werden. Von seiner beklagens-
werten Mutter, die er schon an den Rand der Sanatogenschachlel gebracht
hat, will ich schweigen; sie hat er völlig zermürbt. Keine Spur von Reue
ist auf seinem runden Gesicht zu lesen, in dessen Mitte eine Stumpfnase
sitzt, die er durch häufiges Andrücken an Tischkanten, Fensterscheiben, Teller-
ränder und andere hiezu geeignete Gegenstände noch stumpfer zu machen
bestrebt ist. Er stürzt sich von einen: kühnen Unternehmen ins andere.
Heute früh aß er zuerst meinen Hausschuh, dann einen Katalog, einige Steine
seines Holzbaukastens, das Stativ eines Photographenapparates und ein
Tischbein unseres Eßtisches. Ich werde keins mehr einsetzen lassen, er ißt's
ja doch wieder!

Sein Tatendrang war dadurch keineswegs gestillt. Er kletterte auf's
Kanapee und belästigte einen Stuhl, der sich dort hinauf geflüchtet hatte. Ich
hob ihn herunter, um dem armen Stuhl einige Zeit zum Ausrnhen zu gönnen.
(Ach, ich kann mich so sehr in seine Lage versetzen!) Da stürzte er sich auf
ein Teeservice, dann auf Goethe und Schiller, zauste sie, wie sie seit 100 Iahrcu
kein Kritiker mehr zu zausen gewagt hat, und legte sie schließlich in den
Papierkorb. Er weiß nicht, wie lächerlich er sich damit macht. Goethe und
Schillers Werke in den Papierkorb! Sollte er Anlage zum Theaterdirektor
in sich haben? Möglich —. Was kümmert's mich? Ich lebe in der Gegen-
wart und nmß sie — und ihn ertragen.

Einige Seemuscheln gaben ihm Gelegenheit zu großartigen Entdeckungen,
die er mit lautem Freudengeheul orb! er urb! verkündete. Als er das
Mceresrauschcn genugsam bewundert hatte, deponierte er sie samt ihren
Stacheln und Spitzen in meine Stiefel! Sind Sie schon einmal auf einen
See-Igel getreten? Auf einen recht großen, ausgewachsenen Adria-See-Igel?

— Nein? — O, Sie Glücklicher! — Ich schon. Aber lieber will ich auf
See-Igeln von München nach Freising laufen, als wieder in einen Stiefel
fahren, den mein Sohn mit Stachelmuscheln gefüllt hat! Während ich schmerz-
gepeinigt den einen Stiefel ausleere, erwischt er den anderen und trägt ihn
fort, weit fort. Niemand glaubt, wie weit so ein Bursche einen Männerstiefel
tragen kann! Über eine halbe Stunde mußte ich mit einem Stiefel am Fuß
den anderen suchen. Endlich hatte ich ihn. Anziehen konnte ich ihn nicht.
Er hatte ihn nämlich in den Wassereimer plaziert. Ich flüchtete ins Zimmer.
Wie konnte ich nur auf den Gedanken kommen, ins Zinmier zu flüchten?

— Der Herzensbub war natürlich schon vor mir dort gewesen und hatte sich
über meine Zigarren gemacht. Eine Brasil mit Hnvannadeckblatt in der
fleischigen Faust, ein urgemütliches Lachen auf den Wangen (lachen tut der
Bub immer, wenn ich schreiet: möchte vor Entsetzen), saust er um den Tisch
herum. Jetzt wird mir's zu bunt! Ich laufe ihm nach, stoße mir die Hüfte
an, übertrete n:ir den Fuß, bleibe mit einem Rockknopf an einer Tischdecken-
quaste hängen, so daß die Bisitenkartcnschale mit ihrem reichen Inhalt auf
den Boden kollert. Der Bursche rennt wie besessen und drückt die Zigarre,
daß sie knirscht. Da kommt die eine Großnmnm und lost inich ab. „Gib
mir's schön," sagt sie, und der Unbegreifliche liefert die Zigarre ab. Tri-
umphierend reicht sie mir die gute Großmama. Erschöpft danke ich ihr und
höre mit dem letzten Aufgebot meiner Geisteskräfte einen kurzen, aber ein-
dringlichen Bortrag über die Behandlung von kleinen Buben an, werfe noch
einen letzten schmerzlichen Blick auf meine zerknitterte Felixbrasil, ehe ich sie
selbst ins Feuer werfe, und schleiche mich davon.

Weim Sie nieinen, daß ich jetzt Ruhe hatte, täuschen Sie sich sehr,
täuschen Sie sich entsetzlich! Plötzlich konnte nämlich mein prächtiger Sohn
nicht mehr laufen. Er zog den linken Fuß hinauf — gestern hat er's mit
dem rechten schon einmal ähnlich gemacht, der Heuchler — und brüllte wie
ein Indianer, wenn ihm der Skalp abgezogen wird. Die gcängstigte Groß-
mutter rief mich sofort wieder herbei und ich mußte das Fußerl untersuchen;
ich bin nämlich Arzt. Ja leider! Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf,
lo ist'» der: Werden Sie niemals Arzt! Die eigene Familie wird Sie

Keim Döderkeck in Mundkfing

„SaFr4i,,c,,t no amäl/ i triff koan'!" — „versuch 's hall 'mal mit 'an Gasangriff!"

zun: Hausarzt wählen und in der Verwandtschaft zu arzten ist schrecklich. —
Keine Widerrede, verehrter Herr, Sie wissen das nicht!

Die Krankheit meines Hoffnungsvollen dauerte nicht lange; denn als
ich endlich mit einem Paar muschelfreien und trockenen Stiefeln wieder ins
Zimmer trat, stapfte er bereits kreuzvergnügt umeinander, das Objektiv meines

Photographenapparates in der einen, das Handtäschchen, meiner Frau in der
anderen Hand. Auf dem Boden lag zerstreut dcffen ehemaliger Inhalt. Ich
versuchte auf großmütterliche Art wieder in den Besitz meines Objektives zu
gelangen, dies glückte mir auch, aber nicht ganz ohne Gewalt, was fürchter-
liches Geschrei des kleinen Haustyrannen, das Hcrbeieilen der anderen Groß-

mutter, der Krankenschwester und der Mutter zur Folge hatte, welche sich
dann mit vereinten Kräften des Iünlings annahmen, ihn auf den Topf setzten,
die Nase wischten, die Hose einknöpften und so zu neuen Taten bereit machten.

Ich aber gedachte mit wehmütiger Sehnsucht meiner Schützengräben
bei Arras.
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