Von öer Eitelkeit, die nicht eitel sein wollte
Ein Märchen von Max Hayek
Die Eitelkeit, welche bereits auf einige zweifel-
lose Erfolge zurückblicken konnte — sie war sogar
Präsidentin dev Vereines zur Abwehr der Eitelkeit
geworden! — beschloß eines Tages, den Kampf
gegen sich nachsichtslos zu beginnen. Sie war sich
nämlich selber schon zu eitel geworden und ge-
dachte nun durch ein recht bescheidenes Gehaben den
vielfachen tadelnden Bemerkungen der Menschen
über sie wirkungsvoll zu begegnen. Denn wenn
sich auch die Eitelkeit nur sehr selten selbst erkennt:
es gibt doch Minuten in ihrem Leben, wo sie
ihren bunten Federnhut und ihre selbstgefällige
Miene wie in einem Spiegel zu schauen vermeint.
Freilich müßte sie aber nicht die Eitelkeit sein,
wenn sie dieses Bild der Wahrheit nicht allsogleich
wieder vergäße.
Nun bot sich ihr gerade eine glückliche Stunde,
um bim Lorbeer der edlen Fra» Bescheidenheit
zu erreichen.
In der Stadt, wo sie wohnte, gab es nämlich
ein großes Fest, dessen Gewinn, wie üblich, wohl-
tätigen Zwecken zufließen sollte. Dabei durfte nun
die Eitelkeit nicht fehlen — das wußte die ganze
Stadt! Hatte sie doch bei derlei Gelegenheiten
bisher noch nie gefehlt! Aber die Eitelkeit be-
schloß es anders i sie wollte dem Feste nicht an-
wohnen, sie wollte diesmal unsichtbar bleiben!
Der liohe Tag kam heran. Eine reiche Ge-
sellschast der vornehmsten Familien war versammelt
und erwartete die Eitelkeit, die, wie nran wußte,
immer erst dann zu erscheinen pflegte, wenn sie
der bewundernden Blicke aller Anwesenden gewiß
war. Aber heute — sieh da! — heute kam sie
seltsamerweise gar nicht! Die Festteilnehmer sahen
sich fragend an. „Wo blieb die Frau Präsidentin?"
„Ist sie am Ende krank?" „Was mag ihr nur
fehlen?" Ach, wir hatten ja mit ihrem Erscheinen
gerechnet!" „Oh, wie schade..." — Kein Zweifel,
man tat besorgt, ja bestürzt, obgleich man im
Grunde des Herzens das Fehlen der Eitelkeit
nicht bedauerte, sondern vielmehr angenehm em-
pfand. Denn vornehme, hilfsbereite Menschen,
die sich zum guten Zwecke zusammentun, bedürfen
der Eitelkeit nicht.
Der aufrechte Zeitungsberichterstatter tat sich
aber gar keinen gesellschaftlichen Zwang an und
nahm mit wahrem Behagen von der Abwesen-
heit der aufdringlichen Danie Notiz. Und er
schrieb ins Morgenblatt, daß das Fest beileibe
keinen Abbruch erlitten habe, sondern vielmehr
schöner gewesen sei als je.
Die bescheidene Eitelkeit aber war an jenem
Abend daheim gesessen und hatte sich den „Effekt"
ausgemalt, den ihr Fernbleiben notwendig Hervor-
rufen mußte. „Jeder Blick im Saal sucht mich
jetzt!" hatte sie vor sich Hingezischelt. „Alles spricht
nur von mir, ist nur mit mir beschäftigt! Ich
werde vermißt, schmerzlich, sehnsüchtig herbeige-
wünscht — ah!" So hatte sie sich an denr Bilde
ihrer selbstsüchtigen Einbildungskraft geweidet und
die ungetrübte Wonne einer gedachten Seligkeit
genossen. Doch mit den Zeilen des Morgenblattes
trank sie gleichsam den Becher der Selbstbespiege-
lung bis zur Neige: denn da stand ja wortwört-
lich und für jedermann dentlich gedruckt zu
lesen: „die Eitelkeit glänzte durch Abwesenheit!"
„Glänzte!" — Daß das Fest eben deshalb schöner
gewesen sei als je, dafür hatte die Eitelkeit kein
Interesse mehr übrig: sie berauschte sich nur an
dem Worte: „Glänzte!"
Und so geschah es, daß die Eitelkeit einmal
nicht eitel sein wollte.
Der Erblindende
Kühler wird es, wo ich wohne.
Dämmeriger nah und fern.
Aus der Himmels-Strahlenkrone
Fehlt schon mancher schöne Stern.
Tiefer fußen Tal und Grüfte,
Zauberhafter rauscht der Hain
Und mit süßerem Gedüfte
Schließt sein volles Laub mich ein.
Magst du, bunte Welt, verblassen!
Aus dem feurigen Gewühl
Kehr' ich schauernd und gelassen
In mein innerstes Gefühl.
ERIKA. RHEINSCH
Zimmer
Voll 6ricb Kramer
Seit siebe» Tagen fällt der Regen kalt und
naß auf das flache Land. Er füllt unaufhörlich
in steilen Güssen von dem Nebelluch dort oben,
wo früher einmal der Himmel war, wo runde
Wolke» in blauer Luft schwammen und die Sonne
mit feistem Gesicht wie eine gute alte Hausmutter
voni Morgen bis zunr Abend goldene Decken für
Wiesen unb Bäume häkelte. Aber wer könnte
sich daran noch erinnern?
Wenn man unter seiner Tür steht, sieht man
fünf Schritt entfernt die Regenwand herabhängen,
und geht man ein wenig ins Freie, so geht auch
sie klingend und rauschend mit und schließt sich
hinter denr Rücken. Man weiß nicht, woher man
gekommen ist, man sieht nichts als unten ein paar
Steine von dem schmutzigen Pflaster, und rings-
unr den grauen Vorhang aus Wasserfäden. Man
ist wie in einem Gefängnis.
Draußen vor der Stadt in einem kleinen
grünen Garten steht ein weißes Haus. Bunte
Glaskugeln ragen auf Stöcken über muschelum-
säumte Beete, schmale Kieswege schlingen sich
toilettenscliale Morilz Müller-Liebenthal
durch Rotdorn- und Flieder-Gest, auch zu den
Stufen einer Veranda. Von der Dachrinne, stürzt
das Wasser in breitem Strahl abwärts und ru-
mort gurgelnd im geborstenen Regenfaß.
Hinter den Scheiben der Veranda sitzt ein
langer grauer Mann und wirft mit zittrigen Hän-
den Scnnnelbröckchen in seine Kaffeetasse. Er hat
einen runden Gummilatz unter dem Kinn, und
auf dem Schädel, der einem mottenzerfressenen
Bogelbalge gleichsieht, hängt ihm ein zerdrücktes
Wollkäppchen, das jeden Augenblick herunlerzu-
fallen droht. Der Schlasrock, mit dem er bekleidet
ist, liegt schlotternd wie ein hohler Sack im Lehn-
stuhl, seine Beine sind zum Erbarmen mager, und
die Füße ruhn mit Binden umwickelt plump und
schwer auf einem Samtkisscn.
Eo klatscht an die Fensterscheiben, cs braust
im Fliedergebüsch, cs gurgelt in der Regentonne.
„Was für seltsame Geräusche," denkt der alte
Mann. „Ich glaube, ich bin in einer kleinen
Hütte anr Meer, und vor »reiner Türe liegen
fünfzig gemästete Seehunde und machen iljrc
blanken Kautschukmäuler schmatzend auf und zu
— auf und zu. Oder vielleicht ist es auch nur der
Regen — — ja vielleicht ist es nur der Regen."
Er schwingt den Kopf langsam taktmüßig wie
ein Pendel, der Mund steht ihm offen, und seine
klugen blichen lüstern in den Spiegel der Kaffee-
tasse, auf dem die Semmelbrocken wie kleine
Inseln herumschwimmen. Aber es ist nicht mög-
lich, den Kopf anzuhalten und den Löffel zum
Niunde zu führen. Aus halbem Wege kippt die
nahrhafte Fracht und rollt über den Schlafrock
zu Boden. Und der Kopf mit dem traurig ge-
öffneten Munde schwingt weiter langsanr, takt-
mäßig wie ein Pendel.
„Dann werden wir heut keinen Kaffee trinken,
wenn es nicht sein soll-keinen Kaffee trinken.
Aber laßt uns ein wenig Nachdenken, damit die
Zeit vergeht."
Und er denkt nach.
„Ja, wie war es nur, wie bin ich in diesen
gläsernen Käfig hineingekommen? Ich kann mich
so schwer erinnern. Ach ja: ich saß in dem ersten
Zimmer, klein und niedlich wie ein Tautropfen, den
die Sonne bescheint. An den Wänden schwirrten
bunte Vögel durch das Rankenmuster der Tapete,
und oben waren die goldenen Sterne auf der
blauen Decke festgenagelt. Hatte ich Langeweile,
so trippelte ich drei Schritt in einen Winkel, um
Abenteuer zu suchen. Dort wuchs ein schwarzer
Urwald von beträchtlicher Ausdehnung. Gelbe
Affen sprangen kreischend in den Wipfeln hin und
her. der Tiger lag mit geducktem Kopf im Röhricht,
und der graue Elefant schob sich wie ein wan-
dernder Felsen zwischen den Baumstämmen fort.
In einer anderen Ecke besaß ich einen Hafen.
Schiffe kamen aus fremden Ländern den Strom
herauf und legten an den Kaimauern an. Ihre
breiten Rümpfe versanken fast von dem Unmaß
der Kostbarkeiten, die sie trugen, und die Purpur-
Teppiche, die Gold- und Perlenketten hingen vom
Verdeck herab und zogen helle Schaumstreisen
über das Wasser.
Hinter dem Ofen hatte der gefräßige Riese
Obuboli seine Höhle. Er saß auf ein qualmendes
Feuer gebückt, Fledermäuse umkreisten ihn, und
der Wind pfiff in den Spalten des Gesteins. Und
oft bog er sich mit halbeni Leibe ins Zimmer,
schüttelte den dicken Kopf und zeigte mir seine
gelben Zähne, die wie Schaufeln aus dem schwarzen
Gaumen staken. In der einen Hand hielt er ein
langes Messer, in der andern ein Stück rohes
Fleisch, von denr zwischen seinen Fingern Blut
heruntertroff. Ich aber ging mit dem Schürhaken
auf ihn los. Da duckte er sich und verschwand, und
meine Waffe stieß polternd gegen die Ofenkacheln.
Doch eines Tages fiel die Langeweile schwer
auf mich wie ein nasses Tuch und drückte mich
zu Boden. Und ich sah, daß mein Zimmer arnr
und häßlich war. Die bunten Vögel hatten auf-
gehört, nrit den Flügeln zu schlagen, sie hockten
steif und von der Sonne verblichen in dem zackigen
Blätterwerk der Tapete. Mein Urwald war ein
niedriges Drahtgeftell, auf denr ein paar Blunren-
Ein Märchen von Max Hayek
Die Eitelkeit, welche bereits auf einige zweifel-
lose Erfolge zurückblicken konnte — sie war sogar
Präsidentin dev Vereines zur Abwehr der Eitelkeit
geworden! — beschloß eines Tages, den Kampf
gegen sich nachsichtslos zu beginnen. Sie war sich
nämlich selber schon zu eitel geworden und ge-
dachte nun durch ein recht bescheidenes Gehaben den
vielfachen tadelnden Bemerkungen der Menschen
über sie wirkungsvoll zu begegnen. Denn wenn
sich auch die Eitelkeit nur sehr selten selbst erkennt:
es gibt doch Minuten in ihrem Leben, wo sie
ihren bunten Federnhut und ihre selbstgefällige
Miene wie in einem Spiegel zu schauen vermeint.
Freilich müßte sie aber nicht die Eitelkeit sein,
wenn sie dieses Bild der Wahrheit nicht allsogleich
wieder vergäße.
Nun bot sich ihr gerade eine glückliche Stunde,
um bim Lorbeer der edlen Fra» Bescheidenheit
zu erreichen.
In der Stadt, wo sie wohnte, gab es nämlich
ein großes Fest, dessen Gewinn, wie üblich, wohl-
tätigen Zwecken zufließen sollte. Dabei durfte nun
die Eitelkeit nicht fehlen — das wußte die ganze
Stadt! Hatte sie doch bei derlei Gelegenheiten
bisher noch nie gefehlt! Aber die Eitelkeit be-
schloß es anders i sie wollte dem Feste nicht an-
wohnen, sie wollte diesmal unsichtbar bleiben!
Der liohe Tag kam heran. Eine reiche Ge-
sellschast der vornehmsten Familien war versammelt
und erwartete die Eitelkeit, die, wie nran wußte,
immer erst dann zu erscheinen pflegte, wenn sie
der bewundernden Blicke aller Anwesenden gewiß
war. Aber heute — sieh da! — heute kam sie
seltsamerweise gar nicht! Die Festteilnehmer sahen
sich fragend an. „Wo blieb die Frau Präsidentin?"
„Ist sie am Ende krank?" „Was mag ihr nur
fehlen?" Ach, wir hatten ja mit ihrem Erscheinen
gerechnet!" „Oh, wie schade..." — Kein Zweifel,
man tat besorgt, ja bestürzt, obgleich man im
Grunde des Herzens das Fehlen der Eitelkeit
nicht bedauerte, sondern vielmehr angenehm em-
pfand. Denn vornehme, hilfsbereite Menschen,
die sich zum guten Zwecke zusammentun, bedürfen
der Eitelkeit nicht.
Der aufrechte Zeitungsberichterstatter tat sich
aber gar keinen gesellschaftlichen Zwang an und
nahm mit wahrem Behagen von der Abwesen-
heit der aufdringlichen Danie Notiz. Und er
schrieb ins Morgenblatt, daß das Fest beileibe
keinen Abbruch erlitten habe, sondern vielmehr
schöner gewesen sei als je.
Die bescheidene Eitelkeit aber war an jenem
Abend daheim gesessen und hatte sich den „Effekt"
ausgemalt, den ihr Fernbleiben notwendig Hervor-
rufen mußte. „Jeder Blick im Saal sucht mich
jetzt!" hatte sie vor sich Hingezischelt. „Alles spricht
nur von mir, ist nur mit mir beschäftigt! Ich
werde vermißt, schmerzlich, sehnsüchtig herbeige-
wünscht — ah!" So hatte sie sich an denr Bilde
ihrer selbstsüchtigen Einbildungskraft geweidet und
die ungetrübte Wonne einer gedachten Seligkeit
genossen. Doch mit den Zeilen des Morgenblattes
trank sie gleichsam den Becher der Selbstbespiege-
lung bis zur Neige: denn da stand ja wortwört-
lich und für jedermann dentlich gedruckt zu
lesen: „die Eitelkeit glänzte durch Abwesenheit!"
„Glänzte!" — Daß das Fest eben deshalb schöner
gewesen sei als je, dafür hatte die Eitelkeit kein
Interesse mehr übrig: sie berauschte sich nur an
dem Worte: „Glänzte!"
Und so geschah es, daß die Eitelkeit einmal
nicht eitel sein wollte.
Der Erblindende
Kühler wird es, wo ich wohne.
Dämmeriger nah und fern.
Aus der Himmels-Strahlenkrone
Fehlt schon mancher schöne Stern.
Tiefer fußen Tal und Grüfte,
Zauberhafter rauscht der Hain
Und mit süßerem Gedüfte
Schließt sein volles Laub mich ein.
Magst du, bunte Welt, verblassen!
Aus dem feurigen Gewühl
Kehr' ich schauernd und gelassen
In mein innerstes Gefühl.
ERIKA. RHEINSCH
Zimmer
Voll 6ricb Kramer
Seit siebe» Tagen fällt der Regen kalt und
naß auf das flache Land. Er füllt unaufhörlich
in steilen Güssen von dem Nebelluch dort oben,
wo früher einmal der Himmel war, wo runde
Wolke» in blauer Luft schwammen und die Sonne
mit feistem Gesicht wie eine gute alte Hausmutter
voni Morgen bis zunr Abend goldene Decken für
Wiesen unb Bäume häkelte. Aber wer könnte
sich daran noch erinnern?
Wenn man unter seiner Tür steht, sieht man
fünf Schritt entfernt die Regenwand herabhängen,
und geht man ein wenig ins Freie, so geht auch
sie klingend und rauschend mit und schließt sich
hinter denr Rücken. Man weiß nicht, woher man
gekommen ist, man sieht nichts als unten ein paar
Steine von dem schmutzigen Pflaster, und rings-
unr den grauen Vorhang aus Wasserfäden. Man
ist wie in einem Gefängnis.
Draußen vor der Stadt in einem kleinen
grünen Garten steht ein weißes Haus. Bunte
Glaskugeln ragen auf Stöcken über muschelum-
säumte Beete, schmale Kieswege schlingen sich
toilettenscliale Morilz Müller-Liebenthal
durch Rotdorn- und Flieder-Gest, auch zu den
Stufen einer Veranda. Von der Dachrinne, stürzt
das Wasser in breitem Strahl abwärts und ru-
mort gurgelnd im geborstenen Regenfaß.
Hinter den Scheiben der Veranda sitzt ein
langer grauer Mann und wirft mit zittrigen Hän-
den Scnnnelbröckchen in seine Kaffeetasse. Er hat
einen runden Gummilatz unter dem Kinn, und
auf dem Schädel, der einem mottenzerfressenen
Bogelbalge gleichsieht, hängt ihm ein zerdrücktes
Wollkäppchen, das jeden Augenblick herunlerzu-
fallen droht. Der Schlasrock, mit dem er bekleidet
ist, liegt schlotternd wie ein hohler Sack im Lehn-
stuhl, seine Beine sind zum Erbarmen mager, und
die Füße ruhn mit Binden umwickelt plump und
schwer auf einem Samtkisscn.
Eo klatscht an die Fensterscheiben, cs braust
im Fliedergebüsch, cs gurgelt in der Regentonne.
„Was für seltsame Geräusche," denkt der alte
Mann. „Ich glaube, ich bin in einer kleinen
Hütte anr Meer, und vor »reiner Türe liegen
fünfzig gemästete Seehunde und machen iljrc
blanken Kautschukmäuler schmatzend auf und zu
— auf und zu. Oder vielleicht ist es auch nur der
Regen — — ja vielleicht ist es nur der Regen."
Er schwingt den Kopf langsam taktmüßig wie
ein Pendel, der Mund steht ihm offen, und seine
klugen blichen lüstern in den Spiegel der Kaffee-
tasse, auf dem die Semmelbrocken wie kleine
Inseln herumschwimmen. Aber es ist nicht mög-
lich, den Kopf anzuhalten und den Löffel zum
Niunde zu führen. Aus halbem Wege kippt die
nahrhafte Fracht und rollt über den Schlafrock
zu Boden. Und der Kopf mit dem traurig ge-
öffneten Munde schwingt weiter langsanr, takt-
mäßig wie ein Pendel.
„Dann werden wir heut keinen Kaffee trinken,
wenn es nicht sein soll-keinen Kaffee trinken.
Aber laßt uns ein wenig Nachdenken, damit die
Zeit vergeht."
Und er denkt nach.
„Ja, wie war es nur, wie bin ich in diesen
gläsernen Käfig hineingekommen? Ich kann mich
so schwer erinnern. Ach ja: ich saß in dem ersten
Zimmer, klein und niedlich wie ein Tautropfen, den
die Sonne bescheint. An den Wänden schwirrten
bunte Vögel durch das Rankenmuster der Tapete,
und oben waren die goldenen Sterne auf der
blauen Decke festgenagelt. Hatte ich Langeweile,
so trippelte ich drei Schritt in einen Winkel, um
Abenteuer zu suchen. Dort wuchs ein schwarzer
Urwald von beträchtlicher Ausdehnung. Gelbe
Affen sprangen kreischend in den Wipfeln hin und
her. der Tiger lag mit geducktem Kopf im Röhricht,
und der graue Elefant schob sich wie ein wan-
dernder Felsen zwischen den Baumstämmen fort.
In einer anderen Ecke besaß ich einen Hafen.
Schiffe kamen aus fremden Ländern den Strom
herauf und legten an den Kaimauern an. Ihre
breiten Rümpfe versanken fast von dem Unmaß
der Kostbarkeiten, die sie trugen, und die Purpur-
Teppiche, die Gold- und Perlenketten hingen vom
Verdeck herab und zogen helle Schaumstreisen
über das Wasser.
Hinter dem Ofen hatte der gefräßige Riese
Obuboli seine Höhle. Er saß auf ein qualmendes
Feuer gebückt, Fledermäuse umkreisten ihn, und
der Wind pfiff in den Spalten des Gesteins. Und
oft bog er sich mit halbeni Leibe ins Zimmer,
schüttelte den dicken Kopf und zeigte mir seine
gelben Zähne, die wie Schaufeln aus dem schwarzen
Gaumen staken. In der einen Hand hielt er ein
langes Messer, in der andern ein Stück rohes
Fleisch, von denr zwischen seinen Fingern Blut
heruntertroff. Ich aber ging mit dem Schürhaken
auf ihn los. Da duckte er sich und verschwand, und
meine Waffe stieß polternd gegen die Ofenkacheln.
Doch eines Tages fiel die Langeweile schwer
auf mich wie ein nasses Tuch und drückte mich
zu Boden. Und ich sah, daß mein Zimmer arnr
und häßlich war. Die bunten Vögel hatten auf-
gehört, nrit den Flügeln zu schlagen, sie hockten
steif und von der Sonne verblichen in dem zackigen
Blätterwerk der Tapete. Mein Urwald war ein
niedriges Drahtgeftell, auf denr ein paar Blunren-