sträucher in Tonscherben unter Staub und^ Spinn-
gewebe vertrockneten. Ich tief zu dem Seehafen
hinüber. Ein btangematter Tisch lehnte in der
Ecke, und weihe Streifen abgestoßenen Mörtels
zogen sich längs der Wand hin: das waren meine
Kauffahrer-Schiffe. Ich blickte in die Höhle des
Riefen Obuboli. Ein enger dunkler Raum von
Schmutz und Kalkstückchen erfüllt. Die Tapeten
hingen in Fetzen und raschelten und krachten von
der Ofenwarme.
Da öffnete ich die Tür zu dem zweiten Zimmer
und trat hinein. Es hatte niedrige Fenster, deren
Scheiben mit grauer Farbe überstrichen waren.
Ringsum standen auf Regalen unzählige Bücher
in Pappendeckel gebunden und auf den Rücken
mit gelben Schildchen beklebt. Ans der Ecke kam
ein hagerer schwarzer Mann; ich hatte ihn zuerst
für ein Uhrgehäuse gehalten. Er ging auf mich
zu, langsanr schaukelnd, als wären Räder unter
seinen Füßen, er legte mir seine große Hand auf
den Kopf und sagte mit knarrender Stimme: „So,
mein Söhnchen, nun bist Du zu mir gekommen,
und nun wollen wir ein wenig lernen, damit wir
recht gescheit werden." Und er drückte mich auf
ein Holzbäukchen nieder und hielt mir ein Buch
voll schwarzer Schriftzeichen unter die Nase, heftete
seinen tintenfleckigen Finger darauf und schnurrte:
„Siehst Du, das heißt nun so und so, und das
mußt Du Dir merken." Doch kaum war ich
damit fertig, so laugte er schon neue Bücher von
den Regalen. Seine häßliche Stimme kratzte an
meinem Ohr, ich fühlte einen bitteren Geschmack
auf der Zunge, das Wasser trat mir in die Augen,
und die Schriftzeichen zerflossen wie Teerfäden in
einer breiten Milchlache. Ich wollte davonlausen,
doch er hielt mich an den Haaren fest, und schlug
mich mit seinen spitzen Knöcheln.
Ich lernte und lernte. In meinem Schädel
war ein Rasseln und Gedröhn, als würde eine
eiserne Kette an einer Winde heraufgezogen.
Nachts lag ich zusammengekrümmt in einem
schmalen Bett und um mich stand die Dunkelheit
wie Gefängnismauern. Manchmal schrie ich vor
Angst, doch niemand hörte es. Dann überkam
mich der Schlaf und ich träumte von dem Zim-
mer mit den bunten Bögeln, von dem Urwald
und dem Hafen. Die Kauffahrerschiffe tanzten
über meine Bettdecke und von oben aus der
Finsternis schwebte das zottige Haupt des Riesen
Obuboli zu mir herab, wie eine große mit Werg
behabgene Kartoffel. Am Tage aber rauschten die
Buchseiten und die Stimme des häßlichen Mannes
knarrte und in meinem Schädel zog sich die eiserne
Kette langsam — endlos an der Winde herauf.
Einmal fand ich unter den Regalen eine alte
Spiegelscheibe mrd sah hinein. Und aus dem
bleichen, wie von Rost zerfressenen Silbergrund
blickte mich ein Tiergesicht an mit schlaffer Haut
und erloschenen Augen. Ich zerbrach das Glas,
die Splitter drangen mir ins Fleisch. Ich hob die
blutigen Fäuste und stürzte auf den Alten los. Er
stand im Winkel und knarrte und plapperte ohne
Ende.^ Sein Gesicht war ein zersprungenes, halb-
verwischtes Zifferblatt, über das die geschnörkelten
Ieiger langsam fortrückten, sein Leib ein dunkles
Holzgehäuse mit trüben Gläsern. Dahinter flog
das Pendel auf und ab und die schweren Messing-
gewichte sanken zitternd in die Tiefe.
. Ein Schwindelgefühl ergriff nrich. Der Uhr-
Kasten tickte so laut, daß die Dielen unter mir
bebten, und mein Herz schlug mit, angstvoll und
beklemmend bis zum Halse.
_ Plötzlich verfinsterte sich der Tag, als falle
«taub vom Himmel. Ich drehte mich um: da
uefen zahllose Spinnen hastig an den Wänden
Km und her und zogen ihre grauen Fäden. Die
Winkel des Zimmers rundeten sich, die Bücher-
regale verschwanden und die Fenster dämmerten
nur noch wie blasse Flecke durch das Gewebe.
Ich sah bei dem fahlen Licht schon halb ver-
sponnen eine kleine Tür, die ich niemals bemerkt
hatte. Ich sprang auf sie zu und trat in das
dritte Zimmer.
Seine Wände waren dunkelgrün von körnigen
Goldadern durchzogen, die sprühend vorwärts-
glitten, sich teilten und wieder zusammenflossen
und der Raum dehnte sich unabsehbar weit und
schien mit jedem Tage noch zu wachsen. Ein
lauer einschläfernder Duft erfüllte ihn und atmend
vergaß ich alle Angst und Häßlichkeit, die mich
gequält hatte. Auf einem bunten Teppich lagen
seltsame Instrumente: schwarze gewölbte Truhen
mit runden Schallöchern, über die sich blitzend
eine Wirrnis von Saiten spannte, Elfcnbein-
hörner, Spieldosen ans Glas und kupferne
Pauken, um deren Ränder an grünen Leder-
schnüren weiße Glöckchen hingen. Wenn id) eins
von den Wundersachen in meine Hände nahm,
begami es von selber zu schwirren und zu tönen,
z» brausen »itd zu dotmern, und ich lag von den
Klängen umhüllt auf dem bunten Teppich und
besah wie im Traum die eingewebten Muster.
Da waren alle Erdteile: Ströme, Meere und Ge-
birge, Wolken, Tempel und Schlösser, Kirchen
und Feuersbrünste. Aber ich wurde niemals mit
dem Anschaucn fertig, detiit cs gab dort so zahl-
lose, so entlegene und versteckte Länder, daß ich
immer neue Dinge zuur Petrachte» fand.
Längs den grünen Wättden erhoben sich breite
Schräiike bis zum Deckensims. Ich hatte irgend
einen Wunsch: da öffneten sich die Schranktüren
und aus den Fächern rollten große gemalte
Blätter vor mich hin. Ich durfte sie nur an-
sehen, und mein Wunsch war erfüllt. Ich wurde
König im Kaffernlande, aß Menschenfleisch und
heiratete hundert blanke schwarze Frauen. Ich
ritt auf einem gelben Blitzstrahl durch den Him-
melsraum und zertrennte die geschwollenen Bäuche
der Wolken, daß das Wasser wie aus Mulden
abwärts stürzte. Ich hieb mich blutend mit dem
Säbel durch ein Dickicht von Fratzen, ich plün-
derte in brennenden Häusern, raffte Gold aus er-
brochenen Truhen, während über mir die glim-
mende Decke barst. Ich lebte als heiliger Mann
in der Wüste, scheu, abgezehrt und ruhelos wie
ein Tier, ich lag am Boden in der kalten Nacht-
luft und schrie meine Gebete.
Aber wenn ich ermattet von dem Sturm all
der Bilder die Augen schloß, hörte ich ganz fern
das heisere Tickeii einer Uhr, und nachts im Schlaf
beugte sich der Alte auf mich herab und tastete mit
der knöchernen Hand nach meiner Kehle. Sein
Gesicht war ein zersprungenes Zifferblatt, doch an
Stelle der Zahlen funkelten ringsum kleine tückische
Augen, mid eine dürre Nase drehte sich als Zeiger
in der Mitte. Aber die Morgensonne verscheuchte
(Schluß auf Seite 71)
gewebe vertrockneten. Ich tief zu dem Seehafen
hinüber. Ein btangematter Tisch lehnte in der
Ecke, und weihe Streifen abgestoßenen Mörtels
zogen sich längs der Wand hin: das waren meine
Kauffahrer-Schiffe. Ich blickte in die Höhle des
Riefen Obuboli. Ein enger dunkler Raum von
Schmutz und Kalkstückchen erfüllt. Die Tapeten
hingen in Fetzen und raschelten und krachten von
der Ofenwarme.
Da öffnete ich die Tür zu dem zweiten Zimmer
und trat hinein. Es hatte niedrige Fenster, deren
Scheiben mit grauer Farbe überstrichen waren.
Ringsum standen auf Regalen unzählige Bücher
in Pappendeckel gebunden und auf den Rücken
mit gelben Schildchen beklebt. Ans der Ecke kam
ein hagerer schwarzer Mann; ich hatte ihn zuerst
für ein Uhrgehäuse gehalten. Er ging auf mich
zu, langsanr schaukelnd, als wären Räder unter
seinen Füßen, er legte mir seine große Hand auf
den Kopf und sagte mit knarrender Stimme: „So,
mein Söhnchen, nun bist Du zu mir gekommen,
und nun wollen wir ein wenig lernen, damit wir
recht gescheit werden." Und er drückte mich auf
ein Holzbäukchen nieder und hielt mir ein Buch
voll schwarzer Schriftzeichen unter die Nase, heftete
seinen tintenfleckigen Finger darauf und schnurrte:
„Siehst Du, das heißt nun so und so, und das
mußt Du Dir merken." Doch kaum war ich
damit fertig, so laugte er schon neue Bücher von
den Regalen. Seine häßliche Stimme kratzte an
meinem Ohr, ich fühlte einen bitteren Geschmack
auf der Zunge, das Wasser trat mir in die Augen,
und die Schriftzeichen zerflossen wie Teerfäden in
einer breiten Milchlache. Ich wollte davonlausen,
doch er hielt mich an den Haaren fest, und schlug
mich mit seinen spitzen Knöcheln.
Ich lernte und lernte. In meinem Schädel
war ein Rasseln und Gedröhn, als würde eine
eiserne Kette an einer Winde heraufgezogen.
Nachts lag ich zusammengekrümmt in einem
schmalen Bett und um mich stand die Dunkelheit
wie Gefängnismauern. Manchmal schrie ich vor
Angst, doch niemand hörte es. Dann überkam
mich der Schlaf und ich träumte von dem Zim-
mer mit den bunten Bögeln, von dem Urwald
und dem Hafen. Die Kauffahrerschiffe tanzten
über meine Bettdecke und von oben aus der
Finsternis schwebte das zottige Haupt des Riesen
Obuboli zu mir herab, wie eine große mit Werg
behabgene Kartoffel. Am Tage aber rauschten die
Buchseiten und die Stimme des häßlichen Mannes
knarrte und in meinem Schädel zog sich die eiserne
Kette langsam — endlos an der Winde herauf.
Einmal fand ich unter den Regalen eine alte
Spiegelscheibe mrd sah hinein. Und aus dem
bleichen, wie von Rost zerfressenen Silbergrund
blickte mich ein Tiergesicht an mit schlaffer Haut
und erloschenen Augen. Ich zerbrach das Glas,
die Splitter drangen mir ins Fleisch. Ich hob die
blutigen Fäuste und stürzte auf den Alten los. Er
stand im Winkel und knarrte und plapperte ohne
Ende.^ Sein Gesicht war ein zersprungenes, halb-
verwischtes Zifferblatt, über das die geschnörkelten
Ieiger langsam fortrückten, sein Leib ein dunkles
Holzgehäuse mit trüben Gläsern. Dahinter flog
das Pendel auf und ab und die schweren Messing-
gewichte sanken zitternd in die Tiefe.
. Ein Schwindelgefühl ergriff nrich. Der Uhr-
Kasten tickte so laut, daß die Dielen unter mir
bebten, und mein Herz schlug mit, angstvoll und
beklemmend bis zum Halse.
_ Plötzlich verfinsterte sich der Tag, als falle
«taub vom Himmel. Ich drehte mich um: da
uefen zahllose Spinnen hastig an den Wänden
Km und her und zogen ihre grauen Fäden. Die
Winkel des Zimmers rundeten sich, die Bücher-
regale verschwanden und die Fenster dämmerten
nur noch wie blasse Flecke durch das Gewebe.
Ich sah bei dem fahlen Licht schon halb ver-
sponnen eine kleine Tür, die ich niemals bemerkt
hatte. Ich sprang auf sie zu und trat in das
dritte Zimmer.
Seine Wände waren dunkelgrün von körnigen
Goldadern durchzogen, die sprühend vorwärts-
glitten, sich teilten und wieder zusammenflossen
und der Raum dehnte sich unabsehbar weit und
schien mit jedem Tage noch zu wachsen. Ein
lauer einschläfernder Duft erfüllte ihn und atmend
vergaß ich alle Angst und Häßlichkeit, die mich
gequält hatte. Auf einem bunten Teppich lagen
seltsame Instrumente: schwarze gewölbte Truhen
mit runden Schallöchern, über die sich blitzend
eine Wirrnis von Saiten spannte, Elfcnbein-
hörner, Spieldosen ans Glas und kupferne
Pauken, um deren Ränder an grünen Leder-
schnüren weiße Glöckchen hingen. Wenn id) eins
von den Wundersachen in meine Hände nahm,
begami es von selber zu schwirren und zu tönen,
z» brausen »itd zu dotmern, und ich lag von den
Klängen umhüllt auf dem bunten Teppich und
besah wie im Traum die eingewebten Muster.
Da waren alle Erdteile: Ströme, Meere und Ge-
birge, Wolken, Tempel und Schlösser, Kirchen
und Feuersbrünste. Aber ich wurde niemals mit
dem Anschaucn fertig, detiit cs gab dort so zahl-
lose, so entlegene und versteckte Länder, daß ich
immer neue Dinge zuur Petrachte» fand.
Längs den grünen Wättden erhoben sich breite
Schräiike bis zum Deckensims. Ich hatte irgend
einen Wunsch: da öffneten sich die Schranktüren
und aus den Fächern rollten große gemalte
Blätter vor mich hin. Ich durfte sie nur an-
sehen, und mein Wunsch war erfüllt. Ich wurde
König im Kaffernlande, aß Menschenfleisch und
heiratete hundert blanke schwarze Frauen. Ich
ritt auf einem gelben Blitzstrahl durch den Him-
melsraum und zertrennte die geschwollenen Bäuche
der Wolken, daß das Wasser wie aus Mulden
abwärts stürzte. Ich hieb mich blutend mit dem
Säbel durch ein Dickicht von Fratzen, ich plün-
derte in brennenden Häusern, raffte Gold aus er-
brochenen Truhen, während über mir die glim-
mende Decke barst. Ich lebte als heiliger Mann
in der Wüste, scheu, abgezehrt und ruhelos wie
ein Tier, ich lag am Boden in der kalten Nacht-
luft und schrie meine Gebete.
Aber wenn ich ermattet von dem Sturm all
der Bilder die Augen schloß, hörte ich ganz fern
das heisere Tickeii einer Uhr, und nachts im Schlaf
beugte sich der Alte auf mich herab und tastete mit
der knöchernen Hand nach meiner Kehle. Sein
Gesicht war ein zersprungenes Zifferblatt, doch an
Stelle der Zahlen funkelten ringsum kleine tückische
Augen, mid eine dürre Nase drehte sich als Zeiger
in der Mitte. Aber die Morgensonne verscheuchte
(Schluß auf Seite 71)