I-5ei etwaigen Bestellvingon Dlttet man auf die Münchner »»JUGEND“ Bezug zu nehmen.
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ihn, und ich lag wieder auf dem bunten Teppich
und rollte die Bilderbogen meiner Wünsche und
Träume vor mir auf.
Einmal fand ich zwischen den Schränken ver-
steckt eine Tür. Ich öffnete sie, ich trat in das
vierte Zimmer.
Eine kleine hübsche Person, ein Mädchen von
achtzehn Jahren, kam mir entgegen. Sie lächelte,
sie machte eine spottende Verbeugung und sagte
irgend etwas Dummes mit ihrer Hellen spröden
Kinderstimme. Ich erinnere mich nicht, was ich
an ihr Besonderes fand, sie war weih und rot,
schlank und biegsam wie hundert andere, aber ich
konnte den Blick nicht mehr von ihr lassen. Ich
wünschte ihr Haar um meine Finger zu wickeln,
ihre Kehle zwischen meine Hände zu nehmen und
sie zu küssen, bis ihr der Atem ausginge. Aber
ich wagte es nicht.
Zuerst war sie gut und heiter, doch als sie
meine stumme Bewunderung merkte, kannten ihre
Launen keine Grenze. Sie befahl mir die ver-
rücktesten Dinge, und ich tat alles, was sie wollte.
Ich geriet fast von Sinnen, wenn sie den Kopf zur
Seite geneigt unter halb geschlossenen Lidern mich
kühl und trotzig ansah oder wie aus Zufall dicht
an mir vorbeiging, dah ihr Kleid mich streifte
und ich einen Augenblick ihren warmen runden
Körper durchfühlte.
t Plötzlich merkte ich, dah wir nicht allein waren.
Rings im Immer standen Leute mit grauen Ge-
sichtern und lachten und klatschten in die Hände.
„Welch ein schönes Paar," sagten sie, „ach, glück-
liche Jugend, glückliche Jugend." Doch sie lachten
nur zum Schein; durch ihre heiteren Mienen sah
ich wie durch dünne Flor-Masken ein zweites
Gesicht hart uitd bitter herausschielen. Ihre Fröh-
lichkeit war so abgemessen, ihr Händeklatschen so
regelrecht, »itd iä> hörte ganz deutlich in ihm das
scharfe Tickeit einer Uhr: vorwärts, beeile dich,
beeile dich.
Das kleine Mädchen hielt sich jetzt scheu von
mir entfernt. Manchmal wollte ich näherkomnien,
ging einen Schritt, blieb dann stehn und settkte
traurig den Kopf. Und ich merkte auf einmal,
wie dumm und häßlich sie aussah, unb wäre am
liebsten fortgelaufen. "Aber da standen die Leute
mit dctt grauen Gesichtern so itah im Kreise um
uns, unb das Uhrticken klang so laut und ein-
dringlich, und ich umfaßte das Mädchen, küßte
es auf den Mund utid sagte — ich oder ein an-
derer, ich weiß es nicht — sagte, daß wir uns
sehr liebhaben unb immer Zusammensein wollten.
Immer, immer.
Ich bin dann noch durch ein paar Stuben ge-
kommen, doch hielt ich niich in keiner lange auf.
Ich hatte stets den Türdrücker der nächsten in
der Hand, sah mich noch einmal um und ging
weiter. Ich fühlte weder Angst noch Freude; es
war wie eine Arbeit, die man rasch und gleich-
gültig verrichtet, um sie loszusein.
In einem Zimmer saßen viele Menschen und
redeten durcheinander, rissen die Augen auf und
schlugen mit gespreizten Fingern in die Luft. Ihre
Köpfe waren rot, ihre Stirnen mit Schweiß be-
deckt, mrd einer sah dem andern ähnlich. Ich
hörte ihiren ein Weilchen zu, doch sie sprachen
immer dasselbe und kamen nie zu Ende. Ich
glaubte in einem zerzausten Garnknäuel zu stecken,
ich wollte mich herauswinden, aber die Fäden
verstrickten mich nur noch mehr.
In einem anderen Zimmer stand ein Sarg
aufgebahrt. Die Spiegel wareir mit Leintüchern
verhängt, der Boden init zerschnittenen Tannen-
ästcn bestreut. Lichter brannten steil und ruhig
in der kühlen Luft. Ich hörte mich sä>luchzen,
ich fühlte meine Tränen Herabrollen, aber ich
wußte nicht, warum ich weinte. Der Tote lag still
in seinem Sarge und machte ein fremdes Gesicht.
In einen, dritten Zimmer fand ich das kleine
Mädchen wieder. Sie war alt und dick geworden,
das Kleid saß ihr am Leibe wie ein staubiger Lap-
pen und die Haare hingen verzottelt um den Kopf.
Sie reckte sich, sie wies mir gähnend ihre schwarzen
Zahnlücken und jammerte über die viele Mühe und
Arbeit. O, es lohnt sich nicht daran zu denken.
Und noch ein paar Zimmer, graue häßliche
Zimmer voll Unordnung und schlechter Luft. Ich
weiß nicht, was ich ihnen getan habe, mir ist, als
sei ich atemlos durch sie hindurchgelaufen. Hinter
meinem Rücken klang das heisere Tick-tack einer
Uhr: rasch, rasch, beeile dich, beeile dich. Und ich
lief und lief. Und eines Tages fand ich, daß
keine neue Tür mehr zu öffnen, kein neries Zimmer
inehr zu betrachten war.
Das ist das Ganze: ich bin durch ein paar
Zimmer gegangen, ich habe ein paar Türen auf-
und zugemacht. Und iiilii sitze ich in diesem
gläsernen Käfig und höre den Regen fallen.
Ich war einmal Beherrscher des Kafsernlandes,
ich fuhr auf einem gelben Blitz durch den Luft-
raum, id) lebte als heiliger Mann i» der Wüste
und betete Tag und Nacht; aber jetzt habe ich
nur noch den Wunsch, eins von jenen weichen durch-
tränkten Semmelbröckchen zwischen den Gaumen
zu zerdrücken lind langsam hinunterzuschlucken.
Ob ich wohl rufe, daß jemand kommt, ob ich
wohl — — ach nein, nein, lieber nicht, lieber
nicht — es ist besser so. Ich kann die Tasse ja
in Frieden ansehen und mich still über sie freuen.
Doch manchmal, wenn mich die Langeweile
zu sehr plagt, kommt der Alte und stellt sich dort
im Winkel auf, mager und eckig, als hätte er
den schwarzen Rock über einen, Skelett zuge-
knöpft. Seil, Kinn hängt schlaff und wie zer-
brochen, die Mundhöhle ist mit Erde gefüllt, doch
innen schlägt noch die Zunge lallend aus und
nieder und zählt die Augenblicke — leise, leise
-kaum hörbar — — — —"
Der Mann in der Glasveranda ist müde vom
vielen Nachdenken, er möchte gern ein bißchen
schlafen. Aber er niuß seinen Kopf unablässig hin-
i»id Herschwingen — unablässig wie ein Pendel.
Es klatscht an die Fensterscheiben, es rauscht
im Fliedergebüsch, cs gurgelt in der geborstenen
Wassertonne. Seit sieben Tagen fällt der Regen
kalt und »aß aus das flache Land. Nein, es muß
zum mindesten schon einen halben Monat her sein,
vielleicht schon ein ganzes Jahr.
Wenn man unter seiner Tür steht, sieht man
fünf Schritt entfernt die Regenwand herabhängen,
und geht inan ein wenig ins Freie, so geht auch
sie klingend unb rauschend mit und schließt sich
hinter den, Rücken. Man weiß nicht, woher man
gekommen ist, man sieht nichts als unten ein
paar Steine von deni schmutzigen Pflaster und
ringsum den grauen Vorhang aus Wasserfäden.
Man ist wie in einem Gefängnis.
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ihn, und ich lag wieder auf dem bunten Teppich
und rollte die Bilderbogen meiner Wünsche und
Träume vor mir auf.
Einmal fand ich zwischen den Schränken ver-
steckt eine Tür. Ich öffnete sie, ich trat in das
vierte Zimmer.
Eine kleine hübsche Person, ein Mädchen von
achtzehn Jahren, kam mir entgegen. Sie lächelte,
sie machte eine spottende Verbeugung und sagte
irgend etwas Dummes mit ihrer Hellen spröden
Kinderstimme. Ich erinnere mich nicht, was ich
an ihr Besonderes fand, sie war weih und rot,
schlank und biegsam wie hundert andere, aber ich
konnte den Blick nicht mehr von ihr lassen. Ich
wünschte ihr Haar um meine Finger zu wickeln,
ihre Kehle zwischen meine Hände zu nehmen und
sie zu küssen, bis ihr der Atem ausginge. Aber
ich wagte es nicht.
Zuerst war sie gut und heiter, doch als sie
meine stumme Bewunderung merkte, kannten ihre
Launen keine Grenze. Sie befahl mir die ver-
rücktesten Dinge, und ich tat alles, was sie wollte.
Ich geriet fast von Sinnen, wenn sie den Kopf zur
Seite geneigt unter halb geschlossenen Lidern mich
kühl und trotzig ansah oder wie aus Zufall dicht
an mir vorbeiging, dah ihr Kleid mich streifte
und ich einen Augenblick ihren warmen runden
Körper durchfühlte.
t Plötzlich merkte ich, dah wir nicht allein waren.
Rings im Immer standen Leute mit grauen Ge-
sichtern und lachten und klatschten in die Hände.
„Welch ein schönes Paar," sagten sie, „ach, glück-
liche Jugend, glückliche Jugend." Doch sie lachten
nur zum Schein; durch ihre heiteren Mienen sah
ich wie durch dünne Flor-Masken ein zweites
Gesicht hart uitd bitter herausschielen. Ihre Fröh-
lichkeit war so abgemessen, ihr Händeklatschen so
regelrecht, »itd iä> hörte ganz deutlich in ihm das
scharfe Tickeit einer Uhr: vorwärts, beeile dich,
beeile dich.
Das kleine Mädchen hielt sich jetzt scheu von
mir entfernt. Manchmal wollte ich näherkomnien,
ging einen Schritt, blieb dann stehn und settkte
traurig den Kopf. Und ich merkte auf einmal,
wie dumm und häßlich sie aussah, unb wäre am
liebsten fortgelaufen. "Aber da standen die Leute
mit dctt grauen Gesichtern so itah im Kreise um
uns, unb das Uhrticken klang so laut und ein-
dringlich, und ich umfaßte das Mädchen, küßte
es auf den Mund utid sagte — ich oder ein an-
derer, ich weiß es nicht — sagte, daß wir uns
sehr liebhaben unb immer Zusammensein wollten.
Immer, immer.
Ich bin dann noch durch ein paar Stuben ge-
kommen, doch hielt ich niich in keiner lange auf.
Ich hatte stets den Türdrücker der nächsten in
der Hand, sah mich noch einmal um und ging
weiter. Ich fühlte weder Angst noch Freude; es
war wie eine Arbeit, die man rasch und gleich-
gültig verrichtet, um sie loszusein.
In einem Zimmer saßen viele Menschen und
redeten durcheinander, rissen die Augen auf und
schlugen mit gespreizten Fingern in die Luft. Ihre
Köpfe waren rot, ihre Stirnen mit Schweiß be-
deckt, mrd einer sah dem andern ähnlich. Ich
hörte ihiren ein Weilchen zu, doch sie sprachen
immer dasselbe und kamen nie zu Ende. Ich
glaubte in einem zerzausten Garnknäuel zu stecken,
ich wollte mich herauswinden, aber die Fäden
verstrickten mich nur noch mehr.
In einem anderen Zimmer stand ein Sarg
aufgebahrt. Die Spiegel wareir mit Leintüchern
verhängt, der Boden init zerschnittenen Tannen-
ästcn bestreut. Lichter brannten steil und ruhig
in der kühlen Luft. Ich hörte mich sä>luchzen,
ich fühlte meine Tränen Herabrollen, aber ich
wußte nicht, warum ich weinte. Der Tote lag still
in seinem Sarge und machte ein fremdes Gesicht.
In einen, dritten Zimmer fand ich das kleine
Mädchen wieder. Sie war alt und dick geworden,
das Kleid saß ihr am Leibe wie ein staubiger Lap-
pen und die Haare hingen verzottelt um den Kopf.
Sie reckte sich, sie wies mir gähnend ihre schwarzen
Zahnlücken und jammerte über die viele Mühe und
Arbeit. O, es lohnt sich nicht daran zu denken.
Und noch ein paar Zimmer, graue häßliche
Zimmer voll Unordnung und schlechter Luft. Ich
weiß nicht, was ich ihnen getan habe, mir ist, als
sei ich atemlos durch sie hindurchgelaufen. Hinter
meinem Rücken klang das heisere Tick-tack einer
Uhr: rasch, rasch, beeile dich, beeile dich. Und ich
lief und lief. Und eines Tages fand ich, daß
keine neue Tür mehr zu öffnen, kein neries Zimmer
inehr zu betrachten war.
Das ist das Ganze: ich bin durch ein paar
Zimmer gegangen, ich habe ein paar Türen auf-
und zugemacht. Und iiilii sitze ich in diesem
gläsernen Käfig und höre den Regen fallen.
Ich war einmal Beherrscher des Kafsernlandes,
ich fuhr auf einem gelben Blitz durch den Luft-
raum, id) lebte als heiliger Mann i» der Wüste
und betete Tag und Nacht; aber jetzt habe ich
nur noch den Wunsch, eins von jenen weichen durch-
tränkten Semmelbröckchen zwischen den Gaumen
zu zerdrücken lind langsam hinunterzuschlucken.
Ob ich wohl rufe, daß jemand kommt, ob ich
wohl — — ach nein, nein, lieber nicht, lieber
nicht — es ist besser so. Ich kann die Tasse ja
in Frieden ansehen und mich still über sie freuen.
Doch manchmal, wenn mich die Langeweile
zu sehr plagt, kommt der Alte und stellt sich dort
im Winkel auf, mager und eckig, als hätte er
den schwarzen Rock über einen, Skelett zuge-
knöpft. Seil, Kinn hängt schlaff und wie zer-
brochen, die Mundhöhle ist mit Erde gefüllt, doch
innen schlägt noch die Zunge lallend aus und
nieder und zählt die Augenblicke — leise, leise
-kaum hörbar — — — —"
Der Mann in der Glasveranda ist müde vom
vielen Nachdenken, er möchte gern ein bißchen
schlafen. Aber er niuß seinen Kopf unablässig hin-
i»id Herschwingen — unablässig wie ein Pendel.
Es klatscht an die Fensterscheiben, es rauscht
im Fliedergebüsch, cs gurgelt in der geborstenen
Wassertonne. Seit sieben Tagen fällt der Regen
kalt und »aß aus das flache Land. Nein, es muß
zum mindesten schon einen halben Monat her sein,
vielleicht schon ein ganzes Jahr.
Wenn man unter seiner Tür steht, sieht man
fünf Schritt entfernt die Regenwand herabhängen,
und geht inan ein wenig ins Freie, so geht auch
sie klingend unb rauschend mit und schließt sich
hinter den, Rücken. Man weiß nicht, woher man
gekommen ist, man sieht nichts als unten ein
paar Steine von deni schmutzigen Pflaster und
ringsum den grauen Vorhang aus Wasserfäden.
Man ist wie in einem Gefängnis.