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Im zerschossenen Metzeral

A. Schönmann (Schütze)

Auf Posten in ?rankmtf)

(Meiner Mutter)

Seit das letzte Licht verblich,

Wach ich an deS Dorfes Schwelle,
Dunkle Giebel spitzen sich
In des Abends Silberhelle.

Und an Haus vorbei und Hütte
Stapf ich durch de» tiefen Schnee,
Knirscht so wund und knirscht so weh,
Fühlt auch er des Fremden Schritte?

Rings nur Haß. Doch weit in Fernen
Unter diesen gleichen Sternen
Wachst Du, die mich hoffend trug.

Und mich segnet Deine Rahe,

Nun ich hier ins Dunkel spähe,
Schußbereit die Hand am Zug.

Günther Bvienitzce (Gefreiter)

Die Wanduhr

In seinem Arbeitszimmer
Liegt er nun aufgebahrt,

Kränze und Kerzengeflimmer
Um seinen Sarg geschart.

Und die Bänder und Kerzen
Künden mit prunkendem Wort:

Ewig und ohne Grenzen
Dauert sein Wirken nun fort!

Uber dem Schimmern und Wogen
Hängt die Uhr an der Wand,

Die er noch aufgezogen
Mit seiner blutwarmen Hand.

Da sie den Sarg nun heben,

Spricht sie ihr zögerndes Wort:

Er gab mir immer das Leben
Und nun geht er mir fort.

Was sie nur meinen und sagen,

Daß er unsterblich sei?

Bald wird mein Werk nimmer schlagen.
Dann ist auch sein Werk vorbei. . .

Hugo Salus

SchneefaK

Schneefall: Der Natur intimste, locker hinge-
tupfte Skizze i» Schwarz-Weiß. Selbst der Him-
mel ist ein Schatten, leise hingestriche» über die
Buchenverästelungen. Die stehen wie ein dunkles
Gitter, an das der Wind wie ein hastiger Schaufler
grobe große Flocken wie zerrissene Schatten wirft.
Aber zu ruhigem Fall sieben sie weiß durch die
Zweige, flocken und wirbeln wie unbegreiflich
weiße Tupfen eines Gewebes um einer Hütte
Dach: Traumsaat. Sie häuft sich auf Hütte und
Erde und die Flocken sprechen und singen: Wir
schließen — wir schließen. Wir sind tausend weiße
Lider für tausend offene Augen der Erde. Die
Flocken sprechen und singen in dem feinen lieben
Rhythmus der Märcheucrzählerin Großmutter vor
dem Kamin, in dem Rhythmus leiser, schneller

Uhrenpendel in verhängten, dämmerigen Stuben,
in dem Rhythmus alles Lieben, Leisen und Hei-
meligen.

Traumsaat legt sich auf die Fenstersimse und
wartet — sucht Äugen und Herzen — Und siehe
— Märchen und Wunder gehen auf in den Herzen
der Menschen.

Alle Dinge sind farblos geworden, schattig
und dunkel wie Erde vor dem unbegreiflichen
Weiß des Schnees. Die Linie aber, die das
stumpfe Weiß von dem Dunkel der Dinge trennt,
diese unendlich weiße Linie ist schön, daß sie mich
zum Stehen zwingt. Sinnender Ernst und ver-
stohlene Zärtlichkeit sind in ihr wie zwischen den
Zeilen, wie ein Lächeln um einer Großmutter
Mund, der ein Märchen weiß.

Traumsaat ballt sich unter meinem Schritt
und auch in mir geht sie auf als ein Lied der
Freude, das verhaucht und leise klingt.

Träume, Märchen und Wunder: die Luft ist
voll davon. Hermann Schieder

Und stehe, fo entstanden meine Hievet

Und siehe, so entstanden meine Lieder:

Ein Sehnsuchtsblick, ein Kuß, ein liebes Wort —
Ein Blatt am Boden, herbstlich welk,

verdorrt —

Der windverwehte Duft von blauem Flieder -—
Ein wonnig Spielen marmorweißer Glieder -—
Ein Blättchen Liebe und viel Blätter Leid —
Vernarbte Wunden einer toten Zeit. . .
Und siehe, so entstanden meine Lieder.

Otto Röntg

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Register
Otto König: Und siehe, so entstanden meine Lieder
Günther Brienitzer: Auf Posten in Frankreich
Hugo Salus: Die Wanduhr
Anton Schönmann: Im zerschossenen Metzeral
Hermann Schieder: Schneefall
 
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