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Frühlingsboten Fritz Lerpe (Leipzig)

Das 0riin, di« Stadt und der Sturm

Das 0rün! Das 6rün! . . .

Jfus Zugendtagen der Erde
Lacht es herauf
Und ins Dunkel der Zeiten
Leuchtet ’s hinein:

Überwinder von Dacht und

Ulinter und Eis,

Stiller öerkiinder des

wiederkehrenden Lichts,

Wahrendes Unterpfad

animalischen Lebens —

Sankt erichlofienes,

Irisch der Sdiolle entkräftenes,

Lachendes, leuchtendes,

Därrifch-Heiliges 6rün!

Seht, da liegt Ile, die Stadt,

Bunt am Bügelgelände,

Mit ihren Winkeln und gaffen,
grämlichen Bällen und Bäufern,

Eng gedrückt beieinander,

Weih und gelblich und rot —

Seht da liegt fie im 0riin
Mit all ihrer Mühfal und Hot,

Armut und ärmlicher Wohlftand
schillernd gemilcht,

Bauernd im Winterfchlaf
Doch der Dergangenheit,

Aber schon mälig fich räkelnd,
fallend im Tal sich

verbreiternd —

Seht, da liegt sie im schmelzenden
Saftig-lebendigen,
gläubig-hollenden grün!

Das grün und hier oben der Sturm!
hoch in den Lüften,

Baum in den Spitzen der höchsten
Bäume zu spüren,

Mit verhaltenen Donnern,

Brauft er dahin, der Sturm —

Ein Erneurer und Säubrer,

Ein Erwecker der Welt,

Und alle die Taufend
Irisch der Scholle entsprossenen,

Leben wollenden Bälmchen
Becken zagend ihr B^upt,

Zagend und mutig zugleid),

Seines stärkenden Odems
Dur einen Bäuch zu erhaschen.

Ludwig Scftarf

Stiere

Das V7cft

3n der Gegend von Peronne steht ein ver-
branntes Haus, Eine Brandgrnnate hat es ge-
troffen, vor einem Jahr, Außer den Grundmauern
ist nichts geblieben. In einem Winkel dieser Grund-
mauern hat sich ein Finkenpärchen sein Nest gebaut.

Ich habe das Nest gesehen. Zwei winzige Eier
lagen darin, ganz meid) in Moos und Federn
gebettet.

Aber die Form des Nestes wurde von einem
Granatenboden gebildet. Bon einem Teil des
Geschosses, das vor einem Jahre dieses Haus
vernidztete . . ,

Das ftrebfame pferd Hekuba und der
Zicgenbock Johannes

Sie kannten fid) seit Jahren, aber sie liebten
sich ,iid)t. Die Hekuba war ein fleißiges und
adztbares Dienstpferd, Johannes ein außer dem
Etat durchgefütterter Hanswurst, Ein leidztfertiger
Hanswurst, um es nur gleich zu sagen! Wäre
ihm durch ein Wunder Menschengestalt verliehen
worden, so hatte er fidier allerlei Liebschaften an-
gebandelt, Schulden beim Kantinenwirt gemadzt,
und niemals Knöpfe geputzt; die Helmba würde
im gleichen Fall augenblicklidi die Stallgassen ge-
fegt und das Lederzeug in Ordnung gebracht haben.

Daß der Bock Johannes überhaupt mit in den
Krieg durfte, verdankte er der Fürspraäze des
Leutnants Steindre. Die Heknba dachte fid) ihr
Teil i nad) ihrer Ansicht war Johannes voll-
kommen außerstande, die Dinge so ernst aufzu-
fassen, wie sie lagen. Bon diesem Gesichtspunkt
aus ist der wohltemperierte Fußtritt zu betrachten,
den Johannes im Waggon zwischen Ulm und
Stuttgart von ihr bezog, weil er nid)t aushörte,
sie mit Einladungen zu täppischen und unzeit-
gemäßen Spielen zu belästigen ....

Bei Verdun ging die Heknba als Stangen-
sattelpferd in der Munitions-Staffel. Während
die Batterie auf einem Hügel stand und feuerte,
was nur aus den Rohren ging, stand die Staffel
808 Meter dahinter in einer Talsenke nnd wartete.
Am Himmel sah man lichte und dunkle Rauch-
ballen herdenweise. Die Franzosen suchten mit
mindestens zwanzig Gesd>ützen — sparsam ge-
red)net — die Batterie zu finde».

Der Johannes war vor Vergnügen außer sich.
Er sprang in die Höhe — anscheinend in der
Absicht, alle heranfaudzenden Granaten auf die
Hörner zu nehmen, — er lief mit munterem
Meckern den Pferden zwischen die Beine, und
trieb überhaupt soviel Unfug wie möglich. Die
Hekuba wartete still, bis er ihr in die Nähe

kam, dam: faßte sie ihn im Genick,
schüttelte ihn unmutig durd>einander,
und versah ihn dann nodi mit einem
neuen wohltemperierten Fußtritt. In
diesem Augenblidr fdjvie jemand: „Auf-
gesässäänlt!"

Munition vor! Rufe gellten —
Pferde stampften, und die Hekuba ließ
von Johannes ab und warf sich ins
(Sefdiirr.

Es gab harte Arbeit! Der Weg zur
Batterie war steil, und der Boden war
so weich, daß er die Räder förmlich
in fid) hineinsaugte. Rundum krachten
die Sd)rapnells nad> Dutzenden, Jo-
hannes trottete, immer nod: leid)t ver-
dutzt, neben dem ersten Wagen her.

Der Lärm war fd)redrlid)! Die
Mannschaften brüllten wie die Toll-
häusler. Anders war's nid)t zu machen.
Sie mußten brüllen, um aus fid) und
aus den Gäulen das Legte, das Un-
mögliche herauszuholen. Kurz vor der
fdiärfften Steigung fdjlug eine Granate
die Borderpferde nieder. Sie wurden
abgesträngt. Die Mannschaften griffen
dafür in die Radspeichen, Das Mittel-
handpferd strauchelte und fiel! Das
Sattelpferd stürzte! Beide blieben lie-
gen! Der Wagen ging dennod) weiter!
(Die Batterie verschoß eben die letzten
Granaten. Eine Minute nod), dann
war sie zum Schweigen verdammt.)
Mit einenr dunkeln Wehlaut brach das
Slangenhandpferd zusammen! Zur
Seite mit ihm! Die Helmba war allein!

„Nod) fünfzig Meter! Das letzte
Stückd>en tragen mir die Körbe!" bat
der Leutnant. Wen er bat? — id)
weiß es nicht! Die Hekuba! Den
Wage,:! Die Mannschaften! Den
Himmel!

Aber es ging nidjt mehr! Die He-
kuba tat das Zehnfad)e von dem, was
zu erwarte» war! Aber es ging nid>t!
Die Mannschaften packten die Speichen, daß ihnen
das Blut unter den Nägeln stand! Aber es
ging iüd)t!

Es war gewiß ein Zufall, daß Johannes just
jetzt neben die Hekuba trat — an die Stelle, an
der das Handpferd vorhin war. Ein Fahrer —
(Grademann hieß er. Wir begruben ihn erst vor
acht Wod>en bei F,) — warf ihm einen Zugstrnng
über und rief: „Jäh!!!"

„Ob Johannes begriff? — Ja!" sage id,. Er
stemmte seine schlanken Füße ein, die Hekuba
prallte geradezu vorwärts, und die Mannsd)aft
iadjte so ungestüm, wie sie sd)ob!

Und es ging! Trotz des Feuerhagels schmunzelte
die ganze Batterie, als wir kamen. . .

Am Abend im Standquartier fraßen Hekuba
ilud Johannes zum erstenmal friedfam aus einer
Krippe. — Seitdem sind viele Monate vergangen.
Aber die Freundfdinft zwisdzen den Beiden fängt
demnädzst an, sprichwörtlich zu werden.

Ratten

Der Unterstand 3 d war geräumt worden. Es
wäre ein schöner Aufenthalt gewesen — eigent-
lid,! Aber. , .

Die 2. Kompagnie kriegte kurz darauf einen
neuen Offiziersstellvertreter. Daß 3d verlassen
war, entrüstete ihn.

„Warum wird der Unterstand nicht benutzt?"

„Ratten!"

„Wie?"

„Es sind Ratte:: drin!"

Er warf uns Mangel an Sdzneid vor und
ordnete an, daß man feine Sadzen in den Unter-
stand räume. Er werde uns zeigen, daß ein wirk-
lich kaltblütiger Mensch sid, gar nichts aus der
Gesellschaft einiger Ratten mache..,

Am nächsten Morgen, als er feine Stiefel an-
ziehen wollte, fuhr ihm aus dem Schaft ein feister
Kahlschwanz entgegen. Aus dem linken ebenfalls.

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Fritz Lerpé: Frühlingsboten
Ludwig Scharf: Das Grün, die Stadt und der Sturm
Len.: Tiere
 
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