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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 21.1916, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.4317#0232
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Dorfstraße in Littauen

E. Mantels -f-

(Nachtmarsch in (pofen

Die Nacht hat sich geschmückt; am Horizont
Blitzt ihr Geschmeide drül'e» glüht und loht es
find flammt cs aus: — da drüben an der Front
Hat sich die Nacht geschmückt zum Fest des Todes.

Rastlos knirscht unser Wagen durch de» Sand,
Wir tappen hinterdrein, stumpfsinnig-müde.

Die Dunkelheit streckt ihre blasse Hand
Rings um uns aus, als herrsche tiefster Friede.
Bisweilen bloß streift jener Fencrschein
Von Dörfern, die wie große Fackeln brennen,
Auch unsern Weg und laßt hier einen Stein,
Dort ein verzerrtes Angesicht erkennen.

So geht es schon seit Stunden fort und fort.
Lautlos dem ungewissen Ziel entgegen;

Denn alles träumt, und keiner spricht ein Wort,
Es gibt kein Halten, kein Zur-Ruhe-legen.
Doch mancher nickt im Wandern ein, die Beine
Tun ihren Dienst von selbst, sind's nun gewohnt.
Es muß halt sei»! Schon dieses Muß alleine
Reißt alles mit sich, keiner bleibt verschont.
Selbst auf den Wagen dürfen wir nicht sitzen,
Der tiefe Sand verdoppelt hier die Last;

Hir müssen noch die Pferde unterstützen,
Wenn's heißt: „He! In die Speichen! Angefaßt."

Da, endlich doch ein kurzes Halten! Jeder
Liegt, wie vom Blitz getroffen, hingestreckt.

Bis alle — schon ei» paar Minuten spater —
Ein scharfes „Fertigmachen!" wieder weckt.
Fern kündet dumpfes Donnern eine Schlacht,
Und weiter, weiter geht es in die Nacht!

Han» Heidsicck

«Gefreiter)

Mütterchen Außkand!

Bon Sp.-Irving (München, z. 3t. im Feld)

Der Kleine Judenjunge hatte Augen wie die
Zwerggazelle, die wir damals am Dochat-el-Arab
fingen. Sie Konnte die Haft nicht ertrageit. Und
starb mit einem unendlich Klagenden Blick ihrer
großen, dunklen Lichter! . . .

—.Nein, ich wollte keine Ansichtskarten

und Streichhölzer!" —

Der kleine Kerl war enttäuscht. — Ich gab
ihm ein Geldstück. . .

Seitdeni war er treu wie ein Hund zu mir.

— Er wartete vor'm Quartier. Und schaffte alles
herbei, selbst das, was mein Bursche nicht auf-
brachte.

Leib hieß er. . . . Und Milka, Chleba, Jaika,
Masla, .. . Milch, Brot, Eier, Butler fand er,
wenn ich cs brauchte. . .

Eines Tages klopfte es halblaut... „Herein!" ..
Der Kleine schob sich schüchtern an meinen Tsch
ran. Mit dem langen Rock, den Löckchen, dem
Käppchen und dem bleichen altklugen Gesicht sah
Leib kölnisch aus...

Leib entchuldigte sich: „Ich will gehen zu
beten. In Synagog. Und will beten for den
lieben Herrn und alle Daitschen, weil se haben
de Kosaken gebändigt."

Leibs Haß gegen Kosaken kannte keine Grenzen.

„Warum grad die Kosaken, Leib?"

„De Kosaken sind de schlimmsten. . . Se haben
hier pogromiert, ausraubiert und mei Tate ham
se geschlagen zu e Krippel."

„Schlimm, schlimm, Leib !" — „Noch schlimlner,
Herr... se heben mei groß Schwester eweggezerrt..
und se hat geschrieni. Und se is gegaligen in den
Teich. Man hat se gefunden tot am andern
Tag."

„Es ist gut, Leib, geh in die Synagoge!"

— „Ich geh, Herr; aber mich haben de Kosaken
ans Pferd gebunden. Aber ich Hab mich gemacht
frei, wie se sin gewesen schicker (betrunken)."

Er ging . .. Der Schrecken flackerte jetzt noch
in seinen Augen. . .

Leib schien mir nicht gesund. Er wurde ma-
gerer von Tag zu Tag. Und schleppte sich so
dahin . ..

Eines Tags lag er bewußtlos auf der Stiege ...

Der Stabsarzt meinte: „Tbc , mit Pneumonie,
Schluß!"

Der Kleine wehrte sich gegen das Geschick.. .
— Ich saß an seinem Bette. Er wachte auf.
Es faßte nieine Hand, wollte sie küssen. . .

„Ich werd wieder gesund. Ich werd wieder
tun Arbeit fir den Herrn?" — „Ja, ... ja . .
Leib. . . Aber erst gesund sein!" Er legte sich
zufrieden lächelnd zurück.

Am nächsten Tag war's. . . Der Wärter er-
zählte es, ein alter Sanitätssoldat. Tränen standen
aber in seinen Wimpern dabei. . .

„Er hat sich aufgeworfen. Mit furchtbaren
Augen. . . nur geschrien. . . wie ein Gehetzter:
,De Kosaken, de Kosaken / — Utid dann ist er
umgefallen. . . Und aus war's."

. . . Oh, Mütterchen Rußland . . .

Swistunoff bringt Hülfenfrüchre
nach Petrograd

Bon Wilhelm Stückle»

Artemi Stepan Swistunoff „Der Teufel
will mir nicht wohl, Fedor Lasarewitsch Ich
habe da einen Waggon Hülsenfrüchte: aber in
ganz Awertschomsk mag kein Mensch Hülsen-
früchte kau en! Es gibt hier — Gott sei auf den
Knieen dafür bedankt! — soviel Hülsenfrüchte,
daß sogar die Schweine sich verdrießlich davon
abwenden . . . ."

Fedor Lasarewitsch Uchowerkin: „Und da
konimst Du zu mir, Du Narr? Soll vielleicht
ich sie kaufen, diese abscheulichen Hülsenfrüchte,
um die Du wieder einen Bauern betrogen hast?"

Swistunoff: „Ich bitte Euch, mich recht zu
verstehen, Fedor Lasarewit ch ! Ich will mit Eurer
Hilfe diese Hülsenfrüchte nach Petrograd bringen!"

Uchowerkin (händeringend): „Nach Petrograd?
Set)’ doch Einer diesen verwünschten Kerl an!
Spricht er nicht von Petrograd, als wäre das
gleich hier um die Ecke, bei Nachbar Anion Anto-
nowitsch? (Cr fährt auf Swistunoff tos. > Warum
denn nicht gleichfalls den Mond, Du Affe?
Glaubst Du, weil Seine Exzelleitz der Herr Gou-

211
Register
E. Mantels: Dorfstraße in Littauen
Hans Heidsieck: Nachtmarsch in Polen
Sp.-Irving: Mütterchen Rußland!
Wilhelm Stücklen: Swistunoff bringt Hülsenfrüchte nach Petrograd
 
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