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Hcimsahrt bcffcr sein, in Station „Badienl>öst"
auszusteigen, da wäre:: die Schiffe gleich deutlich
zu sehen, und er brauche nur die Najade anzu-
rufen, dann käme er sofort mit deni Boot,

„Backenhöst", meinte der Junge und eilte,
nach der Stadt zu kommen.

Er machte Trab bis zum Hotel seines Onkels.
Trotzdem war der aber schon fort, und nach den
ungenauen Angaben des Hotelportiers suchte er
vergeblich an allen Orten, wo Onkel mit Heddy
sich nur hätte hinwenden können. Es schlug elf,
er war müde und hungrig, hatte nur mehr zehn
Pfennig für die Fähre in der Tasche, als er end-
lich beschloß, an Bord zurückzufahren.

Das war ein netter Abend! Und in Backen-
höft war weit und breit nichts von einem Schiff
zu sehen. Hatte er den Namen falsch in der
Erinnerung oder war es wegen des Nebels, der
gefallen war? — Er rief: „Najade — Najade
— hoi!“ Aber da kam keine Antwort, als das
Ächzen des schwer beladenen Wassers, das da und
dort Eisen, Holz und Beton gegeneinander trieb.

Da lief er die Kaimauer entlang, stolperte über
Ankerketten und Holzkohlen und rief von Zeit
zu Zeit nach den Schiffen.

Zu seiner Linken hatte er endlose, gleich ge-
baute Holzschuppen, vor denen in einer geraden
langen, langen Reihe elektrische Bogenlampen
wie hundert silberne Monde im grauen Nebel
standen, rechts neben ihm fiel die Kaimauer ins
Wasser hinab, über dem dick der Nebel brütete.

Am Ende kani er an die Stelle, wo der Kai
sich abrundete und in die Elbe versank. Hier sah
man ein Stück des Wassers schwarz und schwer
liegen, und darüber wallten die grauen Nebel
ineinander.

Da zögerte der Knabe, dann schrie er noch-
einmal sv laut er konnte: „Najade — Naja —
ade ahoi! —“

Aber der Nebel glitt weiter gleichgültig und
geisterhaft wie ein geheiumisvolles Meerwesen
durcheinander und dem Horchenden war es, als
formten sich Polypenarme, die im nächsten Augen-
blick still und furchtbar nach ihm langen würden.

Er wandte sich ab und lief auf der andern
Seite des Kais am Wasser entlang.

Einmal strauchelte er über eine Erhöhung, fiel
langgestreckt hin, neigte sich noch mehr ins Über-
gewicht und rutschte mit gestrecktem Körper eine
Treppe hinab. Auf der untersten Stufe, die schon
im Wasser stand, konnte er sich noch festhalten,
seine beiden Hände mit den Ärmeln waren in
der Nässe. Er fühlte es kühl zum Gesicht auf-
steigen und sein Hut fiel ihm vom Kopfe und
verschwand sofort in der Dunkelheit.

Da merkte er, daß es gälte, wurde ganz ruhig
und stemmte sich langsam um eine Stufe nach
oben, bekam nun Halt und konnte sich aufrichten.

Der Hut war nicht mehr zn finden, wiewohl
er ein paar Streichhölzer ansteckte.

Dann überlegte er, was er ohne einen Pfennig
Geld in der Tasche tun sollte, und ging langsam
nach der Dampferstation zurück, in deren Warte-
raum er bis zum Morgen bleiben wollte.

Seine Kleider waren feucht vom Nebel, und
er schlug den Rockkragen auf, weil er fröstelte.

Im Wartehaus war es dunkel, aber es gab
eine Bank und eine Ecke, wo man sich anlehnen
konnte, und da setzte sich der Unglückliche und
schloß die'Augen.

Bald kam auch ein unruhiger Schlummer über
ihn. Im Halbschlaf hörte er zuweilen den Fähr-
dampfer anlegen, das Wasser rauschte, die Schiffs-
mafchine klingelte und angetrunkene, englische
Matrosen trampelten vorüber und schrieen und
fluchten laut. Er sah ihre dunklen Gestalten, und

P. Segieth (im Felde)

dann war es das schwarze Wasser mit dem
wogenden Nebel darüber, und plötzlich sah er
ganz deutlich die Augen des Wadimanns im
dunklen Nebel, aus deren Gleißen er nicht klug
wurde, vb es in Ernst oder Scherz umspringen
werde, und er hatte seinen Hut auf dem Kopf
und schwamm im schwarzen Wasser und seine
Augen wuchsen zum Nebel, der ihn erdrücken
wollte, bis er mit einem Schrei erwachte.

Und immer war es nod) nidit Morgen.

Es war eine schreckliche Nacht, er lief auf den
Brettern hin und her, um warm zu werden, ver-
suchte wieder zu schlafen, und als endlich der
Tag kam, dauerte es nod) lange, bis er jemand
fand, der ihm auf seine Uhr Geld borgte, damit
er etwas Warmes in den Leib bekam und fid)
von einem Iollenführer an Land rudern lassen
konnte.

Sdjoit von Weitem sah er, daß irgend etwas
los war. Die Sdiauerleute standen ohne zu ar-
beiten in einem Knäuel an der Ladlucke, und der
Steuermann verhandelte laut mit dem Koch auf
dem Achterdeck.

„Da kömmt er ja," fdjrie der Koch und deu-
tete auf ihn, und der Angerufene fiel unwillkürlich
dem Iollenführer in die Arme, daß das Boot
im offenen Wasser vor dem Schiffe anhielt.

„Konim Du man nur an Bord, verfluchter
Knappen," schrie der Steuermann, „das ganze
Schiff ist ausgestohlen! Wo bist Du heute Nacht
gewesen?"

„An Land —“

„Und läßt das Schiff allein?"

„Ich habe dem Wadimann von der Najade
drei Mark gegeben, daß er aufpaßt."

Da erschien ein Kopf über der Reeling des
Schiffes. Er hatte den dunklen Bart und die
Augen des Wadimannes, aber wo die tud>ene
Mütze gewesen, da war eine kecke Seeräuberstirne
und darüber ein gewaltiger kahler Sdiädel.

„Wem hast Du die drei Mark gegeben —?"

„Dir," sd)rie der Leiditmatrvse laut.

„Hab ich mit Dir Sdiweine gehütet, daß Du
zu mid) Du sagst? Id> Hab den Jung mein
Lebtag noch nicht gesehen."

Und da sprang aus den gleißenden Augen
kalte Entschlossenheit und Härte.

„Der Kvd) ist doch mit Ihnen gewesen," sagte
der junge Mensch eingeschüchtert.

„Da weiß ich nid>ts von," rief aud) der Ko di
und trat einen Sdiritt vor, „der Jung lügt."

Der Leiditmatrvse sah erschrocken zu den
Männern empor, aber als der Steuermann herrisdi
schrie: „Du fix, un komm Du erst an Bord,"
da riß er dem Iollenführer die Riemen aus der
Hand, drehte das Boot und ruderte ab.

„Id> komni nidit mehr an Bord von das
Sd>iff," sdirie er, und unter dem lauten Geläd>ter
der Sdiauerleute fuhr er davon an Land nadi
Hamburg.

Er wollte zu seinem Onkel, der sollte das in
Ordnung bringen, und die an Bord sollten ihn
nidit mehr zu Gesidit bekommen.

Im Hotel war sein Onkel glüdrlidierweise nodi
zu treffen und ließ fid) auch, nachdem er ihn, alles
erzählt und klar gelegt hatte, daß er nod> nicht
gemustert und also fid) nod) gar nicht verpflichtet
hatte, nach einigem Widerstreben herbei, an Bord
zu fahren, um des Neffen Gepäck abzuholen und
die Sache ins reine zu bringen.

Er bradjte aud) das Gepäck mit. Ein paar
Rollen Tau, Segeltud) und Proviant waren ge-
stohlen, aber er hatte sid) nid)t wie verlangt wor-
den, zum Sdiadenersatz bereit erklärt, sondern in
diesem Falle eine Geriditsverhandlung verlangt,
und erklärt, der Leiditmatrvse werde seine Aus-
sage zu Protokoll geben. Nur den Lohn für acht
Tage Arbeit seines Neffen hatte man verweigert.
Jetzt neigten die beiden Verwandten zu der An-
sicht, daß der Wachmann und der Koch die Sadjen
gestohlen halten, aber obwohl der junge Mensd)
vor dem Amtsrichter in Gegenwart seines Ver-
wandten vernommen wurde, kam nid)ts weiter.

Wahrscheinlidi war es dem Steuermann gar
nicht so sehr um Schadenersatz zu tun, weil er
sonst vielleicht selbst irgendwie Unannehmlichkeiten
bekommen hätte; und die Polizei bradite bei dem
Diebstahl nichts heraus.

Ein Jahr später, er lag mit einem andern
Sd)iff in Marakaibo, um Gelbholz zu laden, er-
hielt der Leichtmatrose einen Brief seines Onkels.
„Und denke Dir, welch ein wundersamer Zufall,"
schrieb der darin, „das Sd)iff, die Frigga, mit
der Du damals die Ausreise hättest machen sollen,
ist versdiollen, und also wahrscheinlich mit Mann
und Maus untergegangen "

Da erinnerte sid) der Junge wieder jener Nadit,
des grauen Nebels, wie er beinahe ins Wasser
gefallen wäre, und der seltsamen Augen des Wadi-
manns, von deren Gleißen man nidjt wußte, ob
es in Scherz oder Ernst übergehen werde.

„Gott verdamm mich," sagte er, „ob da eins
nidjt abergläubich werden soll "

Aber das Naditeffen schmeckte ihm gleid) da-
rauf sehr gut.

Rein Meg, 0 Heimat» führt zu dir

Mit Sehnsucht schau ich nach Westen gewairdt,
Es stirbt mein Seufzen im fremden Land,
Wie eine Welle verläuft im Sand.

Kein Weg, 0 Heimat, führt zu dir,

Nur deine Sprache lebt bei mir,

Sonst aber bin ich freudlos hier.

Gar 0et, Java, Juni 1915.

*

Draußen steht das große Volk der Sterne,
Sieht durch meinen engen Fensterrahmen.
Bolkerreicher als die Erde ist die Ferne,
Niemand kennt der tausend Sonnen Namen.
Draußen in der Nacht ist keine Stille,
Draußen lebt der Himmel ohne Ende,
Draußen lebt der Sternenvölker Wille,
Jedes Schicksal leiten tausend Hände.

Garoet, Juli 1915

Majr Dautßendex

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Index
Maximilian Dauthendey: Draußen steht das große Volk der Sterne
Maximilian Dauthendey: Kein Weg, o Heimat, führt zu Dir
Paul Segieth: Vignette
 
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