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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 21.1916, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 17
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https://doi.org/10.11588/diglit.4317#0351
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Menschen

Wir alle sind vor langer Zeit verschollen
Aus einem Lande in der blauen Ferne,

Das nur noch seiner Bäume Blütenpollcn
Uns zeigt des Nachts, die silberbleichcn Sterne.

Wir wollten dieser Erde Sinn erfassen,

Die unter uns in rollender Bewegung
Hinsanste, und in ihrem Lieben, Hassen
Ergründen Gottes weisheittiefe Regung.

Wir flogen durch die Wälder der Gestirne,
Gewarnt durch ihre brausenden Gesänge,

Und landete» mit Trotz in dem Gehirne
In einer kalten Holz- und Mauerenge.

Nun sind wir Menschen! Unsre Flügelpferde
Sind schnellsten Fluges wieder heimgestoben.
Wir treten suchend auf die karge Erde
Und schauen sehnsuchtheißen Blicks nach oben.

Alfons petzold

Bitte an den Tod in der Schlacht

Dann magst Du mir — einst tat ich's alle Tage —
Sorgsam die blutigen Hände ineinander falten,
Daß mir das karge Bröcklein Erde, das sie halten,
Herr Jesus nähme und das Jenseits spende,
Daß auf die armen, eingesunknen Lider
Endlich die Klarheit Gottes niederkäme.

p. H. (im Felde)

Kleines Kaliber

Von frrgga Lrockclorff-Nocier

„Eins, zwei, drei und vier!"

Die alten Bäume schütteln sich und horchen
erstaunt auf. Denn als sie noch ziemlich klein ge-
wesen waren und leichtsinnige Gedanken in ihren
Wipfeln rumorten, hatten sie genau denselben Laut
vernommen. Aus rauhen Kehlen zu jener Zeit,
denen ein furchtbares Dröhnen folgte. Dann war
die schwere Brücke eingestürzt, — ein Wunder
nur, daß das Inselchen stand.

Heute aber sind es junge Stimmen, die bc-
fehlerisch über ihre Hellen Kieswege erschallen. Ein
Zug Vorstadtbuben marschiert da, stolz, frei, die
Fahne voran, Hand am Gewehre. Rechts, links,
rund herum gehen ihre kühnen Schwenkungen:
Parade manchmal — nichts wie Keckheit und
äußerlicher Glanz, — und dann, in wilden Ernst
verfallend, Ansturnr gegen den unsichtbaren Feind.

Wie tapfer im Streite die festen Gesichter glühn,
wie jedes Auge blitzt vor Tatenlust, Kainpfesmut
und Waghalsigkeit! Tadellos sind auch ihre
Reihen gerichtet, das Kommando wird kurz und
schneidig gegeben, schnell befolgt. Hier koninit
keiner zu früh, keiner klappt faul hintennach.

Doch, — einer, scheint es —, ein schmales Büb-
chen, dessen Schultern ich jetzt — weit von den
andern zurück — um die Ecke her auftauchen sehe.
Mühselig an Krücken humpelt sein armer, ver-
wachsener Leib, die linke Hüfte mag ihm wohl
schon seit Geburt nicht viel tauglich gewesen sein,
lahm und tot schaukelt ein kurzes Bein daran.

Wie aber jetzt, im mitleidigen Aufschauen,
mein Blick den seinen treffen will, stutze ich! So
heiter, machtvoll und rein strahlt mir da dieselbe
Siegesfreudigkeit, derselbe Opfermut entgegen,
als bei den andern!

In der Kathedrale St. Mihiel Kurt Böttcher

Nie wird er — zum Jüngling geworden, zunr
Manne gereift, — je für seine teure Erde die
Klinge kreuzen dürfen! Nie sich schlagen können,
heih, tapfer und mannhaft, für seine Heimat, sein
geliebtes Volk ....

Trotzdem stelzt er glücklich, mit erhobenem
Haupt und geröteten Wangen, Seite an Seite
der Gesunden!

Nichts nennt er fein eigen, der kleine Krüppel,
was frohen Glanz in die Zukunft würfe! Kein
derbfrisches Blut, keine Kraft, kein Mark in den
Knochen, keine geraden Glieder. Nichts nennt
er sein eigen!

In aller Heimlichkeit des umsonst Hoffenden
vielleicht einzig und allein eine keusche, hochgemut
verhüllte — unsterbliche Seele!

Irgendwo, weit draußen vor der Stadt mußten
jetzt Glühwürnrchen flimmern. Hier aber war es
dunstig, sommerheiß und schwer, und selbst die
Pappelbäunre in den Alleen hoben drohend ihre
schlanken Schäfte, wie wenn auch die Mutter Erde
sich bewaffnet hätte und nun Gewehr auf Gewehr
in die Höhe schießen ließe zu Kampf und Streit.

Da waren Massen von grauen Helmen auf
dem Kirchplatz gewesen, vor dem Ausmarsch.
Weich und gütig hatte des alten Dekanes Stimnie
geklungen, einzelne Töne schwangen noch nach
durch die milde, fackelumsprühte Luft: „Bereit-
schaft, Sieg, Sterben, und — Gesegnetsein!" Dann
lag alles auf den Knieen, — Liebe, — Liebe, —
Liebe schwoll bis zum Firmament, einen Atem-
zug lang, — dann schluckte die Großstadt all das
heißhungrig in sich hinein. Das heilige Bild ver-
schwand, weiße Knäblein löschten eilfertig die
golden glühenden Kerzen aus, und von dem
starken Leben, Hoffen und Wagen gaben nur
zertretene Blumen Kunde, die den Soldaten von
der Montur gefallen waren.

So dunkel war es mir noch nie erschienen!
Hat man jemals gelacht, wußte man noch, was

ein unbeküniwert Lied sei, ahnte man früher
nur von fern einen Gran von deni Jammer der
Welt, deni hilflosen Hinschmachten der gepeinigten
Kreatur?

Wenn morgen Reue hinaus müssen, will man
ein Lied ersinnen, das eine Kraft-Quelle sein soll
für die einsamen Nächte ihrer Sehnsucht. Ein
Süßigkeitstraum ohnegleichen müßte in den Worten
lodern, und eine starke Wärme von ihnen aus-
gehn, daß die Frierenden sich umschlossen wähnten,
wie von einem linben, feierlichen Mantel des
trautesten, heimatfromnisten Gefühls ....

Nun schwankten zwei zarte Schatten vor mir
her, deren Stimnie» ich wohl hören, doch ihre
Gestalt kaunr erkennen konnte. Nur die Umrisse
zeichneten sich mir tanzend ins Nachtdüstere, und
ich erblickte ein Blumenhütlein in verdächtiger
Nähe zu einer richtigen, auf ein Ohr gesetzten
grauen Soldatenkappe.

Unter dem Blumenhütlein aber schluchzte cs
bitterlich: „Meiir Lebtag Hab ich keinen lieber ge-
habt! Und jetzt gehst bu fort und kommst nicht
mehr zurück ....!"

Doch nun mußte die Soldatenkappe ganz dicht
an das Blumenhütlein geraten fein, denn es war
eine lange Panse, in der ich nur ein einziges
rundumgrenztes Haupt wahrzunehnien vermochte.

Dann sagte eine junge Mannesstimme so selig
und erschüttert, wie sie nur klingen kann, wenn
cs ans Lieben oder — Sterben geht: „Du hast
noch nie eine Träne um mich geweint . . .!"

Das Lied, — mein schönes Lied!!!

Der Kauer

Der ist im Leben leidlich dran
Und sitzt behäbig in der Wolle,

Der, um sich deutend, sagen kann:

Dies hier ist »reine eigne Scholle!

Und ist sie auch bescheiden klein,

Den Bauer freut's in jedem Falle,

Wenn er kann sagen: Du bist mein,

Zum eignen Schwein im eignen Stalle.

Und freut sich, wenn die bunte Kuh,
Nachdem sie eben erst geniillicht,

Gleich wieder macht: Hamuh! hamuh!

Und willig weiteres bewilligt.

Schon Morgens, in der Herrgottsfrüh,

Als gelt' es eine Tagesfeier,

Erschallt's vom Hofe: Kickricki!

He Bauer, hol dir deine Eier!

Und draußen, auf den Feldern weit,

Wie glüht cs dort in allen Farben!

Es kommt die luft'ge Erntezeit,

Und hochgeschichtet stehn die Garben!

Und Winters, wenn es friert und schneit,
Was bangt's den Bauer um das Morgen?
Schiebt in den Ofen Scheit um Scheit,
Und läßt den Herrgott weiter sorgen!

Und blauer Tabakwolkenrauch
Umkringelt ihn im warmen Neste,

Und durch die Stube geht ein Hauch
Vom nahen, frohen Weihnachtsfeste!

W. Schirp
Register
Kurt Böttcher: In der Kathedrale St. Mihiel
Frigga v. Brockdorff-Noder: Kleines Kaliber
P. H.: Bitte an den Tod in der Schlacht
Will Schirp: Der Bauer
Alfons Petzold: Menschen
 
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