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Der DaheimgeKliekenc spricht:

Dieses aber ist der stumme, bange
Zwiespalt, den kein Lächeln bannt:

Alles ist wie sonst, und ich empfange
Glück und Lust aus Deiner Hand,

Aber während uns zu trunknen Festen
Unsre wilde Jugend eint,

Sterben draußen viele unsrer Besten
Schmerzensvollen Tod vorm Feind.

Warum darf ich Deine Lippen küssen
Und in Gnadeir selig sein,

Während meine Brüder bluten müssen,
Ungeküßt und ganz allein?

Immer hebt sich diese eine Frage
Ungestillt und riesengroß:

Warum ward inmitten solcher Tage
Mir dies lichtcrfüllte Los?

Alles ist wie sonst, und ich empfange
Glück und Lust aus Deiner Hand.

Dieses aber ist der stumme, bange

Zwiespalt, den kein Lächeln bannt-

Karl Grimm

Der Brief

Ein feiner Rnabenkopf auf weitem Riffen
Sd)lägt wirre blaue .Bugen auf und fleht:
„Schreibt, Schweller, Zhr! Denn fDutter

mutz doch willen,

Dah ich verwundet bin und wie mir'; geht!

Schreibt: Als wir auf dem naffen Rübenacker
Dorkrochen, der in Tein des Teuer lag —

's war böte, Schweller, doch ich hielt mich wacker,
Tühlt' id) auch hoch im hals des Herzens Schlag —

Als wir da lagen und entsetzlich froren,

Don Tau und Regen nah bis auf die Haut,
Da pfifl es mir auf einmal um die Ohren
Und klatschte in die Wurzeln und das Rraut.

Da traf's mich unterhalb des rechten Armes,
Als schlüge einer hart mir auf die Brüll.

sich fahle hin und fühlte etwas Warmer-

Was dann gefchah, bin ich mir nicht bewuht.

Zch wacht' erft wieder auf lm Lazarette,

Wo id) setzt liege mit viel andern noch. —
heut morgen trat der Stabsarzt an mein kette
Und iah mich an und rog die Sd)ultern hoch

Und sagte bloh: Querschläger durch die Lunge!
Und fragte mich nach Damen, Alter, Stand
Und ging. — Ach, lDütterchen, Dein armer Zunge
Muh schrecklich leiden für das Daierland! —

Dein, Schweller, nein! So dürft Zhr ja nicht

schreiben,

Denn meine Mutter hat ein krankes Her;

Und muh, Io riet der Arzt, behütet bleiben
Uor allem, was erregt, ob Trend', ob Schmerz.

Da würd' ihr solche Dachricht übel laugen! —
Schreibt lieber" — auf die Lippen trat das Blut
Und Todesfchalten sanken auf die Augen —
„Schreibt: Liebes Mütterchen, es — geht

mir — gut!"
Margarete Lech

Landsberg a. Lech Th. Lechner

Kleines Erlebnis

Mitternacht mar vorüber. Zm kleinen roten
Zimmer des Offizierkasinos sahen noch fünf
Herren um den runden Tisch zusammen: in die
Klubsessel zurückgelehnt, im Halbdunkel einer
einzigen Flanime, die grün verhängt, nur matt
die bläulidje Rauchluft durchdrang. Das Gespräch
mar im Laufe des Abends von bicnftlidjcn Dingen
zur Politik, von der Politik zu den Erinnerungen
gemeinsam verlebter Jugendzeit gesprungen: nun
mar es schon lange in das still besonnte Fahr-
wasser persönlidzer Bekenntnisse geglitten. Man
mar eng befreundet seit einem Dutzend Fahren, da
durfte man schon allerlei aus den Sd>äditen des
Herzens heraufholen, was sonst tief innen ver-
schlossen und verborgen blieb. Uber die Ehe
hatte man gesprochen, über Ziele tief innerer
Lebenswünsche und plötzlidz — man muhte nidzt
mehr, wer eigentlid) daniit angefangen — hatte
man allerlei Liebesgeschidzten und Herzensgeheim-
nisse berid)Iet. Es war beinahe reihum gegangen
— Berken hatte von einer langen Fugendliebe
erzählt, Steindorf von einem Erlebnis draußen
in China, Düring von einer etwas wüsten Affaire
mit einer Schauspielerin. Eben hatte er geendet:
einen Augenblick wurde es still: dann richteten
sich aller Augen, so, als sei nun die Reihe an
ihm, auf den schlanken blonden Forberg, der
neben Düring ein wenig weiter vom Tisd) abge-
rückt, fast ganz im Dunkeln sah. Forberg blies
den Rand, seiner Zigarette in die Luft, beugte sich
ein wenig vor und begann mit etwas stockender,
leiser Stimme: „Lebens- und Liebesgenuß in
vollen Zügen und bis zum Ende: wir kennen
das alle, und auch ich habe es genossen. Aber
trotzdem, wenn id) zurückdenke an die vielen köst-
lichen Erinnerungen der letzten Fahre, am liebsten
denke id) an die kleinen Episoden, an jene in
sich abgcsdzlossenen Erlebnisse, die wie ein Ge-
schenk vom Himmel fallen: aus Zufälligkeiten
geboren werden und sterben, bevor sie ganz er-
blüht. Fdz weih nicht, ob Ihr mid> versteht. Ich
will Euch eine kleine Geschichte erzählen: viel-
leicht wißt Ihr dann, was ich meine." Forberg
griff zuni Glase und trank. Dann verschwand
er wieder ganz im Dunkel. Und aus dem Dunkel
heraus sprach er: „Es war irgendwann im Spät-
herbst. Wir lagen in einer größeren Stadt Rord-

deutsdstnnds. Mein Dienst war um 4 Uhr
beendet: ich zog mir Zivil an und wunderte
in der früh hereinbrechenden feuchtkalten Däm-
merung durch öde Strahenzüge bergaufwärts
auf die Höhen, die die Stadt umgeben. Meine
Gedanken wandelten, ziellos wie id) selber,
mit. Als id) gerade die letzte Straße, die
fid) auf die Höhe öffnet, aufwärts steige,
kommt mir eine junge Dame entgegen. Fm
letzten Augenblick erst schaue id) auf und sekun-
denlang treffen sich unsere Augen. Ich weih
nidjt, was es war, irgendetwas in diesem
Blick läßt nüd> stehen bleiben, und ihr nach-
schauen: es war ein junges, schlankes Mädel,
gut angezogen und von jener goldenen Blond-
farbe des Haares, wie man es nur hod) oben
in Norddeutschland trifft. Es mag wohl dies
Helle leuchtende Blond gewesen sein, vielleidst
and) ihr leid)ter sdiwebender Gang — kurz,
id) wandte mich und ging ihr nach. Die Straßen
waren leer, der stärker einsetzende feine Regen
und die sdinell sinkende Dunkelheit hielten die
Menschen in den Wohnungen. Rach einigen
hundert Metern hatte id) die junge Dame er-
reicht, zog meinen Hut und bat artig um die
Erlaubnis, ihren Sdstrm mitbenutzen zu dürfen.
Einen Augenblidt sah sic mid) erstaunt und
fragend an, dann klang es leise: „Bitte".
Die Bekanntschaft war gemad>t, id) begann
drauf los zu erzählen und zu fragen. Ihre erst
einsilbigen Antworten wurden länger und leb-
hafter, nun, nach kurzer Zeit wußte ich, dah
die blonde Dame ei» Bürgennädel sei, das in
die Stadt herunter wollte, um dort ein Licht-
fpieltheater zu besuchen. Ich erhielt die Erlaubnis,
sie dorthin zu begleiten, unter der Bedingung,
dah id) sie allein über die verkehrsreid>en Straßen
gehen lassen und erst midi ihr im Theater er-
sdieinen sollte. Es klappte alles ausgezeichnet:
bald sah ich in einer dunklen Ecke des Theaters
neben ihr. Eine Stunde haben wir dort zusam-
men gesessen, die flimmernden Bilder betrachtend
und uns leise unterhaltend. Hier sah id) erst die
frische Sdiönheit ihres Gesidstes und merkte mit
Freude die natürliche Anmut ihres Wesens. So
ein kleines, liebes, deutsdies Bürgerniädel! Ein
Mädel, das sid) aus der Enge ihres begrenzten
Lebens vielleid)t heraussehnt in die große Welt,
von der sie wohl nichts anderes wußte, als die
augelesene falsdie Sentimentalität töridster Ro-
mane! Ein Mädel, das vielleidst verkümmerte
im schnialen, ewig gleichen Weg ihrer kleinen
Pflidsten und doch ihre Träume und Wünsche
vielleidst weit fortsandte bis an die nebelhafteti
Ufer der Unmöglidikeit. Bielleidst! Wer kann
es wissen? Ich habe mir das alles wohl erst
später zurechtgelegt: damals freute id) mich nur
des jungen frifdjen Lebens, das neben mir faß,
freute mich über jedes Lädzeln ihres Mundes,
jede erstaunte Frage und jedes Leuchten ihrer
Augen. Ich wußte damals nur, daß das Mädel
neben mir lieb, gut und bloub war und von einer
entzückend harnstosen Anschmiegsamkeit. Auf ge-
trennten Wegen verließen wir das Theater. Hinter
den verkehrsreid>en Straßen, dort, wo dunkle
versdiwiegene Treppeti heraufführen in das Häu-
sergewirr der oberen Stadt, trafen wir uns wie-
der. Ohne ein Wort gestattete sie, daß ich meinen
Arm unter den ihren schob. Die Radst breitete
ihren dunkelsten Mantel um uns: nidjt Mond,
nicht Sterne sahen durch die ziehenden Wolken.

Wir haben nicht allzuviel geredet. Sie erzählte
nur von ihrem strengen Bater und den stillen
Abenden daheim, die sid) wie gleidimäßige Perlen
aneinander reihten. Ich aber glaubte aus ihren
Worten die ganze stille Sehnsucht ihrer kleinen
Mädchenträume herauszuhören. Eine Strecke vor

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Register
Karl Grimm: Der Daheimgebliebene spricht
Benno: Kleines Erlebnis
Margarete Lech: Der Brief
Theo Lechner: Landsberg a. Lech
 
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