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ihres Heimatbodens einem Rache-Phantom aus-
liefern zu dürfen glaubten.

Und heute Früh, da fein Blick auf den Ka-
lender fiel und ihm rote Buchstaben den Namen
seines Heiligen cntgegenflammten, das Datum
nannten, das zugleich die Wiederkehr feines Hoch-
zeitstages bedeutete, kam ihni ein Grauen vor
der Zahl, vor der Länge feiner einsam durch-
sonnenen Fahre.

„Wie lange noch?" zitterte es ihm durch den
Sinn. Und Finsternis sank über seine Gedanken
her, legte sich auf sein alles Herz.

Da wußte er, daß er heute »och zurückkehren
mußte zu der lebendurchzuckteften, zu der strah-
lendsten Zeit seines Daseins, wieder einmal hinab-
tauchen würde in den unergründlich tiefen Bronnen
seiner einstigen Glückseligkeit ....

Die Pforten sprangen auf zu seineni Eden,
dem Paradiese seiner Iugendlust. Aus veilchen-
blauen Augen, goldene Lockenfülle um Stirn und
Nacken, ein Kinderhälschen schlank aus weißem
Mullgewoge aufblühend, so lächelte die von der
Wand zu ihm nieder, in der all jene Wonnen
ihm gelebt halten. Die Eine, die wie ein Engels-
bild an feinen Fieberträunien vorübergeschwebt
war, damals, in jenem lange gewesenen Kriege,
da er, der schwer verwundete französische Offizier
im blütenumrankten deutschen Gutshaus zu neuem
Leben, neuem Fühlen gesund gepflegt worden war.
Welch ein Erwachen in diesem Sommeridyll nach
der Hölle der heulenden Schlacht!

Er war gerade mündig gewesen. Und der
Friede kam. Da war das goldig umflimmerte
Engelsgesicht als Herrin durch die Räume und
Hallen, durch die Gärten und Wälder seiner Herr-
schaft geschritten. Was taten ihni die Folgen
seiner Verwundung, die ihn ans Haus fesselten,
ihm Schonung auferlegten? Sie saßen auf einem
der reizvollsten Adelssitze seines lieblichen Vater-
landes. Und noch ein airderes, ihn, vererbtes Gut
war sein gewesen: die tiefinnerliche, hehre Welt
der Musik. Er führte sie ein an seiner Hand zu
dem erdentrückten Genießen ihrer Herrlichkeit.

Drei Jahre waren sein in solcher Verzückung.
Als im vierten ein Wesen mehr teilhaben sollte
an solcher Schönheit des Daseins, da rief ein
höheres Walten ein Halt! dazwischen. Und der
junge Vater blickte in zwei Paar erloschene Augen.

Eiti trockenes Feuer schien ihn zu verbrennen,
auszuhöhlen, daß er als leeres Gerippe über die
Erde zu irren wähnte. Was half es? Das Leben
packte noch fester zu als der Sensenmann.

Große Summen, die er, der starre Aristokrat,
der Hasser aller Volksherrschaft, für die Zwecke
der royalistischen Partei gezeichnet hatte, wurden
fällig. Die Pächter, die sich ohne Aufsicht wußten,
hatten seine Besitzungen verwahrlosen lassen. Und
eines Tages mußte er den heiligen Boden seiner
Ahnen einem reichen Brasilianer lassen, tauchte
unter in deni tosenden Strudel Paris — —

Es sagte seiner in sich gekehrten Art zu, sich
in die Stille der kleinen Sackgasse einspinnen zu
können. Und seine nun beschränkten Mittel taten
gleichfalls Fürsprache für diese trotz nahen Groß-
stadtgelriebes billige Klause . . .

Eine Tür über ihm ward zugeworfen. Das
weckte ihn aus Versonnenheit und Träumen. Da
zündete er auch in diesem nach dem Hofe hinaus-
gehenden Zinimer ein Paar Kerzen an. Dann
schritt er langsam von einem Möbelstück zum
andern, schlug hier ein Buch auf, blätterte dort
in einem deutschen Fungmädchenalbum, fand lange
nicht geschaute Gesichter von Freunden aus einem
versunkene» Zeitabschnitt in einer Mappe . . .
San» sich heim in junges Liebesglück, das diese
unvergänglichen Zeugen eines vergänglichen Men-
schenglücks — wie oft? — geschaut hatten. Denn
alles in dem Damenzimnierchen stand, lag, fügte
sich, war geordnet wie einst in erloschenen Fahren
auf seinem alten unvergessenen Ahnenfitz: die
elfenbcineingelegten Schränkchen, deren Glas-
scheiben die zierlichsten Porzellane, Schnitzereien
und Fächer enthüllten, die Stühlchen aus himmel-
blauen Seiden, darüber einzelne Rosenknospen

F. Schulze

gestreut lagen, die winzigen Ausziehtischcheti, das
lange, schmale Räcamicr-Sofa, die Miniaturen,
Aquarelle, die Döschen und Kristalle . . .

Ging nicht ein fernes Geslüster hier um? Der
Widerhall fremdklingenden Geplauders der blau-
äugigen Besitzerin? In stürmischen Wellen stürzte
das Blut über sein Herz hin, schien ihni die Keble
zu pressen . . . Seltsam, schon vor mehreren Mo-
naten war ihn ein solches Gefühl überkomnien,
damals, als er sich eilen mußte, einem dieser übel-
riechenden, modischen Hetzwagen auszuweichen.

Er öffnete ein Fenster, schlürfte die Kühle der
Abendluft. Sie trug so durchdringende Feuchte
herein, daß cs wie dickes Wasser ins Zimmer
troff, jeder Schall draußen zu ertrinken schien

Da schloß er die Scheibe, den Vorhang, war
wieder ganz er selbst, der äußerlich Unbewegte,
auch im heftigsten Stürmen und Schmerzerlragen,

Er schlug das alte Clavecin auf, ein Instru-
ment aus dem Hofhalte des Sonnenkönigs, das
von eineni einstigen Hofmann jenes Ludwig, einen!
Vorfahren der Rozelisres, in seinen Besitz gelangt
war. Und wie von selbst fügten sich die alten
lieben Weisen seinen geübten Fingern.

Die Gegenwart sank. Der Krieg ... der
Unadel, die Geschäftigkeit des letzten gerüuschhaften
Paris, die ihm so viel Leides taten . . . Geld-
sucht, Apachenlum, Pressegeschrei. . . alles Laute,
was ihn, den leisen Ausnahmenicnschen, abstieß,
fiel zurück, weit, weit, in unerreichbare Tiefen.
. . . Freude war um ihn. Das Helle kristallene
Klingen der Tasten schloß ferne Gärten auf.
Schäferspiele zogen vorüber. Junge Frauenge-
sichter in weißgepudertcm Haar. Schneeige Lämm-
lein mit rosenroten Bündchen und schellenden
Glocken am Halse. Steife Höflinge neigten sich
voll Würde. Harlekine in buntem Narrenkleid
und noch bunteren Reden ergötzten eine erlesene,
schauende Schar. Pantomimen, Jahrmärkte, Fest-
gewimmel rauschten auf . . . Die ganze Zierlich-
keit der Zeit Couperins, die er in unvergleichlicher
Klangmalerei, mit feinstem Geiste verspottend,
feiernd, besingend, verklärend, festgehalten für
alle Zeiten.

Fast stockend, hölzern schritten die Finger jetzt
über die gelbgewordenen Elfenbeine: <Les vieux
Galans ou les tr£soriers surannes» des Schalk-
Komponisten stelzten über das Tastenwerk.

Wie späte Blüten an dorrendem Baum lachten
die junggewordenen Augen aus dem welken Antlitz
des alten Barons. Waren sie nicht die gleichen ge-
blieben durch die Jahrhunderte, die alten Schwere-
nöter, wie der Spötter sie damals in Tönen ge-
malt? Er gedachte der Zusammenkünfte mit
seinen Gesinnungsbrüdern, den Royalisten, denen
er einmal im Monat im verschwiegenen Cafe
Anglais zu altfranzösischem Schlemmermahl sich

gesellte. Sah sie später, vom schweren Wein ge-
rötet, über die abendlichen Boulevards heimkehren,
in gewollt aufrechter Haltung, den grauen Zylinder
ein wenig, einen Schatten nur, nach rückwärts ge-
schoben, in ihren mausfarbenen Gamaschen und
langen Schoßmänteln, wie sie — les trösorlers
surannes — den vorübertrippelnden Mädchen
unter die Hüte guckten.

Da gedachte er in Dankbarkeit der, die ihm
vor zwanzig Jahren durch Hinterlassung einer an-
selmlichcn Summe die Möglichkeit gegeben, der
Königspartei weitere Dienste zu weihen. Seiner
Tante, der Abtissin Celestine, deren Vermächtnis
erlesener Kloslergeräte einen wertvollen Bestand
seiner Sammlung bildete.

Er brach sein Spiel ab, schritt wie ein wä-
gender Käufer alter Kostbarkeiten durch die beiden
vorderen Räume. Köstlichkeiten, seltene Kunst-
gegenstände aller Zeilen waren hier zusammen-
getragen, mit dem feinen Geschmack, dem langen
Lieben eines, der aus Stille und Schönheit eine
eigene Welt sich zu zimmern bestrebt.

Seine Blicke fielen auf eine unscheinbare Uhr.
Wie lange es her war, daß er die nicht aufge-
zogen! Er stellte sie vor sich auf den gedeckten
Tisch. Und während er sein leichtes Abendmahl
verzehrte, drehte er alle die Schlüssel und Plättchen
um, die das Geheimnis ihres Inneren offenbaren
sollten.

Er schlürfte ein Glas Pommery, nickte denr
Spielweik wie ermunternd zu. Und nun sprang
ein Türchen auf. Zwei Rokokodämchen in por-
zellanen Sesseln wurden sichtbar. Und die Weise
der Couperinschcn Stutzuhr: tic ... tac ... choc ...
klingelte silbern, voll Grazie in die Stille. Die
Dämchen neigten sich lauschend vor, schlugen mit
den zarten Händen den Takt... tic . . . tac . . .
choc ... tic ... tac .. . choc . . .

Dann aber, nach kurzer Pause, begann es zu
locken ans den, Inneren des Gehäuses. Schmel-
zend, sehnsuchtsbang, in gemessenen Abständen,
rief die Nachtigall ihre Liebe in die Sommernacht
hin: -Le rossixnol en amour . . .■>

Eine stumme Seligkeit, ein gestaltloses Glück
und Genießen schwellte das Herz des alten Man-
nes in seinem stillen, von perlblassem Kerzenschein
überhuschten Reich. Immer wieder drehte er die
Schlüssel und Plättchen, ließ die zierlichen Lieder
singen, so zart wie von gläsernen Instrumenten
her. Dachte der jauchzenden Freude der jung-
verstorbenen Süßen, dachte ihres großen Königs
Friedrich II., der gleich ihm an solcher Musik, so
feinem Spotte Gefallen gefunden.

„Wozu dieser törichte blinde Bölkerhaß, Krieg
und Mord?" grollte er, „und an alledem . . . ."

Da... . Was war das? .... Feuerlärm in
der Gasse? .... Welch' Getöse! .... Er riß
das Fenster auf .... Die Läden sperrten sich
vor die Außenwelt .... Er lief in den Borraum,
griff den grauen Zylinder vom Haken, eilte, wie
er war, im leichten Rock, ohne Mantel, auf die
Gasse hinaus.

Zuckende Lichtscheine rissen sich in die grau-
verhangenen Weiten .... Und nun ein Heulen
und Bersten, Schreien, Wechklagen, wie der Welten-
untergang .... Signale, Räderrasseln.... Und
darüber einzelne schrille Stimmen:

«Les Zeppelins .... Iss Zeppelins ... !»

Und dann ein Krachen, lohende Feuerschnüre,
die um sich fraßen, Heulen und Knacken . . . .

Und mit Augen voll Grauen und wachen Be-
wußtseins sieht Herr von Rozeliere seine stille
Welt zu einer lauten, prasselnden Hölle werden.

Bor seinen Augen flimmert es: das himmel-
blaue Rscanücr-Sofa der Liebsten? In seinen
Ohren singt es: das süße Locken des Liebes-
vogels? ... Er möchte vorwärts stürzen, retten ...
retten . . .

Aber da plötzlich ein neues Tosen, Flammen-
brände dicht neben ihm. Und ohne daß er es weiß,
ist er plötzlich schon weit fort von der Schreckens-
stätte, dem Abgrund, darin seine Welt versank . . .

Allmählich werden die Straßen stiller . . . .
ganz still. Und finster. So finster, daß er sich

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F. Schulze: Vignette
 
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