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Bayerngräber am Reichsackerkopf

sorge und Rücksichtnahme. Ihm zu Liebe konnten
sie sogar das Rauchen lassen, und ein Zucken um
seineil blasseil Mlind dämpfte ihre lauten, genesen-
den Stimmen. Er nahnl alles mit der gleichen,
stillen Dailkbarkeit hin: nur wenn Schwester Lisa
an seiil Bett trat, kam ein junges und fröhliches
Lächeln in sein Gesicht. Doch darin unterschied er
sich ilicht von den andern. Diese junge Schwester
mit den schönen, schmalen Händen war für sie alle
der Gegeilstaild unbeholfenen und unbegrenzten
Vertrauens. Daß sie „freiwillig" war und von
weih Gott was für vorilehnler Herkunft, tat dem
keinen Abbruch: In dem fremden, französischen
Ort, in dem kahlen und dürftigen Lazarett war
sie nichts Geriilgeres als eine Mutter und heimlich
Geliebte — unb ein Stückchen deutsche Heimat. —
Hub sie wußte das wohl zu schätzen. —

Der Kaffee war getrunken, und die Soldaten
gingen all ihre Soniltagnachnlittagzerstreuullgen.
Sie saßen plaudernd um dieses unb jenes Bett,
sie kraulten Photographieen voll zu Hause hervor,
sie schrieben Briefe oder nähten mit steifen Fingern
all einem Knopf, lauernd, ob Schwester Lisa llicht
bald zu Hilfe käme. An dem Tisch neben dem
schwarzen, eisernen Ofeil, der den nebligen trüben
Roveillbernachlllittag traulich erwärnlte, hatte sich
der alltägliche Tarok ciltwickelt. Sie schrieen und
gestikuliertendie Karten fielen klatschend auf den
Tisch. Der kleine, brünette Elsässer Lavigne, der
nur gebrochen Deutsch sprach, — wie so viele dort

unten, die in unfern Reihen kämpfen, — schrie
alle Augenblicke „Betrug!" was seineil Partner
Müller stets aufs Reue in große Heiterkeit ver-
setzte! — Der Unteroffizier Seehausen hatte sich
längelang auf sein Bett gelegt und schlief friedlich
inmitten all dieses Lärmes.

„Daß Ihr mir ilicht um Geld spielt!" rief
Schwester Lisa ben Bieren am Tischchen zu unb
trat an das Bett des Freiwilligen, der mit stillen
klugen seinen Kameraden zugesehen hatte. „Ra,
kleiner Fricke," sagte sie freundlich, „was wollen
wir zwei treiben?" Der junge Soldat nahm glück-
lich ihre Haild. „Ach. Schwester," sagte er mit
feiner hellen, norddeutschen Stimme, „nun müssen
Sie mir wieder voll Ihren Reisen erzählen."
Schwester Lisa zog eine Haildarbeit hervor, eine
kleine liebliche Stickerei, die ihren schönen, ver-
arbeiteteil Häilden sofort die Grazie ihrer nlüßigen
Tage zurückgab unb setzte sich an das Fußende
des Bettes „Unb wovon soll ich heute erzählen?"

„Wieder von Indien!" sagte Fricke und legte
sich mit leuchtenden Augen in feinen Kissen zurecht.
— Unter ben leisen Worten der Schwester stieg die
Weite der Welt vor ihm auf, nach der ihn immer
verlangt hatte. Fremde Lieder klangeil an fernen
Küsten, brarule Meilscheil, farbige Tücher um die
schmalen Hüften, liefen über bunte, belebte Gassen,
große Schiffe lagen mit stillen Lichtern in nächt-
lichen Häfeil, unb die weißen, fremden Götter
schwiegeil lächelnd in ihren golbenen Tempeln.

Ernst Vollbehr (Kriegsmaler)

Weite der Welt! Lockende, verlockende Weite
der Welt!

Schwester Lisa erzählte von Benares, der hei-
ligen Stadt anl Ganges. „Ach, wissen Sie, Fricke,"
sagte sie, „es ist nicht alles schön dort, nur so feit-
sanl. Wenn man auf einem der flacheil Boote
den Ganges entlang fährt und sieht die Stadt mit
Tempeln und Treppen und schmalen Straßen sich
iil weißen Terrassen anl Ufer erheben, so erscheint
sie als eill schönes Wwlder Indiens. Doch wenn
man bann durch diese Straßeil geht, die vom
Schmutz der heiligen Kühe erfüllt sind, wellil nlan
in den Affentempel, in den Tempel der Frucht-
barkeit, in alle diese Stätten bizarrster, religiöser
Verirrungen tritt, wenn lllan die aussätzigen Ske-
lette der Bettler unb Heiligen auf den Treppen-
stufen sitzeil sieht — nein. Fricke, da faßt einem
ein Grauen vor dem Leben dieser Meilschen. —
Aber unter ben Fakiren, da ist wohl manchmal
einer, dessen Lächeln an das Lächeln seines großen
Buddha erinnert."

Am Tisch der Spieler erhob sich ein' großes
Getöse; sie spielten natürlich wieder um Geld und
waren sich iil die Haare gerateil. Die mlderll
ftanben um sie herum unb lachten. Schwester Lisa
brauchte eine Weile, bis sie Frieden gestiftet hatte.
Dann kehrte sie zu denl Freiwilligen zurück, der
sie mit knabenhafter Ungeduld erwartete. „Und
wie ist es denn unten anl Ufer, Schwester?" frug
er sofort. „Am Ufer unten, da ist es bunt genug;

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Ernst Vollbehr: Bayerngräber am Reichsackerkopf
 
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