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bn sind die Verbrennungsstätten der Hindus;
vier, fünf Holzstöße rauchen dort oft auf einmal
und die Verwandten stehen so fremd davor,
als ginge sie das alles garnichts an. Hunderte
von Pilgern baden oft in der gelbbraunen
Flut, und es ist nicht schön, Fricke. wenn ein
junger, gesunder Pilger neben einem Aussätzigen
steht, und die Wellen fließen von diesem herab
zu ihm. Aber darum kümmern sie sich
nicht, sie sind voller Glauben an das heilige
Wasser."

„Glauben," — sagte Fricke, und sein junges,
leidendes Gesicht nahm einen grüblerischen Aus-
druck an — „wenn man darüber nachdenkt,
wie die Menschen überall auf andere Götter
bauen, da weiß man schließlich nicht mehr,
welches der rechte Glaube ist."

„Ach, Fricke," sagte Schwester Lisa, und
ihr Blick streifte unwillkürlich das Kreuz auf
ihrem Arm, „jeder Glaube ist wohl gut im
Entstehen, weil jeder von der Liebe ausgeht;
Zrrtümer sind hier wie dort. Und ich glaube,
es kommt gar nicht darauf an, ob es der
rechte Glaube ist. Es wird wohl nur auf
die rechte Sehnsucht des Herzens ankommen."

Die Schwester lehnte sich in ihren Stuhl
zurück, und ein schönes Erinnern belebte ihr
Gesicht. „Aber bei Nacht," fuhr sie fort und
war mit ihren Gedanken wieder am Ganges,

— „bei Nacht ist es schon dort! Da ist das
Wasser ganz dunkel und tief und rauscht leise
gegen die Ufer. Und die Sterne, Fricke, die
finb so groß dort, daß sie Bahnen werfen,
wie kleine Monde. Dann sieht man wohl
in ihrem Licht einen Pilger in den hohen
Gräsern stehen: seine bronzene Haut schimmert
matt ^ in der nächtlichen Helle, und er hat sein
Gesicht und seine Hände emporgewendet. Seine
Hände hat er zu einem Gotte emporgewendet."

„Und ist es still?" frug Fricke, und seine junge
Stimme bebte, „hört man keinen Laut?"

„Es ist ungeheuer still; nur zuweilen hört
man den hellen Schrei eines Affen oder eines
Nachtvogels Stimme."

Schwester Lisa hatte ihre Arbeit in den Schoß
sinken lassen und schwieg. Es war dämmerig
geworden. Die Soldaten saßen stiller in dem
langen Saal. „Licht?" frug die Schwester. Ein
allgemeines Nein antwortete und Müller, der
immer singen mußte, schlug ein Lied vor. „Ja,
singt, Kinder, singt!" bat Schwester Lisa, „das
ist ein schöner Abschluß für einen Sonntag-
nachmittag."

Ein Lied stieg auf, schlicht und ein wenig
traurig, wie es das Volk liebt. Sie sangen zwei-
stimmig, und es klang gut ineinander.

Schwester Lisa ließ die schönen Hände in ihrem
Schoße ruhen; sie sann und lauschte. Vertraute
Rufe ergingen an sie, Laute des großen Lebens,
das sie verlassen hatte, um in einer fremden Ein-
samkeit zu dienen. Aber sie scheuchte sie fort.
„Lock' mich nicht." sagte sie leise vor sich hin.

Der blasse, kleine Fricke lag mit geschlossenen
Augen in seinen Kisseit und dachte an die fernen
Länder, die er niemals sehen sollte. Pfadlos
lag die Weite der Welt vor seinen zwanzig
Jahren.

Ein Lied nach dem andern klang durch den
verdämmernden Saal, den die Straßenlaternen
schwach erhellten — schöne Lieder von Heimat
und Krieg und von der Liebsten. Leise tönten sie
hinaus in die schmalen, französischen Gassen.

(m.) E. von Uhde (Feldafing)

■ • ■ -.-i

Der Geheime Negierungsrat Professor
Dr. Tüfterling, der über Logik liest, geht
weiter und sagt sich:

„Als Antwort Gegenfrage mit bezüg-
licher Handlung. Der Kausalnexus be-
steht, die Prämisse ist unklar. — Es
wäre zunächst festzustellen:

1.

2.

3. Weshalb lache ich nicht? . . . .

La, weshalb lache ich nicht?.

Ein interessanter Knabe!


Abend an der Elbe

R. Fiedler (Bootsmannsmaat)

Prismata

Die Heiterkeit ist eine Base der Schön-
heit; aus der Zigeunerseitenlinie des könig-
lichen Geschlechts.

(Aber des königlichen Geschlechts!)

Zwischen Primel und Maaßlieb hockt ein
kleiner Hirtenbengel. Locken, Hemd und
Hose. Weiter nichts.

Und lacht.

Da nahen sich von der Stadt her (. .. von
der dunstigen, rauchigen, fleißigen Stadt)
... in Abständen von 300 Meter drei dunkle,
würdige Gestalten.

Die erste ist der Geheime Medizinalrat
Professor Dr. Schäferling.

„Warum lachst Du?"

„Weil ich froh bin."

Der Geheime Medizinalrat Professor Dr.
Schäferling geht weiter und sagt sich:

„Also ohne Grund. Ern positiver Basis
ermangelndes Lachen. Man kann diesen
Zustand als äußerst benigne, akute, spontane
Lustpsychose bezeichnen. Prognosis optima,
therapia nulla. . . . Einfältiger Bengel." . . .

Nun kommt der zweite.

Es ist der Geheime Regierungsrat Pro-
fessor Dr. Tüfterling und liest über Logik.

„Weshalb lachst Du?"

„Weshalb lachst Du nicht?" . . . ant-
wortet der Lausbub und wirft eine hand-
voll Blumen gegen ihn.

Der dritte.

Herr Geheimer Hofrat Prof. Dr. phil.
Ritter von Kraftstoff.

..Aus welchem Grunde lachst Du?"
„Weil Du grad' so saudumm fragst,

wie die zwei!" (Zeigefinger).

Schlägt einen Purzelbaum und rennt fort.

Der Geheime Hofrat Prof. Dr. phil.
Ritter von Kraftstoff bleibt lange sinnend
stehen.

Dann tut er mit seinem Stock einen
Hieb durch die schmeichelnde Sonnenlust,
der merkwürdige Ähnlichkeit mit einer
langvergessenen Tiefquart hat.... und
lacht.

Und sagt im Weitergehen: „Ein un-
verschämter Schlingel!. Aber er

hat Recht!"

*

Sie ist nämlich aus königlichem Geschlecht,
die Heiterkeit, wenn auch aus der Zigeuner-
seitenlinie!

Friedrich Wolf

Errihsn

Sie war immer ein wenig stolz darauf ge-
wesen, als seltene Frau zu gelten. Ihrem Manne
war sie bald Schmuckstück, bald Kamerad. Er-
schien sie neben ihm in Gesellschaften, so liebte
sie es, abgemessen und Königinnenhaft zu sein,
löste aber beim Schluß ihre Würde stets in be-
freites, köstliches Lachen. Und kamen die Beiden
heim, spät nachts, da fanden sie ihre Wohnung
leer und fad. Aus lauter Lust an Buntheit und
Leben warfen sie alles durcheinander. Bilder,
Truhen, Seffel, Kiffen, Vasen, Blumen. Daß
die Dienerschaft am Morgen glauben konnte, Ein-
brecher hätten gehaust.

Er liebte seine junge Frau — er betete sie an.

Sie war Studentin gewesen, ehe er sie heiratete.
„Weißt Du noch," fragte er oft, „als Dich damals
die Frauenrechtlerin bestürmte, Du solltest ihr einen
zündenden Vortrag halten über Wahlrecht?" —
„Ja, Kurty." — „Und Du ihr antwortetest. Du
würdest lieber einen Bund ,Antifrauenwahlrecht'
gründen?" — „Stimmt — aber ich habe ihr auch
gesagt, ich müßte einen neuen Frühjahrshut wählen,
das wäre viel wichtiger — davon hinge die
Stimmung eines ganzen Sommers ab. . ."

Wie ein Schuljunge so wild küßte er seine
Frau, wenn sie das erzählte — das mit dem
Frühjahrshut. Denn in dem Hut hatte er dieses

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Register
Richard Fiedler: Abend an der Elbe
Gertrud Petersen: Lachen
Friedrich Wolf: Prismata
 
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