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Ferd. Staeger (Kriegsmaler)

Kriegsbrücke über die Tudenka-Sümpfe

Der Mensch liebt die Erde wieder...

Bon Lurt Morcck

Der Mensch liebt die Erde wieder; er liebt sie
wieder mit einer neuen Liebe, mit einer neuen
Treue. Er weiß wieder, was sie ihm ist.

In den großen, steinernen Gehäuse» der Stadt,
wo Asphalt und Basalt das Gclocker des Erdreichs
behauten, hat der Mensch die Scholle vergessen,
von der er stammte.

Wie armselig lebt sie drinnen mit blassen Gärten
und schwindsüchtigen Parken!

Eingefangen in Höfe, Stuben, Keller und
Räume der Arbeit, sah er die Erde nicht, die
draußen sein Brot schuf, kannte die Scholle nicht,
aus der seinem knurrenden Magen die Sättigung
erwuchs.

Wußte nichts von ihr, die draußen für ihn
ward durchfurcht und umgeworfen, die zerrissen
ward und die gebar.

So gedankenlos, danklos schlang er sein Brot,
aß er das grüne Gewächs der Acker, sog er den
Säst der Früchte und genoß ihr schmelzendes,
süßes Fleische gedankenlos, danklos...

Dachte nicht, daß Kraft der Erde nun kreise
in seinen Adern, spanne in seinen Muskeln, starre
in seinen Knochen und schwinge in der Geschmei-
digkeit seiner Sehnen: ein Net; von Leben in
seinem Körper, der aus der Erde geworden in
mythischen Zeiten.

Aber in den dumpfen Sinn der Menschen
kam ein neues Gedenken an die Erde:

als Söhne auszogen im Kriegerkleid und
fielen und in der Ferne blutig ins Erdreich
gebettet wurden;

als das Blut derer floß, die uns nah ge-
standen, und in die Erde rann;
als die Erde umarmte, den sonst einer Frau
warme Lieb« umfangen;

als die Erde zitternd unter dem Brüllen
von tausend Geschützen lag, als sie bebte
unter rasselnden Schwadronen und-stürmen-
den Kolonnen, zerrissen ward von Minen
und Granaten;

als Provinzen schmerzlich verloren und ju-
belnd wiedergewonnen wurden.

Und in das verdorrte Herz der Menschen kam
eine neue Liebe zu der Erde:

als wir Millionen, streitbare Männer und
Frauen und Kinder, gekrümmte Greise und
tragende Mütter, lallende Säuglinge, Lebende
und Sterbende, ein ganzes Volk, abge-
schnittcn wurden von der brüderlichen Ge-
meinschaft der Erdteile und der sieben Meere;
als man den Zwinger der Not uin uns
schloß wie um ein lechzendes Raubtier;
als man die Adern und Nerven des großen
Zusanimenhangs mit dem übrigen Erdball uns
zerschnitt und dem Hunger preisgeben wollte,
unfern Willen und Entschluß zu brechen.

Da wußten alle wieder, was uns die Erde
mar. Wir gingen mit demütigen, liebenden Schritten
über das samentragende, fruchtbare Erdreich.

Ich wohne am Umkreis der Stadt, wo die
Enge von Straßen und Gassen und Plätzen auf-
hört und die Weite mit leuchtenden Horizonten
anbricht; ich wohne, wo die Stadt wie ein von
gigantischer Faust geschleuderter, steinerner Diskus
sich in das starke Gestämm der Wälder preßt;
wo die Erde stets gegenwärtig ist in Stein und
Baum und Gras und Blums; wo das Rad des
Wagens in die nackte Brust der Erde tiefe Rinnen
schnürt; wo das Erdreich braun aufbricht bei einem
Stich des Spatens, den meine Hand stößt.

Ich wohne, wo sich die Acker und Wälder und
Wiesen berühren und sehe die Allmacht der Erde.

Hier steigt ihre Kraft und gestaltet sich in
Wundern mystischen Zellenaufbau».

Hier find die Mirakel des göttlichen Ur-
morgens, des siebenteiligen Schöpfungskreises
noch wirklich.

Hier ist Ewigkeit noch spürbar in Schauern
des demütigen Gefühls.

Und alles dient, indem es sich selbst erfüllt,
dem Einen: dem Menschen.

Aus braunen Furchen steigend überschwemmt
ihre Fruchtbarkeit in goldenen Wogen die Acker;
Wiesen ertrinken unter dem wilden Wachstum
des Grases. Maßlos blüht der Frühling und
reift der Sommer.

In blonden Wolken schwimmt der süße Blüten-
staub befruchtend durch den Sonnenglanz.

Er geht als gelber Sturm über die Wälder.

Die Birken verzittern in der jähen, süßen Ge-
walttat seiner Umarmung. Und der Mensch trägt
die schwere Ernte ein.

Zwischen traurigen Häusern und Lagerplätzen
nüt altem Gerümpel, Müllgruben der Stadt und
Geleisdäminen, auf denen Züge rasen, liegt ein
Fleck Erde zutage, auf dein sommers ein fal>les,
kurzes Gras strähnig wuchs, Fraß für ein paar
hungrige Ziegen.

Ein trübes Wasser umfließt ihn träg und zer-
rieb, wenn es schwoll, die Uferränder.

Aber eines Tages kamen Männer der Arbeit,
Männer aus den Werkstätten, aus Fabriken und
Magazinen, mit Hacken und Spaten. Sie taten,
was in Zeiten, die ihrem Erinnern fern waren,
ihre Vorfahren getan.

Die Geschicklichkeit jener erwachte in ihren
andersgeübten Gelenken, und sie gruben die dürre
Kruste der Erde uni und legten die braune frucht-
bare Scholle frei.

Frauen kamen und Kinder kamen mit ihnen.
Und auch die Frauen stachen Erde, und die Kin-
der führten die Hacke, als erwache in allen das
bäuerische Blut der Ahnen, die wie mit demIakobs-

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Curt Moreck: Der Mensch liebt die Erde wieder
Ferdinand Staeger: Kriegsbrücke über die Tudenka-Sümpfe
 
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