Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„War er böse?"

„Warum nicht gar?! Er bat kaltblütig um
neue Karten und sagte kaltblütig: Rest!"

„Heißt es denn auch russisch: Rest?"

„Natürlich. Wir halten fünf Dörfer passiert,
und während dieser Zeit hatte wieder der Haupt-
mann meine Bakantschen abgewonnen."

„Im Finstern?"

„Es war ja mondhell. Um Viertel nach Neun
hat man uns in einem Dorf abgesetzt. Wir setzten
uns auf die erste kleine Brücke . . . ."

„Und habt weitergespielt."

„So ist es. Der Hauptmann war über meine
Ausdauer entzückt, küßte mich ab und nannte
mich seinen lieben Sohn."

„Und hat man Dich nicht von ihm geschleppt?"

„Sie haben es versucht. Der Alte fletschte
aber mit den Zähnen und sagte den Sanitätlern:
Zurück!"

„Deutsch?"

„Aber! Russisch! Der Alte mischte: No Bratje!
Ich hob ab. Vor Mitternacht kam ein Offizier
um mich und forderte meine Herausgabe. Der
Haupt mann herrschte ihn an und bat mich uni
ein Blatt. Später erhob er seine Flasche auf
unsere Freundschaft und betonte, daß ich sein
edelster Kamerad sei."

„Und wie bist Du heimgekommen?"

„'s war ein Kinderspiel. Gegen Morgen, als
ich ihm den halben Ural abgewonnen hatte, ent-
stand im Dorf ein großes Durcheinander. Ein
Rennen, ein Schreien. Unsere Reiter jagten durch
die Straßen. So bin ich zurückgekommen."

„Und der Hauptmann?"

„Der hat noch um ein Blatt gebeten. Er setzte
Wladiwostok drauf. Er nahm sie."

„Ist er nicht geflohen?"

„Ganz und gar nicht. Er nahm es bloß ein-
fach zur Kenntnis, daß er den Säbel ablegen
müsse. Er hatte aber gar keinen bei sich. Von
seiner Feldflasche wollte er sich nicht trennen.
Jetzt sitzt er im großen Gefangenenlager von
Esztergom. Was schüttelst Du den Kopf? Glaubst
es etwa nicht?"

„Bäräny. Du lügst!"

(Autorisierte Übersetzung aus dem Ungarischen
von vr. Koloman von Lukats.)

Wonnst hoamkimmst, mei löua-

Wannst hoamkimmst, mei 6ua, nochn Krieg ausn selb
slocha wirds vir grob sein, du kamst frisch auf die Welt:
Sie Wiefan tan blüan und da 6ugu der schreit,

Und die hoamat, bei tzoamat, locht amadum weit.

Da Wegmocha grüaßt, üban Zchauflstiel gloant:

„Ho guat, daß D’ na do bist, Hot grod oani gmoant:
5i wult st im birg um koan Deanst neama schern,
Wars'n ganzen örobn aus mehr koa Huchaza z'hörn."
Und da Herrgott am Kreuz untan öetlärchenbam
Zchmutzt*): „5cha, kimb da fron; hiaz do nochamal hoam!
Weintsmegen, wegn oan Lump rl sollt da Himmel net zua
Im 6etn fand eh olti Weiba no gnua?'

Und obn ban Zaun schloßt da 5ultl zan loa,

Hot die Kettn ogrissn und macht a wllds 6joa
Und winslt und tonzt und springt dr in d' hoch
Und wolgg st am Wosn und beißt hintri af d' fläch.
Und unter da lenn kimb öei voda grod zwegn
mit da KraFN am Kuggn, hält Ui bald übasegn.

Und er schaut Da in d' Hug und druckt Da di hond:
„3n öottsnam! morgn gcnma ins Heu mitanond!"

Und Del buglatas Malta! huscht eini ban Haus
Und grobb glei an 5tel;n ausn ächmolzkübl aus,
öringg a örot un an stlost und an Kranamettgeist
Und wischt imma die üugn, weil da stach soviel beißt!
Und d' slandl! Wia a steach is sie auffi in Wold,
hält am llabstn a Weß glei in Lankonntz zahlt,
slocha is st ganz hoamli ihrn Kammerl zuagflogn
— örinnroat —, und Hots öettstattl frisch übazogn.

--Hans Kloepfer (Köflach)

*) schmunzelt.

XVieZenIiecl Lmil I?ire1iarl

Vas LalKanproblem

Von Paul Kurrnann

„Du, sag mir ein paar Worte über die Ent-
wicklung des Balkanproblems."

?.

„Du weißt doch, was das Balkanproblem ist?
Also seine Entwicklung."

??.

„So versteh doch endlich! Ich muß etwas
über das Balkanproblem wissen."

;

„Nein, ich werde Dich nicht in Ruhe lassen.
Wir haben einen Diskussionsnachmittag in der
Frauensektion, und ich will da auch mitsprechen
können."

„Nein, zu einem gewöhnlichen 5 Uhr-Tee will
ich nicht! Ich will auch die Damen nicht zu mir
laden. Glaubst Du wirklich, daß es mit dem
bißchen Geld immer getan ist? Ich brauche auch
eine geistige Anregung, die Du mir eben auf allen
Gebieten, für die ich mich interessiere, zu geben
hast."
i

„Ach! Das ist noch schöner! Du weißt nichts
über das Balkanproblem vor dem Kriege? Das
ist sehr gut! Mein Mann weiß nichts über das
Balkanproblem! Ich verlange von Dir übrigens
nur einige Details, in großen Zügen ist es mir
bekannt. Ich bin mir vollkommen im Klaren,
daß es seit Jahrzehnten das Um und Auf der
europäischen Politik ist, unb mein Mann hat da-
von keine Ahnung. Lange genug hast Du mir
Deine ganze Unbildung mit einem Firniß um-
geben, aber in solchen Augenblicken tritt sie klar
zu Tage."

!!! . .

„Und Deine Rohheit auch! Früher hast Du
immer nur mit gespitztem Mündchen gesprochen
und weiß Gott was für höhere Probleme ange-
schlagen. Wahrscheinlich hast Du sie erst im Kon-
versationslexikon nachgelesen."

?.

„Ja, das paßt sehr gut hierher. Ich verlange
voit Dir etwas über das Balkanproblem zu wissen,
und Du antwortest mir mit Rohheiten. Dahinter
steckt eben der Gedanke, daß Du in mir nicht
Deine Gefährtin sehen willst und daß Du mich
nur als Weibchen betrachtest. Denn Du wirst
mir doch nicht einreden, daß Du nichts über das
Balkanproblem zu sagen weißt. Den ganzen
Abend liest Du die Zeitung und machst nicht den
Mund auf, etwas mußt Du doch dabei lernen."

„Diese Ironie ist einfach grotesk. Und wenn
Du es mir schon in den Mund legst: Ja, es gibt
Momente, in denen ich einen gewissen Abstand
zwischen Dir und mir fühle und in denen ich
darüber sehr unglücklich bin."

„Allerdings — mein Traum war, daß ich mid)
am Abend zu meinem Mann würde hinsetzen und
mit ihm über allgemeine Ideen würde plaudern
können. Aber statt dessen gibt es eine Kritik des
Nachtmahls, auä) das übliäze Gespöttel über meine
Ellern oder bestenfalls Tratsdz."

«

„Gewiß, mein Vater könnte mir schon über
das Balkanproblem Auskunft geben, wenn iä) ihn
jetzt anrufen wollte. In unserer Familie ist man
Gott sei Dank gebildet."

!

„So ist es! Gebildet! Was man von Deinen
Verwandten kaum behaupten kann."

„Idz wäre sofort bereit, irgendjemand von
den Meinigen anzurufen, wenn wir ein Telephon
hätten, aber das madzt Dich ja nervös und des-
halb muß id) von aller Welt abgeschieden sein
und oft genug die Einsamkeit meiner Existenz
fühlen. Du bist eben immer und bei jeder Ge-
legenheit ein Egoist. Und wie mit dem Telephon
ist es mit allem."

„Nicht gerade das Balkanproblem, aber Du
mußtest Dir bod) sagen, meine Frau ist eben aus
anderem Stoffe als die Frauen, die idz in meiner
Familie kennen gelernt habe, und idz werde ver-
sudzen, midz anzupassen. Dieser Gedanke ist Dir
nie gekommen. Übrigens kannst Du mir wenig-
stens die Grundlinien des Programms von Mürz-
steg andeuten?"

„Das ist gewöhnlidzer Unsinn. Es ist bedauer-
lid), daß id) sowas meinem Mann sagen muß."

„Dod), id) muß. Id) ersticke ja sd)on längst.
Mein Mann hätte ein Ideal sein müssen. Der
Gesdieiteste, Gebildetste, Erfahrenste von allen. Id)
verzid)te sofort auf all bcn Luxus, wenn mein
Mann brilliert hätte. Und Du — na, brillieren
tust Du nid)t."
s

„Dein Hohn ist zu allem nod) eine Fredzheit.
Aber Du wirst dod) eingestehn, daß es mir un-
angenehm sein muß, wenn mein Mann in einer
Gesellschaft entschläft, wie Du es vorigen Don-
nerstag gemacht hast. Alles hängt eben zusammen.
Mit dem Balkanproblem fängt es an und mit
der Unfähigkeit, sich einem höheren Milieu anzu-
passen, hört es auf."

„Bitte, mach mir noch retrospektive Eisersuchts-
szenen! Das ist das Letzte, was Dir fehlt."

?.

„Id) leugne es gar nicht. Id) leugne gar
nidzt, daß mid) der kleine Erhardt interessiert hat
und daß es Augenblicke gibt — na!"

.?

„Weil id) verblendet war. Weil er ein armer
Student war, der nid)ts als sein Wissen und seine
Zukunft hatte, und weil Du mir damals imponiert
hast. Id) konnte mir sreilid) nid)t vorstellen, daß
sid) unter dieser weltmännisdien Gewandtheit eilte
krasse Ignoranz verbergeir würde."

„Und im Grund ist dieser Luxus, mit dem Du
mich umgibst, gar iiidjt so gewaltig. Wenigstens
nid)t groß genug, damit dies alles mich an einen
ungeliebten und rohen Mann fesseln soll, an einen
Mann, der nid)t einmal mit seiner Frau über das
Balkanproblem spredien kann."

„Deine ewige Ironie, die wahrscheinlich über-
legen sein soll, bringt mid) zur Raserei. Ein
anderer Mann würde ausspringen, zum Lexikon
hinlaufen, Büd)er nachschlagen. Allerdings hast
Du keine Bücher. Die. welche Du in die Ehe
mitgebrad)t hast — na!"

„Ein anderer Mann hätte eben bic gesammelten
Kaviarkalender, wenn er sie sdion besitzt, oerbrannt,
Register
Hans Kloepfer: Wennst hoamkimmst, mei Bua--
Emil Pirchan: Wiegenlied
Paul Kurmann: Das Balkanproblem
 
Annotationen