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„Und — und das Sternlein? — hast Du das
noch?"
„Das Slernlein — das stand damals und
steht auch jetzt noch am Himmel. Es war nur
zum an'chau'n und sich daran freu'n gemeint.
Mein Vetter hat es mir zum Geburtstag ge-
schenkt, als ich noch ein kleines Mädchen war,
und ich habe ihm dafür auch eines zu seinem
Geburtstag geschenkt. Das ist aber alles schon
lange, lange her — zehn oder elf Jahre."
Auch ich schweige über so lange Zeit vor mei-
nen: eigenen Dasein, aber nach einer Weile geht
das Fragen weiter:
„Mann, wo steht Dein Sternlein am Himmel?"
Da sagt sie sehr müde: „Man kann es jetzt
nicht seh'n, es steh'n zu viele Wolken an: Himmel."
„Aber morgen?" fragt die Beharrlichkeit des
Kindes, „kann ich es morgen feh'n?"
„Nein, mein Kind, — denn an: Abend schläfst
Du, und bei Tag sieht man die Sterne nicht.
Aber sie steh'n d'rum doch am Himmel, mutz inan
sich sagen," sprach sie sehr fest, „und jetzt schlaf,
mein Liebling, die Fahrt ist noch lang."
Als fühlt' ich noch den lieben Mutterarn: um
mich, so nahe taucht das alles auf, was die
schlummernde kleine Seele damals berührte. Ein
reiches Leben mit seinen Probleinen ist über die
traumartig zarte Erinnerung hii:weggezogen, aber
sie hat mich mit bleibender Herzenskraft verfeh'n
und der tapfern jungen Mann und ihrem Herz-
lein nur näher gebracht.
Sie ist jung gestorben. Nach Zähren, als ich
am Tag meiner Mündigkeitserklärung ihr Zu-
welenkästchen erhielt, fand ich darin zu unterst
dasselbe Bild, — ihr Miniaturporträt in: Blumen-
kranz, — das ich damals verschleppt.
Auf der Rückseite des Rahmens steht mit
ihrer Schrift geschrieben:
„Zch bleib' Dir nah' und bleib' Dir fern',
Wie auf den: Himmel uns're Stern'."
Hat das die liebe lichte Hand vor oder nach
unserer Fahrt zun: Bahnhof geschrieben? Galt
der Ewigkeitsgrutz nur oder ihn:?
Zch weitz es nicht und forschte nie darnach.
Die vielen kleinen Fragen des kleinen Kindes an
ihre Mutter sind mit ihr verstummt und auf die
großen Fragen, die täglich anwachsenden, gibt
die große Mutter keine Antwort.
— — — Grau füllt der Regen weiter, und
eintönig klingt das Lied seiner Tropfen. Nur
wenn man näher hinhorcht, so hört man die
vielerlei Töne ihres Niederfallens, die zu einem
verschmelzen.
Zch denke der Tränen ohne Zahl, die in un-
serer Zeit fallen so vielfach — ach. wie der Herzen
Schicksale vielfach sind. Und ich wage wieder ein-
mal die Frage: ob auch diese in eins verschmelzen,
für einen, der fern davon steht? Ob auch diese
Tränen, dem Regen gleich, zum Segen werden?
Durch das Wolkengrau glimmert ein fernes
zartes Licht:
Das Licht der Sterne, die „d'rum doch an:
Himmel steh'n." —
Der -Ändere
Ein regnerischer Novemberabend,
Die ganze Stadt in Trauer begrabend.
Ein junger Freund begleitete mich,
Schritt neben mir her und ereiferte sich.
Wir kamen aus meinem bescheidene:: Heim,
Erwärmt von Tee und Honigseim.
Drei Kinder, ein armes verhärmtes Weib,
Noch zierlich in Lumpen gehüllt den Leib.
Solang wir nun zu Hause gesessen.
Da ließ die Anwesenheit des Jungen,
Um den die Kleinen herumgesprungen.
Uns ?tlte die schweren Sorgen vergessen.
Nur tief, tief unten schien es zu brennen,
Das Weh, das nur die Enterbten kennen.
Dann bin ich mit ihn: fortgegangen —
Man soll ja nicht immer dem Gram nachhangen.
Der angeregte Freund sprach weiter,
Erzählte mir Marlein, schiuirrig und heiter«
Die weckten Erinnerungen auch in mir.
Die ich zum besten ihm gab dafür.
Er lachte vergnüglich auf, ich vergaß
Bald völlig, was mir am Herzen fraß.
„Was war das?" rief ich plötzlich erschrocken,
Daß unwillkürlich die Füße mir stocken.
„Sahst Du den Menschen vorübergehen?
Und wie er mir fest in die Augen gesehen?
Das war mein eigener Blick, mein Gesicht,
Mein.Gang, meine Haltung — sahst Du ihn nicht?
Dort geht er wieder: düster wie ich,
Gesenkten Kopfes, versunken in sich,
Als ob ihn etwas hinunterzieht
Und er von nichts mehr hört noch sieht."
Mein heiterer Freund sah suchend umher.
Doch fand er nichts mir Ähnliches mehr.
Der hatte sich langst in der Menge verloren.
Als hatte ein böser Geist ihn geboren.
„Wie lustig!" meinte mein junger Begleiter,
Dann erzählte er mir seine Marlein weiter.
Ludwig Scharf
Äphoriomen
Für gottlos gilt mancher nur deshalb,
weil er seinen Gott nicht teilen kann mit
den anderen.
*
Die Wenigen, die sich einen Tag nicht
satt essen können, machen mehr Lärm als
alle die Bielen, die ihr Leben lang Hunger
leiden müssen.
*
Die schmerzlichsten Enttäuschungen sind
denen Vorbehalten, deren Erwartungen sich
alle erfüllen.
Dr. Bacr (Oberdorf)
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Am Kanal
Leo Prochownik vBerlin)