Vor Sonnenaufgang
Der Himmel ruht
In sanft gelöstem Grau.
Noch schweigt das Land,
Webt feierliche Träume,
Und wiegt auf jungeiu Gras
Die jungen Bäume.
Da hebt aus einer Krone
Ein Singen an,
Unendlich zart!
Unendliche Rufe dann!
Unendliches Wecken!
Unendlichen Jubels
Verhaltene Fülle!
Und Atemholen,
Tiefsüß, wie Erschrecken!
Und köstliche Stille!
D selig Warteir
frühen Morgen hin:
Die kommt, sie kommt ja bald,
Die Strahlende,
Die Herrscherin!
Joses Schaudert
Das häßliche Mädchen
Du warst nie schön. Selbst in der Blütezeit
War jener Glanz, den stets die Jugend atme,
Dir fremd.
Der harte Zug um Deinen Mund.
Der ungelenke Gang, die plumpen Hände.
(Bon Deiner Rase will ich gar nicht reden).
Sie gaben manchen Anlaß uns zum Spott.
Du warst nie schön. Und grausam, wie man ist,
Solang man jung ist und den Schmerz nicht enn
Wir ließen Deine Häßlichkeit Dich suhlen.
Bei Spiel und Tanzen kamst Du stets zu urz,
Und fand Dich Einer der Beachtung wert.
Geschaht mit doppelt weher Gönnermiene.
Du warst nie schön. —
Und jüngst traf ich Dich wieder.
Ais ich jn nreiirer Heimat Straßeir ging,
l>nd fand Dicl, Ärmste häßlicher als je.
Ratürlich sprachen wir sofort vom Krieg.
Ich trag' ja Uniform, und Dir am Arm
Prangt licht des Roten Kreuzes Engelszeichen,
lind als Du nun von Deinen Kranken sprachst,
Bon Deinen „Kindern", wie Du zärtlich sagte,t.
Brach solch ein Lichtstrahl Dir aus Deinem Herzen,
Und so viel Güte quoll aus Deiner Brust,
Dein harter Mund fand solche tiefen Worte,
Daß ich beschämt an Deiner Seite ging
Und in Gedanken allen Spott Dir abbat.
Wie eine Heilige fast erschienst Du mir.
Und als Du mir die Hand zrmi Abschied ga I,
Die welke, plumpe, ungelenke Hand,
Weiß Gott, ich hätte sie beinah' geküßt!
Du aber zogst.sie allzu schnell zurück.
Du gingst — es war der alte, schlechte Gang,
Den schon die Eltern an dein Kind getadelt.
Ich aber Hab' Dir lange nachgeseh'n
lind meine Seele sprach: „Wie bist Du schön!
Kart Ettlinaer (Unteroffizier im Felde)
Schwammerlinge
Karl Hermann Müller
Alte Pilzplätze
Don S. Schrönghamer > Heimdal
„Kaufen S-' keine Schwammerl, schöner
Herr? Echte Pilzling', das Pfund drei Mark
fünfzig, ausgezeichnete War'! Geh n S', schöner
Herr..."
Der „schöne Herr" wirst einen kurze» Blick
aut die Händlerin am Viktualienmarkt und ihre
„Ware"; dann geht er wortlos weiter und gedenkt
der seligen Zeiten, da er noch kein „schöner Herr",
sondern ein barfüßiger Waldkub war. Und vor
seinen Augen tauchen die Inseln der Knabenzeit
aus dem Nebelmeer der Vergessenheit, grüne
Wälderinseln, mosige Wiesenränder, weltferne Hal-
den, die uralten Pilzplätze der Heimat, wo die
edelsten und keinigsten Steinpilze wuchsen und
emporichossen wie . .. wie die Pilze eben. Aber
das Pfund kostete nicht drei Mark fünfzig, son-
dern nur ein paar Handgriffe.
Der „schöne Herr" ist plötzlich wieder ein Schul-
büblein. Er legt den Schulranzen in die Stuben-
ecke und holt vom Dachboden einen alten Brot-
korb und einen Feuereimer. Eigentlich ist's kein
Feuereimer, sondern ein wasserdichter Wassereimer;
aber weil er zum Bestände der Feuerwehr gehört,
heißt er Feuereimer.
Wie ich aus der Haustüre wischen will, er-
hascht mich noch Vaters Blick und Pfiff: „Wohin
schon wieder?"
„In die Schwammerl!"
Das ist dem Vater recht; denn die Schwam-
merl ißt er für sein Leben gern. Und mir ist's
erst recht recht; denn ich kenne kein größeres Ver-
gnügen als Schwammerl suchen. Ich weiß meine
Pilzplätze in den Wäldern rings um das Dörf-
lein, meine Plätze, die sonst niemand weiß. Jeder
schwammerlsuchende Dörfler weiß ja feine Plätze,
die er keinem verrät.
Mit ein paar Sprüngen bin ich schon über die
Hofgärten weg; schleichend geht's die Hohlgaffe
und die Haselhecken hinter dem Dörflein entlang,
damit mich ja niemand erblickt! Wie leicht könnte
mir jemand nachschleichen und meine Pilzplätze er-
forschen, in eine alten Plätze, und mir frühmorgens
schon die schönsten Schwammerl wegschnappen.
Da bin ich auch schon in der Bärnklau, in
unserm Hölzl. Bon weitem schon sehe ich die
braune Kappe eines riesigen Steinpilzes, eines
ehrwürdigen Allvaters. Er sagt weder „schöner
Herr" noch „drei Mark fünfzig", sondern ergibt
sich ohne weiteres dem schneidenden Messer. Der
Alte ist noch kernfrisch und mag seine zwei Pfund
wiegen. Ich lege ihn entzückt in den Feuereimer
als Grundstock — da, da sehe ich schon wieder
einen, einen Prachtkerl, da noch einen, dort wieder
einen ....
Fünf, sechs, sieben, acht zählt die Zunge und
das Mefferlein schneidet. Denn das weiß ich
schon, die Pilze darf man nicht ausreißen, sondern
muß sie über dem Boden abschneiden, weil man
sonst den Pilzlamen vernichtet, der bei den Stöcken
in der Erde steckt. Jetzt kniee ich im Waldmoos
und taste sacht mit den Fingern. Wo ich etwas
Rundes und Hartes fühle, hebe ich das Moos
sorgfältig ab; da schimmert dann immer das weiße
Käpplem eines Steinpilzes, den die Sonne noch
nicht braun gebrannt. Diese weißen Moospilze
sind wie die unschuldigen Kinder oder wie die
Kranzljungfrauen bei einer Hochzeit. Aber wäh-
rend ich taste und schneide, sehe ich unter einem
Tännling wieder einen Braunen, einen Mords-
kerl, dick und feist wie der Brüumeister oder der
Posthalter im Kirchdorf. Ich weiß gar nicht, wo
ich zuerst hinlangen soll. Der Brotkorb ist schon
halbvoll, und im Feuereimer liegen die Kranzl-
jungfrauen holdselig beim Altvater. Jetzt lasse
ich mir's in der Bärnklau genügen. Denn im
Gföhret*) drüben habe ich ja auch einen Schwam-
nierlplatz. Da wachsen die mit den schwarzbraunen
* Gföhret — Geföhret, Führenwald. Vgl. Birket,
Büchet, Tanne«, Geichet.
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Der Himmel ruht
In sanft gelöstem Grau.
Noch schweigt das Land,
Webt feierliche Träume,
Und wiegt auf jungeiu Gras
Die jungen Bäume.
Da hebt aus einer Krone
Ein Singen an,
Unendlich zart!
Unendliche Rufe dann!
Unendliches Wecken!
Unendlichen Jubels
Verhaltene Fülle!
Und Atemholen,
Tiefsüß, wie Erschrecken!
Und köstliche Stille!
D selig Warteir
frühen Morgen hin:
Die kommt, sie kommt ja bald,
Die Strahlende,
Die Herrscherin!
Joses Schaudert
Das häßliche Mädchen
Du warst nie schön. Selbst in der Blütezeit
War jener Glanz, den stets die Jugend atme,
Dir fremd.
Der harte Zug um Deinen Mund.
Der ungelenke Gang, die plumpen Hände.
(Bon Deiner Rase will ich gar nicht reden).
Sie gaben manchen Anlaß uns zum Spott.
Du warst nie schön. Und grausam, wie man ist,
Solang man jung ist und den Schmerz nicht enn
Wir ließen Deine Häßlichkeit Dich suhlen.
Bei Spiel und Tanzen kamst Du stets zu urz,
Und fand Dich Einer der Beachtung wert.
Geschaht mit doppelt weher Gönnermiene.
Du warst nie schön. —
Und jüngst traf ich Dich wieder.
Ais ich jn nreiirer Heimat Straßeir ging,
l>nd fand Dicl, Ärmste häßlicher als je.
Ratürlich sprachen wir sofort vom Krieg.
Ich trag' ja Uniform, und Dir am Arm
Prangt licht des Roten Kreuzes Engelszeichen,
lind als Du nun von Deinen Kranken sprachst,
Bon Deinen „Kindern", wie Du zärtlich sagte,t.
Brach solch ein Lichtstrahl Dir aus Deinem Herzen,
Und so viel Güte quoll aus Deiner Brust,
Dein harter Mund fand solche tiefen Worte,
Daß ich beschämt an Deiner Seite ging
Und in Gedanken allen Spott Dir abbat.
Wie eine Heilige fast erschienst Du mir.
Und als Du mir die Hand zrmi Abschied ga I,
Die welke, plumpe, ungelenke Hand,
Weiß Gott, ich hätte sie beinah' geküßt!
Du aber zogst.sie allzu schnell zurück.
Du gingst — es war der alte, schlechte Gang,
Den schon die Eltern an dein Kind getadelt.
Ich aber Hab' Dir lange nachgeseh'n
lind meine Seele sprach: „Wie bist Du schön!
Kart Ettlinaer (Unteroffizier im Felde)
Schwammerlinge
Karl Hermann Müller
Alte Pilzplätze
Don S. Schrönghamer > Heimdal
„Kaufen S-' keine Schwammerl, schöner
Herr? Echte Pilzling', das Pfund drei Mark
fünfzig, ausgezeichnete War'! Geh n S', schöner
Herr..."
Der „schöne Herr" wirst einen kurze» Blick
aut die Händlerin am Viktualienmarkt und ihre
„Ware"; dann geht er wortlos weiter und gedenkt
der seligen Zeiten, da er noch kein „schöner Herr",
sondern ein barfüßiger Waldkub war. Und vor
seinen Augen tauchen die Inseln der Knabenzeit
aus dem Nebelmeer der Vergessenheit, grüne
Wälderinseln, mosige Wiesenränder, weltferne Hal-
den, die uralten Pilzplätze der Heimat, wo die
edelsten und keinigsten Steinpilze wuchsen und
emporichossen wie . .. wie die Pilze eben. Aber
das Pfund kostete nicht drei Mark fünfzig, son-
dern nur ein paar Handgriffe.
Der „schöne Herr" ist plötzlich wieder ein Schul-
büblein. Er legt den Schulranzen in die Stuben-
ecke und holt vom Dachboden einen alten Brot-
korb und einen Feuereimer. Eigentlich ist's kein
Feuereimer, sondern ein wasserdichter Wassereimer;
aber weil er zum Bestände der Feuerwehr gehört,
heißt er Feuereimer.
Wie ich aus der Haustüre wischen will, er-
hascht mich noch Vaters Blick und Pfiff: „Wohin
schon wieder?"
„In die Schwammerl!"
Das ist dem Vater recht; denn die Schwam-
merl ißt er für sein Leben gern. Und mir ist's
erst recht recht; denn ich kenne kein größeres Ver-
gnügen als Schwammerl suchen. Ich weiß meine
Pilzplätze in den Wäldern rings um das Dörf-
lein, meine Plätze, die sonst niemand weiß. Jeder
schwammerlsuchende Dörfler weiß ja feine Plätze,
die er keinem verrät.
Mit ein paar Sprüngen bin ich schon über die
Hofgärten weg; schleichend geht's die Hohlgaffe
und die Haselhecken hinter dem Dörflein entlang,
damit mich ja niemand erblickt! Wie leicht könnte
mir jemand nachschleichen und meine Pilzplätze er-
forschen, in eine alten Plätze, und mir frühmorgens
schon die schönsten Schwammerl wegschnappen.
Da bin ich auch schon in der Bärnklau, in
unserm Hölzl. Bon weitem schon sehe ich die
braune Kappe eines riesigen Steinpilzes, eines
ehrwürdigen Allvaters. Er sagt weder „schöner
Herr" noch „drei Mark fünfzig", sondern ergibt
sich ohne weiteres dem schneidenden Messer. Der
Alte ist noch kernfrisch und mag seine zwei Pfund
wiegen. Ich lege ihn entzückt in den Feuereimer
als Grundstock — da, da sehe ich schon wieder
einen, einen Prachtkerl, da noch einen, dort wieder
einen ....
Fünf, sechs, sieben, acht zählt die Zunge und
das Mefferlein schneidet. Denn das weiß ich
schon, die Pilze darf man nicht ausreißen, sondern
muß sie über dem Boden abschneiden, weil man
sonst den Pilzlamen vernichtet, der bei den Stöcken
in der Erde steckt. Jetzt kniee ich im Waldmoos
und taste sacht mit den Fingern. Wo ich etwas
Rundes und Hartes fühle, hebe ich das Moos
sorgfältig ab; da schimmert dann immer das weiße
Käpplem eines Steinpilzes, den die Sonne noch
nicht braun gebrannt. Diese weißen Moospilze
sind wie die unschuldigen Kinder oder wie die
Kranzljungfrauen bei einer Hochzeit. Aber wäh-
rend ich taste und schneide, sehe ich unter einem
Tännling wieder einen Braunen, einen Mords-
kerl, dick und feist wie der Brüumeister oder der
Posthalter im Kirchdorf. Ich weiß gar nicht, wo
ich zuerst hinlangen soll. Der Brotkorb ist schon
halbvoll, und im Feuereimer liegen die Kranzl-
jungfrauen holdselig beim Altvater. Jetzt lasse
ich mir's in der Bärnklau genügen. Denn im
Gföhret*) drüben habe ich ja auch einen Schwam-
nierlplatz. Da wachsen die mit den schwarzbraunen
* Gföhret — Geföhret, Führenwald. Vgl. Birket,
Büchet, Tanne«, Geichet.
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