was er ihr gegeben hatte, und hielt seine Hand,
als wollte sie ihn zu verlassenen Höhen führen.
Doch Prosper stutzte — hinter den Freunden
standen die anderen Gäste: Oberleutnant Rühling
und der Major — beide in Uniform. O, Schrecke:,
.... Was war zu tun? Der Exerzierplatz stieg
vor Prosper auf. Stramm stehen bei einer ge-
sellfchattlichen Vorstellung? Unmöglich. Seinem
Versuch beugten die Herren auch vor. Ober-
leutnant Rühling gab Prosper mit sympathischer
Verlegenheit die Hand, und Major Lucius —
nun, der war auch verlegen. Aber er hatte die
Haltung seines Ranges. Er kam beim Anblick
eines Rekruten nicht von der Standesverzaubernng
los. Sein Blick blieb scharf, sein Gruß war von
gemessenem Wohlwollen. Dann ahäm.
Räuspern, Schweigen, die gefürchtete Verlegen-
heitspause ....
Man setzte siel,. Das war das einzige, was
man tun konnte. Arthur und Marianne kämpften
den liebenswürdigsten Kampf, nröglichst gnt über
die „Situation" fortzukommen. Arthurs Natur
war ungeduldig — zum Teufel, er wehrte sich
überhaupt gegen eine „Situation". Wegen der
paar Uniformen? In dieser alles vereinigenden
Menschenzeit? Warum kam ein Kerl, wie Prosper,
nicht darüber fort? Aber der gute Arthur steckte
selbst in Zivil — sein Taktgefühl hatte es ihm zu
leidjt gemacht. Um endlich Stimmung zu erzeugen,
drang er ein bihche>r rücksichtsloser, als es sonst
Marianne gegenüber seine Art war, darauf, zu
Tisch zu gehen. Die kluge, junge Hausfrau be-
ruhigte ihn, und endlich — Gott sei Dank, man
konnte sich „begeben". Prosper giirg neben Ma-
rianne — nicht als der von ihr geehrte Poet,
sondern als Opfertier von hundert Verlegenheiten.
Er konnte nicht dagegen an. Stnnmr fast der
Rekrut an der kostbar gedeckten Tafel und liest
sich von Mariannes westen Damenhänden be-
dienen. Wie schnell verstand ihr Herzenstakt die
Befangenheit, die er nicht meistern konnte — er
fühlte jede ihrer Regungen. Mit niedergeschlagenen
Augen gehorchte er ihren leisen Bitten — ah, trank,
antwortete auf ihre Fragen. Er fand sich selbst
unmöglich — er hörte sich als fremde Stimme,
aus weiter Ferne her. Lastete seine Anwesenheit
nicht ans den anderen? Hätte man sich nicht ohne
ihn erst wohl gefügt? Er glaubte plötzlich vom
Exerzierplatz ins Lhfizierskasino gedrungen zu sein.
Ihm schwindelte ....
Marianne sah ihn traurig an. Spürte er, wie
gut das Essen war? Erlesene Dinge gab es, trotz
Kriegszeit. Doch er gedachte vielleicht in reuiger
Liebe des Sauerkrauts in seinem Quartier. Hilf-
los blickte sie zu Arthur hinüber. Da verstand
der Dichter-Rekrut plötzlich den Sinn ihres Blicks.
Ein Schrecken packte ihn — nichts fürchtete er so
hehr, als den Freunden undankbar zu erscheinen.
Ängstlich sah auch er ans Arthur. Bereute er, was
er für ihn getan hatte? . . .
Nein, das nicht, gewiß nicht — aber unruhig
war auch der gute Wirt geworden. Er spürte,
daß Prosper bei ihm und doch weit fort war.
Nervös hatte er sich in eine ihm wesensfremde
Konversation gestürzt. Trotzdem konnte alles plötz-
lich stocken — der ganze, so schön erhoffte Abend.
Da nahte sich dem Bedrängten ein Bundesgenosse,
den er erst später, zur Torte, hatte rufen wollen.
Nun brachte ein liebenswerter Irrtum des Haus-
mädchens ihn schon zum Braten: Rüdesheimer
von 1911. Als das Gold deutscher Berge in den
Kelchen schimmerte, als es wohlig in die Menschen
hinunterglitt, die in rätselhaften Fesseln der Kon-
vention rangen, sä,lug urplötzlich die Glocke der
Freude. Man reckte fiel), man blickte freier um-
her. Als ob Mariannes Fraueninstinkt diese not-
wendige Männerwandlung sofort erkannt hätte,
sprach sie laut, aus dem Herzen, dast alle es hörten,
von Prospers Werken, Sie stieß mit dem Dichter
an, sie dankte ihm so — da näherten auch die
anderen gerührt ihre Gläser. Ja, es war nichts
anderes, als dast man die Huldigung für einen
Dichter als allgemeine Erlösung nützte. Dein Be-
scheidensten ordnete man sich eifrig unter. Der
Major, wie der Oberleutnant, freute sich, enblid)
Mensch sein zu können. Ehre deni Geist der
Begabung, wo er fid) zeigte — das war Soldaten-
gesetz. ©eine Hülle, die eben noch soviel gewesen,
war nun gleichgültig.
Rosenketten mnsdilangen Arthurs Tafelrunde
— ein Wunder. Welche gütig freie Stimmung ...
Nur durä) den Rüdesheimer und die Entdeckung,
einen beuffd,en Dichter vor sich zu haben. Arthur
lächelte glückliä)-dankbar und verliebt sah er auf
seine Fra». Und nun, da man itienfd)lid) frei
geworden, nun blieb es auch bei der Ehrung der
Kunst nicht, nein — man wandte fid, einig zum
Leben. Zwischen den Todesgefahren der Zeit be-
deutete ja Leben alles. Bor allen empfand Prosper
so, jetzt gerade, da man ihn als Did)ter, nicht n:ehr
als Soldaten sah. Vom Kriege wurde gesprod,eu,
von der Größe nnb der Bedrängnis des Vater-
landes. Der Rüdesheimer rief die Waä,t ain
Rhein auf. Menschen teilten fid) ihre Sorge»
und Hoffimiigen mit. Meinungen wurden ge-
incdjfelt — jeder durfte die seine sagen — auch
der Rekrut . . . Der Major, der ein feiner, be-
sonderer Kopf mar und ein gutes, tapferes Herz,
debattierte schließlich nur mit Prosper. Sie waren
ja beide Vaterlandsverteidiger, bod) der Rekrut,
das gab sogar ein Major zu erkennen, der Rekrut
hatte einen Vorsprung: er war ein geistiges Zeichen,
ein Spreä)er der Nation.
In, der Rüdesheimer. Und das Ende voii
Arthurs Mahl? Es kam spät, sehr spät. Prospers
Urlaiibszeit war längst überfdiritten. Da stellte der
weinfrohe Major ihm einen Extrapast aus, nnb
der Oberleutnant legte, als es dann enblid) doch
mul Zeit zum Gehen war, den Arm um ben Re-
kruten, und sie zogen, naä) innigem Absä)ied voii
ihren Wirten, zu Dreien fort — Major und Ober-
leutnant und Rekrut. Draußen in der sternklaren
Nacht trennten fid) drei Menschen von einander
mit bedeutsamem Hnndsäilag, dankbar für die
Friedensstunden mitten im Kriege, ohne Hemmung
und einander nahe im Geist der Zeit.
Weihnachtsgedankm
Wie daheim die lustigen, weißen Kknderbettlein,
so knistern die Weihnachtsflocken.
Der liebe Gott schickt in diesem Jahre keine
buntgeflügelten, lieben Engel mit Rauschegold und
Iesussprüchlekn zur Erde hernieder.
Im vorigen Jahre ist ja ein Flieger gekommen
und ist mit seinem Apparat ganz wild in die su-
belnde, kichernde Engelwolke hineingefahren.
Das hat dem lieben Gott so weh getan.
Unten im Schnee haben Blutströpflein gelegen.
Nun schickt er in diesem Jahre keine Engel
mehr zur Erde hernieder.
Der Mond friert an meinem Gewehr.
Die Sterne möchten vor Kälte in meine Hosen-
tasche kriechen.
Und mein Herz friert auch.
Nur manchmal, wenn ich an Daheim denke,
dann brennt ein Licht in meinem Herzen auf,- so
fromm und warm wie ein Licht an dem Lhrist-
baum, den du dir mit deinem letzten Groschen für
die Herrgottsnacht gekauft hast.
Max 2 u n g n i ck e l (Musketier)
als wollte sie ihn zu verlassenen Höhen führen.
Doch Prosper stutzte — hinter den Freunden
standen die anderen Gäste: Oberleutnant Rühling
und der Major — beide in Uniform. O, Schrecke:,
.... Was war zu tun? Der Exerzierplatz stieg
vor Prosper auf. Stramm stehen bei einer ge-
sellfchattlichen Vorstellung? Unmöglich. Seinem
Versuch beugten die Herren auch vor. Ober-
leutnant Rühling gab Prosper mit sympathischer
Verlegenheit die Hand, und Major Lucius —
nun, der war auch verlegen. Aber er hatte die
Haltung seines Ranges. Er kam beim Anblick
eines Rekruten nicht von der Standesverzaubernng
los. Sein Blick blieb scharf, sein Gruß war von
gemessenem Wohlwollen. Dann ahäm.
Räuspern, Schweigen, die gefürchtete Verlegen-
heitspause ....
Man setzte siel,. Das war das einzige, was
man tun konnte. Arthur und Marianne kämpften
den liebenswürdigsten Kampf, nröglichst gnt über
die „Situation" fortzukommen. Arthurs Natur
war ungeduldig — zum Teufel, er wehrte sich
überhaupt gegen eine „Situation". Wegen der
paar Uniformen? In dieser alles vereinigenden
Menschenzeit? Warum kam ein Kerl, wie Prosper,
nicht darüber fort? Aber der gute Arthur steckte
selbst in Zivil — sein Taktgefühl hatte es ihm zu
leidjt gemacht. Um endlich Stimmung zu erzeugen,
drang er ein bihche>r rücksichtsloser, als es sonst
Marianne gegenüber seine Art war, darauf, zu
Tisch zu gehen. Die kluge, junge Hausfrau be-
ruhigte ihn, und endlich — Gott sei Dank, man
konnte sich „begeben". Prosper giirg neben Ma-
rianne — nicht als der von ihr geehrte Poet,
sondern als Opfertier von hundert Verlegenheiten.
Er konnte nicht dagegen an. Stnnmr fast der
Rekrut an der kostbar gedeckten Tafel und liest
sich von Mariannes westen Damenhänden be-
dienen. Wie schnell verstand ihr Herzenstakt die
Befangenheit, die er nicht meistern konnte — er
fühlte jede ihrer Regungen. Mit niedergeschlagenen
Augen gehorchte er ihren leisen Bitten — ah, trank,
antwortete auf ihre Fragen. Er fand sich selbst
unmöglich — er hörte sich als fremde Stimme,
aus weiter Ferne her. Lastete seine Anwesenheit
nicht ans den anderen? Hätte man sich nicht ohne
ihn erst wohl gefügt? Er glaubte plötzlich vom
Exerzierplatz ins Lhfizierskasino gedrungen zu sein.
Ihm schwindelte ....
Marianne sah ihn traurig an. Spürte er, wie
gut das Essen war? Erlesene Dinge gab es, trotz
Kriegszeit. Doch er gedachte vielleicht in reuiger
Liebe des Sauerkrauts in seinem Quartier. Hilf-
los blickte sie zu Arthur hinüber. Da verstand
der Dichter-Rekrut plötzlich den Sinn ihres Blicks.
Ein Schrecken packte ihn — nichts fürchtete er so
hehr, als den Freunden undankbar zu erscheinen.
Ängstlich sah auch er ans Arthur. Bereute er, was
er für ihn getan hatte? . . .
Nein, das nicht, gewiß nicht — aber unruhig
war auch der gute Wirt geworden. Er spürte,
daß Prosper bei ihm und doch weit fort war.
Nervös hatte er sich in eine ihm wesensfremde
Konversation gestürzt. Trotzdem konnte alles plötz-
lich stocken — der ganze, so schön erhoffte Abend.
Da nahte sich dem Bedrängten ein Bundesgenosse,
den er erst später, zur Torte, hatte rufen wollen.
Nun brachte ein liebenswerter Irrtum des Haus-
mädchens ihn schon zum Braten: Rüdesheimer
von 1911. Als das Gold deutscher Berge in den
Kelchen schimmerte, als es wohlig in die Menschen
hinunterglitt, die in rätselhaften Fesseln der Kon-
vention rangen, sä,lug urplötzlich die Glocke der
Freude. Man reckte fiel), man blickte freier um-
her. Als ob Mariannes Fraueninstinkt diese not-
wendige Männerwandlung sofort erkannt hätte,
sprach sie laut, aus dem Herzen, dast alle es hörten,
von Prospers Werken, Sie stieß mit dem Dichter
an, sie dankte ihm so — da näherten auch die
anderen gerührt ihre Gläser. Ja, es war nichts
anderes, als dast man die Huldigung für einen
Dichter als allgemeine Erlösung nützte. Dein Be-
scheidensten ordnete man sich eifrig unter. Der
Major, wie der Oberleutnant, freute sich, enblid)
Mensch sein zu können. Ehre deni Geist der
Begabung, wo er fid) zeigte — das war Soldaten-
gesetz. ©eine Hülle, die eben noch soviel gewesen,
war nun gleichgültig.
Rosenketten mnsdilangen Arthurs Tafelrunde
— ein Wunder. Welche gütig freie Stimmung ...
Nur durä) den Rüdesheimer und die Entdeckung,
einen beuffd,en Dichter vor sich zu haben. Arthur
lächelte glückliä)-dankbar und verliebt sah er auf
seine Fra». Und nun, da man itienfd)lid) frei
geworden, nun blieb es auch bei der Ehrung der
Kunst nicht, nein — man wandte fid, einig zum
Leben. Zwischen den Todesgefahren der Zeit be-
deutete ja Leben alles. Bor allen empfand Prosper
so, jetzt gerade, da man ihn als Did)ter, nicht n:ehr
als Soldaten sah. Vom Kriege wurde gesprod,eu,
von der Größe nnb der Bedrängnis des Vater-
landes. Der Rüdesheimer rief die Waä,t ain
Rhein auf. Menschen teilten fid) ihre Sorge»
und Hoffimiigen mit. Meinungen wurden ge-
incdjfelt — jeder durfte die seine sagen — auch
der Rekrut . . . Der Major, der ein feiner, be-
sonderer Kopf mar und ein gutes, tapferes Herz,
debattierte schließlich nur mit Prosper. Sie waren
ja beide Vaterlandsverteidiger, bod) der Rekrut,
das gab sogar ein Major zu erkennen, der Rekrut
hatte einen Vorsprung: er war ein geistiges Zeichen,
ein Spreä)er der Nation.
In, der Rüdesheimer. Und das Ende voii
Arthurs Mahl? Es kam spät, sehr spät. Prospers
Urlaiibszeit war längst überfdiritten. Da stellte der
weinfrohe Major ihm einen Extrapast aus, nnb
der Oberleutnant legte, als es dann enblid) doch
mul Zeit zum Gehen war, den Arm um ben Re-
kruten, und sie zogen, naä) innigem Absä)ied voii
ihren Wirten, zu Dreien fort — Major und Ober-
leutnant und Rekrut. Draußen in der sternklaren
Nacht trennten fid) drei Menschen von einander
mit bedeutsamem Hnndsäilag, dankbar für die
Friedensstunden mitten im Kriege, ohne Hemmung
und einander nahe im Geist der Zeit.
Weihnachtsgedankm
Wie daheim die lustigen, weißen Kknderbettlein,
so knistern die Weihnachtsflocken.
Der liebe Gott schickt in diesem Jahre keine
buntgeflügelten, lieben Engel mit Rauschegold und
Iesussprüchlekn zur Erde hernieder.
Im vorigen Jahre ist ja ein Flieger gekommen
und ist mit seinem Apparat ganz wild in die su-
belnde, kichernde Engelwolke hineingefahren.
Das hat dem lieben Gott so weh getan.
Unten im Schnee haben Blutströpflein gelegen.
Nun schickt er in diesem Jahre keine Engel
mehr zur Erde hernieder.
Der Mond friert an meinem Gewehr.
Die Sterne möchten vor Kälte in meine Hosen-
tasche kriechen.
Und mein Herz friert auch.
Nur manchmal, wenn ich an Daheim denke,
dann brennt ein Licht in meinem Herzen auf,- so
fromm und warm wie ein Licht an dem Lhrist-
baum, den du dir mit deinem letzten Groschen für
die Herrgottsnacht gekauft hast.
Max 2 u n g n i ck e l (Musketier)