Das Kaschen
Bo» Rudolf Dieh (Wiesbaden)
(Mit Zeichnungen von A. S ch mi v h am in er)
Auf dem nlleroberftc» Westerwold liegt i»
einer Höhe von nahezu zweitausend nassauischen
Fuß das Zwergdorf Heckenhausen, dessen trau-
licher Raine sehr gut zu den es umgebenden
Schuhhecken paßt, langen düsteren Fichtenreihen,
die ein vorsorglicher Landesvaler zum Schuh gegen
die tmgewohnten warmen Südwinde hatte an-
pflanzen lassen.
Wer vor Fahren nach einer fröhlichen Wan-
derung das Weichbild der Residenz Heckenhausen
betrat, muhte seinen ehrlichen Westerwälder Hun-
ger und Durst in den einzigen Gasthof tragen,
der als langgestreckte einstöckige Hütte mit be-
moostem Strohdach dicht am Wege lag.
Uber dem aus Ober- und Untertür bestehen-
den Eingang hing an einer weit in die Strahe
springenden Eisenstnnge ein blechernes, sehr humo-
ristisch wirkendes himmlisches Geschöpf mit tadel-
los bemalten Rotbacken, schneeweihen Flügeln
und einem grasgrünen Palmwedel. Art und
Name des entzückenden Wesens war auf einem
ebenfalls blechernen Anhänger als „Engel" näher
bestimmt, so dah der eintretende Wanderer das
angenehme Gefühl Halle, im Gaslhof zum „Engel"
in Heckenhausen abgestiegen zu sein.
Jeder Gast nun, der so weit gekommen mar,
erlebte alsdann genau dasselbe, was alle anderen
vor ihm glücklich hinter sich hatten.
Bon menschlichen Weseir schien das Haus
„zum Engel" vorerst nicht bewohnt zu sein.
Dagegen wurde die Langeweile des ans einem
wackeligen Holzstuhl vor einem dazu passenden
Eichentisch Wartendeir zunächst durch den Ge-
danken an das hübsche Kinderlieb „Weiht du,
wieviel Mücklein spielen?" in anschaulicher Weise
abgelenkt.
Erst nachdem der schliehlich doch ungeduldig
Gewordene nach einer knappen halben Stunde,
mit einem mächtigen Platsch auf die Tischplatte
die Zahl der Mücklein etwas vereinfacht halte,
öffnete sich die Stubentür, und es erschien ein
etwa zwölfjähriger kräftiger Dorfbub mit einem
pausbackigen Knirps an der Hand, dem lebendig
gewordenen Blechengel vom Wirtsschild.
„Ro?" fragte der Große mit einer durch den
Mückenplatsch hervorgerufenen sehr ärgerlichen
Tonfärbung.
„Was gibt’s zu essen?" fragte höflich der Gast.
,,E' Käsche — bat kamt ’r hunn — un Brud
un Bodder — un en Schnapps — sost girr et naut."
„Also einmal Butter und Käs rnrd ’» Schnaps,"
bestellte der Wandersmann.
Das Bruderpaar zog ab, indem das Modell
vom Blechengel beim Hinaustappen wiederholte:
,,E’ Täsche — bat tinnt ’r hunn — un en
Raps — fast bin: et naut."
Nach weiterem reichlichem Warten erschien
das bedienende Personal wieder im Speisesaal.
Der Grohe war beladen mit einem runden Laib
Schwarzbrot, einem ganz appetitlich aussehenden
Teller mit schöner gelber Butter und einem nicht
zu knapp bemessenen klaren Kornschnaps.
Der Posaunenengel aber trug ans einem win-
zigen Tellerchen ein ganz kleines, sehr hart aus-
sehendes, blasses Käschen, schob es zwischen das
Brot und die Butter, rieb sich von rechts nach
links die feuchte Stumpfnase und guckte neugierig
und gespannt auf den weiteren Verlauf des Gast-
spiels über die Tischplatte.
Und richtig, alles vollzog sich, wie es der
kleine Satan schon hundertmal beobachtet hatte.
Der Gast schnitt mit seinem Taschenmesser den
duftigen Brotlaib auf, säbelte sich ein grohes
Stück herunter, schmierte es dick mit Butter und
(Schluß auf Seite 1105)
Bo» Rudolf Dieh (Wiesbaden)
(Mit Zeichnungen von A. S ch mi v h am in er)
Auf dem nlleroberftc» Westerwold liegt i»
einer Höhe von nahezu zweitausend nassauischen
Fuß das Zwergdorf Heckenhausen, dessen trau-
licher Raine sehr gut zu den es umgebenden
Schuhhecken paßt, langen düsteren Fichtenreihen,
die ein vorsorglicher Landesvaler zum Schuh gegen
die tmgewohnten warmen Südwinde hatte an-
pflanzen lassen.
Wer vor Fahren nach einer fröhlichen Wan-
derung das Weichbild der Residenz Heckenhausen
betrat, muhte seinen ehrlichen Westerwälder Hun-
ger und Durst in den einzigen Gasthof tragen,
der als langgestreckte einstöckige Hütte mit be-
moostem Strohdach dicht am Wege lag.
Uber dem aus Ober- und Untertür bestehen-
den Eingang hing an einer weit in die Strahe
springenden Eisenstnnge ein blechernes, sehr humo-
ristisch wirkendes himmlisches Geschöpf mit tadel-
los bemalten Rotbacken, schneeweihen Flügeln
und einem grasgrünen Palmwedel. Art und
Name des entzückenden Wesens war auf einem
ebenfalls blechernen Anhänger als „Engel" näher
bestimmt, so dah der eintretende Wanderer das
angenehme Gefühl Halle, im Gaslhof zum „Engel"
in Heckenhausen abgestiegen zu sein.
Jeder Gast nun, der so weit gekommen mar,
erlebte alsdann genau dasselbe, was alle anderen
vor ihm glücklich hinter sich hatten.
Bon menschlichen Weseir schien das Haus
„zum Engel" vorerst nicht bewohnt zu sein.
Dagegen wurde die Langeweile des ans einem
wackeligen Holzstuhl vor einem dazu passenden
Eichentisch Wartendeir zunächst durch den Ge-
danken an das hübsche Kinderlieb „Weiht du,
wieviel Mücklein spielen?" in anschaulicher Weise
abgelenkt.
Erst nachdem der schliehlich doch ungeduldig
Gewordene nach einer knappen halben Stunde,
mit einem mächtigen Platsch auf die Tischplatte
die Zahl der Mücklein etwas vereinfacht halte,
öffnete sich die Stubentür, und es erschien ein
etwa zwölfjähriger kräftiger Dorfbub mit einem
pausbackigen Knirps an der Hand, dem lebendig
gewordenen Blechengel vom Wirtsschild.
„Ro?" fragte der Große mit einer durch den
Mückenplatsch hervorgerufenen sehr ärgerlichen
Tonfärbung.
„Was gibt’s zu essen?" fragte höflich der Gast.
,,E' Käsche — bat kamt ’r hunn — un Brud
un Bodder — un en Schnapps — sost girr et naut."
„Also einmal Butter und Käs rnrd ’» Schnaps,"
bestellte der Wandersmann.
Das Bruderpaar zog ab, indem das Modell
vom Blechengel beim Hinaustappen wiederholte:
,,E’ Täsche — bat tinnt ’r hunn — un en
Raps — fast bin: et naut."
Nach weiterem reichlichem Warten erschien
das bedienende Personal wieder im Speisesaal.
Der Grohe war beladen mit einem runden Laib
Schwarzbrot, einem ganz appetitlich aussehenden
Teller mit schöner gelber Butter und einem nicht
zu knapp bemessenen klaren Kornschnaps.
Der Posaunenengel aber trug ans einem win-
zigen Tellerchen ein ganz kleines, sehr hart aus-
sehendes, blasses Käschen, schob es zwischen das
Brot und die Butter, rieb sich von rechts nach
links die feuchte Stumpfnase und guckte neugierig
und gespannt auf den weiteren Verlauf des Gast-
spiels über die Tischplatte.
Und richtig, alles vollzog sich, wie es der
kleine Satan schon hundertmal beobachtet hatte.
Der Gast schnitt mit seinem Taschenmesser den
duftigen Brotlaib auf, säbelte sich ein grohes
Stück herunter, schmierte es dick mit Butter und
(Schluß auf Seite 1105)