Worte aus dem (Schatten
Don Heinz von Lichberg
Es spricht der Gast in der Nacht, wäh-
rend seine Augen unruhig ftrtb:
Eine bodenlose Gemeinheit ist das.
Setz Dich an die Tempeltür, zeig deine
Schwären und bettele — sie werden dir geben.
Aber häng Dir einen Zettel um den Hals
„Meine Seele schmerzt so sehr" — sie wer-
den Dich auslachen. Grinsen werden sie, blöde
und verständnislos, diese feisten, selbstzufrie-
denen Burschen.
Der Gemütsarzt wird Dir sagen: Geh
spazieren, Freund, wandere! Wandere! Wo
jeder rauschende Baum, jeder Quell, jedes
bißchen kitschiger Mondschein an Dir reißt
und zerrt, Dich demütigt und quält mit sehn-
süchtiger Schönheit.
Lach doch, lach doch, genieße, genieße —
denn morgen bist Du tot! Weine, weine,
bete Dir die Hände wund nach geruhiger
Schönheit, die Du mit großen Augen liegen
siehst in der Sonne — sie wird weichen vor
Dir. —
Hörst Du von ferne die singenden Geigen
und greifst mit Deinen armen Händen nach
den Tönen, willst sie aufsaugen mit dem trok-
kenen Schwamm Deiner Seele — sie werden
verstummen.
Heute ist das so, heule — nicht im Mittel-
alter — gestern, heute und morgen.
Du sitzt im Kinotheater, da bist Du wenig-
stens unter Menschen und doch allein in der
Dunkelheit. Auf der Leinwand hetzen sic den
geschnünkten Verbrecher durch Flüsse, über
Landstraßen und Brücken. Die Augen der
Menschheit uni Dich herum sind stier vor Er-
regung und ihre Wangen glänzen vor Lüstern-
heit, die die Luft um Dich herum warm, fettig
und übelriechend macht.
Das Gute wird über das Böse trium-
phieren!
Oh, sie sind ja so gut, diese Menschen!
Es wird hell und in der Loge neben Dir
siehst Du Leonie sitzen — Deine geliebte Lconie!
Und wenn Du nicht wüßtest, daß Leonie
tot ist . . .
Aber sie ist tot.
Diese Frau sieht ihr sehr ähnlich — so
gleich, daß es Dir fast körperlich weh iut.
Du siehst sie, sie sieht Dich an.
Du merkst deutlich, wie sich in Dir etwas
öffnet, irgend etwas — Herz, Seele oder wie
Du es nennen willst.
Deine Augen müssen sehr seltsam
denn die Frau wird unruhig und
ängstlich.
Im Augenblick ist Alles in Dir
wieder wachgerüttelt — Alles, das
Du mühsam zugedeckt hast in Jahren
qualvollen Bergessens, blüht wieder
auf. Der Wunsch, diesen Kopf i»
beide Hände zu nehmen und auch nur
für einen Augenblick Deine Einsam-
keit fortzutäuschen, wächst machtvoll
in Dir auf und droht, Dir den Leib
zu zersprengen.
Aber da ist ein Mann bei ihr, der
schießt beleidigte und wütende Blicke
nach Dir. Weil er nämlich mit seinem
Alltagsschädel denkt, Du wolltest sein
eingebildetes Recht auf die Frau ver-
letzen. Weil er glaubt, Du führtest
etwas im Schilde gegen sie, was diese
Affen von Männern gewohnheitsge-
mäß niit jeder schönen Frau tun. Was
er wahrscheinlich selbst getan hat oder
tut, was sic alle tun mit lächerlichen
Phrasen.
Die nackte durch keinerlei Kultur
oder Takt verhüllte Preisgabe der
tierischsten Instinkte — sei es auch
nur in Gedanken.
Blick
vom
aunus
sein,
Von dieser Höhe, die die Wolken lieben,
8eh ich den Strom, der weit durchglänzt
das Land.
Die Ferne raucht, die Berge blaun im Trüben,
Besonntes Feld wölbt sieh wie offne Hand.
Lieh ist mir alles. Mit der Sonne heb’ ich
Den gelben Baum aus grauem Tal beglückt.
All meine Sehnsucht, all mein Sinnen
geh' ich
Der grossen Welt und bin durch sie
entzückt.
Rauscht zu, ihr Wälder! Sauset euer Lehen
Mit Inbrunst aus und lehrt uns eure Lust!
Trag' Frucht, du Acker! Herrlich ist
das Geben.
Ach, gäbe ihre Frucht so diese Brust!
Ach, kennte sie wie du dies breite Dehnen,
Dies Dulden und die satte Kraft und Ruh!
Das Sterbliche schwillt auf in hohem
Sehnen;
Das Tun in Demut kennest du.
Und du und all die Weite, die sich breitet
Vor dieses Menschenauges Blick,
Ihr kehrt verdichtet, zum Gefühl bereitet.
Leicht als Empfindung in dies Herz zurück.
Schick’ Liebe aus, mein Herz, die sich
ergiesse,
^Vie dieses Land durchglänzt der Strom!
Schütt’ alle deine Liehe aus und Süsse,
Erfüllend diesen wolkenhohen Dom!
WILHELM MICHEL
x. Z. Wacbkommando Diedenbergen,
bei Hof beim im Taunus
Ferdinand Staeger (München)
So mißtrauisch sind diese guten Menschen
und so selbstoerräterisch gemein, daß sie ihren '
Nächsten von vornherein imnier gleich das
Schlechteste zutrauen.
Leonie, diese fremde Frau dort, muß aber
dein Fluidum fühlen, denn ihre Augen werden
größer und ein Schatten süßen, atznungsvollen
Erkennens fliegt über ihre Stirn.
Auf der Leinwand geht die Jagd weiter.
Wie sie Hetzen können, diese guten Menschen,
wie sie ihn jagen können, den armen Dieb,
der etwas gestohlen hat, das er unsäglich
liebt. Er ist nänilich einer von den intellek-
tuellen Verbrechern, der — wie entfernt voni
Gewohnheitsdieb, etwas genommen hat, das
er früher selbst besessen und ohne das er nicht
leben kann.
Ein Bild oder — ja, ich glaube es war
ein Bild.
Er durfte natürlich nicht stehlen — nein
das durfte er nicht. Aber er hat ja nicht
gestohlen — die Sehnsucht hat's getan, nur
die Sehnsucht.
Du sollst nicht stehlet,, steht geschrieben —
aber auch die Sehnsucht hat uns Gott geschenkt.
Was sind alle Gebote, wen» die Sehnsucht
stärker ist?
Was war das Bild dem Anderen — ein
Nichts — ein Geldwert. Geld ist noch stärker
als Sehnsucht.
Deshalb muß er nun büßen für das Ge-
schenk Gottes, der ihm eine fühlende Seele gab.
Es ist ja nur ein schlechtes Schauspiel und
selbst wenn es Leben wäre, so handelten die
Verfolger richtig, denn das Gesetz darf keine
Ausnahme machen.
Aber — siehst Du, nun bist Du der Dieb.
Nll» hast Du Leonies Kopf gestohlen — oder
ihre Augen, nur ihre Augen. Du hast sie an-
gesehen und sie bat Diä) verstanden.
Ho, wie sie Dich jagen! Wie ihnen der
Geiser vor dem Mund steht aus Wut über
Dich, Du Fremder, Du Sehnsüchtiger, Ein-
samer !
Schrei cs ihnen entgegen, dieses Wort, unter
dem Du Dich beugst seit Jahren: „Meine Seele
schmerzt so sehr!"
„Hei," brüllen sie, „Du Schurke, Du hast
sie angesehen, die einem andern gehört! Was
ist uns Sehnsucht, was Liebe, was Einsamkeit
— können wir das selten, können wir das
greifen, was kostet das?"
Und sie hetzeti Diel) über die Straßen des
Lebens, durch die Wälder der Trauer, sie
stürzen Dich in den Abgrund des Todes, bis
Du malt bist und sie Dich fassen.
lind nun peitschen sie Dich mit den Geiseln
ihrer Worte, stellen Dill) an den Pran-
ger mit ihrett Augen und treiben Dir
die Messer ihres höhnischen Lachens
in die Seele.
Nie kannst Du Dich wieder an die
Sonne wagen — nur des Nachts
kannst Du aus die Gasse gehn, wenn
die Dunkelheit die Zeichen Deiner
Schande verhüllt.
Aber sie zeigen Dir auch eine» Weg
zur Besserung, diese guten Menschen,
sie werden Dich sogar ausnehmen in
ihrem Kreis, wenn Du den Preis be-
zahlst. Weini Du so wirst wie sie,
wenu Du Deine Seele verkaufst, Dein
Leid fort wirfst — wenn Du nur tioch
Dich selbst liebst, nur noch Dich selbst.
Dann bist Du gut!
Aber diesen Preis bezahlst Du nie,
hörst Du, niemals!
Lieber läßt Du Dich treten und
durch den Staub schleifen Dein Leben
lang.
Und wieder werden Tage kommen,
an denen Du vor der Tempeltür sitzst
und bettelst, bettelst ....
Der Gast schweigt, seine Brust ar-
beitet schwer.
1120
Don Heinz von Lichberg
Es spricht der Gast in der Nacht, wäh-
rend seine Augen unruhig ftrtb:
Eine bodenlose Gemeinheit ist das.
Setz Dich an die Tempeltür, zeig deine
Schwären und bettele — sie werden dir geben.
Aber häng Dir einen Zettel um den Hals
„Meine Seele schmerzt so sehr" — sie wer-
den Dich auslachen. Grinsen werden sie, blöde
und verständnislos, diese feisten, selbstzufrie-
denen Burschen.
Der Gemütsarzt wird Dir sagen: Geh
spazieren, Freund, wandere! Wandere! Wo
jeder rauschende Baum, jeder Quell, jedes
bißchen kitschiger Mondschein an Dir reißt
und zerrt, Dich demütigt und quält mit sehn-
süchtiger Schönheit.
Lach doch, lach doch, genieße, genieße —
denn morgen bist Du tot! Weine, weine,
bete Dir die Hände wund nach geruhiger
Schönheit, die Du mit großen Augen liegen
siehst in der Sonne — sie wird weichen vor
Dir. —
Hörst Du von ferne die singenden Geigen
und greifst mit Deinen armen Händen nach
den Tönen, willst sie aufsaugen mit dem trok-
kenen Schwamm Deiner Seele — sie werden
verstummen.
Heute ist das so, heule — nicht im Mittel-
alter — gestern, heute und morgen.
Du sitzt im Kinotheater, da bist Du wenig-
stens unter Menschen und doch allein in der
Dunkelheit. Auf der Leinwand hetzen sic den
geschnünkten Verbrecher durch Flüsse, über
Landstraßen und Brücken. Die Augen der
Menschheit uni Dich herum sind stier vor Er-
regung und ihre Wangen glänzen vor Lüstern-
heit, die die Luft um Dich herum warm, fettig
und übelriechend macht.
Das Gute wird über das Böse trium-
phieren!
Oh, sie sind ja so gut, diese Menschen!
Es wird hell und in der Loge neben Dir
siehst Du Leonie sitzen — Deine geliebte Lconie!
Und wenn Du nicht wüßtest, daß Leonie
tot ist . . .
Aber sie ist tot.
Diese Frau sieht ihr sehr ähnlich — so
gleich, daß es Dir fast körperlich weh iut.
Du siehst sie, sie sieht Dich an.
Du merkst deutlich, wie sich in Dir etwas
öffnet, irgend etwas — Herz, Seele oder wie
Du es nennen willst.
Deine Augen müssen sehr seltsam
denn die Frau wird unruhig und
ängstlich.
Im Augenblick ist Alles in Dir
wieder wachgerüttelt — Alles, das
Du mühsam zugedeckt hast in Jahren
qualvollen Bergessens, blüht wieder
auf. Der Wunsch, diesen Kopf i»
beide Hände zu nehmen und auch nur
für einen Augenblick Deine Einsam-
keit fortzutäuschen, wächst machtvoll
in Dir auf und droht, Dir den Leib
zu zersprengen.
Aber da ist ein Mann bei ihr, der
schießt beleidigte und wütende Blicke
nach Dir. Weil er nämlich mit seinem
Alltagsschädel denkt, Du wolltest sein
eingebildetes Recht auf die Frau ver-
letzen. Weil er glaubt, Du führtest
etwas im Schilde gegen sie, was diese
Affen von Männern gewohnheitsge-
mäß niit jeder schönen Frau tun. Was
er wahrscheinlich selbst getan hat oder
tut, was sic alle tun mit lächerlichen
Phrasen.
Die nackte durch keinerlei Kultur
oder Takt verhüllte Preisgabe der
tierischsten Instinkte — sei es auch
nur in Gedanken.
Blick
vom
aunus
sein,
Von dieser Höhe, die die Wolken lieben,
8eh ich den Strom, der weit durchglänzt
das Land.
Die Ferne raucht, die Berge blaun im Trüben,
Besonntes Feld wölbt sieh wie offne Hand.
Lieh ist mir alles. Mit der Sonne heb’ ich
Den gelben Baum aus grauem Tal beglückt.
All meine Sehnsucht, all mein Sinnen
geh' ich
Der grossen Welt und bin durch sie
entzückt.
Rauscht zu, ihr Wälder! Sauset euer Lehen
Mit Inbrunst aus und lehrt uns eure Lust!
Trag' Frucht, du Acker! Herrlich ist
das Geben.
Ach, gäbe ihre Frucht so diese Brust!
Ach, kennte sie wie du dies breite Dehnen,
Dies Dulden und die satte Kraft und Ruh!
Das Sterbliche schwillt auf in hohem
Sehnen;
Das Tun in Demut kennest du.
Und du und all die Weite, die sich breitet
Vor dieses Menschenauges Blick,
Ihr kehrt verdichtet, zum Gefühl bereitet.
Leicht als Empfindung in dies Herz zurück.
Schick’ Liebe aus, mein Herz, die sich
ergiesse,
^Vie dieses Land durchglänzt der Strom!
Schütt’ alle deine Liehe aus und Süsse,
Erfüllend diesen wolkenhohen Dom!
WILHELM MICHEL
x. Z. Wacbkommando Diedenbergen,
bei Hof beim im Taunus
Ferdinand Staeger (München)
So mißtrauisch sind diese guten Menschen
und so selbstoerräterisch gemein, daß sie ihren '
Nächsten von vornherein imnier gleich das
Schlechteste zutrauen.
Leonie, diese fremde Frau dort, muß aber
dein Fluidum fühlen, denn ihre Augen werden
größer und ein Schatten süßen, atznungsvollen
Erkennens fliegt über ihre Stirn.
Auf der Leinwand geht die Jagd weiter.
Wie sie Hetzen können, diese guten Menschen,
wie sie ihn jagen können, den armen Dieb,
der etwas gestohlen hat, das er unsäglich
liebt. Er ist nänilich einer von den intellek-
tuellen Verbrechern, der — wie entfernt voni
Gewohnheitsdieb, etwas genommen hat, das
er früher selbst besessen und ohne das er nicht
leben kann.
Ein Bild oder — ja, ich glaube es war
ein Bild.
Er durfte natürlich nicht stehlen — nein
das durfte er nicht. Aber er hat ja nicht
gestohlen — die Sehnsucht hat's getan, nur
die Sehnsucht.
Du sollst nicht stehlet,, steht geschrieben —
aber auch die Sehnsucht hat uns Gott geschenkt.
Was sind alle Gebote, wen» die Sehnsucht
stärker ist?
Was war das Bild dem Anderen — ein
Nichts — ein Geldwert. Geld ist noch stärker
als Sehnsucht.
Deshalb muß er nun büßen für das Ge-
schenk Gottes, der ihm eine fühlende Seele gab.
Es ist ja nur ein schlechtes Schauspiel und
selbst wenn es Leben wäre, so handelten die
Verfolger richtig, denn das Gesetz darf keine
Ausnahme machen.
Aber — siehst Du, nun bist Du der Dieb.
Nll» hast Du Leonies Kopf gestohlen — oder
ihre Augen, nur ihre Augen. Du hast sie an-
gesehen und sie bat Diä) verstanden.
Ho, wie sie Dich jagen! Wie ihnen der
Geiser vor dem Mund steht aus Wut über
Dich, Du Fremder, Du Sehnsüchtiger, Ein-
samer !
Schrei cs ihnen entgegen, dieses Wort, unter
dem Du Dich beugst seit Jahren: „Meine Seele
schmerzt so sehr!"
„Hei," brüllen sie, „Du Schurke, Du hast
sie angesehen, die einem andern gehört! Was
ist uns Sehnsucht, was Liebe, was Einsamkeit
— können wir das selten, können wir das
greifen, was kostet das?"
Und sie hetzeti Diel) über die Straßen des
Lebens, durch die Wälder der Trauer, sie
stürzen Dich in den Abgrund des Todes, bis
Du malt bist und sie Dich fassen.
lind nun peitschen sie Dich mit den Geiseln
ihrer Worte, stellen Dill) an den Pran-
ger mit ihrett Augen und treiben Dir
die Messer ihres höhnischen Lachens
in die Seele.
Nie kannst Du Dich wieder an die
Sonne wagen — nur des Nachts
kannst Du aus die Gasse gehn, wenn
die Dunkelheit die Zeichen Deiner
Schande verhüllt.
Aber sie zeigen Dir auch eine» Weg
zur Besserung, diese guten Menschen,
sie werden Dich sogar ausnehmen in
ihrem Kreis, wenn Du den Preis be-
zahlst. Weini Du so wirst wie sie,
wenu Du Deine Seele verkaufst, Dein
Leid fort wirfst — wenn Du nur tioch
Dich selbst liebst, nur noch Dich selbst.
Dann bist Du gut!
Aber diesen Preis bezahlst Du nie,
hörst Du, niemals!
Lieber läßt Du Dich treten und
durch den Staub schleifen Dein Leben
lang.
Und wieder werden Tage kommen,
an denen Du vor der Tempeltür sitzst
und bettelst, bettelst ....
Der Gast schweigt, seine Brust ar-
beitet schwer.
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