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Verschneiter Hof in Livland

Oie grüne Schlange

Polnische Ballade, dem Urtext nachgedichtet

Von A. De Nora

Auf schwarzer Erde liegt ein weißer Stein
Und auf dem Steine sitzt die Patalonka
„Gab' dir, Geliebter, gern mein Kränzelein,
War' nicht der Vater!" seufzt die Patalonka.
„Doch schlimmer als der grimme Vater mein
Ist noch mein Bruder..." spricht die

Patalonka.

„Möcht' lieber in des Henkers Händen sein
Als in des Bruders!" bebt die Patalonka.

„Geh, wo die jungen Kirschenbäume blühn,
Geh in den Garten," winkt der Lagienko
„Du findest eine Schlange, Kupfergrün
Mit roten Augen..." sagt der Lagienko,
„Zerhack und siede sie in ihrem Blut,

Dem schwarzen Blute ..." zischt der Lagienko.
„Wer von dem schwarzen Blute trinkt, dem tut
Kein Händchen weh mehr!" lacht der Lagienko.

Kehrtheimder Bruder aus der Freiheitsschlacht'
„Reich mir zu trinken, Schwester Patalonka!"
„Trink, Brüderlein! Kein Bier auf

Erden madit

Dich schwer betrunkner!" spaßt die Patalonka.
„.. . Weh mir! So gib auf meine Kinder acht,
Da irf) jetzt sterbe, Schwester Patalonka!"
„Weh dir! So hält' irf) dich nicht umgebracht,
Wenn id) das wollte..." höhnt die Patalonka.

„Die jungen Kirschenbäume schimmern rot
Von reifen Kirschen, süßer Lagienko!

Die grüne Schlange biß den Bruder tot -

— Komm an mein Herz geliebter Lagienko!1
„Und biß die Schlange deinen Bruder tot,
Wer kennt die Zukunft?! ..." zuckt der

Lagienko,

— Sie bisse eines Tages, tät dir's not,
Auch tot mich selber..,!" höhnt der Lagienko.

„Bleib dri mit deiner Schlange nur allei, !
Bist ohne Seele, schöne Patalonka!"

— Was jagt der graue Herbstwind querfeldein?
Jagt querfeldein den Kranz der Patalonka.
„Run Hab ich keinen Liebsten, mich zu frer'n
Und keinen Bruder..." klagt die Patalonka.

— Auf schwarzer Erde liegt ein weißer Stein
Und auf dem Steine sitzt die Patalonka . . .

Oer Kehrichthaufen

von Serena Flohr

Hans Felix Riedinger, Astket und schöner
junger Mann, und Edith von Bärnkamp, frisch
und sonnig, Knappe achlzehn. ginge» mitsanime»
über die grünen, blühenden Wiesen und Felder,
ein Stückchen durch den stillen, Kühlen Wald und
dann wieder zurück über so eine lustige, bunte
Sommerwiese, heimwärts gegen das Dorf. Hans
Felix sprach viel und sicher, mit der großen Ge-
bärde, die sehr jungen Mädchen immer imponiert.
Und Edith gehörte zu diesen ganz jungen Din-
gern. Natürlich bewunderte sie an Hans Felix
alles, von seinen beiden sieghaften Vornamen an-
gefangcn — sie hatte nur einen — bis zur gol-

fksodor Doednsr

denen Füllfeder, mit welcher er soeben auf der
Bank im Walde ein paar kostbare Gedanken-
blitze in seinem ledergebundenen Buche, das er
immer bei sich führte, festgehalten hatte. Ge-
danken, die plötzlich, ohne jedes Nachdenken
kamen und so wertvoll waren, daß sie sofort aus-
geschrieben werden nuißten, — wie unendlich klug
war doch Hans Felix!-- — Voll schwär-

merischen Staunens sah Edith zu ihm empor.
Sprach er nicht großartig, überzeugend, ja hin-
reißend über Liebe? In keinen. Buche nod)

halle sie es so überwältigend gelesen, —-

mit glühenden Wangen und leuchtenden Augeit
lauschte sie ihm, dicht an seiner Seite, und der
ganze frohe Sommertag in seiner sonnenreichen
Schönheit sd>ien ihr ein einziger, unsäglicher

Jubel —-Und als Hans Felix, jetzt stehen

bleibend und tief aufatnrend, sie in seine Arme
riß und küßte, weil ihr zarter Liebreiz es ihn,
plötzlich angetan, barfjte sie mit vergehenden Sinnen,
dies sei gewiß der glücklichste Augenblick ihres
Lebens! — — —

Aber gleich darauf schrie sie leidst auf, niachte
sidj aus seinen Artnen los und blickte verwirrt
z» Boden. Einen Augenblick lang, dann ladjtc
sie auf, laut, fröhlich und lachte weiter, herzhaft,
jungmädelhaft. Hans Felix blickte sie erstaunt
und sprachlos, schließlich, als sie gar nicht auf-
hörte, beinahe empört an. Rach seinem Kuß,
— in diesem Augenblick höchster Weihe dieses
Lachen! — — — Warum nur? --

„Verzeihen Sie," begann Edith jetzt, nodt
immer mit deni Lachen kämpfend und doch sd>on
erschrocken, da sie sein ärgerliches, verblüfftes
Gesicht bemerkte, „aber irf, empfand plötzlich einen
Schmerz, da, ober den, Knöchel, und als id, zu
Boden blidre, entdecke id, diesen rostigen Draht,
da, sehen Sie und — ja, nun wissen Sie wohl
selbst, warum id, so Indien mußte. Wir haben
es beide nicht bemerkt, aber wir stehen just mitten
auf einem Kehrichthaufen lind das war in die-
sem Moment so komisch!" lind Edith muhte
wieder lachen, so fvifdj und lustig, wie man es

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Register
Serena Flohr: Der Kehrichthaufen
Theodor Doebner: Verschneiter Hof in Livland
A. De Nora: Die grüne Schlange
 
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