Beim Fortgehen
Prtsonen: Er und sie und ;wei Neben-
meniche».
Ort: Irgendwo.
Zeit: Bor der Abreise.
Es ist acht Uhr vormittags, er geht in sein
Büro.
„Maus," sagt er, „Du weißt, vier Uhr
fünfundzwanzig fährt unser Zug, sei recht lieb
und mach', daß Du fertig bist!"
Mit einem Kuß versprici>t und beschwört
Maus alles, was er nur wünschen kann.
Es ist zwölf Uhr mittags, er kommt zurück,
sie empfängt ihn:
„Edgar, es ist alles bereit, wir können
fliegen oder reiten, wann wir wollen." '
Er tätschelt liebkosend ihren weißen Arm.
Bevor er wieder geht:
„Maus, fang' früh an, Dich anzuzieh'n!"
„Aber-"
„Ich meinte bloß!"
Er geht getröstet und kommt um halb vier.
Sie ist „beinahe" fertig, näht aber noch an
einem Kleid.
„Maus, Du verzeihst, aber ich meine doch —"
„Nein, ich kann es nicht ausstehen, wenn
nicht alles in Ordnung ist, so bin ich nun einmal,
einen Augenblick, dann ist's gemacht!"
Er schluckt einen Seufzer und geht hinaus.
Als er fünf Minuten vor vier wiederkommt,
sitzt sie und zieht neue Schnürbändel in die Schuhe,
Bänder, an denen man annähernd ein Klavier
drei Stockwerk hoch tragen könnte. Sie arbeitet
rasend, zieht wie ein Ackergaul und holt nur
zeitweise tief Atem.
Er deutet nur mit der Hand auf die Standuhr.
Sie, in der Hitze:
„Aber Du kannst doch nicht verlangen, daß
ich wie ein Gassenmädel auf einer Kurpromenade
erscheine, laß mich doch machen, Du siehst doch,
wie ich mich beeile."
Er sieht und geht.
Bier Uhr fünf.
Er kommt und will die Handtasche in das
Auto tragen, das draußen steht.
„Nein, Nein! ich muß noch den andern sei-
denen Shawl — —"
Er deutet auf seine Taschenuhr, die er in
den Händen hält.
„So quäl' mich doch nicht immer so, ich mach'
doch, was ich kann. Du wirst mir doch nicht etwa
zumuten, daß ich mit einem einzige» seidenen
Shawl eine Reise antrele!"
Er geht und verständigt den Chauffeur, dieser
macht eine bedenkliche Miene und tutet.
Sie vom Balkon herunter:
„Komm doch eben noch mal schnell herauf,
ich bring' einen, einen — — so komm doch "
Er fliegt und macht einen Knopf zu.
Sie geht mit ihm die Treppe hinunter, er
zieht die Uhr, um heimlich nachzusehen, sie hat
es bemerkt:
„Siehst, damit hält man sich immer am meisten
auf!"
Als sie unten ankommen, greift sie in ihr
Handtäschlein:
„Ach Gott, kein Taschentuch, nein, ich muß
schnell-! “
Als sie wiederkommt, sagt das Dienstmädchen:
..Gnädige Frau, es ist vier Uhr zwanzig!"
Er zum Chauffeur:
„Wie lange brauchen Sie an den Bahnhof?"
„Mindestens fünfzehn Minuten!"
Sie ringt die Hände:
„Gott im Himmel, so geht es immer, jetzt
können wir — —"
„Nein, nein! wir kommen noch hin, ich habe
die Uhr um eine Viertelstunde vorgestellt!" sagt
«, und sie steigt ein »nd drückt sich mollig in
die Polster.
Das dauert eine Straßenlänge, dann springt
sie plötzlich auf:
Ski-Patrouille E. Henel (GeJnrgs-Iniamerist)
„Kutscher, he, halt! Edgar, ich habe meine
Zahnbürste vergessen!"
Der Chauffeur bremst, daß die Funken stieben,
eindruckvolles Wortgefecht, wobei er aber schließ-
lich siegt mit dem Argument, daß man sonstwo
auch eine Zahnbürste kaufen kann.
Sie wirft sich schmollend in die Polster.
Der Chauffeur kurbelt seinen Motor an, wirft
heiße Blicke auf den Asphalt, und die Fahrt
geht weiter.
Als das Auto vor dem Bahnhof hält, schaut
sie auf die Uhr oben am Giebel des Bahnhofs.
Sie wird blaß und haucht:
„Es ist vier Uhr sechsundzwanzig!" ihre weißen
Arme gleiten wie leblos über die weichen Polster,
„kehren wir gleich wieder um!"
Freundlich mit einem Unterton von Schelmerei
gesteht er:
„Komm, Maus, der Zug fährt in Wirklichkeit
Punkt fünf Uhr, wir können noch eine Tasse
Kaffee-"
Fritz Säuger
Ich bin doch nur ein Gast bei Dir. *
Und gehst Du auch türein und -aus.
Ich bin doch wie allein zu Haus;
Und richt’st Du freundlichTisch und Bett,
Mir ist, als ob ’s ein Fremdes tat’;
Und sitz’ ich still im AVinkel hier.
Ich bin doch nur ein Gast bei Dir.
O Jungblut Du! O Herzenszwist!
Ich bin zu Haus, wo Du nicht bist.
Mit bitterm Hohn hab’ ich ’s belacht:
Für Eine bin ich nicht gemacht.
Lieb schwarzen Schatz, küss’ blondes Lieb,
Bin ein Betrüger und ein Dieb.
Und doch! AVär ’s nur Zigeunerei,
Mein Herz war’ nicht so schwer dabei —
Such’ ich wohl doch die Rätselhand
Der Einen, die ich noch nicht fand ?
Hermann Gebhardt
Bild aus Mechelu
Der kleine Bahnhof, just in der Mitte
zwischen Brüssel und Antwerpen, ist sehr still
und leer: aber das liegt nicht an seiner Klein-
heit. Wer das atemlose Drängen der Bahn-
höfe etwa von Köln oder Frankfurt kennt,
das sich während des Krieges um ein Viel-
faches gesteigert hat, de» erstaunt und bedrückt
ein wenig diese leere Stille auch der großen
Bahnhöfe im besetzten Gebiet. Denn sie dienen
fast ausschließlich dem Feldgrau, jedes Passan-
tentum hat aufgehört: und wenn nun nicht
gerade die geschlossenen Reihe» der grauen
und marineblauen Kompagnien aus den Züge»
heraus bnrd) die Halle» kommen, dann ent-
steht für lange Minuten jene beklemmende Ruhe,
die so gar nicht zum Ort gehören will.
Wenn das schon am großen Brüsseler
Nordbahnhof so ist, wie viel mehr in dem
kleinen Mecheln, das keinerlei Truppenver-
schiebungen kennt; das weit weg liegt vom
Hasten und Graue» des Krieges, längst zurück-
gekehrt in seine alte flandrische Ruhe. Jetzt
sind wir ausgestiegen, und der Posten am Aus-
gang hat unsere Ausweise nachzusehen, ge-
wissenhaft, wie es seine Pflicht ist, doch mit
einem kleinen entschuldigenden Lächeln: ihr ver-
zeiht die Formalität, liebe Landsleute, es ist nun
einmal Vorschrift, und wir leben im Krieg: aber
hier nicht, liebe Landsleute, hier ist der Krieg schon
lang vorbei.
Und so gehen wir unsere Straße, zwischen
zwei flankierenden grauen Torgebäuden, über
einen weitläufigen Platz hinein, in die Enge der
kleinen Stadt. In halbstündigen Abständen viel-
leicht begegnen uns einzelne deutsche Soldaten,
so friedlich schlendernd wie in lang vertrauter
Heimat, kein Offizier ist zu sehen. Hier verblaßt
die Erinnerung an die immer wiederkehrenden
Feldgrauen, die dem Bild unserer deutschen Städte
seit zwei Jahren die Farbe geben; daß die Erde
ein einziges großes Feldlager ist, vergißt sich hier.
Die Belgier gehen über die Straßen, machen ihre
Einkäufe in den gegen früher auch hier etwas
leerer gewordenen Kaufläden, üben ihren Beruf
aus wie sonst: sie sehen uns an, ohne Wohlwollen,
aber auch ohne Haß, sie nehmen uns hin als
eine freilich unerfreuliche Notwendigkeit, die aber
nur schon lange zur Gewohnheit geworden ist.
Freilich ist hier einmal Krieg gewesen. Wo
die Dyle in geruhsamen Windungen die Stadt
durchzieht, sind genug Häuser in Trümmer ver-
wandelt, reden Mauerreste und Kalkgeriesel deut-
lich genug vom Donner des einstigen Kampfes.
Aber der Eindruck verwischt sich schnell vor der
Gemütlichkeit des holprigen Marktplatzes; ein
einziges Gebäude, das dort zerstört ist, kommt
nicht auf gegen das putzige Nebeneinander der
vielen kleinen Häuslein von Mittelalter bis Ro-
koko. Man trottet am verwitterten Denkmal der
Margarete von Parma vorbei, über Steine, zwi-
schen denen harmlos und beruhigend die vergil-
benden Grasbüschel hervorwachsen, biegt an dem
zieren Rokokohäuslein vorbei in eine schmale
Gasse, die schnell vor der Kathedrale St. Romband
mündet. Die steht unversehrt in gewaltig getürmter
Pracht, und schon sind ein paar flämische Bengels
flink zur Hand, den Fremden witternd und zu
allen unverlangten Erklärungen bereit. Sie machen
mit einen gewissen Stolz auf jeden Wandfleck auf-
merksam, auf den eine verirrte deutsche Granate
hinspritzte, weisen auf ein paar herunlergeschlageue
umherliegende Gipssiguren, um die es wahrhaftig
nicht schade ist, und der eine bringt unversehens
einen braunen Glasscherben mit irgendwelchen
Buchstaben zum Vorschein, der aus einem der zer-
splitterten Fenster stammt. Ich frage ihn, ob schon
eine Fabrik zur Massenerzeugung dieser Reliquien
gegründet sei, aber da ich deutsch und sehr schnell
gesprochen habe, versteht er nicht. Die Junge»
selbst reden ihr unverändertes Flämisch; man ant-
wortet hochdeutsch oder, wo das nicht verstanden
wird, ein Gemisch aus Kölnischem und Mecklen-
burgischem Platt, und beiden Teilen ist geholfen.
46
Prtsonen: Er und sie und ;wei Neben-
meniche».
Ort: Irgendwo.
Zeit: Bor der Abreise.
Es ist acht Uhr vormittags, er geht in sein
Büro.
„Maus," sagt er, „Du weißt, vier Uhr
fünfundzwanzig fährt unser Zug, sei recht lieb
und mach', daß Du fertig bist!"
Mit einem Kuß versprici>t und beschwört
Maus alles, was er nur wünschen kann.
Es ist zwölf Uhr mittags, er kommt zurück,
sie empfängt ihn:
„Edgar, es ist alles bereit, wir können
fliegen oder reiten, wann wir wollen." '
Er tätschelt liebkosend ihren weißen Arm.
Bevor er wieder geht:
„Maus, fang' früh an, Dich anzuzieh'n!"
„Aber-"
„Ich meinte bloß!"
Er geht getröstet und kommt um halb vier.
Sie ist „beinahe" fertig, näht aber noch an
einem Kleid.
„Maus, Du verzeihst, aber ich meine doch —"
„Nein, ich kann es nicht ausstehen, wenn
nicht alles in Ordnung ist, so bin ich nun einmal,
einen Augenblick, dann ist's gemacht!"
Er schluckt einen Seufzer und geht hinaus.
Als er fünf Minuten vor vier wiederkommt,
sitzt sie und zieht neue Schnürbändel in die Schuhe,
Bänder, an denen man annähernd ein Klavier
drei Stockwerk hoch tragen könnte. Sie arbeitet
rasend, zieht wie ein Ackergaul und holt nur
zeitweise tief Atem.
Er deutet nur mit der Hand auf die Standuhr.
Sie, in der Hitze:
„Aber Du kannst doch nicht verlangen, daß
ich wie ein Gassenmädel auf einer Kurpromenade
erscheine, laß mich doch machen, Du siehst doch,
wie ich mich beeile."
Er sieht und geht.
Bier Uhr fünf.
Er kommt und will die Handtasche in das
Auto tragen, das draußen steht.
„Nein, Nein! ich muß noch den andern sei-
denen Shawl — —"
Er deutet auf seine Taschenuhr, die er in
den Händen hält.
„So quäl' mich doch nicht immer so, ich mach'
doch, was ich kann. Du wirst mir doch nicht etwa
zumuten, daß ich mit einem einzige» seidenen
Shawl eine Reise antrele!"
Er geht und verständigt den Chauffeur, dieser
macht eine bedenkliche Miene und tutet.
Sie vom Balkon herunter:
„Komm doch eben noch mal schnell herauf,
ich bring' einen, einen — — so komm doch "
Er fliegt und macht einen Knopf zu.
Sie geht mit ihm die Treppe hinunter, er
zieht die Uhr, um heimlich nachzusehen, sie hat
es bemerkt:
„Siehst, damit hält man sich immer am meisten
auf!"
Als sie unten ankommen, greift sie in ihr
Handtäschlein:
„Ach Gott, kein Taschentuch, nein, ich muß
schnell-! “
Als sie wiederkommt, sagt das Dienstmädchen:
..Gnädige Frau, es ist vier Uhr zwanzig!"
Er zum Chauffeur:
„Wie lange brauchen Sie an den Bahnhof?"
„Mindestens fünfzehn Minuten!"
Sie ringt die Hände:
„Gott im Himmel, so geht es immer, jetzt
können wir — —"
„Nein, nein! wir kommen noch hin, ich habe
die Uhr um eine Viertelstunde vorgestellt!" sagt
«, und sie steigt ein »nd drückt sich mollig in
die Polster.
Das dauert eine Straßenlänge, dann springt
sie plötzlich auf:
Ski-Patrouille E. Henel (GeJnrgs-Iniamerist)
„Kutscher, he, halt! Edgar, ich habe meine
Zahnbürste vergessen!"
Der Chauffeur bremst, daß die Funken stieben,
eindruckvolles Wortgefecht, wobei er aber schließ-
lich siegt mit dem Argument, daß man sonstwo
auch eine Zahnbürste kaufen kann.
Sie wirft sich schmollend in die Polster.
Der Chauffeur kurbelt seinen Motor an, wirft
heiße Blicke auf den Asphalt, und die Fahrt
geht weiter.
Als das Auto vor dem Bahnhof hält, schaut
sie auf die Uhr oben am Giebel des Bahnhofs.
Sie wird blaß und haucht:
„Es ist vier Uhr sechsundzwanzig!" ihre weißen
Arme gleiten wie leblos über die weichen Polster,
„kehren wir gleich wieder um!"
Freundlich mit einem Unterton von Schelmerei
gesteht er:
„Komm, Maus, der Zug fährt in Wirklichkeit
Punkt fünf Uhr, wir können noch eine Tasse
Kaffee-"
Fritz Säuger
Ich bin doch nur ein Gast bei Dir. *
Und gehst Du auch türein und -aus.
Ich bin doch wie allein zu Haus;
Und richt’st Du freundlichTisch und Bett,
Mir ist, als ob ’s ein Fremdes tat’;
Und sitz’ ich still im AVinkel hier.
Ich bin doch nur ein Gast bei Dir.
O Jungblut Du! O Herzenszwist!
Ich bin zu Haus, wo Du nicht bist.
Mit bitterm Hohn hab’ ich ’s belacht:
Für Eine bin ich nicht gemacht.
Lieb schwarzen Schatz, küss’ blondes Lieb,
Bin ein Betrüger und ein Dieb.
Und doch! AVär ’s nur Zigeunerei,
Mein Herz war’ nicht so schwer dabei —
Such’ ich wohl doch die Rätselhand
Der Einen, die ich noch nicht fand ?
Hermann Gebhardt
Bild aus Mechelu
Der kleine Bahnhof, just in der Mitte
zwischen Brüssel und Antwerpen, ist sehr still
und leer: aber das liegt nicht an seiner Klein-
heit. Wer das atemlose Drängen der Bahn-
höfe etwa von Köln oder Frankfurt kennt,
das sich während des Krieges um ein Viel-
faches gesteigert hat, de» erstaunt und bedrückt
ein wenig diese leere Stille auch der großen
Bahnhöfe im besetzten Gebiet. Denn sie dienen
fast ausschließlich dem Feldgrau, jedes Passan-
tentum hat aufgehört: und wenn nun nicht
gerade die geschlossenen Reihe» der grauen
und marineblauen Kompagnien aus den Züge»
heraus bnrd) die Halle» kommen, dann ent-
steht für lange Minuten jene beklemmende Ruhe,
die so gar nicht zum Ort gehören will.
Wenn das schon am großen Brüsseler
Nordbahnhof so ist, wie viel mehr in dem
kleinen Mecheln, das keinerlei Truppenver-
schiebungen kennt; das weit weg liegt vom
Hasten und Graue» des Krieges, längst zurück-
gekehrt in seine alte flandrische Ruhe. Jetzt
sind wir ausgestiegen, und der Posten am Aus-
gang hat unsere Ausweise nachzusehen, ge-
wissenhaft, wie es seine Pflicht ist, doch mit
einem kleinen entschuldigenden Lächeln: ihr ver-
zeiht die Formalität, liebe Landsleute, es ist nun
einmal Vorschrift, und wir leben im Krieg: aber
hier nicht, liebe Landsleute, hier ist der Krieg schon
lang vorbei.
Und so gehen wir unsere Straße, zwischen
zwei flankierenden grauen Torgebäuden, über
einen weitläufigen Platz hinein, in die Enge der
kleinen Stadt. In halbstündigen Abständen viel-
leicht begegnen uns einzelne deutsche Soldaten,
so friedlich schlendernd wie in lang vertrauter
Heimat, kein Offizier ist zu sehen. Hier verblaßt
die Erinnerung an die immer wiederkehrenden
Feldgrauen, die dem Bild unserer deutschen Städte
seit zwei Jahren die Farbe geben; daß die Erde
ein einziges großes Feldlager ist, vergißt sich hier.
Die Belgier gehen über die Straßen, machen ihre
Einkäufe in den gegen früher auch hier etwas
leerer gewordenen Kaufläden, üben ihren Beruf
aus wie sonst: sie sehen uns an, ohne Wohlwollen,
aber auch ohne Haß, sie nehmen uns hin als
eine freilich unerfreuliche Notwendigkeit, die aber
nur schon lange zur Gewohnheit geworden ist.
Freilich ist hier einmal Krieg gewesen. Wo
die Dyle in geruhsamen Windungen die Stadt
durchzieht, sind genug Häuser in Trümmer ver-
wandelt, reden Mauerreste und Kalkgeriesel deut-
lich genug vom Donner des einstigen Kampfes.
Aber der Eindruck verwischt sich schnell vor der
Gemütlichkeit des holprigen Marktplatzes; ein
einziges Gebäude, das dort zerstört ist, kommt
nicht auf gegen das putzige Nebeneinander der
vielen kleinen Häuslein von Mittelalter bis Ro-
koko. Man trottet am verwitterten Denkmal der
Margarete von Parma vorbei, über Steine, zwi-
schen denen harmlos und beruhigend die vergil-
benden Grasbüschel hervorwachsen, biegt an dem
zieren Rokokohäuslein vorbei in eine schmale
Gasse, die schnell vor der Kathedrale St. Romband
mündet. Die steht unversehrt in gewaltig getürmter
Pracht, und schon sind ein paar flämische Bengels
flink zur Hand, den Fremden witternd und zu
allen unverlangten Erklärungen bereit. Sie machen
mit einen gewissen Stolz auf jeden Wandfleck auf-
merksam, auf den eine verirrte deutsche Granate
hinspritzte, weisen auf ein paar herunlergeschlageue
umherliegende Gipssiguren, um die es wahrhaftig
nicht schade ist, und der eine bringt unversehens
einen braunen Glasscherben mit irgendwelchen
Buchstaben zum Vorschein, der aus einem der zer-
splitterten Fenster stammt. Ich frage ihn, ob schon
eine Fabrik zur Massenerzeugung dieser Reliquien
gegründet sei, aber da ich deutsch und sehr schnell
gesprochen habe, versteht er nicht. Die Junge»
selbst reden ihr unverändertes Flämisch; man ant-
wortet hochdeutsch oder, wo das nicht verstanden
wird, ein Gemisch aus Kölnischem und Mecklen-
burgischem Platt, und beiden Teilen ist geholfen.
46