Dann erhält man von den politisch bewanderten
Führern noch eine Weisung, wie man „de Palaiiß
von de Kardinal Mercier gucke" kann, und nian
sieht es auch an. das Haus des seltsamen Christus-
verlreters; es liegt langgestreckt, weiß und friedlich
hinter einen, jener dicht mit Bäumen bestandenen
Platze, deren es in Mecheln eine ganze Anzahl
gibt. Man schlendert weiter, ein wenig bedrück,
in dem Gedanke» an so viel Haß; aber auch das
verschwindet wieder vor der Stille der lieben engen
Straßen, der abseitigen Verträumtheit der ganzen
kleinen Stadt. Man kann stundenlang einher-
gehn an der langsani strömenden Dyle, an alten,
wunderhübschen Fachwerkhäusern vorbei, kann in
viele kühle graue Kirchen eintreten, begegnet ganz
wenigen Menschen, kann tief versinken in die graue
erholungsvolle Schläfrigkeit hier, bis einen der
O-Zug wieder zurückreißt in den Wirbel der Zeit.
Aber das ist dauernde Erinnerung an Mecheln
wie an manche andere Stadt des Generalgouver-
nements: geruhiges Leben, Frieden und Stille
über der Zerstörung, eine getroste Verheißung
des Endes, das einmal kommen muß, über kurz
oder lang, um die trügerische Zeitweiligkeit dieses
Friedens zu dauernder Wirklichkeit zu verklären.
M. M. Gehrke (München)
Liebe Zugend!
Als der Papa nach längerer Zeit auf Urlaub
zu Panse weilt, sagt klein Pauschen nach Durch-
lesen des Urlaubsscheines:
„vata auf Deinem Zettel steht: .Beurlaubt
zur Frühjahrsbestellung'. Aaniiste mir nich jleich
eu Schwesterchen mit bestellen?"
Angst
Blau der strahlende Sonnenhimmel über den
Dächern — weißblau und schwarzweißrot die Fahnen
in ruhlosem Gewoge vor den Häuserfronten — grau
die langen Doppelspaliere der Soldaten vor dem
dichten Gedränge der Bürgersteige. Zwischen ihnen
der leere Fahrdamni. Erwartungsvolle Augen,
die alle nach einer Richtung schauen. Die alle die
Auffahrt des Hofes erwarten.
Zwischen den einzelnen Zügen stehen die Offi-
ziere in Helm und Feldbinde, den bloßen Degen
in der Hand.
Einzelne Kutschen fahren schon vorbei-
man sieht im Borübergleiten Zwcispitze, gold- und
silbergestick'e Ministeruniformen — goldene Mar-
schallstäbe — verschlossene, kühlblickende Gesichter
— in deren Zügen nichts von der Verantwortlich-
keit zu lesen ist, die ihnen frühe Furchen zog.-
Equipagen, den Diener auf dem Bock — ein hoch-
niütiges Lakaiengesicht, die Arme gekreuzt. Zm
Fond zarlfarbige Frauenköpfe — Juwelen —
Pelze über jungen Schultern. Der päpstliche Ge-
sandte fährt vorbei — in Lila — ein regloses
Gesicht, lächelnd und reglos wie eine alte Statue.
„-Der sonderbarste Tod ist das Sterken
des Papstes. Ein König hat seinen Nachfolger —
dieser Nachfolger ist sein Sohn. Den neuen Papst
wählt man. Und kaum geht die Kälte des Todes
von dem Gestorbenen aus — so versinkt alles,
was war — eine sonderbar erregte Spannung
trägt ihre Wellen durch die ganzen vatikanischen
Gebäude — sie zittert fieberhaft in der Luft-
ein jeder der scharlachroten Herren hat denselben
Gedanken: .Werde ich es sein?'"
Adjutant Graf von Rosenhaupt hatte es zu
seinem Major gesagt, neben dem er vor dem
Spalier stand. — Er sah jetzt vor sich hin mit
seinen langgeschnittene» Augen — um den schmal-
lippigen, etwas breiten Mund zuckte ein Lächeln
— das im Grübeln erstark.
-Rosenhaupt. Ein alter, alter Name.
Unlösbar mit allen Kriegen verknüpft, Auch sein
Geschlecht. Zu Anfang des Jahrhunderts waren
Söhne in China gefallen — später in Kamerun
und Südwestafrika — die Gräber der Jüngsten
waren in Belgien, in Polen, in Serbien, in Frank-
reich, aus hoher See-
Er sah vor sich hin. Zn seinen schmalen Augen
war das Schicksal, das Schicksal, das in allen
Männeraugen heute ist.
Alles Leben gehört dem Tod!
In seinen Gedanken sind alle Erinnerungen
an sterbende Kameraden, sind alle Möglichkeiten,
alle schauerlichen Möglichkeiten — alle Todesarten
— und das Leben steht er wie ein Bild — wie
etwas täglich neu geschenktes, das man jeden
Abend wieder hergeben niuß. Das er seit aä>t
Tagen wieder sieht — — es kann sein, daß er
es morgen wieder verlassen inuß. Es kann sein,
daß zu Hause schon eine Depesche wartet.
Deswegen ist sein Gang federnd — sein Hände-
druck jäh und fest, weil er nichts mehr fassen und
halten kann, was vom Leben kommt — sein Ge-
sicht leuchtet — die Augen blicken strahlend nach
allem — sein Mund ist rot, rot vor Sehnsucht
nach Frauenküssen.
— — Es gibt keine Schlachtfelder, auf denen
nicht ein Rosenhaupt begraben liegt.
Als er so mit scharfem Auge gespannt die
Straße hinab spähte — die grauen Spaliere ent-
lang — der sonncnblaue Himmel — die lang-
wehenden Fahnen — die knatternden Standarten
aus de» Dächern — die ganze Atmosphäre vor
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Führern noch eine Weisung, wie man „de Palaiiß
von de Kardinal Mercier gucke" kann, und nian
sieht es auch an. das Haus des seltsamen Christus-
verlreters; es liegt langgestreckt, weiß und friedlich
hinter einen, jener dicht mit Bäumen bestandenen
Platze, deren es in Mecheln eine ganze Anzahl
gibt. Man schlendert weiter, ein wenig bedrück,
in dem Gedanke» an so viel Haß; aber auch das
verschwindet wieder vor der Stille der lieben engen
Straßen, der abseitigen Verträumtheit der ganzen
kleinen Stadt. Man kann stundenlang einher-
gehn an der langsani strömenden Dyle, an alten,
wunderhübschen Fachwerkhäusern vorbei, kann in
viele kühle graue Kirchen eintreten, begegnet ganz
wenigen Menschen, kann tief versinken in die graue
erholungsvolle Schläfrigkeit hier, bis einen der
O-Zug wieder zurückreißt in den Wirbel der Zeit.
Aber das ist dauernde Erinnerung an Mecheln
wie an manche andere Stadt des Generalgouver-
nements: geruhiges Leben, Frieden und Stille
über der Zerstörung, eine getroste Verheißung
des Endes, das einmal kommen muß, über kurz
oder lang, um die trügerische Zeitweiligkeit dieses
Friedens zu dauernder Wirklichkeit zu verklären.
M. M. Gehrke (München)
Liebe Zugend!
Als der Papa nach längerer Zeit auf Urlaub
zu Panse weilt, sagt klein Pauschen nach Durch-
lesen des Urlaubsscheines:
„vata auf Deinem Zettel steht: .Beurlaubt
zur Frühjahrsbestellung'. Aaniiste mir nich jleich
eu Schwesterchen mit bestellen?"
Angst
Blau der strahlende Sonnenhimmel über den
Dächern — weißblau und schwarzweißrot die Fahnen
in ruhlosem Gewoge vor den Häuserfronten — grau
die langen Doppelspaliere der Soldaten vor dem
dichten Gedränge der Bürgersteige. Zwischen ihnen
der leere Fahrdamni. Erwartungsvolle Augen,
die alle nach einer Richtung schauen. Die alle die
Auffahrt des Hofes erwarten.
Zwischen den einzelnen Zügen stehen die Offi-
ziere in Helm und Feldbinde, den bloßen Degen
in der Hand.
Einzelne Kutschen fahren schon vorbei-
man sieht im Borübergleiten Zwcispitze, gold- und
silbergestick'e Ministeruniformen — goldene Mar-
schallstäbe — verschlossene, kühlblickende Gesichter
— in deren Zügen nichts von der Verantwortlich-
keit zu lesen ist, die ihnen frühe Furchen zog.-
Equipagen, den Diener auf dem Bock — ein hoch-
niütiges Lakaiengesicht, die Arme gekreuzt. Zm
Fond zarlfarbige Frauenköpfe — Juwelen —
Pelze über jungen Schultern. Der päpstliche Ge-
sandte fährt vorbei — in Lila — ein regloses
Gesicht, lächelnd und reglos wie eine alte Statue.
„-Der sonderbarste Tod ist das Sterken
des Papstes. Ein König hat seinen Nachfolger —
dieser Nachfolger ist sein Sohn. Den neuen Papst
wählt man. Und kaum geht die Kälte des Todes
von dem Gestorbenen aus — so versinkt alles,
was war — eine sonderbar erregte Spannung
trägt ihre Wellen durch die ganzen vatikanischen
Gebäude — sie zittert fieberhaft in der Luft-
ein jeder der scharlachroten Herren hat denselben
Gedanken: .Werde ich es sein?'"
Adjutant Graf von Rosenhaupt hatte es zu
seinem Major gesagt, neben dem er vor dem
Spalier stand. — Er sah jetzt vor sich hin mit
seinen langgeschnittene» Augen — um den schmal-
lippigen, etwas breiten Mund zuckte ein Lächeln
— das im Grübeln erstark.
-Rosenhaupt. Ein alter, alter Name.
Unlösbar mit allen Kriegen verknüpft, Auch sein
Geschlecht. Zu Anfang des Jahrhunderts waren
Söhne in China gefallen — später in Kamerun
und Südwestafrika — die Gräber der Jüngsten
waren in Belgien, in Polen, in Serbien, in Frank-
reich, aus hoher See-
Er sah vor sich hin. Zn seinen schmalen Augen
war das Schicksal, das Schicksal, das in allen
Männeraugen heute ist.
Alles Leben gehört dem Tod!
In seinen Gedanken sind alle Erinnerungen
an sterbende Kameraden, sind alle Möglichkeiten,
alle schauerlichen Möglichkeiten — alle Todesarten
— und das Leben steht er wie ein Bild — wie
etwas täglich neu geschenktes, das man jeden
Abend wieder hergeben niuß. Das er seit aä>t
Tagen wieder sieht — — es kann sein, daß er
es morgen wieder verlassen inuß. Es kann sein,
daß zu Hause schon eine Depesche wartet.
Deswegen ist sein Gang federnd — sein Hände-
druck jäh und fest, weil er nichts mehr fassen und
halten kann, was vom Leben kommt — sein Ge-
sicht leuchtet — die Augen blicken strahlend nach
allem — sein Mund ist rot, rot vor Sehnsucht
nach Frauenküssen.
— — Es gibt keine Schlachtfelder, auf denen
nicht ein Rosenhaupt begraben liegt.
Als er so mit scharfem Auge gespannt die
Straße hinab spähte — die grauen Spaliere ent-
lang — der sonncnblaue Himmel — die lang-
wehenden Fahnen — die knatternden Standarten
aus de» Dächern — die ganze Atmosphäre vor
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