Waldbach im Winter Gustav Lehmann f
Von Herbst zu Frühling
Bäume, Gefährten dieser Jahre:
Immer wieder steht ihr leer,
Immer wieder jehnsuchtslchwer.
Eure Blätier sind gefallen.
Was vergehn will, sei vergangen.
Dach für jedes, das entgleitet,
Ist ein neues längst bereitet
Und mit ewiger Inbrunst langen
Eure Zweige hoch ins Licht.
Ungezählte Triebe starben,
Die um Glück und Sonne warben.
Nach den Wunden und den Narben
Fühlt ihr frische Freude nah.
Und so herricht das ewige Leben
Und so drängt die ewige Fülle —
Und mit Heeren junger Knospen
Kommt der Frühling und ist da.
Josef Schänder!
Das Llngeiüm
Bon Jens Lornsen
— — Und dann, liebe Base, habe ich Dir
einen Dienst erwiesen, von dem Du kaum etwas
w ssen wirst, den ich mir aber um so höher an-
rechne, als Dir die Sache eigenilich reichlich
nahe ging.
Ich war damals ein Bengel von elf, zwölf
Lenzen und trieb noch, als meine Eltern draußen
in Afrika waren, ein Jahr lang auf Eurem Gut
herum. Wie Du Dir ausrechnen wirst, warst Du da-
mals zwei, drei Sommer alt und haltest noch nicht
das geringste Verständnis da ür, welch wichtige
Rolle Dein Vetter in Deinem Leben spielen würde.
Aber glaube nirl't, daß Du die Hauptperson bei
der Sache bist. Es ist mitunter auch anders, —
damals wenigstens. Ich will Dir nämlich von
Deiner ersten Kinderwärterin erzählen.
Vielleicht erinnerst Du Dich des grünumstri-
chenen, kleinen Bildes eines unförmigen Kopfes
mit geknickter Stirn und kuhartig gequollenen
Augen, das in Deinem Ktnderzmimerchen hing.
Ich habe Dir später oft genug damst bange ge-
macht. Ich habe Dir sogar einmal gesagt, es sei
das Bild Deines einstigen Freiers, das der liebe
Gott jedem jungen Mädchen mit in die Wiege
legt. Ohne zu wissen, wie schlecht ich mich da-
durch machte.
Denn das Bild ist kein Mann, wie man meint,
sondern das Konterfei eben dieser Wärterin, die
Deine ersten Tage besch rmt hat.
Loschen Loop hieß sie. Fräulein Loop nannte
sie Dein Vater, weil, wie er tagte, er die Eifer-
sucht Deiner kleinen, guten Mutter fürchtete. Er
war immer ein großer Spaßmacker. Lieschen Loop
war wohl an dte Fünfzig, als sie bet Euch eintrat.
Sie war immer noch üverlebensgroß und breit
wie ein Holzfäller. Ein kleiner, dicker Hals trug
einen unförmigen, knackigen Kopf mit vorstoßen-
den Joch und Kielern und kleinen fettigen, dunklen
Haaren. Eo wie Du's auf dem Bild gesehen käst.
In ihren Augen stand eine hi flose Anhänglichkeit
und roch ein Unerklärliches, Gtäßliches, das ntich
damals immer aus ihrer Nähe getrieben hat. Ein
Ungetüm war's, mit all leinen Instinkten begabt.
Vielleicht war sogar ihre aberwitzige Liebe zu Dir
nicht eigentlich menschlich, sondern die. räuberische
Art eines Tieres, das man als Ziehmutter setzt.
Ich bin scharf, nicht wahr? Deine kleine, ent-
zückende Mama, die zu jener Zeit beinah selbst
«2
Von Herbst zu Frühling
Bäume, Gefährten dieser Jahre:
Immer wieder steht ihr leer,
Immer wieder jehnsuchtslchwer.
Eure Blätier sind gefallen.
Was vergehn will, sei vergangen.
Dach für jedes, das entgleitet,
Ist ein neues längst bereitet
Und mit ewiger Inbrunst langen
Eure Zweige hoch ins Licht.
Ungezählte Triebe starben,
Die um Glück und Sonne warben.
Nach den Wunden und den Narben
Fühlt ihr frische Freude nah.
Und so herricht das ewige Leben
Und so drängt die ewige Fülle —
Und mit Heeren junger Knospen
Kommt der Frühling und ist da.
Josef Schänder!
Das Llngeiüm
Bon Jens Lornsen
— — Und dann, liebe Base, habe ich Dir
einen Dienst erwiesen, von dem Du kaum etwas
w ssen wirst, den ich mir aber um so höher an-
rechne, als Dir die Sache eigenilich reichlich
nahe ging.
Ich war damals ein Bengel von elf, zwölf
Lenzen und trieb noch, als meine Eltern draußen
in Afrika waren, ein Jahr lang auf Eurem Gut
herum. Wie Du Dir ausrechnen wirst, warst Du da-
mals zwei, drei Sommer alt und haltest noch nicht
das geringste Verständnis da ür, welch wichtige
Rolle Dein Vetter in Deinem Leben spielen würde.
Aber glaube nirl't, daß Du die Hauptperson bei
der Sache bist. Es ist mitunter auch anders, —
damals wenigstens. Ich will Dir nämlich von
Deiner ersten Kinderwärterin erzählen.
Vielleicht erinnerst Du Dich des grünumstri-
chenen, kleinen Bildes eines unförmigen Kopfes
mit geknickter Stirn und kuhartig gequollenen
Augen, das in Deinem Ktnderzmimerchen hing.
Ich habe Dir später oft genug damst bange ge-
macht. Ich habe Dir sogar einmal gesagt, es sei
das Bild Deines einstigen Freiers, das der liebe
Gott jedem jungen Mädchen mit in die Wiege
legt. Ohne zu wissen, wie schlecht ich mich da-
durch machte.
Denn das Bild ist kein Mann, wie man meint,
sondern das Konterfei eben dieser Wärterin, die
Deine ersten Tage besch rmt hat.
Loschen Loop hieß sie. Fräulein Loop nannte
sie Dein Vater, weil, wie er tagte, er die Eifer-
sucht Deiner kleinen, guten Mutter fürchtete. Er
war immer ein großer Spaßmacker. Lieschen Loop
war wohl an dte Fünfzig, als sie bet Euch eintrat.
Sie war immer noch üverlebensgroß und breit
wie ein Holzfäller. Ein kleiner, dicker Hals trug
einen unförmigen, knackigen Kopf mit vorstoßen-
den Joch und Kielern und kleinen fettigen, dunklen
Haaren. Eo wie Du's auf dem Bild gesehen käst.
In ihren Augen stand eine hi flose Anhänglichkeit
und roch ein Unerklärliches, Gtäßliches, das ntich
damals immer aus ihrer Nähe getrieben hat. Ein
Ungetüm war's, mit all leinen Instinkten begabt.
Vielleicht war sogar ihre aberwitzige Liebe zu Dir
nicht eigentlich menschlich, sondern die. räuberische
Art eines Tieres, das man als Ziehmutter setzt.
Ich bin scharf, nicht wahr? Deine kleine, ent-
zückende Mama, die zu jener Zeit beinah selbst
«2