Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben (22.1917, Band 1 (Nr. 1-26))

Andante

Bleicher werden alle Lichter
Und der Abend geht.

Irgend einer singt ein Liedchen,
Das der Wind verweht.

Leise kommt die Nacht. Mit kühler
Nebelfeuchter Hand
Deckt sie ihren blauen Schleier
Uber stilles Land.

Und sie wischt das letzte Glühen
Sacht vom Kirchturmknauf,

Aber hoch im Blauen blühen
Goldne Sterne auf.

Hans Binder

Ballade

Feldgrau ein Bündlein Mensch auf dem Schneefeld ruht,
Pulsschlag um Pulsschlag stoßweis verrinnendes Blut
2m Schnee.

Dämmerung rings und Schneefall: verwobener Duft.

Eine Stimme, die müd in die schwebende Ferne ruft:

. Hierher!"

Flockenfall huscht drüber hin, wogt im Winde, rieselt und zirpt,
Eine Stimme, die tief, wie im Schlaf schon, aufstöhnt — erstirbt:
„Marie!"

Zeitungen rascheln, warm-gelbes Lampenlicht,

Stützender Arnr und ein schmales Frauengesicht
Vertieft.

Plötzlich staunt sie empor über knisternder Bogen Rand,

Stauirt mit halboffnem Mund wie suchend hin an die Wand
Und horcht;

Horcht in der Stube umher — zum Fenster hin : Sturnr und Geweh! —
Schraubt an dem Docht: „Es war nur der rieselnde Schnee!"

Und liest.

MÖNCHEN

Walther Püttner

82

Hermann Schieber