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August Geigenberger f

Das Opferlamm

„Jedesmal, wenn ich zu Besuch komm', macht er einen violinangriff auf mich!"

Könna. 3 Hab 's Geld nur schnell hinglegt und
bin fllet wieda zur Tür naus."

„Nimmer so," log Alois und lief davon.
Jetzt konnte er nicht heim.

„Am besten waar's, i machat es wia da
Schweiz«," murnielte er mehrmals vor sich hin,
während er planlos dem Flusse entlang irrte.
„Wann i an Strick hält, wahrhaft! i taat's. Mir
is das Lebn ganz valeidt."

Er ging immer zu, die Häusermasse des Mark-
tes hinter sich lassend. Nur Sägmühlen und ver-
einzelte Gehöfte kamen ihm mehr in den Weg.
Er wurde allmählich ganz müde vom Gehen.

„Das beste waar, i taat mi aufhänga," sagte
er sich immer wieder. „Koan Muat Hab i halt."

3n diesem Momente gewahrte er in der Ferne
das Wirtshaus „Zum Lüfterl", wo die Flöffer
ab und zu einkehrten, indeß auf der Veranda die
paar Sommerfrischler des Marktes nachmittags
ihren Kaffee tranken.

Mit größter Kühnheit ging er hinein, setzte
sich in den kleinen Garten und verlangte ein Glas
Bier. Me Kellnerin bediente ihn wie einen rich-
tigen Herrn, aber nach einer Weile kam der Wirt,
blickte ihn erstaunt an und fragte ihn, wer er sei,
woher er käme, wohin er ginge und so fort. Sich
am Bier Kraft trinkend, log Alois allerhand zu-
sammen. Der Wirt schien ihm zu glauben und
verschwand wieder. Alois verlangte Zigaretten
und rauchte. Es begann ihm schwindlich zu wer-
den, und da der Wirt neuerdings kam und fragte,
zahlte er und ging. „Bhüat Gott, Kleiner," rief
ihm die Kellnerin lächelnd nach.

Alois ging nun wieder den Weg zurück, den
er gekomnien war. Vor jedem Sägwerk blieb
er stehen und sah zu. Einmal trat er auch hinein
und beobachtete, wie das Säggatter auf und nie-
der ging. Wenn er da seinen Kopf darunter

legen würde, wäre er auch sogleich tot, dachte er.
Aber man könnte ihn nicht einmal eingraben, so
würde ihn das zurichten.

3n dem Hofe des letzten Sägewerkes fand
er während er auf den hochaufgestapelten Blö-
chern herumstieg, einen Strick. Er drehte ihn
zusammen und steckte ihn schnell zu dem Bruch-
stück in der Tasche.

Er kam nun wieder in den Markt hinein
und begann zu fürchten, es könnte ihm jemand,
der ihn kannte, begegnen, und mit einem Male
erinnerte er sich, daß er ja noch gar nicht wußte,
wo er sich aufhängen wollte.

Doch darüber war er sich bald klar. Sie
sollten ihn finden. 3n der Nähe von seinem
Meister mußte der Ort sein, wo . . . es . . .
geschah. Aber wie über die Brücke kommen?
Auf ihr konnte ihm am leichtesten jemand in den
Weg kommen. Wenn der Meister daher käme?
Er ging um diese Zeit oft in den Lämmerbräu.

„Nun, wann mi der Meista auf da Bruckn
faßt, nacha spring i einfach ins Wasser. Mir is
gleich," beschloß er, denn sein Mut war durch den
Biergenuß ins Ungemessene gewachsen.

Er kam unangefochten über die Brücke, ließ
das Haus des Meisters rechts liegen und ging
nun auf dieser Seite den Fluß entlang. Hier
hatte er sich schon oft umhergetrieben und kannte
jeden Stein.

Vor dem Schuppen der dem königlichen Bau-
amt gehört, und in dem Bretter und Leitern,
Gerüstzeug, Wägen, Werkzeuge und alles mög-
liche Gerümpel nu'gehäufl war, machte er halt.
Die Türe stand offen. Er spähte hinein.

„Also dadrin," niurmelte er und stieg unschlüssig
zum Wasser hinab.

Der Fluß kam trotz des Sommers nüt Macht
vorbei. Ein breites Band von Wirbeln, die sich

unausgesetzt schlangenförmig ineinander drehten,
ging quer über das rauschend vorbeischießende
Wasser, und weiter flußabwärts sprangen an
einer Schnelle die weißen Wellenköpfe hin und her.

Alois zog sein Taschenmesser hervor und lchnitzte
aus den Holzstücken, die herumlagen — sie waren
beim Behauen von Balken nbgefallen — Schiff-
chen. Hierauf suchte er eine Stelle, wo das
Ufer sanft geneigt zum Wasser hinabging, stieg
hinunter und ließ die Schiffchen der Schnelle
zutreiben.

Es verflossen ihni Stunden bei diesem Spiel.
Bereits stand die Sonne ganz tief, und ihre
Strahlen tänzelten über die Wellen. Wie von
einer Egge zu einem glühend gefurchten Acker
aufgewühlt, erschien manchmal der Fluß. Die
Farbe des Himmels war klarer und durchsichtiger
geworden, und die Blätter der Linden, Birken
und Weiden am jenseitigen Ufer hoben sich so
scharf von diesem zarten Grunde, daß man sie
einzeln zählen zu können glaubte.

Alo>s weinte und schluchzte in sich hinein.
Der Sonnenuntergang mahnte ihn, daß er nun
bald Ernst machen mußte. Dann sah er seine
Schuhe an. Sie waren ganz naß von dem im
Wasser herumsteigen. Oft hatte nian ihn früher
deswegen genholten. Heute war es gleichgültig;
heute würde ihn niemand mehr schelten. Er
weinte und schluchzte noch mehr.

Eine Frau, die des Weges kam, fragte ihn:

„Geh'Bua! Warum weinst denn? Bist doch
schon viel z'groß dafür!"

Er gab keine Antwort.

„3a, was is denn?" wiederholte sie.

Alois nahm sich einen Anlauf, ihr sein ganzes
Unglück zu erzählen, aber da fubr sie fort, „hast
vielleicht was angfangt?" und sein Vertrauen
war weg, und er schwieg störrisch und lief schließ-

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