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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 22.1917, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.4319#0247

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gleichen! Dann wäre er ja nicht der Doktor
Allwissend, der wie ein Windstoß von irgendher
hereinfegte, das Bein über die Siuhllel>ne schwang
und sich in unsre Mitte setzte, als wäre er von
Anfang an dabei. Die Sage von« Klub der allen
Hunde ist zu ihm gedrungen, und er hat einen
großen leeren Neuigkeitssack mitgebrncht und hofft,
daß wir sehr ergiebig sind. Die alten Hunde kennt
man doch als Mann aller Weltstraßen gleich am
Gebell, sobald sie Laut geben?

Er irrt sich! Doktor Allwissend ist ein Neuling
an der Front, soweit er sonst herumgekommen
ist. Die altgewohnten Kriegsberichterstatter wissen
besser Bescheid um uns. Sie wissen, daß ein«:
sich erst langsam eingewöhnen mich in unserer
Welt, von der vom Hörensagen keiner eine rechte
Vorstellung bekommt. Ein Alles-besser-wisser aber,
der sich vorübergehend als wandelnde Sammel-
stelle für Nachrichten von der Front bei uns auf-
hält? . . . Was geschieht mit ihm?

Man höre, wie es dem Doktor Allwissend
im Klub der alten Hunde erging!

Wir heben nochmals an und kommen vom
Hauptverbandplatz, Neben uns geht der Pfarrer
und hat gefragt, ob der Mann vom Starkstrom,
der drinnen liegt, wohl mit dem Leben davon
kommt. Er ist gräßlich verbrannt. Denn er kam
bei der Arbeit dem Strom zu nahe. Daß der
ewig lauernde Blitz auf ihn übersprang und ihm
mit Feuer die rechte Schulter bis auf die Knochen
verzehrte, dann längs an ihm herabfuhr und ein
kreisrundes Loch brannte in beide Fußsohlen.
Der Pfarrer riecht noch verbranntes Menschen-
fleisch und ist erschüttert. Und wir haben zur
Antwort die Achseln gezuckt: es hängt davon ab,
ob der Mann wieder zum Bewußtsein kommt.

So treten wir ein in unsre Giftbude und sehen
den Gast von draußen aus der Heimat. Er hat
sich erhoben, der Doktor Allwissend, hat ein paar
hurtige helle Augen im Kops und scharfe Willens-
linien um den Mund. Es ist ihn, zuzutrauen, daß
er Widerstand zu überwinden weiß. Wir sehen es
alle, und unser erster Offizier und Führer des
Sanitätsgeschwaders, der Häuptling aller Wagen
und Gespanne und aller Träger mit der roten
Kreuzbinde, ist heute mit unserm Gast vorn ge-
wesen und hat ihn gerühmt. Wie der Doktor
reiten kann, ein toller Bruder! Der wird sogar
mit dem Lustig fertig, der sonst nur den Ritt-
meister aufsitzen läßt. Er hat sich ganz gut an-
gclasscn, der Mann von Anderswo, ist auch kein
Drückeberger, wann's schießt.

Aber dann hat er heute entweder keinen guten
Tag, oder er kann unter mehreren nicht sein wie
unter Zweien im Zwiegespräch, Er müßte nicht
immer das Wort führen wollen und am aller-
lautesten sein; der nicht von drüben herüberkommt
und es nicht nötig hat auf andere Gedanken zu
kommen.

Eine Weile hört sich's ganz gut an, und unser
Jüngster, der Unterarzt, der solch neckische blanke
Augen hat wie ein Backfisch, hat geraume Zeit
keinen Blick von ihm verwenden können. Der
Doktor kennt Gott und die Welt und hat Staub
gewischt auf allen fünf Erdteilen samt den fernen
Inseln, Und überall hat er Bekannte, hohe und
allerhöchste Herrschaften,

am 13. Juli 1912 (München)

Der Ritter

(Georg Hirth gewidmet)

Wie könnte ich je, ein Vergeuder, vergessen,
Was ich, ein trunkner Erbeuter, besessen:
Die gläubige Geste der Gärten und Garben,
Die reiche Milde des Mittags, die Glut
Bon Spätherbsttagen, lenzjunges Blut,

Lohe Lichter und frohe Farben.

Ich trug meine Heiterkeit wie eine Lanze,
Ich trug meine Treue wie einen Helm.

Ich schlug mich durch tausend Teufel im Tanze
Der taumelnden Tage, ein Träumer und

Schelm,

Ein himmlischer Herold in irdischen Nöten.
Ich ritt um zu reiten, deß durften sie beten.
Ich ritt wie ein purprirnes Röslein

erglommen,

Achtlos vorüber an Frechen und Frommen
Und sah karim, daß Bürger rnrd Bauer

sich bückte,

Und zog meine Straße wie Parcival
Und zückte mein Schwert nicht und baute

und brückte

Wolkige Stege zum heiligen Gral.

Max Fleischer (Wien)

Wer kann dagegen an? Die Kavaliere sitzen an
dem langen Tisch, der aus irgend welchem Grund
viel zu hochbeinig ausgefallen ist für die niedrigen
Stühle, Der Tisch ist roh zusammengezimmert
aus Böcken, darüber ungehobelte Bretter genagelt
sind als Tischplatte, und darüber ist ein Bettlaken
gebreitet. Man meint, die Köpfe sollen auf dem
Tischtuch serviert werden. Die Kavaliere sehen
aus wie bärtige Kinder, die knapp das Kinn
heben über dem Teller. So fällt'© doppelt auf,
wie der Spitzbart des Fremdlings unaufhörlich
in Bewegung ist, O, er unterhält sich heute
prächtig und ist in voller Fahrt, Und hernach
wird er den Bleistift spitzen und fragen und alles
verwerten zu schönen Artikeln in der Zeitung.

Seht ihn, er merkt nicht, daß er nur mit sich
selber spricht!

Die Kavaliere hatten ein Übriges getan heute
und Vorbereitungen getroffen für ihren Gast:
haben feit langer Zeit wieder ein Faß Bier auf-
gelrieben und die Hauptmahlzeit auf den Abend
verlegt, danach wir jetzt alle verlänglich sind.
Denn es gibt Hasenbraten, den mir unserem
zweiten Offizier verdanken, seiner Witterung und
seiner todsicheren Büchse: unserm langen Gustav
mit dem kriegsstarken Kinn! Unser Chefarzt ist
auch niit draußen gewesen in dem zerwühlten
Feld, aber durch den Torbogen seiner Beine
sind ihni die Hasen entwischt. Das ist Anlage
und erklärlich. Darüber wird nicht abgestimmt.

Aber die Kavaliere haben alle ein frisches
Glas in Augenhöhe vor sich stehen und sehen
einander in stiller Feierlichkeit an, um ihre Gemein-
samkeit zu betätigen. Sic klopfen mit dem ge-
krümmten Mittelfinger auf die Tischplatte und
trinken miteinander,

Doktor Allwissend, warum wartet Ihr voreilig
und habt das Bundeszeichen der alten Hunde
nachgeklopft, als wäre es Euer selbstverständliches
Recht? Das war Euer erster Mißgriff, trotz Eurer
weitgereisten Wellklugheit, Nein, nicht der erste.
Die alten Hunde haben es längst gemerkt, Ihr
seid allwissend.

Man wird Euch heute noch den Mund stopfen!

Wäret Ihr wie der Pfarrer, der auch ein Ein-
zelner ist in unserm Kreis, dann würde jetzt über
Euch abgestimmt wegen plumper Vertraulichkeit,
bevor Ihr in den Bund ausgenommen seid. Und
nach mehreren Abstimmungen würdet Ihr zuletzt
nicht aus und ein wissen, es sei denn, daß Ihr
begriffen habt, daß Ihr nur einen Daumen habt
an der rechten Hand und nichts ausrichtet gegen
eine Gewerkschaft von Daumen. Aber der Pfarrer
ist jetzt Unsereiner und Ihr seid ein Frenidling.
Uber Euch wird nicht abgestimmt. Aber man
wird Euch den Mund stopfen.

Die Kavaliere schweigen und haben sich angeblickt.
Und der Tischälteste mit der gebieterischen Nase
nickt vor sich hin bis an den Tellerrand und knurrt:
„Der Pfarrer sagt kein Wort, er ist nicht ergiebig,"

Wahrscheinlich hat's der Pfarrer nicht ver-
standen, was der Chefarzt im Sinn hat, daß
ein Pfarrer am wenigsten sich's gefallen lassen
soll, wenn ein andrer immerzu das Wort hat.
Aber der Pfarrer schweigt, vielleicht stört ihn
auch etwas Anderes, von da drüben.

(Schluß auf Seite 230a)

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Index
Otto Hirth: Mein Vater
Julius Diez: Vignette
Max Fleischer: Der Ritter (Georg Hirth gewidmet)
 
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