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Mein Kleid

Kannst du die Freude recht begreifen.

Wenn ich ein köstliches Gewand
Mit eignem Fleiß und eigner Kunst erzeuge?
Wenn sich des Stoffes weiche Streifen
Zusammenfügen unter meiner Hand
Und ich mich froh darüberbeuge,

Um Seidenfäden fremder Zonen
In bunten Farben einzustechten,

Die leise knisternd mancherlei erzählen . ..
Wenn frei von anderem Geschmack und

andrer Frohnen

Aus meinem Wollen, nicht von armen Knechten
Das Werk entstand, sich mir dann zu vermählen —
Dann freue ich mich an dem feinen Schmiegen,
An deiner Blicke Schmeicheln, die da gleiten
Um Linien, Falten-Spiel und Raffen,

Dann bin ich stolz, so über dich zu siegen
Denn alles, was dir Herzenslust bereitet,

Ward nur von Gott und mir erschaffen!

Irene Heberte

Oer Grobian

Don D. Lütgens

„Woher diese Musik?"

„Da drinnen liegt unser Musikant," sagte die
Schwester, „er spielt in einem fort seine Mund-
harmonika und ist nicht davon abzubringen. Darum
hat ihn der Oberarzt isoliert. Er macht sich auch
nicht viel aus Besuch, weih kaum Dank für Liebes-
gaben — er kriegt halt nicht mehr viel —"

„Ach, wohl ein .Sonderling'?" fragte die junge
Danie, „nial 'was richtig Interessantes!? — Darf
ich 'reingehen? — Egon, gib mir ein paar Blumen
wieder —"

„Was willst denn, Schwesterchen?"

„Ich bin gleich wieder hier."

Die Schwester öffnete die Tür. „Hier ist eine
Dame, die Sie begrüßen will, Herr Weber."

„So?" brummte der kranke Soldat und legte
sein Instrument auf die Bettdecke. —

„Ja. Ihre Musik hat mich angelockt — Sie
spielen ja famos!"

„So? ja, warum stören S' mich denn da?"

„Na — bloß, um Ihnen diese Blumen zu
bringen —"

„So. Danke."

„Ich werb' sie hier ins Wasser stellen, wenn
Sie erlauben — spielen Sie doch weiter."

Er spielte.

„Das war sehr hübsch," sagte die junge Dame,
als er geendet, „was war das?"

„Ein schwedisches Volkslied."

„Em schwedisches?"

„Jaja, ein schwedisches."

„Das ist Ihnen wohl so ein rechter Trost, das
Musizieren, gelt?"

„Sonst tat’ ich's nicht."

„Das kann ich mir gut denken."

„Na."

„Sie wünschen wohl, daß ich geh — ?"

„Ich wüßt halt nicht, warum ich's nicht wün-
schen sollt"

„Sie Grobian! Sie niachen mir Spaß —"

„Spaß?"

„Spaß. Ich muß lachen — Sie erlauben doch,
daß ich mich setze — ?"

Der Soldat antwortete nichts.

Die junge Dame betrachtete ihn. „Also —
wundervolle blaue Augen haben Sie!"

Der Soldat wurde beinahe ein wenig rot,
nahm jedenfalls seine Mundharmonika an die
Lippen und spielte.

M. Moser

Erste Frühlingsstunde

Ganz verstaubt und winterkühl im Blute
Ging ich mürrisch heut hinaus zum Walde.
Härte fror »och unter meinen Schritten.

Tief vermummt noch standen alle Bäume.

Da ich nun am Dürrgras lag am Waldrand,
Recht ein armes, winterliches Menfchlein,

Sieh, da kam des Frühlings erste Stunde.
Federwölkchen sah ich hingezeichnet
Auf das Glänzen blauer Himmelsferue.

In den Fnrchen schmolz der Scknee; cs tanzten
In der jungen, ungewohnten Sonne
Ungeschickt die neugebornen Mücklein.

Süß und schläfrig war die Luft zu atmen.
Lächelnd lag ich da in lauer Wonne
Wie ein Bienlein, das zu schwer von Honig;
Schwelgte mich hinab in ein Vergessen,

Und im ganzen Blnte jung dnrchhcikert,
Taucht' ich auf und sah die frohe Erde.
Lieblich, dacht' ich, ist mein Los gefallen.

Daß ich zwischen Erd' und hohem Himmel
Weilen darf, ein dankbar, fröhlich Tierlein,

Und in jedem Lenz mein Fünklein Leben
Nähren darf an ihrer großen Liebe.

mit." Si'e befestigte eine Blume, eine Lev-
koje, an ihrer Bluse, sah sich um — „Nicht
mal einen Spiegel haben Sie — Sieht 's
denn gut aus? Sagen Sie die Wahrheit,
Herr Grobian —"

Sie näherte sich dem Bett. „Also sage»
Sie mir doch wenigstens adieu, ja?" Und
sie hielt ihre Hand hin.

Der Soldat aber nahm ihr die Blumen
aus der anderen Hand. „Die haben Sie mir
geschenkt!"

„Hallo — der Räuber! — Wollen Sie
diese auch haben — die von meinem Herzen?
Da müssen Sie mir aber zum Abschied wenig-
stens die Hand küssen —"

Sic hielt ihm kokett ihre beiden Hände hin.
Der Soldat nahm flugs die Blume, die an
ihrer Bluse hing, und behielt sie in der ge-
schlossenen Hand. Und, während die junge
Dame lachte, nahm er, errötend, die Mund-
harmonika und begann zu spielen —

„Ach — ich muß ja gehen! Schade. Auf
Wiedersehen!-"

„Na, ein Abenteuer, Fräulein Lilli?" neckte
der Freund des Bruders.

„Also, Kinder, ich sage Euch! ein Grobian
— na! Alles Hab ich versucht: Flirt ausge-
schlossen! Ich freu' mich schon aufs nächste Mal!"

— — Das itächste Mal.

Fräulein Lilli und ihr Bruder begrüßen den
verwundeten Kanieraden.

Dann begibt sie sich mit einem Strauß schöner
Rosen und etlichen Paketen zur Tür des Mu-
sikanten.

Auf dem Korridor trifft sie di« Schwester.

„Guten Tag, Schwester. Ich möcht' mal
wieder nach Ihrem groben Mundharmonikamann
sehen —

„Ah — Gnädiges Fräulein! Guten Tag —
Ja — der Herr Weber — seine Leiche ging gestern
nach der Heimat ab — seine alte Mutter kam extra
her. Er hat etwas bestimnit — ich glaube, er
meint Sie, gnädiges Fräulein. Einen Augenblick,
bitte — hier —"

Die Schwester nahm aus einem Schrank ein
kleines Paket und machte es auf. „Ja, hier ist
der Zettel — bitte."

Fräulein Lilli las: Wenn ich tot bin, soll die
Dame, die gestern bei mir war, meine Mund-
harmonika haben. Hans Weber.

„Hier ist das Instrument, gnädiges Fräu-
lein —," eine welke Levkoje fiel aus dem Papier.
„Ach, die Blume — ja, die hatte er bis zuletzt
in der Hand — — ich werde beides einwickeln,
nicht wahr?"

„Also, Schwester, ich bin ganz baff! War er
denn s o krank?"

„Ja — die schwere Wunde am Bein —

und dann da» Herz-- Entschuldigen Sie,

Gnädiges Fräulein, es klingelt — adiö."

Wilhelm Michel

„Gott — wie gefühlvoll! War das auch
schwedisch?"

„Nein."

„Vielleicht selbstkomponiert?"

Der Soldat schwieg.

„Sagen Sie, Herr Grobian, wie kommt es,
daß Sie sich nicht freuen, wenn Sie Besuch be-
kommen? Behandeln Sie Ihre Verwandten auch
so? Oder kommen die gar nicht her? Wo sind
Sie .. . .?"

Der Soldat begann zu spielen.

„Aha — Carmen —"

Als er endete, stand sie auf. „Ich werd' Sie
jetzt befreien — ich muß nämlich leider gehen,
mein Bruder erwartet mich. — Aus den Blumen
also machen Sie sich nichts . . . Und ich Hab sie
extra für Sie wieder erbettelt — sie waren näm-
lich dem Kamerad von meinem Bruder mitge-
bracht, den. wir heute besucht haben, — und der
freute sich so! Also, ich nehme sie jetzt wieder

„Ad.ö, Schwester."-

„Na, Lilli, schon zurück — und —"

„Also, Kinder, könnt Ihr euch so 'was denken ? I"

„Was denn? Will er Dich gar nicht erst
empfangen, Dein interessanter grober Freund?"

„Ne — aber tot ist er. Tot! Könnt Ihr Euch
so 'was denken!?"

„Arme Lilli!"

„Und ich hatte mich so wahnsinnig gefreut!
Und extra für ihn so verführerisch wie möglich
angezogen."

„Überhaupt 'ne Beleidigung von dem Mann,
Fräulein Lilli."

„Ja, beinahe. Die ganze Sensation hin. So'n
int'ressanter Mensch! Der ist sogar noch im Tode
grob — er hat mir nämlich seine Mundharmonika
testamentarisch zugeeignet — hier, seht."

„Auch die Blume da?"

„Ja, die ist von neulich. Denkt Euch, die
Schwester sagt, die hat er bis zuletzt in der Hand
gehalten. — Leutnant Kurtchen, Sie sehen mich
ja plötzlich so komisch an, feindlich beinah —“

„Ich hoffe, Fräulein Lilli, Sie werden es
gut bewahren —"

„Die Mundharmonika? Aber natürlich ! —
Solche Andenken kriegt man ja nicht alle Tage "

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Register
V. Lütgens: Der Grobian
Wilhelm Michel: Erste Frühlingsstunde
Max Moser: Vignette
Irene Heberle: Mein Kleid
 
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