Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Am Flusse

Spruch

Wie geht ob unsren Taten
Oer Sterne dunkler Slug!
Lrrungen und verraten
Ist nur ein Atemzug.

Die liebe, die die Frühe
Des Morgens dir erhellt,

Du glaubst, du Tor, sie glühe
Roch, wenn der Abend fällt.

Wenn kaum der Mittag schattet
Sein steiles Bild auss Land,
Ist schon mit Tod gegattet,
Was morgens loh entbrannt.

Du selbst hast ausgerottet
Des Dstens goldene Saat,
Der Westen steht entgottet,
LH noch die Rächt genaht,

Ls geht ob unsren Taten
Der Sterne schwerer Slug:
Lrrungen und verraten
Ist nur ein Atemzug,

Harry Rahn

Hemmungen

Von Fritz Philipp,

Mein Freund war aus
dem Urlaub zurückgekehrt,
und wir saßen zusammen im
Unterstand. Es ist verständ-
lich, wenn ich ihn schlechthin
meinen Freund nenne, daß
das kein Dutzendname ist,
wenngleich der Krieg für
uns Einzelne schon niancherlei Erlösung ge-
bracht hat aus unserer Einsamkeit. Wir waren
vereinsamt aus zu strenger Scham unsrer
Seele, Wir hatten uns gewöhnt, nicht allein
mit unfern Worten, sondern durch die ganze
starre Zucht in Mienen und Gehaben uns
gegen Sicht zu decken; gegen die Maffen-
haftigkeit, die mit uns gleichen Namens
sein wollte. Das war die Scham unserer
Seele, mit der wir schon anfingen einen
Kultus zu treiben.

Nun begann der Krieg mit einer über-
raschenden Ehrenerklärung der Masse, Wir
spürten Allgemeingesühl und fürchteten uns
nicht mehr, unsre Seele zu zeigen. Dann
riß uns der Krieg hin, und das Geschehen
herrschte schrankenlos. Und wo derweil unsre
Seele blieb? Wir waren zwischen Traum
und Wachen in einen ungeheuren Wirbel
allseiliger Bewegung hiueingerissen und wissen
über uns selber wenig zu sagen. Wenn uns
das Bewegungsfieber eine Ruhepause gönnte,
aßen oder schliefen wir. Vielleicht beschränkte
sich unsre Seele darauf, im Sattel eine Post-
karte zu schreiben.

Dann erstarrte der Fluß der Dinge, wie
vereist. Und der Krieg trat Jahr und Tag
auf der Stelle, immer von einem Fuß auf
den andern, uns jeder Tag niachte den
vorigen nach wie ein Affe. Da besannen wir
uns wieder auf unsre Seele, Wir suchten Ge-
meinschaft und begannen mit hungrigem Ver-
langen einander nützuteilen und auszutauschen.
Mit der Stirne in die Grube gestellt vor die nackte
Erde, konnte sich einer vor Seinesgleichen nicht
jahrelang verstecken. Rings war die schranken-
lose Einöde als Thron errichtet für den Götzen
des Primitiven, der Menschen fressen wollte,
alle, die der Sphinx der Schützengrabenwelt nicht
ihr Rätsel lösten: wie eine lebendige Seele dem
Martyrium des Stumpfsinns entgehe?

Der Zug

pfeilschnell durchfliegt er wechselnde Gelände,
Durchrast das Land mit wuchtiger Gewalt,

Durch frischen Schnee in schimmernd reiner Blende,
Durch giimmerseinen, weißen Winterwald,,,

Sein Atemhauch bläst Rauhreif von den Bäumen,

Lr weckt die Felder, die vom Frühling träumen,
von Frühiingssonne und von Winters Lnde.,,

In raschem Fluge wechseln die Gelände,

Gen Süden stiebt er dann. Sein Schlot sprüht Garben
Hier sieht man schon in Fülle Blumen wachsen.

Der Hügelhang ist ein Akkord von Farben,

Die Räder knirschen in den heißen Achsen ...

Lin schwerer Lrdgeruch liegt überm Tal,

Und auf der Schienen silberblankem Stahl
Wirft Sonne spielend goldne Strahlenbrände ,..

In raschem Fluge wechseln die Gelände,

Ldith Gierke kLern)

Daruni hatte jeder, der aus der Heiniat kam,
eine Verpflichtung übernomnien gegen die Zurück-
gebliebenen. Er mußte »ütteilen und erzählen.
Und mein Freund teilte mir mit; er gab und
ich nahm.

„Du weißt, wie sehr ich den Rhein liebe. Aber
diesmal, so frisch vom Feind kommend, hat er
mich durch seine unberührte königliche Schönheit
geradezu erschüttert. Man sieht es sichtbar vor
Augen als höchstes Gelingen, warum wir gekämpst
haben. Frei ergeht sich der herrliche Strom wie

Daniel Staschus

ein Sänger, weitab von
Krieg und Kriegsgeschrei.
Wenn einer mit offenen
Augen am hellen Tage
Träume der Glückseligkeit
haben soll, muß man ihn
mit Siebenmellenstiefeln aus
der Somme-Schlacht an den
Rhein versetzen.

Und doch, mitten in der
Freude des Wiedersehens
kommt dann von ungefähr
die Bangigkeit in Dir auf:
Suchst Du nicht zuviel?
Und wird Deiner Sehnsucht
nach dem eisten Willkomm
nicht doch leise lächelnd ab-
gewinkt? , ..

Eben hatte der Herbst
seine bunte Gemälde-Aus-
stellung beisammen und fei-
erte Tag für Tag Künstler-
feste. Der Vergleich lag mir
um so näher, weil ich in
einem der märchenhaften
Rheinnester einen Maler-
freund habe. Und da ging's
mit Leidenschaft ans Bilder-
besehn ; bei ihm und draus-
sen, wo er mir alle seine
Lieblingsstücke zeigte und
sich und mich wie Jäger ans
den Anstand stellte. So eine
Art Schönheitsjagd war's,
die er mit der Natur be-
trieb. Seine künstlerische
Beschäftigung mit ihr war
gleichzeitig sein Mittel, sie
leidenschaftlich zu lieben,
ohne sich an sie zu ver-
lieren.

Zn seiner Familie —
außer der blonden reichen
Mütterlichkeit seiner Frau
zwei umeinanderhüpfende Jungen und Mä-
dels — traf ich sie wieder, Thea, Sage
ich unverhofft, oder endlich? Auch diesmal
war ich von ihrem Anblick freudig bestürzt.
Es kann einen überfallen, wie schön sie ist.
Zuletzt hatten wir uns vor dem Krieg
gesehen, also vor einer Ewigkeit. Sie war
unterdessen großjährig geworden. Ich hatte
jedesmal an ihren Geburtstag gedacht, ohne
an sie zu schreiben, wie ich es versprochen
hatte.

Darüber zankte sie nnch eifrig aus, nahm's
aber nicht übel, daß ich meine Rechtfertigung
gar nicht versuchte, weil ich zu sehr in ihren
Anblick versunken war. Sie hatte darin den
besten Beweis, daß ich sie durch mein Nicht-
schreiben stillschweigend mehr beachtete, als
durch einen höflich nichtssagenden Glück-
wunsch,

Ich lauschte dem Ton ihrer Stimme, sog
das Spiel ihrer Linien in mich ein, diesen
unhörbaren sinnberückenden Rhythmus, der
wie ein Gefolge heimlicher Musiknoten an-
zeigt, daß der Natur ein Meisterstück gelun-
gen ist.

Schon in der Luft lag etwas, das den
Tag unter ein Ausnahmegesetz stellte. Das
ganze All schien seiner selbst herzinnig sich
zu freuen. Und unsereiner hat so lang ge-
darbt. Der Krieg war hier etwas Unglaubliches
geworden. Wir stiegen in den Kahn unseres
Malerfreundes, der mit launiger Selbstverständ-
lichkeit die Plätze verteilte. Die beiden Damen
sollten uns rudern; ausnahmsweise, damit er mir
alles richtig zeigen könne. Ich sollte also von
ihm mit Beschlag belegt werden. Er war selber
zu sehr beschäftigt mit seinem großen Bilderbuch,
um zu bemerken, daß meine Aufmerksamkeit be-
reits beschlagnahnit war von einer besonderen
Augenweide. Wie Thea die schweren Ruder zu
handhaben wußte, daß sie nicht plump an ihr

443
Register
Edith Gierke: Der Zug
Daniel Staschus: Am Flusse
Fritz Philippi: Hemmungen
Harry Kahn: Spruch
 
Annotationen