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und rang mit dem Entschluß an ihr mein männliches Übergewicht
zu beweisen. Ich wollte Thea erobern und meine heiße Sehn-
sucht heute noch erfüllt sehen, mit dem herrlichen Geschöpf eins
zu werden.

Im Schützengraben grübelt man: Nein, du wartest noch,
ob du übrig bleibst für den Tag der Heimkehr. Keine Kriegs-
verlobung, oder gar Kriegstrauung! Wozu das Leid noch über
das Maß des unbedingt Nötigen hinaus vermehren? So töricht
vernünftig denkt man nicht mehr, wenn uns von solch einem
berückenden Wesen kein feindlicher Drahtverhau, sondern nur ein
Hauch lebendig singender Luft trennt.

Thea hatte, in ihr Spiel vertieft, mein Verstummen mit ihrem
aufmunternd freundlichen Blick beantwortet. Jetzt setzte sie sich
zur Probe den halbfertigen Kranz auf und schüttelte lächelnd
gegen nüch den Kopf, als der Kranz noch nicht ausreichte, sich
über ihrer weißen Stirn zu schließen.

Wie nüch das lockte! Nimm sie doch! Sie wartet nur darauf.
Die Frauen find aggressiver als die Männer in der Liebe, nur
auf andere Art!

Aber wenn der Mann sie in seine Arme reißt und von ihr
Besitz nimmt, dann legt sie sich willenlos schwer wie eine Gabe in
seine Hände mit gesenkten Lidern, und auf ihrem halb geöffneten
Mund das traumhafte Lächeln bedeutet den Sieg des Weibes!

Nicht, daß ich das damals gedacht hätte, nicht einen Augen-
blick! Ich war doch völlig ausgefüllt von Wonne, als mir Thea
ohne ein Wort, als fei längst alles ausgemacht, den Kranz aufsetzte.
Aber so lehnte sie sich dann zurück. So schaute sie aus halb
gesenkten Lidern mit dem Lächeln der Erfüllung. So willig hingen
ihre weißen Arme lose herab! . .. Eine warme Woge von Zärt-
lichkeit überströmte mich. . . Und wie vor einem Götterbild sank
ich nieder und barg mein Haupt in ihrem Schoß.

Mich verlangte danach, ihr zu beichten und abzubitten. Sie
sollte alles wissen von mir. Und dann wollten wir eins sein:

„Thea, ich weiß nicht, ob es einen Tag, oder nur eine Stunde
da draußen gegeben hat, da ich nicht Deiner gedachte. Wir sind
dort manchmal feldgrau bis in die Seele. Erst das endlos lang-
gedehnte Schweigen im Stellungskrieg und dann in der Hölle der
Sommeschlacht, wo die aus ihren Tobsuchtszellen losgelassenen
Naturgewalten in wahnwitzigen Schreikrämpfen auf der Mensch-
heit herumtraten. Da braucht man einen Glauben stark wie ein
Gott, um bei Besinnung zu bleiben. So glaubte ich an Dich und
fürchtete mich zugleich, es Dich wissen zu lassen.

Wie gut tut Deine weiche Hand, Theal Aber nun höre, wa-
runi ich mich fürchtete. Man ist doch ein Andrer geworden, seit-
dem man mitzog mit Blunien an Helm und Waffen. Ich wußte
nicht, ob meine Sehnsucht nicht zu viel verlangte, viel mehr als den
Rausch einer schönen Stunde. Ich wollte, daß durch Dich mein
Leben neu geboren werde, indem ich Seele um Seele mit Dir
tauschte wie Du und ich."

Einen Augenblick lauschte ich, atemlos hoffend. Dann hörte ich
ihre liebe Stimme über mir: „Das weiß man doch gleich, wie lieb
nian einen hat." Und sie neigte sich über mich und fand mit
innigen, Suchen meinen Mund.

Wir sprangen auf, umfaßten uns und jauchzten wie glückselige
Kinder

Als Thea zu Atem kam, hielt sie mich mit beiden Armen
vor sich hin, bestrahlte mich nnt ihren blaugrauen Augen und
lachte: „Du! Sind alle Männer so umständlich wie Du?" Und
ohne eine Antwort abzuwarten, lag sie mir wieder an der Brust.

Hatte ste nicht recht? Ich schalt mich einen Tor und überließ
nüch dem Glücksrausch, der gleichzeitig nicht allein uns, sondern
auch die gesamte bunte Umwelt in höchster Steigerung erfaßt zu
haben schien. Thea sah es zuerst und zeigte mir's: „Dieser Abend-
himmel l Der ist für uns!"

Der ganze Hinimel brannte von innerlicher Glut, und die
Freudenfeuer des Himmels warfen ihre purpurnen und goldnen
Farben in den Stroni. Und die Wasser empfingen den rinnenden
Fluß des Lichts von oben und wurden ein verklärtes Meer mit-
einander, das schenkend und opfernd hinwallte zu smaragdnen hoch-
gewölbten Toren.

„Du und ich," flüsterte ich und küßte mein bräutliches Weib.
Nun meinte ich, sie ganz empfangen zu können, wie ich es erfüllt
sah in der Vermählung des Abendhimmels mit dem heiligen Strom.

Und siehe, in derselben einen Stunde schrankenlosen Selbst-
vergessens wartete bereits im Hintergrund das Etwas, was ich nur
schlechthin „das Trennende" heißen will. Der Natur gegenüber
hat's mich schon wiederholt überfallen in Stunden höchsten Ent-
zückens, wenn ich mich ausgenommen fühlen wollte ins All. Dann
krampfte unter unerwartet schmerzhaftem Griff sich in mir etwas
zusamnien, und ich spürte mein Anderssein. Ich war zuletzt doch
ein Frenidling.

So war uns jetzt ein Wink gegeben, daß wir zu dem seltsam
leisen Rauschen über unfern Köpfen die Blicke hoben, und wir
sahen eine Wolke von Staren; ein Volk von Hunderttausenden,
wie ich's in solcher Zahl noch nie beisammen gesehen hatte. Das
erhob sich, weil feine Zeit war, mit einmütigem Zusammenhangs-
gefühl und führte einen Reigen auf ohne jede Irrtumsmöglichkeit
»nd Störung. In ständig wechselnden Gebilden schuf es neue

Rudolf Nißl (München)
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