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Rubin

(Grete gewidmet)

In Grotzmutters uraltem Gläserschrank
Fand ich ein Glas. Bon Rubin. Das klang
Wie Rauhreif im Tannwald, wenn

tauigter Wind

Rührt an gefrorene Pracht gelind,

Und tropft dann ein Klirren und Blinken

hernieder,

Ein gläsernes Weinen. Wieder und

wieder.

In fpiegelig flimmernder Dämmerung
Hielt ich das Glas. Und sah ich

den Sprung,

Sah ich die Wunde, die scharf und fein
Schnitt in den funkelnden Schliff querein.

Du klagender Kelch, mich schmerzt

dein Klingen!

Und dennoch war im Rubin ein Singen:

„Einst," sang es, „da tönt ich wie

schwingendes Gold.
Ein Mädchen war seinem Burschen hold.

Da tranken die Zwei im Uebermut,

In heißen Zügen mein stürmendes Blut,

Und strömten es weiter von Munde zu Munde.
Da war ich, der Kelch, der Dritte im Bunde.

Und als der Trunk auf die Neige ging,

Da drehten die Beiden am blitzenden Ring,
Und blieb ich, der Kelch, mit dem Weib allein.
Weib, scherzte ich, Du, was schenkst Du

nicht ein?!

Es tropfte im Tauwind, es perlte hernieder,
Und glühheitze Tränen füllten mich wieder.

Dann lachte das Weib. Dann lachte es wild.
So, schrie es, nun bist Du ja wieder gefüllt.
Stotz an! Ja, stoß an den Kreisel, den Mond,
Der weiß es vielleicht, wo mein Buhle wohnt.
Sloßt an doch! — Ein Schreck — Ich

habe geklungen —.
In krumpfender Hand war das Glas

gesprungen."

Ich schwang den Rubin vor Grotzmutters

Schrank.

Ich, rief ich, ich füll' dich mit neuem Trank,
Mit dem Safte der Reben voll bis zum Rand,
Und — klirrr! — Und traf mit dem Kelch

an die Wand.

Und blinkte am Boden ein blutroter Scherben,
Wie Rauhreif im Spätlicht. Und klirrte

im Sterben.
Georg Kutzke

Marktplatz in Brüssel Karl Hapke (Unteroffizier)

Friedensware

Von Karl Ettlinger

Vor vierzehn Tagen etwa, als ich abends
meine Stiefel auszog, erwischte ich meinen großen
rechten Zeh dabei, wie er zum Stiefelleder heraus-
guckte und mich vorwurfsvoll ansah.

Run bin ich gewiß nicht eitel, gewiß nicht,
aber da hatte ich doch den Eindruck, als sei es
keine Modenarrheit, wenn ich mir ein Paar neue
Gehwerkzeuge kaufen würde. Es sieht nicht gut
aus, wenn vier Zehen vom Stiefel verdeckt sind
und nur einer guckt heraus, und unsittlich ist es
eigentlich auch wie alles Nackte. Ich beschloß
also, neue Stiefel zu kaufen.

Dazu brauchte ich allerdings einen Bezugs-
schein. Nun, die gab's ja gleich um die Ecke.
Ich versah mich mit meinem Geburtsschein, Impf-
schein, den Militärpapieren, dem letzten Steuer-
zettel, einem Leumundszeugnis, meiner Slraßen-
bahnkarte und einem alten Reisepaß. Wen» Du
zur Behörde gehst, vergiß die Legitimationen nicht.

Meine Freunde hatten mir geraten, ich sollte
zwischen drei und fünf Uhr hingehen, da seien
die wenigsten Leute da und ich käme gleich an
die Reihe.

Es waren auch tatsächlich nicht viel Leute
da, kaum eine kriegsstarke Kompagnie, und nach
anderthalb Stunden war ich schon dran. Wäre ich
zufällig Dienstmann geworden statt Schriftsteller,
so hätte ich einen Haufen Geld verdient gehabt.
Als kleiner Junge hatte ich unbedingt Dienstmann
werden wollen, aber meine Eltern gaben es nicht
zu. Sie meinten, es sei ein zu teures Studium. Ich
sollte lieber Klaviervirtuose werden oder im Gegen-
teil Arzt, na, da bin ich halt Schriftsteller geworden,
weil der Beruf noch nicht so überfüllt ist und von
drei Menschen höchstens zwei schriftstellern.

In dem Bezugsschein - Büro war ein sehr
schönes Mädchen angestellt. Mein großer Zeh
ließ kein Auge von ihr. Sie war auch sehr höf-
lich und sagte, ich solle sie nicht so lange aufhalten,
sondern gefälligst meinen Mund aufmachen und
sagen, was ich wollte. Ich erzählte ihr also
kurz die Lebensgeschichte meines Stiefels und
daß er ehemals gelb gewesen sei, daß ich ihn
aber vor drei Jahren hätte schwarz färben lassen,

und sonst noch einiges, von dem ich Interesse
bei ihr voraussetzte.

Die Leute hinter mir brummten, eine alte
Frau behauptete sogar in ihren: Unverstand,
ich sei offenbar betrunken. Sie irrte sich: das
war am Tag vorher gewesen. Wahrscheinlich
war sie eifersüchtig, die alte Klapperschlange.

Das hübsche Fräulein gab mir zuletzt einen
Zettel zum Ausfüllen und sagte, ich solle ein
Paar Stiefel schreiben. Nun, das fiel mir
nicht schwer, ich habe in nieinem Leben schon
manchen Stiefel geschrieben.

Ich zeigte ihr dann noch meine Papiere,
zog höflich meinen Hut und ging. Das hübsche
Mädchen sah mir lange nach, vielleicht weil
ich Eindruck auf sie gemacht hatte, vielleicht
auch weil ich auf den Zettel geschrieben hatte:
möglichst einen rechten und einen linken
Schuh. An der Türe hörte ich noch, wie
das alte Weib sagte, ich sei ein spinneter
Tropf, aber was verstehen so alte Leute vom
Leben?

Ich ließ mich auch mit ihr auf gar kein
Gespräch ein, sondern sagte ihr nur gründlich
die Meinung und da die übrigen Anwesenden
ihre Partei ergriffen, wollte ich nicht den Ein-
druck der Feigheit erwecken und machte schleu-
nigst, daß ich hinauskam.

Hurra, nun hatte ich einen Bezugsschein!
Und ganz ohne Krach war es abgegangen.
Nicht einmal geimpft hatte man mich dabei,
obwohl ich doch vom Militär her gewohnt
bin, daß man bei jeder Gelegenheit geimpft
wird. Es fehlt eben doch noch an der Ein-
heitlichkeit bei den Behörden.

Auf der Trambahn fiel mir plötzlich ein:
hast Du auch Deinen Bezugsschein noch? Ich
durchkramte sämtliche Taschen — ja, Gott sei
Dank, ich hatte ihn noch: die eine Hälfte fand
ich im Zigarettenetui, die andere in der Hosen-
tasche. Ordnung ist das halbe Leben. Aber die
andere Hälfte ist mir die liebere.

Nun stand mir noch die Aufgabe bevor, das
behördlich genehmigte Stiefelpaar käuflich zu er-
werben. Denn einen Bezugsschein kann man
nicht anziehen.

Zuvor hatte ich noch eine Aussprache mit
meinem großen Zeh. „Mein lieber Zeh," sagte
ich väterlich, „Du bist nun die gute frische Luft
gewöhnt, aber ich kann Dir den Witterungs-
wechsel nicht ersparen: Du wirst wieder in Leder
eingesperrt. Es ist halt Krieg. Und überhaupt:
Du brauchst nicht immer zu sehen, wohin ich gehe;
Du bist noch viel zu jung. Also sei ein Zeh und
beherrsche Dich!"

Dann suchte ich im Wäsche-Schrank zwei
Strümpfe ohne Löcher, fand sie auch und ging
auf die Wanderschaft in das Geschäftsviertel.

„Guten Tag!" sagte das Fräulein im Schuh-
geschäft. Es war schon ein ziemlich bejahrtes
Fräulein, ich glaube, es war die Mutter des Be-
sitzers, der gerade wegen Überschreitung der Höchst-
preise zwei Monate verreist war.

„Grüß Dich Gott-" erwiderte mein großer Zeh,
der sich inzwischen wieder durch den Strumpf ge-
arbeitet hatte.

„Haben Sie vielleicht zufällig Schuhe zu ver-
kaufen?" erkundigte ich mich.

„Ausgezeichnete Ware!" versicherte das Fräu-
lein. „Nehmen Sie Platz! Welche Größe?"

„Einen Meter achtzehn," sagte ich.

„Nein, Ihre Schuhnumnier meine ich!" Sie
setzte mich auf einen Schemel, lockerte die Schuh-
bänder und fing an, mir das Bein auszureißen.
Die Schuhbänder sträubten sich ein wenig, sie
waren erst fünfmal zusammengeknüpft, denn nichts
reißt so leicht wie ein Schuhband, höchstens noch
das Völkerrecht, und von meinem früheren Rezept,
ein Stück Spagat mit Tinte zu beschmieren und
damit die Schuhe oben zuzubinden, bin ich aus
Gründen der Eleganz längst abgekommen.

Das Fräulein zog aus der Wand von Papp-
schachteln, die sich ringsum türmte, eine Schachtel
hervor. Bei dieser Gelegenheit stürzte der Schach-
telturm ein und ein Regen von Stiefeln ergoß

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Karl Ettlinger: Friedensware
Georg Kutzke: Rubin
Karl Hapke: Marktplatz in Brüssel
 
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